Handelsblatt - 08.11.2019

(Barré) #1

Zukunftsmarkt Weltraum
WOCHENENDE 7./8./9. NOVEMBER 2019, NR. 216^55


D


ie kommerzielle Raumfahrt erlebt ei-
nen Boom. Für Grundlagenforschung,
große Missionen zum Mond etwa, und
für die Sicherheit der Satelliten-Infra-
struktur sind staatlich koordinierte Raumfahrtpro-
gramme allerdings weiterhin unverzichtbar. Die
USA werden daher die Nasa nicht abschaffen. Und
in Europa gewinnt ihr Pendant, die Europäische
Weltraum-Agentur Esa mit Sitz in Paris, derzeit an
Bedeutung. Airbus-Space-Manager Andreas Ham-
mer beschreibt es so: Elon Musk will aus Eitelkeit
auf den Mars, Jeff Bezos plant, im All Kolonien zu
bauen, aber Staaten haben darüber hinausrei-
chende Interessen für das Wohl ihrer Bürger. Das
reicht bis zur Berücksichtigung von Sicherheitsin-
teressen: Es gilt zu verhindern, militärisch aus
dem All heraus angegriffen zu werden.
Beim Esa-Ministerrat ab 27. November in Sevilla
wird es darum gehen, die knappen Mittel unter

den Schwerpunktbereichen Erdbeobachtung und
Navigation, Sicherheit, Forschung und Raketen
sinnvoll aufzuteilen. „Wir haben mehr Ideen als
Mittel“, sagt Walther Pelzer, Chef des Deutschen
Luft- und Raumfahrtzentrums DLR. Zwar fordert
Esa-Generaldirektor Johann-Dietrich Wörner eine
Erhöhung der Programmmittel. Aber auch der
deutsche Finanzminister ist dazu nicht bereit. Statt
einer Milliarde Euro bewilligte er für 2020 der Esa
855 Millionen Euro. Für die Pflichtprogramme gibt
es dort einen Verteilschlüssel, der die Höhe der
Beiträge eines jeden Mitgliedslandes bestimmt; er
richtet sich nach dem Bruttoinlandsprodukt. Im
Durchschnitt zahlt jeder Bürger der 22 Mitglieds-
länder acht Euro, die Deutschen mit elf Euro etwas
mehr. Zusätzlich zu den Esa-Pflichtprogrammen
gibt es freiwillige Projekte.
Diskussionen wird es um das Fortbestehen des
Raketenprogramms Ariane geben. Weltraumkoor-

