Die Welt - 15.10.2019

(Steven Felgate) #1

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15.10.19 Dienstag, 15. Oktober 2019DWBE-HP


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DIE WELT DIENSTAG,15.OKTOBER2019* FORUM 3


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C


urrywurst ist SPD. Mit diesem
Slogan haben die Sozialdemo-
kraten Wahlkampf gemacht, zu
einer Zeit, als Fleischessen noch nicht
böse war und es für die SPD in den
Umfragen noch nicht um die Wurst
ging. Nun ist bekannt geworden, dass
Andrea Nahles ihr Bundestagsmandat
niederlegen wird, und mit ihrem Ab-
gang sind die Currywurstzeiten bei den
Genossen endgültig vorbei.
Würzig, bodenständig, immer auch
ein bisschen prollig und manchmal
schwer verdaulich, so ist die Curry-
wurst, und so war Andrea Nahles.
Eben eine echte Sozialdemokratin. Ob
sie als erste Frau an der Spitze die
Partei in eine neue Zeit hätte führen
können, diese Frage wird unbeant-
wortet bleiben. In jedem Fall ist sie
eine Linke, die versucht hat, die SPD
auf den rechten Weg zu führen: hinein
in die große Koalition und zugleich
heraus aus dem Schattenreich der
Agendapolitik. Den darin angelegten
Widerspruch hat sie allerdings nicht
auflösen können.

Ausgerechnet Nahles ist zur Sym-
bolfigur der Vernunfts-SPD geworden,
einer Partei, die sich – wie so oft in
ihrer langen Geschichte – gegen ihre
Gefühle und für das Wohl des Landes
entschieden hat. Nur: Dieses Mal hat
sich der Herzschmerz in Wut verwan-
delt, und diese Wut hat sich gegen die
Vorsitzende gerichtet, und zwar gna-
denlos. Wobei Gnade keine politische
Kategorie ist, wie derzeit auch bei der
CDU zu beobachten ist.
In der SPD ist der Grat zwischen
Emotionalität und Brutalität ein
schmaler, so gesehen ist Andrea Nahles
Sozialdemokratin durch und durch
gewesen. Franz Müntefering wird das
bestätigen können. Nahles ist jedoch
auch brutal authentisch gewesen. Be-
zeichnenderweise haben gerade die, die
besonders laut nach Authentizität in
der Politik rufen, das nicht ausgehal-
ten. „Ab morgen kriegen sie in die
Fresse“ oder „Bätschi“ mögen unange-
messen gewesen sein, aber in jedem
Fall waren sie Andrea Nahles pur.
SPD pur, das soll nun das gemischte
Doppel bringen, das die Nachfolge von
Nahles antritt – der ersten Frau an der
Parteispitze, die durch und durch Ge-
nossin war und für eine Sozialdemo-
kratie stand, die eine Currywurst zu
schätzen weiß.
[email protected]

