Der Spiegel - 09.11.2019

(Jacob Rumans) #1

Lohn des Muts


Mit ihrer Aussage vor
dem US-Senat verursachte
Christine Blasey Ford,53,
im September 2018 einen
riesigen Medienrummel, seit-
her mied sie die Öffentlich-
keit. Sie beschuldigte damals
Brett Kavanaugh, Donald
Trumps Kandidaten für die
Neube setzung eines Richter-
postens am Supreme Court,
der versuchten Vergewal -
tigung während ihrer Teen-
agerzeit. Vom Senat wurde

Kavanaugh später trotzdem
bestätigt. Vor wenigen
Tagen nahm Blasey Ford den
»Empowerment Award«
einer Organisation entgegen,
die sich für die Förderung
von Frauen einsetzt. Sie wis-
se, dass nicht jede Frau so
privilegiert wie sie sei, sagte
Blasey Ford. Ihre finanziellen
Mittel und die Hilfe von
Freunden hätten es ihr ermög -
licht, sich mit ihrer Familie
zu verstecken, als sie wegen
ihrer Aussage Morddrohun-
gen erhielt. Crowd funding-
Kampagnen hatten mehr als
700 000 Dollar für Sicher -
heitsmaß nahmen mobilisiert.
Für ihren Mut, gegen jene
aufzustehen, die sie zum
Schweigen bringen wollten,
und ein Thema anzuspre-
chen, das zu oft ignoriert wer-
de, setzte das Magazin
»Time« die Hochschullehre-
rin für Psychologie 2019 auf
seine Liste der »100 einfluss-
reichsten Menschen«. RED

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KARSTEN THIELKER / DER SPIEGEL

Die Augenzeugin

»Wir brauchen Regeln«


Zoe Friedmann, 20, studiert Medizin in Berlin. Sie
stört sich am Einfluss der Pharmaindustrie, die
auch an den Unis präsent ist. Von den medizinischen
Fakultäten fordert sie mehr Transparenz.

»In meiner Fakultät liegen oft Kugelschreiber der Pharma-
firmen herum. Das ist aber noch harmlos: Zum Teil werden
auch Kosten für Lehrbücher und Kongresse übernommen.
Häufig läuft die versuchte Einflussnahme jedoch subtil ab.
Einiges an Anschauungsmaterial im Studium kommt
von Unternehmen. Erst neulich hatte ein Dozent in einem
Seminar Ampullen von einer bestimmten Firma dabei und
benutzte statt des Wirkstoffnamens nur den Markennamen
des Medikaments. Ich weiß dann als Studierende nicht,
ob es die Ampullen nur von diesem Unternehmen gibt oder
ob der Dozent mit der Firma zusammenarbeitet.
In der Medizin gibt es einen generellen Interessenskon-
flikt zwischen denjenigen, die heilen und helfen wollen,
und den Firmen, die Geld machen müssen. Bei öffentlichen
Vorträgen oder Publikationen ist es üblich, dass Professoren
darauf hinweisen, mit welchen Unternehmen sie kooperie-
ren. In der Lehre an den Unis fehlen solche Hinweise jedoch.
Das ist ein Problem. Viele Professoren haben Beraterverträ-
ge mit Unternehmen. Als Studierende kann ich nicht immer
einschätzen, wer hinter bestimmten Aussagen steckt: Sind
es Wissenschaftler? Oder Firmen?
Wir brauchen dafür Regeln an den Unis. Ich engagiere
mich seit zwei Jahren im Netzwerk »Universities Allied for
Essential Medicines«. Zusammen mit der Bundesvertretung
der Medizinstudierenden haben wir alle 38 medizinischen
Fakultäten in Deutschland angeschrieben und befragt – nur
16 haben uns geantwortet. Daran sieht man, dass das Thema
nicht weit oben auf der Agenda der Universitäten steht.
Wir konnten nur zwei medizinische Fakultäten identifizie-
ren, an denen es Richtlinien für einen Umgang mit der
Pharmaindustrie gibt: die TU Dresden und die Charité in
Berlin, an der ich studiere. Das ist zu wenig.
Wir wollen außerdem, dass das Thema im Studium behan-
delt wird. Zum Beispiel könnte es um die Marketingstrate-
gien der Pharmaunternehmen gehen und wie man damit als
Arzt professionell umgeht. Wir bekommen dafür kein Rüst-
zeug an die Hand. Das sollte eigentlich verpflichtend sein.«
Aufgezeichnet von Kathrin Fromm

Zurück in den


Osten


Die Kunsthalle Rostock
war der einzige Museums-
neubau der DDR. Die Male-
rin Sabine Moritz, 50, eröff-
nete dort am vergangenen
Wochenende eine Ausstel-
lung, die »wie eine Zeitreise«
sei. Dem Publikum mutet sie
mit ihren Gemälden einiges
an deutscher Geschichte zu:
Es wird ihre Serie »Ster-
bend« gezeigt, die vom Tod
eines DDR-Flüchtlings im
Jahr 1962 an der innerdeut-
schen Grenze handelt. Selt-
samerweise, sagt Moritz,
habe sie bei der Eröffnung
keiner der Besucher auf die-
se Gemälde angesprochen,
»es war überraschend ent-
spannt«. Die Künstlerin war
noch Schülerin, als ihre
Mutter mit ihr und den bei-
den Brüdern 1985 aus Ost-
deutschland ausreiste. Der
Vater, ein Chemiker, war
viele Jahre zuvor bei einer
Explosion im Labor umge-
kommen, ein Tod, der viel-
leicht hätte verhindert wer-


den können, wenn es in
der DDR ausreichende
Schutz- oder Notfallmaß -
nahmen gegeben hätte.
In Westdeutschland studier-
te sie Kunst, wurde an
der Düsseldorfer Akademie
Meisterschülerin bei Ger-
hard Richter, der später ihr
Ehemann wurde. Moritz
erklärt, der Ort und der
Umstand, dass sich der Mau-
erfall zum 30. Mal jährt,
hätten die Auswahl ihrer Bil-
der für Rostock beeinflusst,
noch immer sei das Verhält-
nis zwischen Ost und West
schwierig, von Missverständ-
nissen geprägt. Für sie ist
es die erste größere Schau
im Osten des Landes. UK

DANNY GOHLKE / DPA
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