Die Welt Kompakt - 12.11.2019

(Joyce) #1

DIE WELIE WELIE WELT KOMPAKTT KOMPAKT DIENSTAG, 12. NOVEMBER 2019 POLITIK 9


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Ein Wort hört man in Gesprächen
mit Vertretern deutscher Sicher-
heitsbehörden in diesen Tagen
häufig: unübersichtlich. So be-
schreiben sie die Lage in Nordsy-
rien. Chaos herrschte vor allem in
den Tagen nach dem Einmarsch
türkischer Truppen Mitte Okto-
ber – und nach dem Abzug der
Amerikaner. Der Präsident des
Bundesnachrichtendienstes
(BND), Bruno Kahl, sagte noch
vor Kurzem: Die Gefängnisse in
der Region würden nicht mehr
mit der gleichen Intensität über-
wacht. Für den Kampf gegen Er-
dogans Truppen hatten die Kur-
den – wie angekündigt – Sicher-
heitspersonal aus den Gefängnis-
sen mit IS-Anhängern abgezogen.
Dies führte dazu, dass vermutlich
Hunderte wieder in Freiheit ka-
men. Im Camp Ain Issa gelang ein
Massenausbruch; auch eine ein-
stellige Zahl deutscher Dschiha-
disten soll geflüchtet sein.
In Sicherheitskreisen weiß man
konkret von vier entkommenen
deutschen Frauen. Dazu gibt es
unbestätigte Hinweise, dass auch
ein deutscher Mann, mutmaßlich
ein ehemaliger Kämpfer, im Zuge
der Militärinvasion auf freien Fuß
gekommen ist. Drei Frauen sollen
von Milizen der Freien Syrischen
Armee (FSA) festgenommen und
an die Türkei übergeben worden
sein; eine soll sich noch auf syri-


schem Gebiet befinden. Bei dem
entkommenen Mann könnte es
sich um Fatih K. handeln, wie des-
sen Hamburger Anwalt Mahmut
Erdem berichtet. Kenntnisse über
den aktuellen Aufenthaltsort sei-
nes Mandanten besitze er jedoch
nicht. Die meisten deutschen IS-
Anhängerinnen samt Kindern hal-
ten sich nach wie vor im größten
Lager al-Haul auf, wo 75.000 Men-
schen leben. Dort spitzte sich die
Lage zuletzt zu. Es kam bereits zu
AAAufständen voll verschleierterufständen voll verschleierter
Frauen. Vor allem die medizini-
sche Versorgung hat sich in den
vergangenen Wochen verschlech-
tert, es fehlt an Personal und Me-
dikamenten.
Einen Monat nach ihrem Ein-
marsch kontrolliert die Türkei in
Nordsyrien mittlerweile eine Puf-
ffferzone, die rund 30 Kilometererzone, die rund 30 Kilometer
tief und mehrere Hundert Kilo-
meter breit ist. In der Bundesre-
gierung geht man davon aus, dass
sich die Lage vor Ort ein wenig
beruhigt hat – und die Gefängnis-
se gesichert sind.

WWWelche Pflichten zur Zurück-elche Pflichten zur Zurück-
nahme der deutschen IS-An-
hänger bestehen?
Grundsätzlich gilt, dass Deutsch-
land die Rückreise von eigenen
Staatsbürgern nicht verhindern
kann. Dessen ist man sich auch in
der Bundesregierung bewusst.

