von kathrin aldenhoff
D
ie Erfindungen, mit denen Veroni-
ka Kleißl jeden Tag zu tun hat, kom-
men nicht aus einer Garage. Sie wer-
den nicht von Hobbytüftlern gemacht,
nicht von Erfindern, die jahrelang zu Hau-
se im Keller vor sich hin basteln. Aber die
Erfindungen, die sie jeden Morgen auf ih-
rem Schreibtisch hat, könnten vielen Men-
schen helfen. „Es ist spannend zu sehen,
was sich in der Forschung tut. Und ich sehe
es als eine der Ersten“, sagt die 41-Jährige.
Nur darüber sprechen darf sie noch nicht.
Diese Erfindungen sind noch geheim.
Veronika Kleißl ist eine von etwa
1000 Prüferinnen und Prüfern, die für das
Deutsche Patent- und Markenamt in Mün-
chen arbeiten. Sie arbeitet im Bereich Medi-
zintechnik – dieses Fach hat sie studiert.
Ein Universitätsstudium ist Vorausset-
zung, um Prüfer zu werden. Es gibt 37 Pa-
tentabteilungen: für Getriebe zum Bei-
spiel, für Pharmazie und Kosmetik, für
Landfahrzeuge. Und in jeder Abteilung ar-
beiten Spezialisten. Veronika Kleißl hat im
Bereich Magnetresonanztomographie
(MRT) promoviert, hat in der Forschung
und Entwicklung gearbeitet. Und prüft
nun seit fast acht Jahren die Erfindungen
ihrer früheren Kollegen. Vorausgesetzt, de-
ren Forschungseinrichtungen oder Unter-
nehmen melden sie für ein Patent an.
Damit ein Patent erteilt wird, muss eine
Erfindung neu sein. Das heißt, auf der gan-
zen Welt darf es so etwas noch nicht geben.
Außerdem muss eine erfinderische Leis-
tung dahinterstecken, die Idee darf also
nicht zu naheliegend sein. Und die Erfin-
dung muss gewerblich anwendbar sein. Ob
die neue Erfindung funktioniert, das prüft
Veronika Kleißl nicht. Ihr Arbeitsplatz ist
kein Labor, es ist ein Büro im siebten Stock
eines Hochhauses, mit Blick auf die Türme
der Frauenkirche. Auf ihrem Schreibtisch
steht ein Computer mit zwei Bildschirmen.
Mit diesem Rechner hat sie Zugang zu Da-
tenbanken aus der ganzen Welt.
Bis zu zwei Tage hat sie Zeit, um zu ver-
stehen, was die Erfindung ausmacht und
sich über den Stand der Technik zu infor-
mieren. Um Patentdokumente aus den
USA und Asien, Fachzeitschriften zu durch-
suchen, um zu prüfen, ob das, was bei ihr
angemeldet wurde, wirklich eine neue Er-
findung ist. Oder ob es dieses spezielle Ver-
fahren zum Beispiel in einem MRT in Ja-
pan vielleicht schon genau so gibt. Dann
würde sie kein Patent erteilen.
Das Deutsche Patent- und Markenamt
ist seit 70 Jahren in München: Am 1. Okto-
ber 1949 wurde es hier nach einer Pause
nach dem Zweiten Weltkrieg wiedereröff-
net. Deutschlands erstes Patentamt wurde
aber schon vor mehr als 140 Jahren gegrün-
det, im Jahr 1877. Der erste Prüfer des Kai-
serlichen Patentamtes in Berlin war Wer-
ner von Siemens, der sich schon Jahre zu-
vor für ein deutsches Patentgesetz einge-
setzt hatte. Seine Personalakte lagert im
Magazin im Keller des Deutschen Patent-
und Markenamtes in der Zweibrückenstra-
ße. In speziell temperierten Kammern des
Magazins stehen auch Patentschriften aus
den ersten Jahren des Patentamtes. 1878
erfand ein gewisser Philipp Wenzel in
Mainz einen „Brenner aus feuerfestem ge-
brannten Thon für Petroleum“, ein Julius
Kuntze erfand in Hamburg eine Vorrich-
tung zum Schneiden von Tapeten. Und
Adolf Rambold erfand 1944 in Viersen den
Teebeutel.
