Neue Zürcher Zeitung - 08.11.2019

(Steven Felgate) #1

INTERNATIONALE AUSGABE


Freitag, 8. November 2019 INTERNATIONAL 3

Unklare Vorboten der Wahl 2020


Die Demokraten gewinnen beträchtlich Stimmenprozente, können aber nur beschränkt Siege feiern


PETER WINKLER,WASHINGTON


Wenn ein Jahr vor der Präsidenten-
wahl irgendwo in Amerika gewählt
wird, sind dieAuguren stets zur Stelle,
um aus lokalen ErgebnissenTr ends fürs
nächsteJahr abzuleiten. Sie haben es
diesesJahr einigermassen schwer. Zum
einen bestätigen dieResultate inKentu-
cky, Mississippi undVirginia zwar Stim-
mengewinne für die Demokraten.Aber
in tiefkonservativen Gegenden wieMis-
sissippireichen auch 12 Prozent mehr
Wähleranteile noch nicht, um einen
Sieg zu erringen: DerRepublikaner
TateReeves schlug den Demokraten
Jim Hoodkomfortabel mit 6 Prozent-
punktenVorsprung.Trump hatte 20 16 in
Mississippi mit fast 18 Prozentpunkten
Vorsprung auf Hillary Clinton gesiegt.


Virginiawird blau


Die beste Nachricht für die Demokra-
ten kam zweifellos ausVirginia. Der
hauchdünne Sieg derRepublikaner vor
zweiJahren kippte nun in eine Nieder-
lage. DerTr end, wonachVirginiastädti-
scher, durchmischter und damit blauer
(dieParteifarbe der Demokraten) wird,
hat sich fortgesetzt. Hatten dieRepu-
blikaner 2009 noch dieWahl im gesam-
ten Gliedstaat gewonnen, so verloren sie
nun die Mehrheit in beiden Kammern
der Legislative. DieDemokraten gewan-
nen zwei Sitze im Senat undkehrten die
Mehrheit von 21:19 zu ihren Gunsten
um.ImAbgeordnetenhaus besetzen sie
nach 6 Gewinnen 55 der 100 Sitze.
Damit istVirginia nun in allen wichti-
gen Chargen demokratisch geführt, was
denWandel vermutlich noch beschleu-
nigen wird. Sokönnen die Demokra-
ten nach derVolkszählung von 2020 die
Wahlkreise neu ziehen, was jedePar-
tei mehr oder weniger intensiv zum
Anlass nimmt, ihreAusgangsposition


für diekommendenWahlenzuverbes-
sern. Siekönnten auch Massnahmen
beschliessen, die in diesem ehemaligen
Südstaat noch vor kurzem undenkbar
waren. Nach dem Massenmordin New-
port Beach im Mai, bei dem ein Amok-
läufer zwölfPersonen erschoss und vier
weitere verwundete, wollte der Gouver-
neurRalph Northam dieWaffengesetze
verschärfen. Dierepublikanische Mehr-
heit in der Legislative liess ihn jedoch

ins Leere laufen.Das dürfte sich nun
ändern.
Zu denWahlsiegern inVirginia ge-
hören zwei demokratischeFrauen, die
vor zweiJahren eine gewisse Berühmt-
heit erlangten. Shelly Simonds verlor da-
mals durch einen Losentscheid, wurde
jetzt aber problemlos ins Abgeordne-
tenhaus gewählt. Juli Briskman zeigte
2017 demKonvoi PräsidentTr umps
eine obszöne Geste und wurde dafür

entlassen. Die Arbeitslosigkeit bewog
sie dazu, sich stärker politisch zu enga-
gieren, was ihr nun mit einem Sitz in der
Regierung des County verdankt wurde,
in demTr umps Golfplatz liegt.
Noch nicht völlig geklärt ist die
Gouverneurswahl in Kentucky, weil
derrepublikanische Amtsinhaber Matt
Bevin sich weigerte, die Niederlage ein-
zugestehen. Er lag nachAuszählung
allerWahlkreise mit 48,8 Prozent der

Stimmen knapp hinter seinem demo-
kratischen Herausforderer, demJustiz-
direktor Andy Beshear, der auf 49,2 Pro-
zent kam, verbreitete aberDurchhalte-
parolen. Bevin war vonTr ump zwar
intensiv unterstützt worden, ist aber in
Kentucky unpopulär. Seine Niederlage,
wenn es denn eine bleibensollte,darf
nicht überschätzt werden. Alle anderen
Ämter, die im Gliedstaat besetzt wur-
den, gingen an dieRepublikaner.An-
gesichts derTatsache, dassTr ump 20 16
inKentucky mit 30 Stimmenprozentge-
wonnen hatte, ist das knappeResultat
aber dennoch einWermutstropfen für
die Grand OldParty.

