Monika Schoeller (15. September 1939 bis 17. Oktober 2019)
Eine Erinnerung an Monika Schoeller, die ein halbes Jahrhundert
lang Verlegerin von S. Fischer war VON JÖRG BONG
Hüterin
auf Zeit
M
onika Schoeller besaß ein prä
gnan tes Bild für ihr verlegeri
sches Selbstverständnis – und
überhaupt ihr Selbstverständ
nis –, das den maßgeblichen
Leitsatz ihres immensen Wir
kens offenbart. Schon bei unserer ersten Begegnung,
anlässlich Silvia Bovenschens 50. Geburtstags im
Jahr 1996, am Beginn unserer Zusammenarbeit,
formulierte sie es. Der S. Fischer Verlag erschien ihr
als »unendlicher, wunderbarer Schatz«, sich selbst
sah sie als dessen »Hüterin auf Zeit«, nicht, so fasste
sie es auf, der heiligen Asche, sondern der Flamme.
Der Verlag »gehört nicht mir« – »eine Anmaßung« –,
er gehöre niemandem oder, anders formuliert: allen.
Der ganzen Welt. Die von Monika Schoeller so ver
ehrte Übersetzerin Swetlana Geier erzählte ihr ein
mal von einer Eigenart des Russischen, in dem die
Kon struk tion »Ich habe eine Tasse« nicht existiere,
sondern bloß die – sozusagen viel wahrere – Be
schreibung »Die Tasse ist bei mir«.
Konziser ist die Haltung Monika Schoellers nicht
auf den Punkt zu bringen. Was für sie auch in der
besonderen Natur des Schatzes lag, sie begriff ihn als
kolossale gesellschaftlichkulturelle, literarische, in
tellektuelle Substanz. Als engagiertes Projekt, als
Fundus lebendiger Vergangenheit – Thomas und
Heinrich Mann, Stefan Zweig, Alfred Döblin, Hugo
von Hofmannsthal, Sigmund Freud, Virginia Woolf,
um nur ein paar wenige zu nennen – wie als Werk
stattgebäude der Gegenwart und Zukunft. So war der
Verlag kein Besitz, sondern ein Mandat, ein impera
tives Mandat. Die Mission – den Schatz zu wahren
und, genauso imperativ: ihn noch zu vermehren –
nimmt sich als unbedingte Verpflichtung aus.
Und genau so verhielt es sich: S. Fischer war, seit
Monika Schoeller 1974 in den Verlag eintrat und sie,
nach Samuel Fischer und Gottfried Bermann Fischer,
für fast ein halbes Jahrhundert Verlegerin wurde, ihr
Leben. Es drehte sich fortan um sein Prosperieren, um
die Autoren, die Bücher, die Editionen, die Mitarbei
terinnen und Mitarbeiter, die Kultur des Verlages, die
Literatur, um den aufgeklärten demokratischgesell
schaftlichen Diskurs, um unbeirrbar hochzuhaltende,
scharf gefasste humane Werte, um so vieles. Nur um
eines nie: um sie und ihre Person. Sie sah ihren Ort
nicht auf der Bühne, nicht im Mittelpunkt, sondern
am Rande, im Hintergrund. Von hier aus wirkte sie,
und das überaus mächtig. Diskret, dezent, zurück
haltend war und agierte sie. Aber voller Kraft und
Verve für alles, was sie liebte, mitunter, wenn es sein
musste, auch energisch, rigoros, weil es um etwas ging,
dabei behutsam und empathisch. Sie war leise, aber
vermochte ihrer Stimme, wenn es für sie darauf an
kam, wirkungsvoller Gehör zu verschaffen als all die
Lauten. »Behutsam kämpfen« lautete eine Maxime
Ilse Aichingers, einer engen Vertrauten und Freundin
- es war auch Monika Schoellers Maxime.
Stil, Feinsinn, Taktgefühl waren ihre Si gna tu ren,
alle Prätention war ihr fremd. Dennoch blieb einiges
des von ihr Bewirkten, sosehr sie auch versuchte, es
klandestin zu tun, nicht unbemerkt: Dafür erhielt sie
unter anderem das Bundesverdienstkreuz, die Goethe
Plakette, den Friend of Jerusalem Award oder die
MaecenasEhrung. Ihre beherzten mäzenatischen
En gage ments sind zahlreich und divers. Zuvor
derst ist ihre Stiftung zu nennen, die S. Fischer
Stiftung, die Monika Schoeller 2003 gegründet
hat und mit der sie vielfältige Unternehmungen
ins Leben beförderte, unter anderem interkul
turelle Programme, so mit Russland, Polen, Süd
ost euro pa oder der Türkei, sowie Erb und Nach
lassverträge von Autoren. Eine weitere Großtat
der Stiftung ist die Überführung des substanziel
len S.FischerArchivs in die Obhut des Deut
schen Literaturarchivs in Marbach. Gemeinsam
mit Stefan von Holtzbrinck war sie Gesellschaf
terin der Holtzbrinck Publishing Group, zu der
S. Fischer und andere Verlage ebenso gehören wie
50 Prozent der ZEIT. Alles in ihrem Schaffen
ergab einen wundervollen Zusammenhang, ent
sprang ein und demselben Geist.
