Süddeutsche Zeitung - 06.11.2019

(Tina Sui) #1

Dachau/Augsburg– Soviele Jahre schon.
Und die Stimme verstummt nicht. An man-
chen Tagen, wenn sie in der Stille um ihn
herum zu einem Flüstern gerinnt, peinigt
sie ihn noch mehr, und er wendet sich zor-
nig gegen sie. Vergebens. Die anderen, hö-
ren sie nicht? Er schon – seit seinen Kinder-
tagen. Die Verbrechen lassen ihn nicht
mehr los. Seine Gedanken. Seine Gefühle.
Vielleicht hat deshalb dieser Film Josef
Pröll gefunden, so muss es gewesen sein.
Er gab ihm den Titel „Die Stille schreit“.
Der Film erzählt die Geschichte der jüdi-
schen Fabrikantenfamilien Friedmann
und Oberdorfer aus Augsburg, der Heimat-
stadt des Regisseurs. Er erzählt das Schei-
tern von deutsch-jüdischen Beziehungen,
damals wie heute.


Josef Pröll, 1953 geboren, ist der Nach-
komme einer Familie von Widerstands-
kämpfern gegen das Naziregime. Als seine
Mutter Anna 16 Jahre alt war, verteilte sie
Flugblätter und schrieb Parolen gegen die
Nazis auf Augsburger Hauswände. Ihr Va-
ter, Karl Nolan, wurde im Konzentrations-
lager Dachau ermordet. Ihr Mann Josef, Va-
ter des Filmemachers, litt drei Jahre lang
in dem Lager und dann in Buchenwald.
Das ist wichtig zu wissen. Denn Prölls Her-
kunft und seine lebenslange Auseinander-
setzung damit, befähigt ihn zu etwas sel-
ten Gewordenem in dem, was man gemein-
hin als Erinnerungsarbeit bezeichnet: Em-
pathie und Zorn. Josef Pröll ist Mitglied der
Lagergemeinschaft Dachau und Referent
der KZ-Gedenkstätte.
Das Erbe seiner Eltern wirkt in seine ge-
samte filmische Arbeit hinein, wie schon in
dem Dokumentarfilm über seine Mutter


(„Anna, ich hab’ Angst um Dich“). Pröll
lehnt sich auf gegen die Wiederbelebung
des deutschen Albtraums, die Rückkehr
des Hasses: Jeder vierte Deutsche ist anti-
semitisch eingestellt, ergab eine aktuelle
Umfrage des Jüdischen Weltkongresses,
die einige Aufregung in Medien und Politik
verursacht hat. Gerade heute ist Antisemi-
tismus wieder ein wachsendes Problem.
Anschläge auf Synagogen, Übergriffe auf
deutsche Juden bis hin zu Mord gab es seit
Kriegsende immer wieder – nur war Stille
darüber gebreitet.
Zu sehr waren die Deutschen – auf das
Ausland schielend – anfangs mit ihrer
„Wiedergutwerdung“ beschäftigt. Neu ist
hingegen, dass der Antisemitismus wieder
salonfähig und dementsprechend laut ge-
worden ist, auch in der Mitte der Gesell-
schaft. Von dort nahm er seinen Ausgang,
auch wenn die Politik ihn lange Jahre den
extremen Rändern zugeschoben hat. Das
Wissen darum treibt Josef Pröll an.
Sein Film erzählt zwei Geschichten. Die
der beiden jüdischen Familien in Nazi-
deutschland und die des Umgangs mit
dem Massenmord an den europäischen Ju-
den nach Kriegsende. Anfangs lehnte Josef
Pröll die Bitte der 78-jährigen Miriam
Friedmann ab, über ihre Familie einen
Film zu drehen. Doch dann arbeitete er
vier Jahre lang mit ihr, ihrem Mann Fried-
helm Katzenmeier und dem Historiker
Bernhard Lehmann zusammen. In dieser
Zeit war Josef Pröll oft von der Bildfläche
verschwunden. Traf man ihn, redete er lei-
denschaftlich über den Fortschritt der Ar-
beit oder verzweifelt über Rückschläge.
Die Geschichte ließ ihn nicht mehr los.
„Ganz oft bin ich mit den Gedanken an den
Film abends eingeschlafen und in der Früh
wieder aufgewacht“, sagt er. Die 73 Minu-
ten lange Dokumentation nimmt den Zu-
schauer mit auf die Reise von der Gegen-
wart in die Vergangenheit und zurück.