In Deutschland werden immer mehr Pa-
tente angemeldet, im vergangenen Jahr
waren es 67 895. Von diesen Anmeldungen
erhielten 16 368 ein Patent. Neun Prozent
aller Patentanmeldungen kommen aus
der Region München, und von den Münch-
ner Anmeldungen kamen die meisten von
BMW, Siemens und Infineon. Etwa 70 Pro-
zent, also zwei Drittel der Anmeldungen
aus München, kamen aus den Bereichen
Maschinenbau und Elektrotechnik.
Wenn Kleißl Zweifel hat, ob eine Erfin-
dung wirklich neu ist, lädt sie den Anmel-
der zu einer Anhörung ein. Manchmal ist
auch der Erfinder dabei. „Wenn ich mit
dem Erfinder selbst spreche, macht das oft
einen Unterschied“, sagt sie. „Manchmal
kommt etwas in der technisch-juristi-
schen Sprache nicht ganz rüber.“ Gegen
den Beschluss können Patentanmelder Be-
schwerde einreichen – dann entscheidet
das Bundespatentgericht.
Das Patentamt schützt auch sogenann-
te Gebrauchsmuster, also kleine Patente,
sowie Marken und Designs. Der Pumuckl
ist zum Beispiel als Marke eingetragen, ne-
ben Dallmayr, Käfer, BMW oder Sixt
kommt auch er aus München. Eine Marke
könne ewig leben, so die Sprecherin. Wenn
die Inhaber die Gebühren dafür zahlen.
Derzeit hat das Deutsche Patent- und Mar-
kenamt, wie es seit 1998 heißt, einen Be-
stand von fast 815 600 Marken. Die ältes-
ten Marken in München sind die Brauerei-
en: 1894 wurden die Marken angemeldet,
damals noch beim Kaiserlichen Patent-
amt. Vorher waren Löwenbräu, Hacker-
Pschorr und Spaten aber auch schon beim
Amtsgericht angemeldet, das bis zum Jahr
1894 dafür zuständig war.
Nicht alle Marken werden berühmt,
nicht aus allen Erfindungen werden welt-
weite Erfolgsmodelle. „Man kann das tolls-
te Patent in der Tasche haben“, sagt Kleißl.
„Wenn niemand Interesse daran hat, nützt
es nichts.“ Oft ist es so: Wenn eine Erfin-
dung bedeutsam ist, dann spürt Veronika
Kleißl das, wenn sie sie vor sich hat.
Zwei Erfinder aus München und Hamburg, Helmut Gröttrup und
Jürgen Dethloff, meldeten 1969 eine Plastikkarte mit einem inte-
grierten Schaltkreis zum Patent mit der Nummer 1945777 an. Sie
hatten sich die Chipkarte ursprünglich nur als eine Art elektroni-
schen Schlüssel vorgestellt. Dass wir sie heute beim Arzt, am Geld-
automaten oder in unseren Handys benutzen, haben sie sich da-
mals wohl noch nicht vorstellen können. kaal
Beim Patentamt ist der Anteil der Anmel-
dungen, die von freien Erfindern kommen,
in letzter Zeit gesunken. Der Erfinder Mike
Hannemann erzählt, wie er einer wurde.
SZ: Herr Hannemann, wie wird man Erfin-
der?
Mike Hannemann: Jeder Erfinder steht zu-
nächst vor einem Problem und sagt sich:
Das könnte man besser machen. Erfinden
entspringt nicht so sehr dem fachmänni-
schen Können, das bildet die Wissens-
grundlage. Erfinden entspringt vielmehr
der Intuition. Neugierig sein, hinsehen,
Dinge hinterfragen, der Rest ist gesunder
Menschenverstand und eine gute Portion
praktische Intelligenz.
Was war Ihre wichtigste Erfindung?
Das pfiffige Transport- und Füllsystem
Snello. Im Prinzip ist es ein Schlauch, der
mit einem flüssigen Korrosionsschutz- be-
ziehungsweise Reinigungskonzentrat für
Heiz- und Kühlkreisläufe befüllt ist. Das
Konzentrat wird über den höheren Trink-
wasserdruck aus dem Snello in den Kreis-
lauf eingespült, fertig. Einfacher lässt sich
eine Heizanlage nicht vor Korrosion schüt-
zen, das kann jeder Lehrling. Das Korrosi-
onsschutzmittel ist trink- und abwasserun-
bedenklich und es entsteht kein unnötiger
Abfall, weil der Snello danach als Nachfüll-
schlauch genutzt werden kann.
Wussten Sie gleich, dass das eine wichtige
Erfindung ist?