AAAuthentisch wie Currywurst uthentisch wie Currywurst


KOMMENTAR


DAGMAR ROSENFELD

F


ast täglich hören wir von Erfolgen
der medizinischen Forschung: neue
Therapien, neue Medikamente, neue
Diagnosemöglichkeiten. Der Fort-
schritt hat nicht an Schwung ver-
loren. Andererseits nehmen wir auch
negative Trends wahr: mehr Krebs,
mehr Alzheimer oder die tödliche Gefahr, die von
Killerbakterien ausgeht. Geht es mit unserer Ge-
sundheit insgesamt bergauf oder bergab?
Die durchschnittliche Lebenserwartung ist ein
Parameter, der am ehesten ein mittleres Maß für die
Gesundheit der Bürger eines Landes sein kann. Die
Lebenserwartung hängt ja von der Qualität der medi-
zinischen Versorgung, der Hygiene in Krankenhäu-
sern und natürlich der Gesundheit der Individuen ab.
Doch auch das Wohlstandsniveau, die Arbeitsbedin-
gggungen, die Bildungshöhe und der Umfang der sozia-ungen, die Bildungshöhe und der Umfang der sozia-
len Fürsorge wirken sich auf die Lebenserwartung
auf. In der Bundesrepublik ist die Lebenserwartung
bislang kontinuierlich gestiegen. Dies belegt, dass
sich die Lebensverhältnisse im Großen und Ganzen
deutlich verbessert haben. Doch die letzten beiden
Datensätze des Statistischen Bundesamtes offen-
baren erstmals eine Stagnation. Die Lebenserwar-
tung der Deutschen ist nicht weiter über 78 Jahre
und 4 Monate bei den Männern und 83 Jahre und
zzzwei Monate bei den Frauen gestiegen.wei Monate bei den Frauen gestiegen.
Haben wir vielleicht den Zenit erreicht? Überdeckt
der negative Einfluss einer schlechten Lebensfüh-
rung mittlerweile den positiven Effekt der insgesamt
nach wie vor guten Lebensverhältnisse? Stagniert in
diesem Sinne die Gesundheit? Die Gesundheit eines
Individuums kann deutlich besser oder schlechter als
der Durchschnitt sein und die Lebenserwartung
entsprechend niedriger oder höher ausfallen. In
einem Land wie Deutschland, in dem Lebensumstän-
de und medizinische Versorgung auf einem mehr als
aaakzeptablen Niveau sind, sehen Gesundheitsexpertenkzeptablen Niveau sind, sehen Gesundheitsexperten
als wichtigste Faktoren für eine unterdurchschnitt-
liche Lebenserwartung: Rauchen, Fettleibigkeit, Blut-
hochdruck, Diabetes und zu wenig Bewegung.
Rund zwei Drittel der deutschen Männer sind zu
dick. Besorgniserregend ist, dass die Fettleibigkeit
in immer früheren Lebensjahren beginnt. Fast
jeder vierte 15-Jährige ist bereits betroffen. Bei den
Mädchen sind es im gleichen Alter immerhin 13
Prozent. Und Studien zeigen: Wer bereits als Ju-
gendlicher übergewichtig ist, schafft es selten,
dieses Handicap als Erwachsener abzuschütteln.
Der Grund für jugendliche Adipositas ist in erster
Linie ein Mangel an Bewegung. Tobten früher Kin-
der in Parks oder verkehrsarmen Straßen herum, so
sitzen sie heute eher vor Geräten mit einem Moni-
tor. In Bewegung bleiben da nur die über Touch-
Screens huschenden Finger. Außerdem ist ein ho-
her Konsum von Zucker und Fett ein Schlüssel-
faktor für Übergewicht bei Teenagern.
WWWenn insgesamt die Lebenserwartung stagniert,enn insgesamt die Lebenserwartung stagniert,
sagt dies noch nichts über einzelne gesellschaftliche
Gruppen aus. Ja, es gibt sie, Menschen, die sich ge-
sundheitsbewusst ernähren, viel Sport treiben,dabei
nicht rauchen und nur mäßig oder gar keinen Alko-
hol konsumieren. Und ja, diese Menschen erreichen
in der Regel ein überdurchschnittliches Alter. Die
Entscheidung zu einem gesunden Leben und die
Willenskraft, dies auch umzusetzen, erfordern gewis-
se kognitive Fähigkeiten. Es überrascht nicht, dass
die Statistik einen Zusammenhang zwischen Lebens-