Tückendes Föderalismus


Aus diesen durchmischtenResultaten
lassen sich einigeTr ends ableiten, die
vielleicht auch für 2020 gelten. Zum einen
sieht es in den vorstädtischen und aus-
serstädtischen Gebieten für dieRepubli-
kaner weiterhin nicht gut aus, vor allem
unter denFrauen – einTr end, der sich
schon in den Zwischenwahlen von 20 18
zeigte. Die Demokraten machten gegen-
über 20 16 Terrain in zweistelligem Um-
fang gut.Aber weder der Präsident noch
dieKongressmitglieder werden in einer
landesweitenVolkswahl gewählt, darum
spielt dieskeine direkteRolle.
Zwei jüngere Meinungsumfra-
gen verdeutlichen dies. Die eine, von
ABC und der«WashingtonPost», lässt
Tr ump im fiktiven Zweikampf mit den
meisten demokratischen Herausforde-
rern schlecht aussehen. Doch das ist
eine landesweite Erhebung.Die «New
YorkTimes» hingegen hat sich in sechs
Gliedstaaten umgesehen, die 20 16 eine
Hauptrolle beiTr umps Sieg spielten.
Und sofort zeigt sicheinvölliganderes
Bild:Tr ump hat laut diesenResultaten
trotz Impeachment völlig intakte Chan-
cen auf eineWiederwahl.

In Kentucky weigert sichder republikanischeGouverneur MattBevin noch, seineNiederlage einzugestehen. JOHNSOMMERS II / GETTY

Brüchige Argumentationskette der Republikaner


Trump und seine Unterstütz er müssen ihre Verteidigungsstrategie gegen das Impeachment lauf end anpassen – eine Übersicht


ANDREASRÜESCH


In den USA wächst im Zuge der
Ukraine-Affäre dieWahrscheinlichkeit
einer Anklage (Impeachment) gegen
den Präsidenten.Tr ump und seinePar-
teifreundekönnen dasRepräsentanten-
haus nicht an diesem Schritt hindern.
Aber siekönnen versuchen, die öffent-
liche Meinung in ihrem Sinne zu beein-
flussen.Dabei setzen sie auf zwei Ebe-
nen an. IhreArgumentationskette rich-
tet sich einerseits gegen dasVerfahren
an sich, anderseits gegen dieVorwürfe.
DieseVerteidigungsstrategie ist nicht
aussichtslos, hat aber klare Schwächen.
Dies sind die wichtigsten Argumente:


Racheakt der Demokraten: Tr ump
brandmarkt die Impeachment-Unter-
suchung als undemokratisch.Das Votum
desRepräsentantenhauses zurFortset-
zung der Ermittlungen bezeichnete der
Präsident vergangeneWoche alsVersuch,
die Stimmen von 63 Millionen Amerika-
nern für nichtig zu erklären. Er bezog
sich dabei auf dasResultat derWahlen
von 2016. Die Demokraten hätten ihre
damalige Niederlage nie verwunden und
wollten sich nunrächen.
Das Impeachment ist jedoch ein in
derVerfassung verankertes Instrument.
Dass eineAmtsenthebung dasResultat
einerVolkswahl umstürzt, trifft zwar zu,
aber die Schaffung eines solchen Not-
ventils war die Absicht derVerfassungs-
väter.Auch dieRepublikaner bean-
spruchten dieseVollmacht, als sie 1998
ein Impeachment gegen den damaligen
Präsidenten Bill Clinton beschlossen.