Im Jahr 2001 kommt Miriam Fried-
mann aus den USA nach Augsburg, in die
Heimat ihrer Vorfahren. Sie will das Famili-
engeheimnis aufklären, über das ihre El-
tern Fritz und Elisabeth, geborene Ober-
dorfer, all die Jahre geschwiegen hatten.
Den Eltern war die Flucht gelungen. Miri-
ams Großeltern, Selma und Ludwig Fried-
mann, Emma und Eugen Oberländer, aber
überlebten nicht. Einen Tag vor der Depor-
tation, am 7. März 1943, nahmen sich Sel-
ma und Ludwig Friedmann das Leben. Ih-
nen gehörte eine Wäsche- und Beklei-
dungsfabrik in Augsburg. Das Unterneh-
merpaar wohnte in der Hallstraße in einer
Wohnung mit sieben Zimmern, großer Bi-

bliothek und Flügel im Wohnzimmer. Zu-
letzt lebten sie in einem Zimmer im soge-
nannten Judenhaus in der Bahnhofstraße.
Emma und Eugen Oberdorfer wurden ins
Vernichtungslager Auschwitz verschleppt
und gleich nach ihrer Ankunft ermordet.
Für die Fahrt mussten sie noch 50 Reichs-
mark bezahlen. Dem Ehepaar gehörte eine
Schirmmanufaktur in der Maximilianstra-
ße. Die Großeltern waren Patrioten, erfolg-
reiche Geschäftsleute. Sie fühlten sich si-
cher.
1862 war die Fabrik vom Urgroßvater
Miriam Friedmanns gegründet worden.
1938 wurde sie „arisiert“ und ging in den
Besitz der Familie Hoffmann über. Der

nüchtern erzählte, aber dennoch oder gera-
de deshalb berührende Film, zeigt an einer
Fülle von Fakten und Details die systemati-
sche Verfolgung der deutschen Juden: Aus-
grenzung, Enteignung, Gettoisierung und
Deportation zur Vernichtung.
Zurück in die Gegenwart. 1962, zum


  1. Firmenjubiläum, gratulierte die Indus-
    trie und Handelskammer (IHK) der Inhabe-
    rin Wilhelmine Hoffmann. Die Gründer
    Friedmann wurden mit keinem Wort er-
    wähnt. „Deshalb heißt der Film ,Die Stille
    schreit’“, sagt Pröll. Der Film zeigt, wie das
    alles nach 1945 fortwirkte: Kaum jemand
    nimmt in Augsburg oder anderswo Anstoß
    an den Nutznießern geraubten jüdischen
    Eigentums. Im Juli 2018 gab die Bayeri-
    sche Staatsgemäldesammlung das Bild
    „Bauernstube“ an Ludwig Friedmanns En-
    kelin Miriam zurück. Es war einst vom Fi-
    nanzamt Augsburg-Stadt „zur Verwer-
    tung“ eingezogen und an die Staatsgemäl-
    desammlung weiter veräußert worden.


Nur ein Bruchteil des geraubten jüdi-
schen privaten Eigentums wurde restitu-
iert. Allein in Osteuropa handelt es sich um
Vermögenswerte, die nach heutigen Prei-
sen zum Beispiel für Immobilien oder
Kunstgüter fast 130 Milliarden Euro wert
wären. Von dieser Summe wurden bislang
weniger als 20 Prozent erstattet. Dagegen
die Lobbyarbeit für eine großzügige Ent-
schädigung jener „Arisierer“, die nach dem
Krieg das Eigentum kraft alliierten Rechts
wieder hatten herausgeben müssen. Der
„Verband der Judengeschädigten“ etwa ge-
hört zur gern vergessenen Tradition des
Antisemitismus in Deutschland. Überall in
Augsburg, sagt Pröll, gebe es noch Orte, die

