Flugzeug Classic April 2017

(Dana P.) #1

allem bei Schul- und Transportmaschinen, bei
Lastenseglern und bei weiteren taktisch weni-
ger bedeutenden Typen bereits gängige Praxis
war. Da die Siebelwerke selbst mit Lizenz-
aufträgen für Kampflugzeuge wie Ju 88 und
Ju 188 ausgelastet waren, lagerten die Verant-
wortlichen den Bau der Siebel Si 204 sowohl
ins Protektorat Böhmen und Mähren als auch
ins besetzte Frankreich aus.
Dafür sprach auch der Umstand, dass man
bereits vor Kriegsbeginn die Luftfahrtindustrie
der Tschechei in Beschaffungsprogramme des
RLM eingebunden hatte. Aufgrund der vor-
handenen Infrastruktur und der hohen Quali-
fikation der Beschäftigten dieses Industriestaa-
tes hoffte man auf hochwertige Erzeugnisse.


Doch die zunehmend restriktivere Besat-
zungspolitik mit brutalen Vergeltungsmaß-
nahmen, insbesondere nach dem Attentat auf
Reinhard Heydrich, ließ die Arbeitsmotivati-
on der tschechischen Angestellten in großem
Maße sinken. Dadadurch sank der Ausstoß,
während hingegen der Ausschuss anstieg
und offene oder verdeckte Sabotage immer
mehr zum Problem geriet.
Dies provozierte wiederum immer stärke-
re Überwachungsmaßnahmen durch den un-
beliebten Werkschutz. Hinzu kam, dass nur
tschechische Piloten die neuen Flugzeuge ein-
fliegen mussten. Die Werkleitung hoffte, dass
der Widerstand keine Maschinen sabotieren
würde, in denen später tschechische Lands-

leute Platz nahmen. Doch auch dieses Vorge-
hen konnte nicht verhindern, dass die Quali-
tät noch weiter abfiel, als die Besatzer in der
zweiten Kriegshälfte massenhaft junge Men-
schen zum gefürchteten Totaleinsatz zwangs-
verpflichteten.

Bedeutende Firma
Der Lizenzbau der Si 204 begann schließlich
im Jahr 1942 bei zwei renommierten Prager
Herstellern. Als Hauptlieferant beauftragte
man die traditionsreiche Firma Aero, welche
auch noch von der Abteilung Flugzeugbau
des bedeutenden CKD-Konzerns (Ceskomo-
ravska-Kolben-Danek) beliefert werden sollte.
CKD produzierte unter dem Firmennamen
»Praga« ursprünglich Kraftfahrzeuge und
Motoren. In den 1930er-Jahren kamen Luft-
fahrzeuge hinzu. Die deutschen Besatzer be-
nannten das Werk in »Böhmisch-Mährische
Maschinenfabriken AG« um.
Die kurz nach Ende des Ersten Weltkriegs
gegründete Firma Aero stellte anfangs nur
nachgebaute Hansa-Brandenburg-Doppel-
decker her, aber bereits in den 1920er-Jahren
avancierte sie zu einem der größten tschecho-
slowakischen Hersteller von Verkehrs- und
Militärmaschinen. Dabei gelangen den Kon-
strukteuren auch einige nationale Premieren
wie zum Beispiel der erste tschechoslowaki-
sche Jäger und das erste tschechoslowakische
Schwimmerflugzeug.
Als die Firma expandierte, wechselten die
Fertigungsstätten mehrmals den Standort
und fanden schließlich für einige Zeit ihre
Heimat am Flughafen Kbely am Rande Prags.

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Nachdem sich das Reiseflugzeug Siebel
Fh 104 »Hallore« als Erfolg erwiesen hatte,
setzte sich 1937/38 insbesondere Firmen-
direktor Friedrich W. Siebel für die Entwick-
lung eines etwas größeren und wirtschaftli-
chen Zubringer-Verkehrsflugzeugs ein. Das
Interesse von Reichsluftfahrtministerium
und Lufthansa war bald geweckt und am


  1. Mai 1940 flog die mit zwei 45-PS-Argus-
    As-410-Motoren ausgestattete Si 204 A
    erstmals. Sie war für zwei Besatzungsmit-
    glieder und acht Passagiere ausgelegt.
    Da inzwischen Kriegszeit war, erweiterte
    das Unternehmen die Typenpalette. Für
    militärische Schulungszwecke entstand die
    Si 204 D mit einem verglasten Rumpfbug
    und zwei 440-PS-Argus-As-411-Triebwerken.


Man verwendete sie zur Blindflug-, Fortge-
schrittenen-, Funk- und Navigationsschu-
lung. Insgesamt stellten Arbeiter bis zum
Kriegsende 160 Si 204 A für Kurier- und
Transportzwecke und rund 1200 Si 204 D
her. Nach 1945 produzierte man die vielsei-
tige Maschine in Frankreich als N.C. 701
(Si 204 D) und 702 (ähnlich Si 204 A)
»Martinet« mit 350 Stück weiter und setzte
sie bis 1963 ein. Auch die Tschechoslowa-
ken bauten nach 1945 insgesamt 179
Si 204 D als Aero C-3 (Militärversion) oder
C-103 (Zivilversion). Erhalten geblieben
sind aber überwiegend französische Varian-
ten der Si 204, die alles in allem zum er-
folgreichsten und fliegerisch besten Siebel-
Flugzeug geworden war. n

Multitalent Siebel Si 204


Vorstellung der ersten beiden tschecho-
slowakischen »Síbl« als »Aero Ae 01«.
Vermutlich waren es überholte Siebel
Si 204 D der Luftwaffe
Sammlung Pavel Šimek
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