Unter Beschuss
Umfrage: Für welche der folgenden Aussagen man
nach Ansicht der Bundesbürger hart kritisiert wird
Quelle: Allensbach
69%
62
60
59
37
34
22
29
28
19
als Politiker in der Öffentlichkeit privat im Freundeskreis
Viele Flüchtlinge
sind kriminell.
Der Islam hat in
Deutschland zu
viel Einfluss.
Ausländer nehmen
den Deutschen die
Arbeitsplätze weg.
Bei Ehe und Familie soll-
ten Homosexuelle nicht
die gleichen Rechte
haben wie andere.
Wir in Deutschland
übertreiben es häufig
mit dem Umweltschutz.
sogar nach den Maßstäben seiner Partei
als Rechtsaußen.
Die Universität hatte die Sache offenbar
im Griff. Sicherheitsleute und Polizisten
hinderten die Protestierenden daran, das
Gebäude zu betreten. Tillschneider be-
zeichnete die Demonstranten auf Twitter
als »totalitäre Ungeister«. Die Hochschul-
leitung erklärte: »Wir leben in einem
Rechtsstaat, der klare Regeln aufstellt, an
die wir uns halten. Eine Universität muss
dabei auch kontroverse Standpunkte aus-
halten und abwegigen Thesen argumenta-
tiv begegnen.«
Besondere Bekanntheit erlangte Susan-
ne Schröter, Professorin für Ethnologie
an der Universität Frankfurt, weil es
sie gleich zweimal erwischt hat. Sie be-
schäftigt sich in ihrer Forschung mit »Nor-
mativen Ordnungen«, also auch mit der
Frage, was gesagt werden darf und was
nicht.
Das erste Mal passierte es 2017. Der
Polizeigewerkschafter Rainer Wendt sollte
in einer von Schröter organisierten Vor-
tragsreihe über »Polizeialltag in der Ein-
wanderungsgesellschaft« sprechen. Wendt
hat einen gewissen Ruf, weil er während
der Flüchtlingskrise die Errichtung eines
Zauns an der deutschen Grenze vorge-
schlagen und behauptet hatte, es gebe kein
»racial profiling« bei der Polizei, also dass
Beamte vermehrt Menschen mit dunkler
Hautfarbe kontrollieren.
Schröter erreichten zuerst die Mails, die
Beschimpfungen auf Social Media, wie sie
es wagen könne, einen Rassisten an die
Uni einzuladen. Dann schrieben 60 wis-
senschaftliche Mitarbeiter der Universität
Schröter einen offenen Brief, Wendt trete
offensiv für eine rassistische Polizeipraxis
ein. »Wir erwarten, dass Rainer Wendt
keine Bühne an der Goethe-Universität
Frankfurt geboten wird.«
Tatsächlich sagte Schröter die Veranstal-
tung ab. Nicht weil die Argumente sie über-
zeugt hätten, aber weil sie nicht dafür ver-
antwortlich sein wollte, dass es bei einem
Polizeieinsatz Verletzte gegeben hätte.
Im Mai dieses Jahres war es erneut so
weit. Diesmal sollte es eine Veranstaltung
zum Thema Kopftuch geben. Eingeladen
hatte Schröter Gesprächspartner mit un-
terschiedlichsten Meinungen. Jetzt kamen
die Angriffe von links genauso wie von
rechts. Aktivisten forderten Schröters
Rausschmiss. Die Hochschulleitung stellte
sich hinter sie, 700 Interessierte meldeten
sich an. An Ende kamen kaum Protestler.
Es geht in all diesen Fällen weniger um
den Austausch von Argumenten als darum,
den anderen durch übertriebene Zuspit-
zung so zu diffamieren, dass man sich die
mühsame Arbeit, seine Argumentation
nachzuvollziehen, nicht mehr machen
muss, weil der andere ja wahlweise Rassist,
Faschist oder Linksextremer ist.
Die AfD versucht, ihre Anhänger glau-
ben zu machen, solche Aktionen gebe es
nur von links, von einer angeblichen Main-
stream-Meinungspolizei, die es darauf an-
lege, sie und andere Rechte mundtot zu
machen. Tatsächlich hat die Rechte ähnli-
che Instrumente im Repertoire.
Im November 2018 stürmten Männer
an der Universität Greifswald in eine Vor-
lesung des Sprachforschers Eric Wallis,
damals Leiter des Regionalzentrums für
demokratische Kultur in Mecklenburg-Vor-
pommern. Wallis sagt, er habe gerade über
»Gehirne waschen – Framing gegen Frem-
denhass« gesprochen, da habe eine Grup-
pe den Hörsaal gestürmt und ein Banner
hochgehalten: »Man wird doch wohl noch
seine Meinung sagen dürfen«.
Das Plakat habe das Symbol der rechten
Identitären Bewegung getragen. Die Stö-
rer hätten »Tradition, Multikulti Endstati-
on« gerufen, erzählt Wallis. Er vermutet,
dass sie es darauf angelegt hätten, des Saa-
les verwiesen zu werden, um zu beweisen,
dass ihre Meinung unterdrückt werde.
»Aber diesen Punkt wollte ich sie nicht ma-
chen lassen.«
Wallis lud die Protestierer zu einer Dis-
kussion im Anschluss an seinen Vortrag
ein. Er freue sich auf den Austausch mit
ihnen. Die Männer, so ist es auf einem Mit-
schnitt der Aktion zu sehen, verließen da-
raufhin den Saal.
Offenbar ist es für viele attraktiv, sich als
Opfer von Einschüchterung und Intoleranz
darzustellen. Vielleicht hilft Garton Ashs
Aufruf zum Selbstbewusstsein hier weiter.
Und die Erkenntnis, dass es vielen, die sich
in diese Debatten einbringen, auch um die
eigene Positionsbestimmung geht, in einer
Gesellschaft, die sich polarisiert und ein
14
DIRK KROGULL
Mehr Meinungsfreiheit führt zu mehr Meinungs-
vielfalt, und die führt zu mehr Streit.
2017 versuchten Studenten,
einen Auftritt von FDP-Chef
Christian Lindner an der
Bochumer Universität zu stören.