Erst habe ich mich gar nicht getraut, das an-
zumelden. Weil es so einfach ist. Im Dialog
mit vertrauten Menschen entpuppte sich
die Idee jedoch immer mehr als genial. So
geht es häufig beim Erfinden. Wenn wir ge-
nau hinschauen, sind die genialsten Dinge
auf diesem Planeten oft die einfachsten.
Wie geht es den freien Erfindern?
Erfindungen ist sehr kostspielig und mit al-
lerlei Hürden verbunden. Manchmal wird
aus einer Anmeldung ein komplexer Pro-
zess, und der Erfinder braucht Unterstüt-
zung, zum Beispiel von einem Patentan-
walt. Das kostet Geld. Im Erfinderverband
wollen wir die Kollegen in ihrem innovati-
ven Schaffen stärken. Zum Beispiel be-
kommt der Erfinder die Möglichkeit, seine
Erfindung vor Kollegen zu präsentieren,
ohne Angst haben zu müssen, dass sie et-
was klauen. Er bekommt ein ehrliches
Feedback mit vielen Tipps und Hinweisen.
interview: kathrin aldenhoff
Mit ihrer Erfindung gelang es dem Ehepaar Ingeborg und Erwin
Hochmair ein menschliches Sinnesorgan zu ersetzen. In den frühen
1980er-Jahren entwickelten sie das Cochlea-Implantat. Es gibt
Gehörlosen und stark schwerhörigen Menschen die Möglichkeit, zu
hören. Akustische Signale werden in elektrische Impulse umgewan-
delt und diese werden an das Gehirn geschickt. kaal
Ein Haus voller
Erfindungen
Das Deutsche Patent- und Markenamt steht seit 70 Jahren
an der Isar. So manche Anmeldung schrieb schon Geschichte
Chipkarte
Dass sie mit ihrer Erfindung die Musikbranche revolutio-
nieren würden, haben die Forscher des Fraunhofer-Insti-
tuts nicht geahnt. Im Jahr 1987 gelang es ihnen, Audioda-
teien auf rund zehn Prozent ihrer ursprünglichen Daten-
größe zu reduzieren – und das, ohne die Qualität zu ver-
schlechtern. Der Weg: Sie löschten die Frequenzen, die
das menschliche Ohr ohnehin nicht wahrnehmen kann.
Das MP3-Format war geboren, es hat die Patentnummer
- kaal
Als Kälteerzeugungsmaschine meldete Karl Linde, Professor an
der Polytechnischen Schule in München, den ersten Kühlschrank
zum Patent an, Nummer 1250. Im Jahr 1877 war das – in diesem
Jahr war das Kaiserliche Patentamt in Berlin gegründet worden.
Die ersten Abnehmer der Erfindung: Bierbrauereien. kaal
Cochlea-Implantat
Autofahrer durch einen Luftsack zu schüt-
zen,das war die Idee von Walter Linderer,
der sie 1951 zum Patent anmeldete. Erfun-
den hat er den Airbag in München, als „Ein-
richtung zum Schutze von in Fahrzeugen
befindlichen Personen gegen Verletzungen
bei Zusammenstößen“. Das Patent trägt die
Nummer 896312. kaal
Mike Hannemann,55,
leitet die Sektion Mün-
chen und Oberbayern des
Deutschen Erfinderver-
bandes. Mit Anfang 30
machte er seine erste
Erfindung. In seiner
Firma für Wassertechnik
vermarktet er die Dinge
gleich selbst.FOTO: OH
70 Jahre Patent- und Markenamt an der IsarObPumuckl oder die neueste Antriebstechnologie –
jede Erfindung und jede Idee landet seit 1949 auf dem Bürotisch eines Prüfers der Behörde.
Die alles entscheidende Frage ist dabei immer: Ist das neu? Fünf Münchner Beispiele aus dem Archiv weisen den Weg
Im vergangenen Jahr
gingen hier knapp
68000 Anmeldungen ein
Airbag
MP3
Kühlschrank
Einfach ist
oft genial
Erfinder Mike Hannemann
setzt auf Intuition
Schon 1877 gab es
einenVorläufer in Berlin –
das Kaiserliche Patentamt
Die ältesten Münchner Marken sind Biermarken. FOTO:ROBERTHAAS
Prüferin Veronika Kleißl. FOTO: ROBERT HAAS
R2 (^) THEMA DES TAGES Donnerstag, 17. Oktober 2019, Nr. 240 DEFGH