erwartung und dem Bildungsgrad ausweist. Frauen
mit niedrigerem sozialem Status sterben acht Jahre
fffrüher. Bei Männern macht dieser Effekt sogar mehrrüher. Bei Männern macht dieser Effekt sogar mehr
als zehn Jahre aus. Hier spielt aber sicherlich nicht
nur die ungesündere Lebensführung eine Rolle. Da
Bildung in aller Regel auch mit finanziellem Wohl-
stand korreliert, können sich Gebildete meist auch
eine bessere medizinische Versorgung leisten. Wir
sind also, was die Gesundheit betrifft, eine gespalte-
ne Gesellschaft. Wenn es den politischen Willen gibt,
dies zu überwinden, und das Ziel eine insgesamt
gesündere Bevölkerung ist, dann wäre die Bildung die
wichtigste Stellschraube. Lebensmittelampeln auf
VVVerpackungen im Supermarkt werden da alleineerpackungen im Supermarkt werden da alleine
nicht helfen.
Eine höhere Lebenserwartung ist indes kein
Selbstzweck. Wenn ein längeres Leben lediglich zu
einer längeren Phase des Leidens in den letzten
Lebensjahren führt, ist dieser Fortschritt zumindest
fffragwürdig. Studien zeigen, dass die gestiegene Le-ragwürdig. Studien zeigen, dass die gestiegene Le-
benserwartung auch zu einem schlechteren Gesund-
heitszustand alter Menschen geführt hat. Arthrose,
Demenz oder Krebs sind Erkrankungen, die statis-
tisch signifikant mit wachsendem Alter häufiger
auftreten. Der kontinuierliche Anstieg von Krebsneu-
erkrankungen lässt sich problemlos mit der höheren
Lebenserwartung erklären. Der Rückgang der Sterb-
lichkeit bei den meisten Krebsarten ist hingegen dem
medizinischen Fortschritt zu verdanken.
WWWer gesund alt werden möchte, muss also nebener gesund alt werden möchte, muss also neben
einer gesunden Lebensführung auch Vorsorgeunter-
suchungen auf sich nehmen. Für viele Erkrankungen
gilt: Je früher sie diagnostiziert werden, umso größer
ist die Chance einer Heilung. Das gilt insbesondere
fffür die meisten Krebserkrankungen. So ist beispiels-ür die meisten Krebserkrankungen. So ist beispiels-
weise die Zahl der Todesfälle durch Darmkrebs hier-
zulande deutlich zurückgegangen, seitdem immer
mehr Menschen die entsprechenden Vorsorgeunter-
suchungen nutzen. Der medizinische Fortschritt in
Diagnostik und Therapie war in den vergangenen
Jahrzehnten gigantisch. Wir sollten uns aber nicht
darauf verlassen, dass neue Therapien und Medika-
mente vor Altersleiden bewahren. Das größere Po-
tenzial steckt in der Verantwortung des Einzelnen.
Leider muss man auch sagen, dass es sich hier
immer nur um statistische Aussagen und keine 100-
Prozent-Kausalitäten handelt. Auch wer alle Ernäh-
rungsratschläge berücksichtigt und täglich viel Sport
treibt, kann Pech haben und von einer schweren
Erkrankung heimgesucht werden. Bei manchen ist
die Ursache ohnehin noch gar nicht bekannt. Dann
ist eine entsprechende Prävention gar nicht möglich.
Das Schicksal lässt sich nicht komplett abschalten.
Zu all dem können sich jederzeit neue Gefahren
und Risiken für die Gesundheit der Menschen er-
geben. Mutationen können neue, gefährliche Krank-
heitserreger hervorbringen, die sich global ver-
breiten und Gesundheitssysteme vor größte He-
rausforderungen stellen. Absehbar sind bereits die
Konsequenzen, die sich aus dem Klimawandel er-
geben. Höhere Temperaturen führen im statisti-
schen Mittel beispielsweise zu mehr Herzinfarkten
und Hitzetoten. Und wenn das Klima hierzulande
erst einmal den tropischen Stechmücken genehm
ist, werden sich auch Malaria und Dengue-Fieber
verbreiten. Auf die mittlere Lebenserwartung wird
sich das gewiss nicht positiv auswirken.
[email protected]

Gesünder


wird‘s nicht


Bislang sind die


Deutschen von Jahr


zu Jahr immer älter


geworden. Nun zeigt


sich erstmals eine


Stagnation – weil die


Menschen rauchen,


zu viel essen und sich


zu wenig bewegen.


