SPIEGEL: Die »FAS« schrieb vergangene
Woche: Manche Klage über die Einschrän-
kung der Meinungsfreiheit erinnere an
Fußballspieler, die gerade eine Schwalbe
gemacht haben und sich jammernd zu Bo-
den werfen, obwohl eigentlich niemand
sie getreten hat.
Döpfner:So sehe ich das nicht. Der Anlass
unseres Gesprächs ist doch auch der Fall
Lucke, der Fall Lindner, der Fall de Mai-
zière. Die drei sind doch keine Simulan-
ten. Da geht es um: Mundtotmachen, Nie-
derbrüllen, Rausschmeißen. Das hat an
deutschen Universitäten unselige Tradi -
tion bis in die Dreißigerjahre. Und schon
unterhalb dieser Schwelle wird es proble-
matisch. Die Debatte um Peter Handke
ist so ein Fall. Ich persönlich finde die
Dinge, die er zu Serbien gesagt und ge-
schrieben hat, menschenverachtend und
falsch. Und trotzdem finde ich die Diskus-
sion, ob er den Nobelpreis bekommen
darf, verklemmt und antikünstlerisch. Das
hat mit Literatur nichts zu tun und mit
Meinungs- und Gedankenfreiheit sowieso
nicht.
SPIEGEL: Wir sollten alle etwas weniger
empfindlich sein, meinen Sie?
Döpfner:Es gibt viele Fälle, wo versucht
wird, etwas falsch oder böse zu verstehen
und jemandem Absichten zu unterstellen,
die er nicht hat. Umgekehrt gibt es Leute,
die politisch sehr korrekte Sonntagsreden
halten, einem aber nach dem zweiten Glas
Rotwein im Restaurant Worte um die Oh-
ren knallen, dass man aufstehen und gehen
möchte, weil es nur noch ekelhaft, men-
schenverachtend und ausländerfeindlich
ist. Ich habe da Bigotterien der schlimmsten
Sorte erlebt. Also: Wir sollten mehr Sen-
sibilität entwickeln für das, was jemand
meint, statt angreifbare Formulierungen
zu verbieten.
SPIEGEL: Einerseits fordern Sie: möglichst
saftig und authentisch zu formulieren,
ohne Rücksicht auf politische Korrektheit,
andererseits verlangen Sie mehr Sensibili-
tät und Bereitschaft zum Zuhören. Ist das
nicht ein Widerspruch?
- Isabell Hülsen und Markus Brauck in Berlin.
Döpfner:Finde ich gar nicht. Wenn ich
mich ehrlich und authentisch verhalte,
kann mein Gegenüber viel besser damit
umgehen, kann dagegen argumentieren,
ohne mich als Person abzulehnen. Wenn
ich jemandem nicht traue, dass er sagt, was
er denkt, ist diese Art von Dialog unmög-
lich. Aber ich finde, die Debatte, die wir
bisher führen, geht nicht weit genug.
SPIEGEL: Viel weiter geht es doch kaum.
Döpfner: Ich glaube, dass wir gerade in
dem Versuch, Hate Speech in sozialen Me-
dien zu begrenzen, dabei sind, den nächs-
ten Fehler zu begehen. Die Verschärfung
des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes ist
der falsche Weg.
SPIEGEL: Es ist der Versuch, die Debatte
mit rechtlichen Mitteln zu zivilisieren.
Döpfner: Was hier passiert, hat eindeutig
das Potenzial, Meinungsfreiheit zu be-
schränken. Wenn demnächst ein Algorith-
mus entscheidet, welche Formulierung ver-
letzend, beleidigend oder falsch ist, finde
ich das problematisch. Die Hauptursache
für Hate Speech, für Fake News und für
die zunehmende Emotionalisierung und
Polarisierung der Gesellschaft ist doch die
Existenz anonymer Accounts.
SPIEGEL: Es wird längst ganz offen unter
Klarnamen gehetzt und beleidigt.
Döpfner: Aber in dem Moment, in dem
jemand identifizierbar ist und den Rechts-
rahmen überschreitet, ist es Aufgabe der
Staatsanwaltschaft zu entscheiden, ob die-
se Grenze überschritten wurde oder nicht.
Ich finde, ein Account muss auch Accoun-
tability, also Verantwortlichkeit, bedeuten.
Die Plattformbetreiber sagen, technisch
sei das nicht möglich oder zu schwer. Aber
bin fest überzeugt, wenn der Gesetzgeber
hier klarere Vorgaben machen würde, wür-
den die Plattformen Möglichkeiten finden,
dass jemand, der sich auf einem digitalen
Medium äußert, auch identifizierbar ist.
SPIEGEL: In vielen Verlagen muss derzeit
gespart werden, allein bei Springer müssen
wohl Hunderte Journalisten gehen. Gräbt
sich unsere Branche im Kampf um die De-
battenhoheit selbst das Wasser ab?
Döpfner:Hasso Plattner hat vor Kurzem
gesagt: »Ich habe gedacht, das Internet
wird zur Wahrheitsfindung beitragen. Hat
es aber nicht. Wir brauchen so etwas wie
eine Journalistenschicht. Nicht jeder kann
ins Internet hineinpinkeln.« Das geht aber
nur, wenn unsere Branche weiter ein Ge-
schäftsmodell hat. Gedruckte Zeitungen
verkaufen sich immer weniger. Und im
Netz fließen drei Viertel der Werbeerlöse
zu Google und Facebook. Es kommt im-
mer weniger Geld in den Redaktionen an.
Die Qualität der Berichterstattung leidet
dadurch. Auch das trägt zu unserem ge-
sellschaftlichen Klima bei.
SPIEGEL: Herr Döpfner, wir danken Ihnen
für dieses Gespräch.
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Titel
PETER RIGAUD / DER SPIEGEL
Döpfner, SPIEGEL-Redakteure*
»Bigotterien der schlimmsten Sorte«
»Wovon
ernähren sich
Koalabären?«
»Von den
Blättern vom
Apokalypsusbaum.«
Schülerantwort,9. Klasse
NEU!
Der dritte
Band ist
da!
ullstein.de/schuelerantworten
ISBN 978-3-54837-797-1