Im Zentrum standen grundsätzlich die Auto
ren, für sie verausgabte sie sich mutwillig, oft am
Rande ihrer Kräfte. Unentwegt reiste sie, unent
wegt unterstützte sie, begleitete ganze Werke,
ganze Leben. Wenn wir uns trafen – meistens auf
Spaziergängen, alternativ in ihrem Zimmer zum
Tee – und wir, wie sie es nannte, »die wichtigsten
Dinge« besprachen, ging es zuerst und zuletzt um
die Autoren. Die bestimmende Perspektive ihres
Denkens und Handelns war die Langfristigkeit,
die veritable Entwicklung, sie missbilligte den
kurzfristigen Effekt, das Überstürzen. Vor allem
das »Modische«. Es zählten Geduld und Beharr
lichkeit, Genauigkeit, die Strenge des Kriteriums,
die nochmalige Reflexion.
Vor einigen Jahren hat sie hinter ihrem Haus
einen kleinen Garten anlegen lassen. Wir haben
ihn oft zusammen bewundert, die Prinzipien ihrer
weisen Gartenpflege waren für sie dieselben wie
die ihres Schaffens: Man muss auf die großen
Zeiträume schauen, fünfzig, hundert Jahre, so
werden Gärten gedacht, alles dauert seine Zeit,
alles hat seine Zeit. Der lange Atem ist die Tugend.
Und die Fähigkeit, sich zu erfreuen, sich unendlich
begeistern und schwärmen zu können – sie
brauchte nicht viele Worte dazu. Ende des Som
mers reisten wir nach Göttingen, um eine Vernis
sage der zuvor verstorbenen Malerin und Freundin
Sarah Schumann zu sehen. Monika Schoeller
konnte überglücklich sein, an diesem Tag war sie
es: über das Zustandekommen der Ausstellung,
über die Schönheit der Bilder. Am Ende der Reise
nahm sie meine Hand, »Sarah ist nach einem er
füllten Leben gegangen«, es war kein halbherziger
Trost, es war viel mehr, es ging um alles.
Monika Schoellers Tod bedeutet einen uner
setzlichen Verlust, für die Literatur und Verlags
welt, aber ebenso weit darüber hinaus. Für unsere
Kultur, für unsere Gesellschaft, für unsere Zeit.
Jörg Bong arbeitete 22 Jahre mit Monika Schoeller
zusammen, zunächst als ihr Assistent und Lektor,
später als Programmleiter und zuletzt als
Geschäftsführender Verleger der S. Fischer Verlage
Über den Unterschied von Porzellan und Stein
gut muss man eigentlich nicht viele Worte ver
lieren, das eine ist elegant, dünn, hart und halt
bar, das andere rustikal, dicklich und stets zum
Bröckeln und Abplatzen aufgelegt. Indes ver
zweifelt man immer aufs Neue beim Versuch,
die existenzielle Differenz unseren wahrschein
lich ebenfalls eher rustikalen Zeitgenossen zu
vermitteln. Sie verstehen es nicht oder wollen
es nicht verstehen, sie bocken und trotzen vor
einer Wahrheit, die sich doch allen Sinnen er
schließt, wenn man nur einmal Becher oder
Tasse an die Lippen führt. Was ist Steingut?
