Die Welt Kompakt - 18.10.2019

(Barré) #1
habe? Der Bundesgerichtshof
bejahte in seiner Bekräftigung
des Urteils gegen den früheren
SS-Mann Oskar Gröning 2017
gerade die Wachtätigkeit als
Teil der Drohkulisse, mit der
die ankommenden Juden in
Schach gehalten worden seien,
und die den äußeren Rahmen
fffür die Verbrechen an den Men-ür die Verbrechen an den Men-
schen bildeten.
Erst seit dem
Urteil im Münch-
ner Demjanjuk-
VVVerfahren, das ei-erfahren, das ei-
ne Wende in der
Rechtsprechung
markierte, wer-
den NS-Täter wie-
der strafrechtlich
verfolgt. Bis dahin
hatten die meis-
ten Staatsanwälte
angenommen,
dass den SS-
WWWachmännernachmännern
und anderen Hel-
fffern konkrete Taten nachgewie-ern konkrete Taten nachgewie-
sen werden mussten, um sie zu
verurteilen.
Seitdem der damalige Staats-
anwalt Thomas Walther aus der
Zentralen Stelle für die Verfol-
gung von NS-Verbrechen aber
die Ansicht durchsetzte, dass
praktisch jede Tätigkeit in ei-
nem Vernichtungslager auto-
matisch eine Beihilfe zum Mord

war, eröffneten die Staatsan-
waltschaften bundesweit Dut-
zende Ermittlungsverfahren ge-
gen noch lebende einstige Holo-
caust-Helfer.
Diese verhältnismäßig rang-
niederen Gehilfen erfüllten ei-
ne wichtige Funktion. Für den
Historiker Stefan Hördler, der
im Verfahren noch als Gutach-
ter auftreten wird, gehörte die
„Sicherung des Häftlingslagers“
nicht nur zu den wichtigsten
WWWachaufgaben des Postens,achaufgaben des Postens,
sondern war Grundvorausset-
zung für das Funktionieren des
KZs, schrieb er in einem Gut-
achten für den Münsteraner
Stutthof-Prozess 2018.
Ihm zufolge gab es zwei Pos-
tenketten, die sich um das La-
ger legten. Wachmänner gelei-
teten Häftlinge zu ihrer Arbeit,
bewachten die Außenkomman-
dos, sicherten die Wachtürme
und ankommende Transporte.
Sie hielten Gefangene auch bei
Selektionen und beim Abtrans-
port in Vernichtungslager in
Schach. Regelmäßig nahmen sie
an ideologischen Schulungen
teil und absolvierten Schieß-
trainings.
AAAus dem KZ Dachau sind dieus dem KZ Dachau sind die
WWWachvorschriften für SS-Ange-achvorschriften für SS-Ange-
hörige erhalten geblieben. Sie
dürften in allen KZ angewandt
worden seien. Dort finden sich

unter anderem folgende Anwei-
sungen: Aufgabe des Postens ist
es insbesondere, jede geplante
Flucht oder gewaltsame Befrei-
ung der Lagerinsassen zu ver-
hindern sowie Revolten mit al-
len Mitteln zu begegnen: „Wenn
nötig, ist von der Schusswaffe
Gebrauch zu machen.“ – „Wer
versucht, den Kopf zu heben
und so Anzeichen von Flucht
ahnen lässt, wird sofort er-
schossen.“
Mit Blick auf die Frage der
Schuld erscheint Hördlers Re-
cherche wichtig, wonach sich je-
der Wachmann versetzen lassen
konnte – indem er sich an die
Front meldete. Wer also nicht
mitmachen wollte, konnte dem-
nach das Lager verlassen. Denn
der Dienst an der Kriegsfront
spiegelte das heroische Bild des
SS-Soldaten besser als der
Dienst im Konzentrationslager.
Immerhin, ein wenig Einig-
keit gab es im Hamburger Ver-
fffahren schon: Zwei Nebenklage-ahren schon: Zwei Nebenklage-
vertreter gaben dem Verteidiger
des Angeklagten recht in dem
Urteil, dass der Prozess zu spät
beginne. „Es ist zu viel Zeit ver-
strichen“, sagte Christoph Rü-
ckell aus Düsseldorf, der Über-
lebende aus Stutthof vertritt.
Doch er sieht auch aktuelle
Gründe, das Verfahren zu eröff-
nen. „Rechtsextremismus und

Antisemitismus müssen wir un-
erbittlich verfolgen, das zeigt
die Bluttat von Halle.“ Die über-
lange Zeit des Nichthandelns
seitens der Justiz könne im Üb-
rigen nicht als Argument dafür
herangezogen werden, jetzt ein-
fffach nicht zu verhandeln.ach nicht zu verhandeln.
Cornelius Nestler, der die
Überlebende Judy Meisel ver-
tritt, verlas eine Erklärung im
Namen seiner Mandantin. „Sie
sieht die schwierige Situation,
in der der Angeklagte als 17-Jäh-
riger war“, sagte Nestler, „aber
Stutthof war der organisierte
Massenmord durch die SS, er-
möglichst durch die Mithilfe
der Wachmänner.“ Meisel hoffe,
dass Bruno D. bereit sei, in ei-
nen Dialog einzutreten und sich
seiner Verantwortung zu stel-
len. „Stutthof war ein Ort, an
man nicht mitmachen durfte.“
Bruno D. hört zu und dreht
seinen Kopf in Richtung des An-
walts. Er scheint dem Verfahren
konzentriert zu folgen. An-
schließend stellt er seine Füße
wieder auf die Stützen seines
Rollstuhls, setzt seinen schwar-
zen Hut und die Sonnenbrille
auf, hält sich den Aktendeckel
vors Gesicht und lässt sich aus
dem Saal fahren. Nächste Wo-
che will er Fragen beantworten.
Der Prozess wird am Freitag
fffortgesetzt.ortgesetzt.

Ein Men-
schenleben
verging, bis er
vor einem
Richter saß:
Am Ende des
ersten Ver-
handlungs-
tages schiebt
ein Justiz-
beamter den
Angeklagten
im Rollstuhl
aus dem
Gerichtssaal

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