Und es drohen noch


ganz neue Risiken


Der medizinische Fortschritt


war in den vergangenen


Jahrzehnten gigantisch


LEITARTIKEL


ǑǑ


NORBERT LOSSAU

B
undeskanzlerin Angela Mer-kel (CDU) hat den türki-schen Präsidenten Recep
Nordosten Syriens aufgefordert. DieKanzlerin habe sich am Sonntag in einemTayyip Erdogan zum Stoppder Militäroffensive im
Telefonat mit Erdogan für eine „umge-hende Beendigung der Militäroperation“ausgesprochen, teilte eine Regierungs-sprecherin mit. Ungeachtet berechtigter
türkischer Sicherheitsinteressen drohediese zur Vertreibung größerer Teile derlokalen Bevölkerung, zur Destabilisie-rung der Region und zum Wiedererstar-
ken der Terrororganisation IslamischerStaat (IS) zu führen.Die Türkei hatte am Mittwoch mit Un-terstützung arabisch-syrischer Rebellen
Kurdenmiliz YPG begonnen, die auf syri-scher Seite der Grenze ein großes Gebieteine lange geplante Offensive gegen die
beherrscht. Die Türkei sieht in ihr einenAbleger der verbotenen Kurdischen Ar-beiterpartei (PKK) und damit eine Ter-rororganisation. Die Offensive stieß in
den vergangenen Tagen international aufbreite Kritik. Am Samstag hatte Außen-

minister Heiko Maas bereits bekannt ge-geben, dass die Bundesregierung als Re-aktion auf den türkischen Einmarsch inNordsyrien die Rüstungsexporte an den
Nato-Partner teilweise gestoppt hat. Mindestens 130.000 Menschen sindlaut den Vereinten Nationen (UN) we-gen der türkischen Offensive bereits aus
Nordostsyrien geflohen. In der nach Be-schuss beschädigten Stadt Hasaka könn-ten Techniker nicht auf eine Wasser-
pumpstation zugreifen, wie die UN mit-teilten. Damit hätten 400.000 MenschenProbleme, an Wasser zu kommen –82.000 davon in Flüchtlingslagern. Die
von Kurden geleitete Verwaltung inNordostsyrien warnte am Sonntag voreiner humanitären Katastrophe. Wegender Gefechte zwischen türkischen Solda-
ten und syrisch-kurdischen Kämpfernkämen weniger Hilfsmittel in die Region.Umkämpft ist derzeit die wichtigste
Schnellstraße zwischen Hasaka und AinIssa, dem Verwaltungszentrum der vonKurden geleiteten Gebiete. Luftangriffeund Kämpfe breiteten sich mittlerweile
auf bis zu 30 Kilometer südlich der tür-kisch-syrischen Grenze aus.

von IS-Kämpfern nach jüngsten Angabender kurdischen Behörden aus einem La-ger in Nordsyrien geflohen. 785 FrauenUnterdessen sind fast 800 Angehörige
und Kinder seien aus der Einrichtung inAin Issa entkommen, teilte die Verwal-tung der halbautonomen Kurdenregionam Sonntag mit. Nach Angaben der Syri-
schen Beobachtungsstelle für Menschen-rechte verließen die Wachen das Lager,nachdem es in der Nähe Gefechte der
türkischen Armee mit kurdischen Kämp-fern gegeben hatte.die Insassen des Lagers nun „nach undLaut der Beobachtungsstelle fliehen
nach“. Seit Beginn der türkischen Offen-siveTausende inhaftierte IS-Kämpfer und ih-re Angehörigen die Chance nutzen, umbesteht international die Sorge, dass
kurdischen Gefängnissen in Nordsyriensind rund 12.000 IS-Kämpfer inhaftiert,aus kurdischer Haft zu fliehen. In den
darunter bis zu 3000 Ausländer. Insge-samt sollen sich 90.000 IS-Anhänger in-klusive Frauen und Kinder in dem Inter-nierungslager al-Haul sowie weiteren
Camps in der Region befinden. Viele vonihnen waren im März bei der Eroberung