Meldet sich ein Deutscher in ei-
ner Auslandsvertretung – etwa in
Nachbarländern Syriens – und
möchte zurück, kann ihm das
nicht verwehrt werden. Selbst
wenn es sich um einen ehemali-
gen IS-Kämpfer handelt. Die
knifflige Frage derzeit lautet viel-
mehr: Inwiefern muss Deutsch-
land seine Staatsbürger aus den
Gefangenenlagern aktiv zurück-
holen? Innenministerium und
Auswärtiges Amt sind dabei ab-
gesehen von Kleinkindern sehr
vorsichtig. Grundsätzlich for-
dern beide zunächst eine mög-
lichst umfassende Identitätsklä-
rung. Bedeutung messen Behör-
den auch der Frage bei, welche
Gefahr von einer Person ausge-
hen könnte. Im August führte die
Bundesregierung erstmals eine
Rückholaktion für vier deutsche
Kinder aus syrischen Lagern
durch. Aus deutschen Sicher-
heitskreisen heißt es, man arbei-
te aktuell an weiteren Rückfüh-
rungen von Kindern.
VVVermutlich muss die Regie-ermutlich muss die Regie-
rung ihre Planungen nun auswei-
ten. Denn am vergangenen Frei-
tag fällte das Oberverwaltungs-
gericht Berlin-Brandenburg ein
wichtiges Urteil: Deutschland
muss eine aus Wolfsburg stam-
mende Mutter samt ihren drei
Kindern aus einem syrischen La-
ger zurückholen. Die Deutsche

war 2014 mit zwei Kindern ins IS-
Gebiet gereist. Das dritte Kind
wwwurde dort geboren. Das Gerichturde dort geboren. Das Gericht
hielt die von der Regierung vor-
getragenen Sicherheitsbedenken
fffür zu vage, um wichtiger als derür zu vage, um wichtiger als der
„Schutz des familiären Verbun-
des“ zu gelten. Der Beschluss
kann nicht mehr angefochten
werden. Claudia Dantschke von
der Berliner Beratungsstelle
Hayat sagt: „Die Bundesregie-
rung muss ihrer Pflicht nach-
kommen und deutsche IS-An-
hänger aus Syrien zurückholen.
Es werden in den kommenden
WWWochen viele weitere Klagen vonochen viele weitere Klagen von
deutschen IS-Anhängern einge-
reicht.“ Die Regierung setze der-
zeit „das Leben dieser Menschen
aufs Spiel“.
Eine Aussicht auf eine baldige
Rückkehr gibt es aktuell aber
auch für die Mutter und ihre
zwei Kinder nicht. Deutsche Ver-
treter haben seit der Eskalation
in der Region nämlich keinen Zu-
gang zu den Lagern. Ein Spre-
cher des Auswärtigen Amtes er-
klärte, man prüfe den Beschluss
des Gerichts derzeit. Eine Frage
sei zum Beispiel, inwieweit der
Beschluss Auswirkungen auf an-
dere Fälle habe. Wichtig sei: Der-
zeit könne man aus eigener Kraft
keine Inhaftierten vor Ort iden-
tifizieren oder ihnen zur Ausrei-
se verhelfen.

WWWie bereiten sich die Behördenie bereiten sich die Behörden
auf eine Rückkehr von IS-An-
hängern vor?
Die deutschen Sicherheitsbehör-
den versuchen auf verschiedenen
WWWegen, das Sicherheitsrisikoegen, das Sicherheitsrisiko
durch IS-Rückkehrer zu verrin-
gern. Zum einen geht es darum,
möglichst viele deutsche IS-An-
hänger oder -Kämpfer vor Gericht
zu bringen. Dazu fanden bereits
Befragungen und Ermittlungen
statt. Dies wäre der höchste Grad
der Kontrolle.
Die Gefahr durch Rückreisen ist
dabei nicht neu: Bereits seit Jah-
ren kehren immer wieder IS-Mit-
glieder zurück nach Deutschland –
und nicht immer werden sie be-
merkt. Deutsche Behörden stehen
in einem möglichst engen Aus-
tausch mit Partnerdiensten sowie
möglichen Transitländern und set-
zen auf deren Mithilfe. Sobald IS-
Anhänger in Deutschland ankom-
men, muss entschieden werden,
wie umfassend sie überwacht wer-
den. Zur Bewertung der Gefähr-
lichkeit greifen die Behörden un-
ter anderem auf das neue Prüfin-
strument Radar-iTE zu, das ver-
schiedene Informationen zusam-
menführt. Klar ist: Auch künftig
wird nicht jeder Islamist rund um
die Uhr überwacht werden. Dafür
wären nach Schätzungen rund 25
Beamte notwendig – so viel Perso-
nal steht aber nicht bereit.
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