Steingut ist, was in Jugendherbergen und
kirchlichen Bildungseinrichtungen den Mund
schon füllt, bevor auch nur ein Tropfen irgend
einer Flüssigkeit über die Zunge rinnt. Steingut
ist der Inbegriff der Dickwandigkeit, und man
kann nicht aufhören zu beklagen, dass unser
verehrter Nobelpreisträger Peter Handke, der
so viele Essays, von ihm »Versuche« genannt,
über alles Mögliche geschrieben hat – einen
Versuch über die Juke box, einen Versuch über die
Müdigkeit, einen Versuch über den Pilznarren –,
nicht auch einen Versuch über die Dickwan
digkeit unternommen hat. Die Dickwandig
keit, die wär’s doch gewesen! Wo er doch selbst
ein höchst dickwandiger Autor ist, dessen
Prosa Sound das Ohr des Lesers schon füllt, be
vor auch nur ein Quäntchen Inhalt sich be
merkbar macht. Und wie in der Jugendherber
ge der Kräutertee seine widrige Wirkung noch
gar nicht voll entfaltet hat, wenn schon das
fette Steingut einen ersten Würgereiz bewirkt
- als Warnung gewissermaßen –, so haben auch
manche HandkeTrinker gleich nach dem ers
ten Nuckeln an der Flasche gefährlich einen
sitzen oder auch schon an der Waffel. Und
apropos – wie wäre es mit einem »Versuch über
die Waffel« oder einem grundlegenderen »Ver
such über das Sitzen«? Das Schriftstellern ist
doch eine ungemein sitzende Tätigkeit! Gott
fried Benn hat sogar einmal behauptet, die
ganze Kultur des Abendlandes sei »im männli
chen Sitzen« entstanden. Jedenfalls ist sie nicht
beim Pilzesammeln entstanden oder beim Ein
werfen von Münzen in eine Juke box. Schon
eher lässt sie sich als ewiger Kampf zwischen
Porzellan und Steingut begreifen, und der Ge
danke liegt nahe, dass Letzteres einstweilen den
Sieg davongetragen, zumindest den Nobelpreis
bekommen hat. Insofern hat es damit, wie
überhaupt alles in Schweden, seine politische
Richtigkeit. Wir wetten sogar darauf, dass
Handke seine Dankesrede als Versuch über die
politische Richtigkeit anlegen wird. FINIS
Das
Letzte
- OKTOBER 2019 DIE ZEIT No 44 FEUILLETON 61
Letzte Woche, mitten in der Syrienkrise, war ich in
Washington. Als ich Trumps TexasRede hörte, sah
ich Erdoğan in ihm. Dasselbe Agitationstalent, die
selbe diskriminierende Sprache, derselbe beleidigen
de Stil, derselbe Hass auf die Medien. Intoleranz
gegen jede Opposition und alle, die anders sind. In
Fahne, Nationalismus und Glauben verpacktes Prot
zen: »Ich bin der Größte.« Ein polarisierender Politik
stil, der sich mehr auf die Provinz denn auf Groß
städte, mehr auf Bildungsferne denn auf Studierte
stützt. Eine Haltung, die weniger einem Staatsmann
als vielmehr einem Firmenboss entspricht. Eine Bas
taMentalität, wie sie autoritären Persönlichkeiten
eigen ist. Die Abneigung gegenüber Teamarbeit, die
Unfähigkeit, dazuzulernen, die Gewohnheit, die
Bürokratie möglichst zu umgehen und lieber mit den
eigenen Schwiegersöhnen zu arbeiten ...
Die beiden einander in Hassliebe verbundenen
Männer änderten letzte Woche das Schicksal des
Nahen Ostens, der eine mit dem Abzug von Sol
daten aus Syrien, der andere mit dem Einmarsch
in das Land. Beide hatten sich mit niemandem be
raten. Der eine dirigierte mit seinen berühmten
Tweets, der andere mit seiner nationalistischen
Rhetorik. In den USA wehrten sich die – im Ge
gensatz zur Türkei noch lebendigen – Institutio
nen dagegen: Kongress, Senat, Medien, Justiz und
Zivilgesellschaft wollen keinem die Alleinherr
schaft überlassen. In der Türkei hingegen sahen
sich Kriegsgegner dem Vorwurf des Verrats und
Erdoğans Empörung ausgesetzt.
Trump interessierte diese Empörung allerdings
nicht. Der USPräsident prügelte per Tweet, State
ment und Brief auf Erdoğan ein. Er drohte nicht nur
damit, die türkische Wirtschaft zu zerstören, wenn
man in Syrien die vereinbarten Grenzen überschritte,
sondern schrieb zudem einen allen diplomatischen
Gepflogenheiten widersprechenden, entsetzlichen
Brief mit der Ermahnung: »Geben Sie nicht den
harten Kerl! Seien Sie kein Narr!« Erdoğan, der im
Land alle, die sich weit weniger trauen, umgehend
ins Gefängnis schickt, nahm Trumps Beleidigung
Über die Hassliebe,
die Trump und Erdoğan verbindet
VON CAN DÜNDAR
Schwiegersöhne
statt Bürokratie
MEINE TÜRKEI
(163)
schweigend hin. Denn in den USA eingeleitete Ermitt
lungen hatten sein Vermögen und das seiner Familie aufs
Tapet gebracht.
Doch Erdoğans Schweigen verhinderte nicht, dass
Trump in der Türkei zum Hassobjekt wurde. Gleiches
beobachtete ich in den USA in Bezug auf Erdoğan. In
den letzten beiden Wochen wetteiferten TrumpAnti
pathie in der Türkei und ErdoğanAntipathie in den
USA miteinander.
Doch wie stehen beide im eigenen Land da?