der letzten IS-Bastion Baghus im OstenSyriens durch die YPG-Miliz in Gefan-genschaft geraten. Die syrische Kurden-miliz ist ein wichtiger Verbündeter des
Westens im Kampf gegen die Dschihadis-ten, gilt Ankara aber wegen ihrer engenVerbindungen zu kurdischen Rebellen inder Türkei als Bedrohung.
TKämpfe gegen die Sonntag fort. Präsident Erdogan zeigteürkische Streitkräfte setzten dieYPG-Miliz auch am
wSawawasich unbeeindruckt von Sanktionen als Re-eit Beginn der Offensive am Mittwochktion auf den Vormarsch seiner Truppen.urden nach Zählungen der Syrischen Be-ktion auf den Vormarsch seiner Truppen.urden nach Zählungen der Syrischen Be-
omnem türkischen Luftangriff auf einenKonvoi mit Zivilisten und ausländischenbachtungsstelle für Menschenrechteindestens 52 Zivilisten getötet.Bei ei-
Journalisten seien am Sonntag zehnMenschen getötet worden. Die französi-sche Journalistin Stephanie Perezschrieb auf Twitter, sie sei in dem Konvoi
gewesen. Ihrem Team gehe es gut, dochKollegen seien tot. Die USA kündigtenunterdessen den Abzug von 1000 Solda-
ten aus der Region an.Seiten 3, 6 und 17dpa/AFP/rtr/AP

Merkel fordert Ende der
türkischen Syrien-Offensive
Präsident Erdogan zeigt sich unbeeindruckt von Sanktionen als Reaktion auf den Vormarsch seinerTruppen. Kurden melden Ausbruch von Hunderten IS-Familien aus Lager. 130.000 Menschen auf der Flucht

REUTERS/ HANNIBAL HA

NSC HKE
„Wir stehen zusammen.“ Bereits am Freitag und Samstag hatten mehrere TausendDemonstranten in verschiedenen Städten gegen Rechtsextremismus protestiert.In Halle versammelten sich etliche Menschen mit Kerzen an der Synagoge, in der
eine Sabbatfeier stattfand. Seiten 3 und 4

„Wir stehen zusammen“Gegen Antisemitismus und rechte Gewalt: Tausende Menschen sind am Sonntagin Berlin auf die Straße gegangen, um nach dem Terroranschlag von Halle Zeichen
ren der Initiative Unteilbar sprachen von 16.000. Ihre Botschaft war eindeutig:zu setzen. Die Polizei schätzte die Zahl der Teilnehmer auf 8000, die Organisato-

DSaeit 2014 ist sie um 17 Prozentuf über 20.000 angestiegen.ie Zahl der Studien-gänge in Deutschlandwird immer größer.
DcJura. Zurzeit sind die Möglich-keiten fast unbegrenzt. An derarunter so ausgefallene Fä-her wie Germanistik oder
Tspielsweise das Fach Körper-pflege belegen, wobei es anmännlichen StudierendenU Darmstadt kann man bei-
fehlt. Die HdK in Berlin bietetfehlt. Die HdK in Berlin bietetfneuerdings den zulassungs-beschränkten Studiengang
„Irgendwasohnemedien“ an,der völlig überlaufen ist. EineArbeitsgruppe im Bildungs-ministerium arbeitet fieber-
hEveaft an einer Strategie zurindämmung der Fächer-ermehrung, einer Art Studi-ngangsdeckel, denn die Aus-
fwsür viele Schulabgänger erheb-effür viele Schulabgänger erheb-irkungen des Überangebotsind dramatisch. Der Beginnines Studiums verzögert sich
lich, weil eine gründliche Stu-dienberatung inzwischensechs bis sieben Jahre dauert.
Die Frage ist außerdem, wiedie Gesellschaft mit der wach-senden Studienabgängerflutumgehen soll. Experten war-
nen jedenfalls, dass Deutsch-land nicht noch mehr Fahr-radkuriere und Taxifahrerverkraften kann.

Zippert zapptZippert zapptZ

sFPIgree Asia (RFA) in Phnomm September 2017 ließ dietudio des Radiosenders Radiokenh schließen.ierung das Hauptstadt-ambodschanische Re-
hRCEinen Monat später ver-afteten Sicherheitskräfte dieadio-Free-Asia-Reporter hhin Uon
Uanwaltschaft den Journalistenvor, den Radiosender ohnersprünglich warf die Staats-und Yeang Sothearin.
Lizenz betrieben zu haben.Angeklagt wurden Uon Chhinund sein Kollege dann jedochwegen „Spionage“.
OBelege dafür gibt, dass dieJournalisten das Gesetz ge-brochen haben, droht ihnenbwohl es bis heute keine
Hreine Verurteilung zu eineraftstrafe von bis zu 15 Jah-en. Reporter ohne Grenzen
vgS„erurteilte das Verfahren ge-en Uon Chhin und Yeangothearin zuletzt scharf.Selbst der zuständige Richter
hne Beweise für ihre Schuldgibt“, sagte Daniel Bastard,Leiter des Asien-Pazifik-Bürosat eingestanden, dass es kei-
der Organisation: „Trotzdemwurde die Anklage nicht fallen

