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Berliner Zeitung·Nummer 249·26./27. Oktober 2019 (^3) ·························································································································································································································································································
burgischen Landesmuseum.Streit-
objekt war dasMotiv damals den-
noch.Angeblich„empörteLeser“be-
schwerten sich nach derEröffnung
der X. Kunstausstellung inTageszei-
tungen über die „unsozialistischen
Bilder“. Diepeinliche „Debatte“
nahm derartlächerlicheFormen an,
dass der Kulturminister fürKunst,
Dietmar Keller,sich genötigt sah, in
der Gewerk schaftszeitungTribüne
eine energische Verteidigung der
Künstler und ihrerBilder zu veröf-
fentlichen.Zwar kamen darin nicht
die Begriffe Glasnost und Perstroikja
vor, aber zu lesen war davon zwi-
schendenZeilen.
Auch an ClemensGröszers„Dia-
bolospieler“, einem Selbstbildnis
des Berliner Malers vorbrutalisti-
schen Mauerblöcken, stießen sich
einige Möchtegern-Zensoren, die
aber nicht zumZuge kamen.Auch
HaraldMetzkesvielsagender„Kulis-
sensprung“wurdebeargwöhnt.Und
vorallem das publikumsmagneti-
sche„A.P.,geboren1949“desLeipzi-
gersWolfgangPeuker.Erh atteseine
melancholisch schwarzgekleidete
jungeFrauvormBrande nburgerTor
gemalt,ernstblickendvordemdeut-
sche nWahrzeich en,vonOstseiteher
systemerhaltend verrammelt, ver-
mauert,waffenstarrendbewacht.
Bilder wie die genannten boten
nichtnurexzellenteMalerei,siewa-
rendemPublikumauchProjektions-
bild eigener Frustrationen und
Sehnsüchte.Und allenWiderstän-
den ängstlicher oder verbohrter
KunstfunktionärezumTrotz.
Manche Motive interpretieren
wir heute anders.Ist ja eineMenge
passiert,seitwirsievor32J ahrenso
eng zusammen sahen.DieWelthat
sichverändert,diepolitische,diege-
sellschaftliche Landkarte.Alles ist
anders.Der Kalte Krieg ist Ge-
schichte.Aberwirhabenglobalneue
Krisen, schreckliche Kriege,Terror,
Gewaltakte,Katastrophen.
Jürgen Wenzels„Schlachthaus-Se-
rie“von1984,diedergeschundenen
Kreatur undNaturschlechthin galt,
hat nichts eingebüßtvonihrer Bot-
scha ft.Vomexpressiv-abstraktenBild
„Kaspar ,Abwicklung einesPorträts“
lässt sichGleiches sagen. UndGer-
hard Schwarz’„Bauwag en“, das
schwermütigePorträteinesArbeiters
auf Montage,ist ein sperriger Anti-
held der herrschenden Arbeiter-
klasse.DiagnosendesSystemverfalls
indenspätenAchtzigerjahrenfinden
sich in dieser Rekonstruktion der
denkwürdigen letzten DDR-Kunst-
schau.DorisZieglerh atin„Selbstmit
Sohn“,1987,imStileder NeuenSach-
lichkeit zwei nackteFiguren imAte-
lier gemalt: angreifbar,verletz lich,
das Ambiente karg. Künstlersein in
einergeschlossenenGesellschaft.An-
gela Hampel befragte mit „Paarun-
gen“ Konflikte zwischen Mann und
Frauim Sozialismus,Identitätssuche
kollidier tmitdem Versuch,Entfrem-
dung zu überwinden. UndNeo
Rauch,heuteeinerderberühmtesten
Maleraus Deutschl and,setzte 1987
fürdieDDR-Kunstschauimexpressi-
venStileindystopischesMotivaufdie
Leinwand,fürdasermitSonnenbrille
malte: EinAnblick derEnge,dieser
Mann auf einem Metallbett, starr,
hoffnungslos,umgebenvonbleier-
ner Zeit; im Sessel ei ne wie verzwei-
felt zusammengekauerte weibliche
Gestalt.
LukullischeBilder gab es damals
nicht auf der X.Kunstausstellung.