Trump ist seit geraumer Zeit mit dem Impeachment
Bestreben des Kongresses beschäftigt. Nach dem Be
schluss des SyrienRückzugs, der im Pentagon, im
Außenministerium und selbst in seiner eigenen Partei
auf Kritik stieß, nahm das Verfahren weiter Fahrt auf.
Bei Erdoğan ist es umgekehrt: Nachdem er Istanbul ver
loren hatte, konnte er nun den beschleunigten Aderlass
seiner Macht aufhalten mit dem Beschluss, nach Syrien
einzumarschieren. Es gelang ihm, die Opposition auf
zulösen, Parteineugründungen ehemaliger Weggefährten
zu verzögern, seine Alleinherrschaft zu stabilisieren, ein
neues Klima des Ausnahmezustands herzustellen
und die Wirtschaftskrise hinter Kriegsgeschrei zu
verbergen.
Giftige Frucht dieser Hassliebe ist, dass die
Rolle des Spielmachers in Syrien wie auch im ge
samten Nahen Osten Putin bleibt – und die Be
freiung der ISBanden, die von den Kurden mit
Mühe in Gefängnissen unter Kontrolle gehalten
wurden. Hinzu kommt noch die tiefe Enttäu
schung der Kurden, die sich verraten fühlen, und
ihre Suche nach neuen Verbündeten. Die Aus
wirkungen dieser Entwicklungen werden wir erst
richtig in den nächsten Jahrzehnten spüren.
Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe
Can Dündar ist Chefredakteur
der Internetplattform »Özgürüz«.
Er schreibt für uns wöchentlich
über die Krise in der Türkei
NACHRUF
Fotos: Barbara Klemm/FAZ; Andreas Pein/laif (u.); Illustration: Pia Bublies für DIE ZEIT
NACHRUF
Wi rtrauernumde nPräsidentender
PsychotherapeutenkammerBremen
HansSchindler
*6.7.1 952 †8.1 0.2019
HansSchindlerwaralsPräsidentderPsychotherapeutenkammerBremenMitglied
desLänderratsderBundespsychotherapeutenkammer.
ErwirkteseitvielenJahreninunterschiedlichenbundesweitenGremienmit.
Wi rverlier eneinenaußerordentlichengagiertenKollegenundliebenswertenMenschen.
SeinEngagementfürdieBelangederPsychotherapeuten,seineweitblickende,
einsatzbereiteundkollegialeMitwirkungundseineFähigkeit,einekonstruktiveund
freundschaftlicheAtmosphäreherzustellen,werdenunssehrfehlen.
UnseraufrichtigesMitgefühlgiltseinerFrauundseinenKindern.
Der VorstandunddieMitarbeiterinnenundMitarbeiter
derBundespsychotherapeutenkammer
DiePräsidentinnenundPräsidentenderLandespsychotherapeutenkammern
DOROTHEABUCK
*5.April1917 †9.O ktober2019
IhrlangesLebenlanghatsieunsundvieleandere
inspiriertundermutigt,derinneren
–menschlich en–Stimmezufolgen,sichfreizu
machenvonengenKonzeptenundDogmen.
DamitverändertesienichtnurdiePsychiatrie,
derenVerbrechensieüberlebte.
IhreIdeenlebenweiter.
AntonundThereseFischer
AlexandraPohlmeier,ThomasBock,GyöngyvérSielaff,
GabrieleHeuer,FritzBremer,
HansKrieger,PoulErikHansen,UteBecker,
GwenSchulz,KlausNuißl,MonikaSchöne,
KlausDörner,MichaelaAmering,PhilipOsten,
CharlotteKöttgen,ChristianNiraese,FrankSchneider,
AndreasHeinz
(PräsidentderDeutschenGesellschaftfürPsychiatrie,
PsychotherapieundNervenheilkunde)
DorotheaBuckStiftung,IrremenschlichHamburge.V.,
Ex-InDeutschland,Psychoseseminare,
DeutscheGesellschaftfürSozialePsychiatrie,
Dorothea-Buck-Haus
Wir trauern um
SEBASTIANMORCHE
*8.A pril 19 78 †17. Oktober2019
Bestürzt und tief betroffen nehmen wir Abschiedvon
unserem Internatsleiter Sebastian Morche.
Plötzlich und völlig unerwartetverlieren wir nichtnur
einen geschätztenKolleg en,sondernauch eine
einzigartige,warmherzige Persönlichkeit.
Mit seiner Sichtauf die Dinge und seiner entspannten
und väterlichen Art hateresverstanden,
inden 8Jahrenseines Wirkens eine ganze Generation
vonSchülerinnen und Schülern als Mentorzubegleiten.
Er warnicht nur Erzieher.
Er warLebensbegleiter und Freund.
In stillem Gedenken und tiefem Mitgefühl.
SCHLOSSHEESSEN|PrivatschuleundInternat
Vorstand, Belegschaft, Schülerschaft, Elternschaft