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all
Uon Chhin AP/ HENG SINITH

KUNDENSERVICE 0 8 0 0 / 9 3 5 8 5 3 7 MONTAG, 14. OKTOBER 2019

Vallem bei den Sozialdemokraten.Martin Schulz, erst gefeierter, dannom Heilsbringer zum Hinter-bänkler, in der Politik geht dasmitunter schnell, bisher vor
ein Lied davon singen, die hinausge-mobbte Parteichefin Andrea Nahlesebenso oder Ex-Außenminister Sig-gescheiterter Kanzlerkandidat, kann
mar Gabriel, der bald nicht mal mehrHinterbänkler ist.Lust, die eigene Führung unter Dauer-Die CDU dagegen kannte diese
beschuss zu nehmen, bisher nicht, zu-mindest nicht in diesem Jahrtausend.Unter Angela Merkel war der Vorsitzein Thron, an dem nicht gerüttelt und
von dem niemand hinabgestürzt wur-de. Das ändert sich gerade. Auch indieser Hinsicht also nähert sich die
Union immer mehr der SPD an.Noch vor zehn Monaten, als Anne-gret Kramp-Karrenbauer das Zeptervon Merkel übernahm, wurde sie in
authentisch, kompetent und als be-gnadete Mediatorin. Eine, die den La-den zusammenhält, die neue starkeder Partei gefeiert: als glaubwürdig,
Frau der CDU. Und jetzt? Überfor-dert, heißt es hinter vorgehaltenerHand. Instinktlos, ungeschickt, pro-
vinziell. Eine Landrätin, die „Kanzle-rin nicht kann“. Die Junge Union willihr das Erstzugriffsrecht auf dieKanzlerkandidatur absprechen.
rau ein totaler Fehlgriff, oder hat sieFnm Schock über den allzu alerten Berli-ier Betrieb alles vergessen, was sie inas ist da eigentlich los? War dieWas ist da eigentlich los? War dieWW
3 5 Jahren an der Politfront gelernt hat?Unwahrscheinlich. Dass Kramp-Kar-renbauer aus einem Bundeslandkommt, dessen Einwohnerzahl nur an
rnjene von Köln heranreicht, war bei ih-er Wahl bekannt. Ebenso, dass sieun mal keine charismatische Lichtge-
s–Ldtalt ist. Aber Kramp-Karrenbauer hatwie übrigens auch Ursula von dereyen bei der EU-Kommissionspräsi-entschaft – einen entscheidenden
Fmzu vielen zu viel versprochen. Nunkönnen sie nicht allen alles liefern.ehler gemacht: Um die nötigen Stim-en einzusammeln, haben die beiden
Prompt rächen sich die Enttäuschtenund schießen aus dem Hinterhalt.Ja, AKK hat sich ungeschickt aus-
gedrückt, auf Rezo und Artikel 13falsch reagiert, in der Causa Hans-Georg Maaßen falsche Zeichen ge-setzt. Aber wir erinnern uns: Im Bun-
brutto und netto verwechselt. Unddennoch 14 Jahre Kanzlerschaft über-destagswahlkampf 2005 hat Spitzen-kandidatin Angela Merkel mehrfach
lebt. Die Union sollte sich genauüberlegen, ob sie sich von der allge-meinen Lust an der Attacke, am gna-denlosen Geißeln eines jeden Schnit-
zers, anstecken lässt. Es sei denn, dieEinsicht reift, tatsächlich die Falschegewählt zu haben. Dann sollte die
CDU das aber einfach offen sagen.