Illegales Vorgehen:Nachdem sich die
Vorsitzende desRepräsentantenhauses,
NancyPelosi, im September hinter die
Impeachment-Untersuchung gestellt
hatte,sprachen die AnhängerTr umps


von einem illegalenVorgehen. Noch
nie seien solche Ermittlungen ohne Be-
schluss der gesamtenKongresskammer
eingeleitet worden. Das Argument
diente dazu,jede Kooperation mit dem
Repräsentantenhaus zu verweigern.
Eine Ermächtigung durch das Ple-
num ist jedoch nicht vorgeschrieben.
Zwar kamen die Impeachment-Ver-
fahren der jüngerenVergangenheit –
gegen Richard Nixon und gegen Bill
Clinton – beide durch einen Beschluss
des Plenums in Gang. Aber es gibt meh-
rerePräzedenzfälle, darunter Amtsent-
hebungsverfahren gegen Bundesrichter,
in denen diesnicht derFall war.Sooder
so ist das Argument nun hinfällig, weil
dasRepräsentantenhaus am 31.Oktober
die Impeachment-Untersuchung mit 232
gegen196 Stimmen gebilligt hat.

Unfaires Verfahren: Kritisiert wird
auch, dassTr umpkein fairesVerfahren
gewährt werde. «Geheime Anhörun-
gen, selektive Leaks – das soll einrechts-
staatlichesVerfahrensein?», sagte bei-
spielsweise derrepublikanische Senator
Dan Sullivan. Er bezog sich darauf, dass
die bisherigen Zeugeneinvernahmen
alle hinter verschlossenenTüren statt-
fanden und die Medien danach mit bri-
santenAussagen gefüttert wurden.
DiesesVorgehen ist jedoch weder
illegal noch unüblich. Hearings imKon-
gress finden oft hinter verschlossenen
Türen statt, und bezüglich Zeugenaus-
wahl hat die Mehrheitspartei das letzte
Wort. Allerdingsraten auchSympathi-
santen der DemokratischenPartei dazu,
grösstmöglicheFairness zu demonstrie-
ren. Mit der Abstimmung von letzter
Woche trug das Repräsentantenhaus
dem EinwandRechnung. Es soll nun
öffentliche Anhörungen geben und die
Möglichkeit, dass auch dieRepublika-
ner Zeugen vorladen.

Anonyme Beschuldigung:Angestossen
wurde die Ukraine-Affäredurch die Ein-
gabe eines der Öffentlichkeit unbekann-
tenRegierungsmitarbeiters, der Hinweise
auf einen Amtsmissbrauch erhalten hatte.
DieVerdachtsmeldung bezog sich nicht
zuletzt auf dasTelefonat der Präsidenten
Tr ump und Selenski am 25.Juli, in dem
der Amerikaner seinen Amtskollegen
aufgefordert hatte, gewisse Untersuchun-
gen einzuleiten.Tr ump hat dem Infor-
manten vorgeworfen, dieses Gespräch
falsch dargestellt zu haben.Wie jeder
Amerikaner verdiene er es, seinen Be-
schuldiger zu «treffen». Der Mann müsse
enttarnt und einvernommen werden.
Die Whistleblower-Gesetzgebung
gewährtregierungsinternen Hinweis-
gebern jedoch Schutz vorRepressa-
lien und dasRecht auf Anonymität.
Tr umpsForderung nach Offenlegung
des Namens ist damit nicht in Einklang
zu bringen. Zudem hat die Öffentlich-
keit dank der Publikation desTelefon-
protokolls und denAussagen wichtiger
Akteurenun die Möglichkeit,Trumps
Verhalten selber zu beurteilen. Die Ein-
schätzungen des Hinweisgebers sind un-
erheblich geworden.

Korruptionsbekämpfung nötig:Wäh-
rend man mit den obigen Argumen-
ten die Legitimität desVerfahrens an-
zweifelt,wird mit anderen versucht,
dasVerhaltenTr umps zurechtfertigen.
Der Präsident verteidigt sich beispiels-
weise damit, dass erdieUkrainemit
gutem Grund dazu gedrängt habe, etwas
gegen dieKorruption zu tun.Washing-
ton machte zunächst ein Gipfeltreffen,
später auch dieAusbezahlung der Mili-
tärhilfe im Umfang von fast 400 Millio-
nen Dollar von der Einleitung gewisser
Ermittlungen abhängig.
Die geforderten Ermittlungen waren
jedoch parteipolitisch gefärbt:Trump

suchte Belege dafür, dass sich ukraini-
sche Akteure zugunsten der Demokra-
ten in dieWahlen 20 16 eingemischt hät-
ten, sowie Munition gegen seinen Her-
ausfordererJoe Biden. Die Behauptung,
es seiTr ump umKorruptionsbekämp-
fung gegangen, wäre glaubwürdiger,
wenn seineRegierung entsprechend ge-
handelt hätte. InWirklichkeit versuchte
sie, Subventionen für Anti-Korruptions-
Programme in der Ukraine zu kürzen.

