Aero International Oktober 2017

(Chris Devlin) #1
10/2017 http://www.aerointernational.de 79

schildern die Stimmung an Bord nach der
Ankündigung als sehr ruhig und gefasst. „Es
gab keine Panik“, erinnert sich Fallschirmjä-
ger Sam Vasquenz. „Es war einfach still. Kein
Wort wurde mehr gesprochen. Alle versuch-
ten zu verstehen, was jetzt ablief “, ergänzt
sein damaliger Kamerad Fred Caruso.
Murray fand in der Nacht vom 23. auf den



  1. September 1962 keine idealen Bedingun-
    gen für eine Notwasserung vor. Westlich
    von Irland tobte ein Sturm, und die Wellen
    erreichten eine Höhe von bis zu sechs Me-
    tern. Entgegen den Empfehlungen für Not-
    wasserungen im Flying Tiger Manual setzte
    Kapitän John D. Murray die Maschine nicht
    parallel zu den Wellenkämmen aufs Wasser.
    Vielmehr wasserte er die N6923C mit einer
    Abweichung von 20 bis 30 Grad gegen den
    Wind aus 265 Grad und damit in die Wellen
    hinein, die in einem Abstand von rund 50
    bis 60 Metern anrollten. Beim Aufsetzen um
    22:12 Uhr UTC wurde der linke Flügel der
    Super Constellation abgerissen und die Ma-
    schine kam zu einem abrupten Stopp. „Es
    war ein gigantischer Knall, und alles flog
    durch die Luft. Sofort drang eiskaltes Was-


ser in die Kabine“, schildert Fred Caruso.
Die Super Constellation hatte fünf Flöße
für je 25 Personen an Bord, doch zum Ein-
satz kam nur jene Rettungsinsel, die von Na-
vigator Samuel Nicholson durch die hintere
linke Kabinentür zu Wasser gelassen wurde.
Die anderen Flöße, die hinter den Hinterhol-
men der beiden Flügel in der Nähe der Not-
ausstiege verstaut waren, wurden später auf
dem Meer treibend gefunden. Von den Über-
lebenden hatte sie aber nach der Wasserung
niemand gesehen. Weshalb, blieb unklar.
Die Super Constellation sank innerhalb
von zehn Minuten. 51 der 76 Personen an
Bord von Flug FT923 schafften es, in der
Dunkelheit durch das sieben Grad kalte Was-
ser schwimmend zum einzigen Rettungsfloß
zu gelangen, das mit der Unterseite nach
oben im Meer trieb.
Im völlig überbelegten Floß konnten sich
die Menschen kaum bewegen und wurden
immer wieder von den Fluten überspült.
Ein banges Warten auf die Rettung begann.
Bereits um 21:20 Uhr UTC hatte die irische
Küstenfunkstelle Valentia Radio die Schiffe
im fraglichen Gebiet des Nordatlantiks alar-

miert, dass Flug FT923 in Schwierigkeiten
war, und um 22:28 Uhr UTC erhielt die MS
Celerina der Schweizer Reederei Suisse At-
lantique die Order: „Bitte nach 54.10 Grad
Nord, 24.05 West fahren, wo das Flugzeug
bereits notgelandet ist.“ Der Frachter war
mit 12 000 Tonnen Getreide unterwegs nach
Antwerpen und zu diesem Zeitpunkt rund
65 Seemeilen (117 Kilometer) von der Stelle
der Notwasserung entfernt.
Ebenfalls bereits rund eine Stunde vor der
Notwasserung hatten Gander Radio und
Prestwick Oceanic Radio Riddle-Airlines-
Flug 18H, eine DC-7 und MATS-Flug 33246,
eine C-118 Liftmaster (militärische DC-6A)
gebeten, ihren Kurs zu ändern, um die Super
Constellation zu begleiten.
Beide Maschinen kamen kurz vor der Not-
wasserung in Sichtkontakt mit Flug FT923.
Die C-118 kreiste dann rund vier Stunden
über dem Rettungsfloß und markierte dessen
Position mit dem Abwerfen von Leuchtsig-
nalen. Sie wurde später von Avro-Shackle-
ton-Aufklärern der Royal Air Force abgelöst.
Die Leuchtsignale wiesen der MS Celeri-
na den Weg. „Um 04:00 Uhr UTC sahen wir
endlich das Floß“, schrieb deren Kapitän Do-
menico Lugli in seinem Bericht an die Ree-
derei.

Schwierige Bergung
Die Bergung der Überlebenden gestalte-
te sich wegen des hohen Seegangs als sehr
schwierig. Die MS Celerina brauchte zwei
Anläufe, bis die Rettungsinsel längsseits
festgemacht werden konnte. Um 05:50 Uhr
UTC war die Rettungsaktion beendet und
48 Personen lebend an Bord. Zwei Menschen
konnten nur noch tot aus dem Floß geborgen
werden, eine Person verstarb kurz nach der
Bergung auf dem Schiff.
Am nächsten Mittag erreichte der kanadi-
sche Flugzeugträger HMCS Bonaventure
die MS Celerina. Helikopter setzten einen
Arzt auf dem Frachter ab, evakuierten Ver-
letzte und bargen die Leichen der drei Opfer.
Später flogen Helikopter der Royal Air Force
weitere Verletzte ins Krankenhaus nach
Cork in Irland aus.
28 Menschen überlebten die Notwasse-
rung nicht. Zehn Leichen konnten geborgen
werden, 18 Personen blieben vermisst. An-
gesichts der Dunkelheit, des Wetters und des
hohen Seegangs grenzte es an ein Wunder,
dass überhaupt 48 Menschen gerettet werden
konnten, heißt es im Abschlussbericht des
Civil Aeronautics Board.
Der Bericht stellte die Aufbewahrung
der Rettungsflöße außerhalb des Flugzeug-
rumpfs in Frage und empfahl dringend,
die Beleuchtung der Rettungsflöße zu ver-
bessern. Die CAB verlangte auch, dass alle
Rettungswesten mit einem Licht ausgerüstet
werden müssten, das beim Kontakt mit Was-
ser automatisch aktiviert wird – heute welt-
weit ein Standard.
Peter W. Frey Fotos: RALF HARLCHER. Lu

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Blick auf einen der Motoren
während des Flugs. Die Trieb-
werke waren immer wieder
für Zwischenfälle gut

Der Arbeitsplatz der Piloten in
der Super constellation


Bei der Lufthansa war die Lockheed L 1049g
„Super constellation“ von 1955 bis 1959 im einsatz
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