KOMMENTAR
Doie Falsche
der nicht?

[email protected]

HANNELORE CROLLY

**D2,80EUROBNr. 239

Ihre Post an:
DIE WELT, Brieffach 2410, 10888 Berlin,
Fax: (030) 2591-71606, E-Mail: [email protected]
Leserbriefe geben die Meinung unserer Leser
wieder, nicht die der Redaktion. Wir freuen
uns über jede Zuschrift, müssen uns aber das
Recht der Kürzung vorbehalten. Aufgrund der
sehr großen Zahl von Leserbriefen, die bei
uns eingehen, sind wir leider nicht in der Lage,
jede einzelne Zuschrift zu beantworten.

den UN ist kein politischer oder krie-
gerischer Konflikt gelöst und Frieden
geschaffen worden.
GERHARD UMBACH, GEESTHACHT

Aus dem Ruder


Zu: „Nie wieder ,nie wieder‘!“
vom 11. Oktober

Was ist aus dem Ruder gelaufen? Klare
Strukturen brechen auseinander. Kul-
turen werden zerstört. Machtgehabe,
Respektlosigkeit, Verstöße gegen die
Menschlichkeit, mangelnde Vernunft
im sozialen Kaleidoskop. Der Entzug
der sozialen Kontakte durch die tech-
nische Entwicklung, Steigerung des
Egoismus. Jeder muss sich dagegen-
stellen, Hass unwirksam zu machen.
HANS POHL, NEUSTADT IN HOLSTEIN

reichlich islamische Konvertiten, die
für islamistisches Gedankengut anfällig
sind. HARALD JAENSCHKE, PER E-MAIL

Leidlich gut


Zu: „Krankes Gesundheitswesen“
vom 10. Oktober

Die von Ihnen geschilderten Unzuläng-
lichkeiten des Gesundheitswesens
halte auch ich für zutreffend. Erlauben
Sie mir jedoch aus meiner Sicht folgen-
de Ergänzung. Der seit Jahrzehnten in
unserem Land bestehende Ärztemangel
ist von den Bundesländern herbei-
geführt worden. Begründung: Studien-
plätze für die Medizin sind überaus
teuer. Da hat sich doch die Methode
der Bundesländer sehr bewährt, aus-
gebildete ausländische Ärzte anzuwer-

ben. Diese werden von den Kranken-
häusern eingearbeitet. Anfallende Kos-
ten für deren Sprachausbildung werden
teilweise sogar von der hiesigen Ärzte-
schaft übernommen. Insgesamt gese-
hen halte ich die gesundheitliche Be-
treuung der Allgemeinheit noch für
leidlich gut. MANFRED ADRIAN, PER E-MAIL

Mehr Geld


Zu: „Sinnloser Meisterzwang“
vom 10. Oktober

Wenn ein Zwang von der Regierung
ausgesprochen wird, dann sollte die
auch bereit sein, etwas mehr Geld in
das Meistersystem zu geben. Schließ-
lich werden ja auch Studiengebühren
zum großen Teil gar nicht erhoben.
MANFRED MENGEWEIN, ARNSBERG

LESERBRIEFE


Der Judenhass gehörte schon immer
zum kollektiven Gedankengut der
Deutschen. Juden wurden immer schon
für alles Unglück verantwortlich ge-
macht – und die AfD düngt diesen
geistigen Nährboden. Diese sogenannte
Partei müsste von der Bildfläche ver-
schwinden, denn sie ist schon lange ein
Sicherheitsrisiko für ganz Europa und
für die Parteienlandschaft völlig über-
flüssig. Und der in der Bevölkerung
verankerte und immer weiter vererbte
Judenhass hat der nationalsozialisti-
schen Ideologie erst den Weg geebnet.
Es kann gar nicht genug Zuwanderung
aus anderen Kulturkreisen geben, denn
ohne solche Zuwanderung wird die
deutsche Identität an geistiger und
kultureller Inzucht zugrunde gehen.
Etwaige Angst vor islamistischem Ter-
ror kann man ignorieren. Denn unter
Biodeutschen gibt es mittlerweile