auf das Unrecht hinwiesen. Aber die Stadt-
gesellschaft tue so, als gäbe es sie nicht –
und elf bis 13 Prozent wählten in der Land-
tagswahl 2018 die rechtspopulistische
AfD.
Das lässt Josef Pröll nicht ruhen. Er hat
mit angesehen, wie Täter, Mitläufer und
Zuschauer in der jungen BRD in bedeuten-
de Positionen in Politik, Justiz, Polizei,
Wirtschaft und Wissenschaft gelangten.
„Menschen wie meine Eltern wurden Jahr-
zehnte danach noch diffamiert und belei-
digt, weil sie KZ’ler waren.“ Sie bekamen
keine Arbeit und keine Wohnung in Augs-
burg, sagt Pröll. 2018 wurde nach erbitter-
ten Debatten eine Schule in Gersthofen
nach Anna Pröll benannt – zwölf Jahre
nach ihrem Tod im Mai 2006 im Alter von
89 Jahren.
„Die Geschichte der beiden jüdischen
Augsburger Familien gehört zu uns und un-
serer Stadtgeschichte“, sagt Pröll. „Es ge-
nügt nicht, das Schicksal der Juden zwi-
schen 1933 und 1945 zu beleuchten. Auch
ihr Leben danach und vor 1933 ist für uns
wichtig. Uns hat interessiert, wie es ihnen
ergangen und was aus ihren Häusern und
aus ihren Geschäften geworden ist.“ Aus
privaten Fotos, Filmaufnahmen aus jener
Zeit, historischen Dokumenten und Inter-
views hat der Filmemacher diese Doku-
mentation des fortwirkenden Unrechts ge-
schaffen. Der Film wurde mit großem Er-
folg auf den 10. Jüdischen Filmtagen in der
Israelischen Kultusgemeinde im Januar ge-
zeigt, Premiere war in Augsburg. Nur in
Dachau fand er bisher kein Echo.
„Ich habe mich um Sachlichkeit und die
authentische Wiedergabe der Fakten be-
müht. Die Betroffenheit ergibt sich durch
das Thema von selbst“ – und durch die
Stimme, die ihn so lange schon begleitet
und im Film widerhallt. helmut zeller

 http://www.diestilleschreit.de.

München– SusanneAhrens steht im Kai-
sersaal der Residenz, einen Tag vorher,
blickt auf einen kahlen Raum und lächelt.
Am Mittwoch um diese Zeit werden
700Gäste wieder zum jährlichen Silbertee-
Empfang des Deutsch-Amerikanischen
Frauenclubs kommen, reden, spenden
und trinken. Seit vielen Jahren organisiert
Ahrens diesen Empfang, bei dem sich ame-
rikanische und deutsche Frauen treffen,
und Münchner Bürgerinnen aller Gesell-
schaftsbereiche. Nur: Trinken Amerikaner
nicht eigentlich eher Kaffee als Tee?

SZ: Frau Ahrens, warum denn Tee und kei-
nen Kaffee?
Susanne Ahrens: Das ist ein Zufall gewe-
sen. Klar, eigentlich heißt es bei den Ameri-
kanern immer: Let’s have a coffee. Aber
beim ersten Treffen im Jahr 1949 bot der
amerikanische Generalkonsul in seinem
Haus eben Tee an, aus Silberkannen. War-
um auch immer. Seitdem laden wir zum Sil-
bertee, den ich seit einigen Jahren nun mit
120 Mithelferinnen organisiere.

Wie kamen Sie denn zu diesem Club?
Eine Freundin hat mich mal mitgenom-
men, und ich war gleich fasziniert. Es ist
doch einfach großartig, was die Frauen in
der Nachkriegszeit geleistet haben.

Sie sammelten Spenden, die dann der not-
leidenden Münchner Bevölkerung zugute
kamen. Wen unterstützen Sie heute?
Derzeit 16 karitative Einrichtungen. Es ist
beim Empfang so, dass die Damen meist
ihr Kuvert mit dem Geld unten in die Silber-
schalen legen und dann oben zum Tee in
den Saal kommen.

Welchen Tee schenken Sie aus?
Darjeeling First Flush. Der schmeckt fein
und hat große Blätter, also entsteht kein
Teesatz.

Schmeckt der im Kaisersaal anders?
Ich finde schon. Besonderer. Das ist doch
so ein erhabener Ort hier. In den ersten Jah-
ren war der Empfang in der Galerie
Schack, später im Kuppelsaal der Staats-
kanzlei und im Antiquarium.

Alles prunkvolle Orte. Wie politisch sind
die Gespräche? Beim aktuellen US-Präsi-
denten gibt es ja viel zu diskutieren.
Es gibt politische Gespräche, klar, aber vor
allem geht es um das Zusammensein.

Und wie sieht nun die Vorbereitung aus
für den Empfang?
Wir werden insgesamt 4000 Häppchen zu-
bereiten, dabei helfen 70 Frauen mit, und
am Ende wohl wieder bis zu 300 Liter Tee
ausschenken.