Keine Gegenleistung gefordert:Die
AdministrationTr ump bestreitet, dass
sie für die Abhaltung eines Gipfeltref-
fens und die Militärhilfe Gegenleis-
tungen eingefordert hat. Der Präsident
verweist dabei auf das Protokoll sei-
nesTelefonats mit Selenski.Auch wenn
darinkeine explizite Verbindung zu
den gewünschten Ermittlungen formu-
liert wurde, geht ein solcher Zusammen-
hang zwischen den Zeilen deutlich her-
vor. Dadurch geriet die Ukraine unter
Druck. Untermauert wird dies durch
Aussagen wichtiger Akteure. Nicht nur
hatTr umps Stabschef zugegeben, dass
dasWeisse Haus die Einleitung von Er-
mittlungen imFall Biden zur Bedingung
gemacht habe, auch der Unterhändler
Gordon Sondland gab am Dienstag zu
Protokoll, er habe diese Haltung gegen-
über einem Berater des ukrainischen
Präsidenten zumAusdruck gebracht.

Kein Schaden:Dasich das Argument
einer fehlendenForderung nach einer
Gegenleistung immer wenigeraufrecht-
erhalten lässt, haben dieRepublikaner
ihreVerteidigungsstrategie angepasst.
AmWochenende betonte eine Präsi-
dentenberaterin, die Militärhilfe an die
Ukraine sei vollumfänglich ausgezahlt
worden. In dieser Sichtweise besteht
kein Grund für ein Impeachment, weil
die Beziehungen zur Ukrainekeinen

Schaden erlitten hätten. Die Militärhilfe
warjedochrund zwei Monate langblo-
ckiert. DieAdministrationTr ump gab
sie erst frei, nachdem einWhistleblower
Alarm geschlagen und sich derKon-
gress eingeschaltet hatte. Die Absicht,
die Hilfsgelder als Druckmittel einzuset-
zen, ist deutlich erkennbar. Die ukraini-
sche Seite bekam Zweifel an der Zuver-
lässigkeit der amerikanischenPartner.
Die Blockierung der Militärhilfe wider-
sprach auch demWillendesKongresses,
die Ukraine gegen die russische Aggres-
sion im Donbass zu verteidigen.

Vielleicht unklug, aber nichtstrafbar:
WährendTr ump selber seinVerhalten
weiterhin als untadelig darstellt, haben
mancheRepublikaner inihrer Argu-
mentation einen Schlenker vollzogen.
Sie äussern subtil ihr Missfallen darüber,
dassTrump die wichtigen Beziehungen
zur Ukraine aufs Spiel setzte, halten ein
Impeachment aber für eine Überreak-
tion. Die in derVerfassung genannte
Voraussetzung – «schwereVerbrechen
oderVergehen» – sei nicht erfüllt.
Doch dieVerfassung istvage; was
«Impeachment-würdig» ist, liegt letztlich
im Ermessen desKongresses. ImFalle
von Bill Clinton – Meineid bezüglich
einer ausserehelichen Affäre – wurde
die Hürde nicht sehr hoch angesetzt.Das
erste Amtsenthebungsverfahren gegen
einen Präsidenten –1868 gegen Andrew
Johnson – hatte den Charakter einer par-
teipolitischen Abrechnung.
Tr otzdem ist dieses letzte Argument
vermutlich das stärkste.Nicht nur ist ab-
sehbar, dass derrepublikanisch domi-
nierte SenatTr ump freisprechen würde.
Anzunehmen ist auch, dass erhebliche
Teile der BevölkerungTr umpsVerhal-
ten in der Ukraine-Affäre nicht als der-
artskandalöseinschätzen werden, dass
sie eine Absetzung für zwingend halten.
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