dinator Thomas Jarzombek wirft den Herstellern
der Großrakete, den Firmen Airbus und Safran, im-
mer noch zu hohe Kosten vor. Dabei wird die neue
Ariane 6, die Ende 2020 startklar sein soll, nur
noch halb so viel kosten wie die Ariane 5 – und
technologisch erheblich besser sein. „Die ganze
Struktur des Ariane-Programms ist schwierig und
zu unwirtschaftlich“, urteilt Jarzombek dennoch.
Gewichtigeren Einfluss als die Deutschen haben
bei der Esa aber die Franzosen, die fest zur Ariane
stehen: Sie tragen 28 Prozent zum diesjährigen Jah-
resbudget der Esa-Staaten von 4,2 Milliarden Euro
bei, die Deutschen nur 22 Prozent. Verzichten auf
die Ariane will aber auch Jarzombek nicht. „Wir
brauchen sie für die Sicherheit“, räumt er ein. Bis-
her, so warnen Militärs, sind die Satelliten, die in-
zwischen für funktionierende Logistikketten und
Telekommunikationssysteme unverzichtbar sind,
im All vollkommen ungeschützt. Sollte es Angriffe
geben, müssten die Europäer in der Lage sein, Er-
satz ins All zu schaffen.
Auf Transportraketen anderer Anbieter will man
sich da nicht verlassen müssen, auch wenn diese
zahlreich sind. Schließlich wurde das Ariane-Pro-
gramm einst gestartet, weil sich in den 1970er-Jah-
ren die USA weigerten, den ersten kommerziellen
europäischen Satelliten ins All zu tragen. Marco
Fuchs, Vorstandschef des Bremer Satellitenbauers
OHB und Vizechef des Branchenverbands BDLI for-
dert daher, um die Ariane zu sichern, dass alle in-
stitutionellen Starts aus Europa mit der Großrakete
stattfinden müssten.
Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron und
Kanzlerin Angela Merkel haben in Toulouse ein
neues deutsch-französisches Projekt verabredet,
das die Esa umsetzen soll: einen Forschungsrobo-
ter, der zum Mond und wieder zurück fliegen
kann. Weiterverfolgen wollen die Europäer auch
das Projekt Weltraumstation ISS. Es glaube eigent-
lich niemand, dass es vor 2030 beendet wird, sagt
Pelzer: „Auf dem Weg zum Mond haben wir ge-
lernt, wie wichtig die ISS im niedrigen Orbit ist.“
Das ESM-Modul für den Antrieb des US-Raum-
schiffs Orion und die Versorgung der Astronauten
beim geplanten US-Flug zum Mond ist ebenfalls ein
Esa-Programm.
Im Ministerrat wird zudem eine Ausweitung des
Erdbeobachtungsprogramms Copernicus Thema
sein. Im Umweltbereich werden Satelliten immer
wichtiger, um Klimaschäden, größere Verschmut-
zungen oder Brandrodungen schnell in ihrem Aus-
maß zu erkennen. Die Esa debattiert auch über
den Aufbau eines Frühwarnsystems vor Sonnen-
stürmen und Asteroiden. Die Europäer wollen sich
an der Nasa-Mission Hera beteiligen, einem Zu-
kunftsprojekt, das dazu dienen soll, Asteroiden, die
Richtung Erde stürzen, von der Flugbahn abzulen-
ken. „Das ist dann schon ein wenig wie in einem
Bruce-Willis-Film“, sagt Fuchs.
Die Europäer wollen zudem Wege finden, Welt-
raumschrott zu beseitigen und künftig möglichst zu
vermeiden. Denn die Zahl der Satelliten im All
wächst exponentiell. Die Gefahr von Kollisionen
durch Schrott als auch durch den Zusammenstoß
von Satelliten nimmt zu. Erst kürzlich näherte sich
ein Satellit von Elon Musk gefährlich nahe einem
Esa-Satelliten, beschreibt Wörner. Das war der Aus-
löser dafür, dass die Esa die Industrie auffordere,
Möglichkeiten zum Einfangen von Schrott aufzuzei-
gen. Sie wolle dafür die Finanzierung übernehmen.
Genau das könnte ein neuer Weg sein, den die
Agentur künftig häufiger beschreiten dürfte: Er
dürfte effizienter sein, statt ein Programm erst
komplett zu planen und erst im Anschluss die Auf-
träge zu vergeben.
Um die Zahl der Satelliten nicht weiter ins Un-
endliche zu steigern, lässt die Esa zudem an Satel-
liten arbeiten, die von der Erde aus neu pro -
grammierbar sind. Bei den Satelliten für das neue
5G-Telekommunikationssystem soll dies Realität
werden.
Was allerdings auch die Esa längst registriert hat:
Der große Newspace-Boom in den USA begann, als
die Nasa ihre Mittel kürzte. So wird auch in Europa
längst diskutiert: Weniger staatlich und dafür mehr
privat zu finanzieren ist auch eine Option. Donata
Riedel

Esa


„Wie im Bruce-


Willis-Film“


Der Ministerrat der Europäischen Weltraum-


Agentur berät über hochfliegende Projekte.


Ariane-Rakete in Kourou:
Europas teures Prestigeprojekt.

Urs Keller

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