Geht man von Tee später zu Wein über?
Das geht natürlich, nebenan im Schimmel-
saal an der Bar.

interview: philipp crone

von philipp crone

E


r muss nichts sagen, damit alle la-
chen. Gerhart Polt steht am Montag-
abend im Kino des Filmmuseums
hinter dem Rednerpult, die Mikrofone aus-
gerichtet, das Manuskript aufgefaltet,
mehrfach geräuspert hat er sich auch
schon. Aber er fängt noch nicht an. Die
200Gäste des Filmpreises der Stadt Mün-
chen sitzen im vollen Kinosaal, nur in der
vierten Reihe steht eine zierliche Person,
dreht Polt den Rücken zu und schaut nach


hinten zum Ausgang. Sie gestikuliert, „ein
Glas Wasser!“, bemerkt die Stille, dreht
sich nach vorne, schaut so streng, wie man
das von ihren Rollen kennt, dann muss sie
lachen. Er auch. Gisela Schneeberger setzt
sich und sagt: „Ich wollt doch nur a Glaserl
Wasser für dich.“ Die beiden wirken, als wä-
ren sie seit Jahrzehnten ein Paar. Sind sie
auf eine Art auch, zumindest in vielen Film-
Sequenzen. Sie kennen sich sehr gut, und
deshalb sagt Polt auch vor der Verleihung
einen für einen Bühnen-Profi wie ihn be-


merkenswerten Satz: „Diese Laudatio ist
das Schwierigste, was es gibt.“ Er meint: oh-
ne etwas Privates zu erzählen. Stimmt aller-
dings nicht ganz. Das Schwierigste ist es,
als Preisträger nach einer Laudatio von
Gerhart Polt zu bestehen. Aber wenn, dann
kann das Gisela Schneeberger.
Zunächst kommen jedoch für die 71-jäh-
rige Preisträgerin die einfachen Übungen,
etwa die, schwärmerische Huldigungen
entgegenzunehmen. Bürgermeisterin
Christine Strobl, Abgesandte der Stadt,
nennt die Schauspielerin „großartig“, am
Wochenende habe sie sich extra zur Vorbe-
reitung Schneebergers aktuellen Film „Ei-
ne ganz heiße Nummer 2.0“ angesehen,
„da hat man auch als Sozi was zu lachen“.
An diesem Abend entsteht schnell eine
humorig ausgelassene Grundstimmung.
Wahrscheinlich ist das diese akademisch
alberne Aura, die von den beiden mit der
Glas-Wasser-Nummer ausgeht. Schau-
spiel-Kollegin Michaela May spricht von
der Preisträgerin in einer Bewunderung,
bis ihr die Adjektive ausgehen. „Raffiniert,
erotisch, mit Charme, hübsch, erfri-
schend, präzise.“ Jede Silbe, ob auch nur
ein „Geh?“ oder „Ah, na!“ sei so ausdrucks-
stark. Sie zitiert Schneeberger in ihrer Rol-
le als Geliebte des Monaco Franze, der ihr

zum Abschied ein Geschenk überreicht: „A
Seife?“ Die Seife so lang gezogen, dass die
Wut im Unterton nur so trieft.
Tief über sein Skript gebeugt, beginnt
nach Strobl dann Gerhard Polt zu spre-
chen. Es ist eine wissenschaftliche Abhand-
lung des Phänomens Schneeberger aus
Sicht eines Langzeitbegleiters. Schneeber-
ger hat ihn ja entdeckt, was sie schon oft er-
zählt hat. Ihr früherer Mann und Polt wa-
ren Hinterhof-Nachbarn und der Polt habe
am Tisch immer „so lustig erzählt“, bis ihn
die damals schon beim Theater und Schau-
spiel etablierte Schneeberger für einen
kleinen Auftritt vorgeschlagen habe.
Polt beschreibt die Schauspielerin
Schneeberger als „Empfindungskünstle-
rin“ mit einmaligem Wahrnehmungsver-
mögen. Nämlich dem „des scheinbar Unwe-
sentlichen“. Er schildert dafür eine ihrer
Rollen, die als Fahrgast einer Trambahn.
Wie sie erst ruhig, dann immer angestreng-
ter ihre Tasche durchwühlt, Dinge heraus-
nimmt, auf der Suche, langsam unter Zeit-
druck bis zur nächsten Haltestelle, und am
Ende ein Bonbon findet, das bei Polt natür-
lich „a Guatl“ heißt, es auspackt und ge-
nüsslich lutscht. Wie Schneeberger solche
scheinbaren Unwesentlichkeiten spiele,
das zeichne sie aus. Die Komik im Alltägli-