WirbegegnennunwiederdenMeta-
pherneiner zerbrochenen Gesell-
schaftsvision und aufUtopieermü-
dung–denabgestürztenIkarus ,den
aus dem brennenden Welttheater
rennendenPromet heus ,wie Wolf-
gang Mattheuer ihn für die letzte
DDR-Kunstschau malte.Und auf
den erschöpften Sisyphos.Alles
Stellvertretergestalten zwischen
Pflichterfüllung undKetzerei. Hon-
eckers Kultur-Versprechen der
„Weite undVielfalt“wurdeimMau-
erland bis zuletzt als spießbürgerli-
ches,demagogischesKorsetterlebt.
Daswar auchHauptthema auf
dem Künstler-Verbands-Kongress
zumFinalederletztenKunstausstel-
lung der DDR.Derendete imFrüh-
jahr1988miteinerVerbal-Revolteim
BerlinerPalastder Republik,im Saal
derVolkskammer.Esr umor temäch-
tig in der DDR-Künstlerschaft.Die
MutigstengingenansMikrofon:Der
Maler Trak Wendisch griff diever-
greiste Staatsmachtan,verlangteim
NamenallerKolleginnenundKolle-
genmehrFreiheit,Demokratie,Mo-
dernität–stilistisch–undauchbeim
AnschauenderWelt.
SO ETWAS GAB ES NOCH NIE!Esging
imKünstlerverbandderDDRzuwie
im britischenUnterhaus:Proteste
gegenStarrsinn,Geschrei. DiePresse
wurdeauf Befehl der Kulturfunktio-
näreaus de mSaalgewiesen.Nichts
durfte nac haußen dringen.Die
DDR-Me dienbekameneinenMaul-
korb verpasst undkrampften sich
eine euphemistische bisverlogene
Berichte rstattungab. UnddieWest-
medie n, obwohl subversiv mit den
ManuskriptenderAufmüpfigenver-
sorgt,schwiegen–vorerst –,umd en
„Reformprozess“nichtzu stören.
Nach zähem Streit wählte die
DDR-Künstlerschaft ihrenzulet zt
nurnochversteiner tagierendenVer-
bandspräsidenten Willi Sitteab.
Nachfolger wurdeClaus Dietel, ein
derBauhausidee zugewa ndter
FormgestalterundFreigeist.Aberes
warzuspät: DerAufbruchauchder
Kunstineine reformierte,freie,de-
mokratischeDDRkamnicht.
DieDresdner Erinner ungandie
Schau von1987/88verläss tmanmit
derErkenntnis,dassdieBilderdieses
Finales im Jahr vordem Fall der
Mauerein Lehrstück derhohen
KunstkünstlerischerMimikrywar.
DIE AUSSTELLUNG
Das Original:Die X. und letzte Zentrale
Kunstausstellung der DDR fandvorallem
im Dresdner Albertinum an der Brühl-
schenTerrasse sowie anweiteren Orten
vom3.Oktober 1987 bis zum 3. April
1988 statt. DasFinale bildete dann der
X. Kongress desVerbandes Bildender
Künstler der DDR, auf dem die Künstler-
schaft eineVeränderung der Kunstpolitik
und mehr Freiheit–Stilistik,Themenwahl,
auch Reisefreiheit–einfo rderte und den
linientreuenVerbandspräsidenten und
ZK-MitgliedWilliSitte abwählte. Über
eine Million Besucher kamen
damals zurAusstellung.
Die Rekonstruktion:Im 30. Jahr des
Mauerfalls rekonstruiertdie St ädtische
Galerie Dresden die letzte Kunstausstel-
lung der DDR. „Das Ende der Eindeutig-
keit,Malerei aus der X. Kunstausstellung
der DDR“ heißt die Schau. Zu sehen ist
sie zum 12. Januar 2020 (Di–So 10–18,
Fr 10–19 Uhr).
IngeRuthe
erlebte in Dresden ein wah-
res Gewitter der Déjà-vus.
Clemens Gröszer:„Der Diabolospieler“, 1986, Mischtechnik, Collage auf Leinwand
VG BILDKUNST BONN 2019 VG BILDKUNST BONN 2019/DAUERLEIHGABE DER SAMMLUNG LUDWIG IM MUSEUM DER BILDENDENKÜNSTE LEIPZIG
Trak Wendisch: „Frau vormFernseher“; 1984 VG BILDKUNST BONN 2019/ BRANDENBURGISCHES LANDESMUSEUM COTTBUS/FRANKFORT(ODER)