Thunbergs Heere


Zu: „Warum nicht Greta?“
vom 12. Oktober

Werter Herr Nuhr, die Frage in Ihrer
Überschrift ist ganz leicht zu beant-
worten: Der Friedensnobelpreis steht
ihr nicht zu. Nach Maßgabe von Alfred
Nobel soll er an denjenigen vergeben
werden, „der am meisten oder am bes-
ten auf die Verbrüderung der Völker
und die Abschaffung oder Vermin-
derung stehender Heere sowie das
Abhalten oder die Förderung von Frie-
denskongressen hingewirkt“ und damit
„im vergangenen Jahr der Menschheit
den größten Nutzen erbracht“ hat.
Greta Thunberg erfüllt keines dieser
Kriterien. Sie hat die Welt aufgerüttelt
zum Thema Klimapolitik – aber selbst
nach ihrem spektakulären Auftritt bei

W


enn man Sie fragen würde,
was Sie für typisch deutsch
halten, was würden Sie ant-
worten? Jägermeister? Oktoberfest?
Mittelfinger? Kommissbrot? Andrea
Berg? Die Homöopathie? Es ist immer
eine Gratwanderung. Man muss auf-
passen, dass ein harmloses Klischee
nicht in ein böses Vorurteil umkippt.
Ein Bayer mit Gamsbart und Lederhose
ist okay, ein Jude mit Hut und Schläfen-
locken könnte antisemitische Reaktio-
nen hervorrufen.
In solchen Momenten sind wir auf
sachkundigen Rat angewiesen. Und wer
wüsste besser, was geht und was nicht
geht, als unsere Bundesregierung, ein
Fachorgan für Fragen der Migration,
Integration, Folklore und Gerechtigkeit?
Erst vor Kurzem verkündete das Justiz-
ministerium mit einer groß angelegten
Plakataktion: „Wir sind Rechtsstaat!“
Als wollte es Zweifel eindämmen, ob
das tatsächlich der Fall wäre. Jetzt zieht
das Bundesministerium des Innern, für
Bau und Heimat mit einer Kampagne
zur Erinnerung an die Friedliche Revo-
lution vor 30 Jahren nach. Das Motto
lautet: „Deutschland ist eins: vieles“, es
klingt wie der Titel eines 2012 erschie-

nenen und viel gekauften Ratgeberbu-
ches: „Wer bin ich – und wenn ja, wie
viele?“
Dackel, erfahren wir, sind eine „sooo
deutsche Hunderasse“, „sooo deutsch“
sind auch die FKK-Kultur, Gartenzwer-
ge, weiße Socken in Sandalen, Garmisch
im Sonnenuntergang, Liegestühle am
Pool, Leuchttürme an der Küste und
Staus auf der Autobahn. „Sooo deutsch“
ist ein gut aussehender junger Mann
mit Migrationshintergrund, vermutlich
ein Türke, der in einer ihm vertrauten
Umgebung gezeigt wird, einem Döner-
stand – ein Motiv, das wegen des Amok-
laufs in Halle vorübergehend zurück-
gezogen wurde. Das Döner-Plakat ist,
wie die ganze Kampagne, vermutlich
gut gemeint, aber von einer erschüt-
ternden Gedankenarmut. Genau ge-
nommen ist es die fortschrittliche
Spielart eines Kolonialismus, der 1900
noch um einen „Platz an der Sonne“ in
Afrika kämpfte und heute, mangels
Kolonien, die „innere“ Kolonisation
betreibt: Der Döner und der Türke
sollen eingedeutscht werden, damit
„wir“ zeigen können, wie tolerant und
weltoffen Deutschland ist.
Was aber, wenn der Türke ein Türke
bleiben und nicht in einer Liga mit
Dackeln, Gartenzwergen und Sonnen-
untergängen spielen möchte? Müsste er
dann seinen Dönerladen aufgeben und
in die Türkei zurückkehren? Oder dürf-
te er bleiben, nachdem er „Wer bin ich –
und wenn ja, wie viele?“ gelesen hat?

Wie deutsch muss es sein?


PLATZ DER REPUBLIK


HENRYK M. BRODER

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