chen. Ihre „Antenne für das Unauffällige.“
Kaum jemand könne diese erspürten Er-
kenntnisse darstellen wie sie.
Der 77-Jährige meint Schneeberger,
klar, aber er spricht letztlich auch von sich
selbst. Auch er ist Meister im Zeigen der Ko-
mik bis Tragik des Normalen. „A guade
Haut darzustellen, was an Menschenkennt-
nis muss man mitbringen?“ Sie sei in der
Lage, „eine Phariseuse mit dem Charme ei-
nes Knäckebrots so zu spielen, dass man

die Luft anhält vor Begeisterung“, weil
man von der dargebotenen Belanglosig-
keit so gefangen sei. Naive Menschen zu il-
lustrieren sei besonders schwer, aber ihr
Spezialgebiet. „Gisela macht uns Typen be-
kannt, von denen wir dachten, wir kennen
sie. Bis wir erkennen, dass das Bekannte
das Fremde ist.“
Schneeberger schaut zu Polt, sie lächelt,
Rücken gerade, jederzeit zur Gegenrede be-
reit, streng und erhaben. Dann ist sie dran
und erklärt zunächst den Begriff der „intel-
lektuellen Knabbernuss“, den Polt ohne

Einführung verwendet hat. Sie tadelt ihn al-
so ganz beiläufig. So jemand sitze in jeder
Kulturveranstaltung und nicke zu allem
weise. Dann legt Schneeberger los. Dass
sie den Preis nicht kannte und blöderweise
die 10000 Euro Preisgeld schon ausgege-
ben habe, es sei nämlich „dumm, dass man
das Geld schon Monate vorher“ bekomme.
Applaus, Lachen. Sie erzählt von den unter-
schiedlichen Erklärungsmodellen, warum
sie Schauspielerin wurde, eines sei, „weil
ich als Kind im Fasching nie Prinzessin
sein durfte, ich musste Zwerg sein“.
Gisela Schneeberger erzählt nicht von
ihrer Arbeit mit Polt wie etwa in „Man
spricht deutsch“, von ihren Preisen wie
dem Grimme-Preis schon gar nicht. Sie er-
zählt von ihrem Weg zum Schauspiel, und
das mit derart packender Selbstironie,
dass das Publikum vor Sympathie dahin-
schmilzt. Sie erzählt von ihrer „Chuzpe,
über die ich oft selbst staune“, oder wie sie
in der Schule von einer Mädchen-Gang we-
gen ihres fehlenden Dialekts verhauen
wurde („am nächsten Tag konnte ich Bai-
risch“) und mutmaßt gespielt boshaft,
man habe sie doch nur ausgezeichnet, um
Polt als Laudator zu kriegen. Selbst das
darf sie unter Applaus und Lachen sagen.
Da hat sie längst wieder alle verführt.

Susanne Ahrens, 72,
organisiert den jährlichen
Silbertee im Kaisersaal
seit neun Jahren. Die
ehemalige Stewardess
kennt sich als Gastgebe-
rin aus. Ihr Team besteht
aus 120 Mithelferinnen,
die älteste ist 90 Jahre
alt.FOTO: FLORIAN PELJAK

Echo des Unrechts


Josef Pröll erzählt in seinem neuen Dokumentarfilm die Geschichte jüdischer Familien, die in der Nazi-Zeit alles verloren. Er zeigt, wie sich die Diskriminierung nach dem Krieg fortsetzte


„Gisela macht uns Typen bekannt,
von denen wir dachten,
wir kennen sie.“

Mit Charme und Chuzpe


Erst wird die Ausgezeichnete beim Filmpreis der Stadt derart gefeiert, dass den Gästen beinahe die Lobesvokabeln ausgehen.
Dann stellt die so gepriesene Gisela Schneeberger mit ihrer Dankesrede Laudator Gerhard Polt in den Schatten

Jeder vierte Deutsche


ist antisemitisch eingestellt,


ergab eine aktuelle Umfrage


Josef Pröll,Referent der KZ-Gedenkstätte Dachau, erzählt in seinem Film die Ge-
schichte der jüdischen Familie Friedmann. FOTO: NIELS P. JOERGENSEN

300 Liter,


4000 Häppchen


Susanne Ahrens organisiert den
Silbertee-Empfang, der 70. feiert

Da schau her – Gisela Schneeberger mit ihrem ewigen Sketch-Sparringspartner Gerhard Polt bei der Verleihung des Filmpreises der Stadt München. FOTO: SEBASTIAN GABRIEL


„Meine Eltern wurden
Jahrzehnte danach noch
diffamiert und beleidigt.“

SZENARIO


R8 PER (^) LEUTE Mittwoch,6. November 2019, Nr. 256 DEFGH

Free download pdf