Berliner Zeitung - 26.10.2019

(Ron) #1

Newcastle Reunited


PrefabSprouthattenkeinegroßenHitsund
spieltennieinArenen,aberihrRufistgewal-
tig. MitSir Paul McCartney,Brian Wilson,
Elvis Costello seien hier nur ein paar ihrer
prominentenVerehrer genannt.Undwer
sich einwenig mehr für ihreMusik begeis-
tert, weißnatürlich,dassdieseBandeigent-
lich einEin-Mann-Unternehmen namens
Paddy McAloon ist.DerinN ewcastle gebo-
reneKünstlerproduzierteinden80er-Jahren
miteinerRiegetreuerZuarbeitereinenSatz
spektakulär kunstvollerPop-Alben, die ihm
aberwitzigeLobeshymneneinbrachtenund
Vergleiche mitShakespeare.Wobei die Plat-
tenabereineSpurzu raffiniertfürdie Mas-
sen waren undMcAloon ein lichtscheuer
EinsiedlermitfragilerGesundheitist,wasdie
Karrier evonPrefabSproutletztlichzumEr-
liegen brachte.Den meistenVerehrer ngilt
das Album„SteveMcQueen“ als seinMeis-
terwerk ,aber „Jordan: TheComeback“ ist
mindestens so toll:In Bestformbeschwört
McAloon hier allerlei biblische Charaktere
undträumtdavon,dassElvisseinenTodnur
vorgetäuscht habe.Produziertwurde das
Doppelalbum1990vonThomasDolby. Nun
wurde dieser Lichtblick klanglich aufpoliert
undauf Vinylfrischaufgelegt.Undesh alten
sichhartnäckigGerüchte,dassMcAloonsich
in naher Zukunft
mit neuer Musik
zurückmelden
könnte.

Prefab Sprout:
Jordan:The Comeback
(Remastered)
Legacy (SonyMusic)

Vonsehr weit her


Hieristnichtsvertraut.VondemMomentan,
alsdertitelgebende„ZorroVela“vomPlane-
tenOneiroinG estalteinessprechendenRa-
ben aufRenés Fensterbank sitzt und dem
Jungenmitteilt,dassergemeinsammitihm
dieErderettenmuss,begibtmansichinei-
nenWirbelsturmfantastischerGeschichten.
ZorroVela, dessen„normale“Gestalt der in
derDDRlebendeRenéausdenheimlichge-
lesenenWestcomicskennt,wirdsichnochin
andereWesen verwandeln, in irdische und
fremde aus anderenGalaxien. Im Mittel-
punkt vonNorbertZähringersRoman ste-
hen, neben derZonengrenzeinR enés Hei-
matdorf,dieDraconer.DiefürchtendieUn-
ersättlichkeit derMenschen, und um eine
Eroberung ihrerHeimat zu verhindern, ha-
ben sie einenPlan ausgeheckt: einen Krieg
aufder Erdezuentfachen.Undwog ingedas
imJahr1989besserals...genau:„Aneureral-
bernen Grenze, wo sich die beiden größten
Armeen desPlaneten argwöhnisch und bis
an die Zähne bewaffnet gegenüberstehen.“
So drückt es derZugereiste aus.René be-
kommtvonihmeinpaarMitstreiterausOst
und West zugeteilt, und dann wird
gekämpft.MitFantasie statt
Waffen. Wie1989 endete,
ist bekannt.Undeines ist
dann dochvertraut: Die
Kindersindklüger.


NorbertZähringer:
Zorro Vela
Ein Märchen aus dem Kalten
Krieg .Thienemann,Stuttgart


  1. 338S.,15Euro.
    Ab 10 Jahre


8 26./27. OKTOBER 2019


OLD SCHOOL


Tea-Time-Rock’n’-Roll


WannimmervondenganzgroßenSongwri-
ternder britischen Musikgeschichte die
Redeist,fälltderNameRayDaviesvielzu
selten.Klar,Lennon,McCartney,Jagger,Ri-
chards oderPete Townshend sind gesetzt;
aberderChefderKinkswarstetsaufAugen-
höhe.Davies,Sohn eines Schlachthofarbei-
tersausdemLondonerBezirkMuswell Hill,
fielallerdingsauchfrühalsbesonderseigen-
brötlerisch und starrköpfig auf; auch sabo-
tierte RayDavies durch dieDauerfehde mit
seinem Bruder Dave die Karrier eder Band,
dererunteranderemzeitweiligeinAuftritts-
verbotindenUSAeinbrockte.DieEntwick-
lungseinerKlassealsSongwriterinderzwei-
tenHälfteder60er-Jahrewargleichwohlehr-
furchtgebietend. Das1969 veröffentlichte
Meisterwerk„ArthurOrTheDeclineAndFall
OfTheBritishEmpire“belegtdaseindrucks-
voll. Diezwölf fabelhaftenSongs („Shangri
La“! „Victoria“!) sind wie Davies’Tagebu-
cheinträge zu Themen wieVerlust, Familie
undTraditionundvorallembritischimaller-
besten Sinne: wundersam eigensinniger
Tea-Time-Rock’n’Roll, wenn man so will.
Diese Jubiläumsedition, in derLuxus-Vari-
antemit4CDsundvier7-Inch-Singles,bie-
tet jedeMenge Bonus-Musik, frischeMixe
undein Buchmit InterviewsundEssays,das
keine Fragen offen
lässt.

TheKinks:
Arthur OrThe Decline
And Fall OfThe British
Empire(50thAnniversary
Edition)
Warner

VonChristophDallach

MülldeponiefürÜberläufer


JohnleCarrésneuesterRomanhat„denblankenIrrsinndesBrexits“zumHintergrund


E


igentlich war er schon durch mit
dem Schreiben, hatte sogar vor
zwei JahrenmitseinemletztenRo-
man eine großeAbschiedstournee
gegeben.Mit„Federball“ legt nunJohn le
Carré im hohen Altervon88J ahren doch
noch einen allerletzten nach, und schon
nachwenigenSeitenweißman,dassesnur
einenGrunddafürgibt:DerMannist zornig
underbost,weilihmderBrexitundDonald
Trumpeinfach keineRuhelassen.Jenerbe-
kommt hier so dick seinFett weg, dass es
nichtzitierfähigistunddieseZeitungaufdie
Schwarze Liste der amerikanischenSicher-
heitsbehördenbringenwürde.Dasser„eine
Bedrohung der gesamten zivilisiertenWelt“
sei,istdabeinochdieharmlosesteVariante.
Für Letzteres hält ihnEd,ein schlaksiger
Mittzwanziger und feurigerVerfechter der
europäischenIdee,der eines Tages im Bad-
mintonclubauftauchtunddenClubmeister
Natzue inem Match herausfordert.Nat, 47,
ist Spion und schnüffelte jahrzehntelang in
acht verschiedenen LändernzwischenBu-
karestundMoskauim DiensteIhrerMajestät
herum. ZurückgekehrtnachLondonleiteter
nun die Oase,„eine Mülldeponie für umge-
siedelteÜberläuferohneWert“.
Siespielenregelmäßig,Edschimpftbeim
anschließendenBier über„denHaufen rei-
cher,elitärer Schwindler“, der das Landre-
giert, undNat, unser Erzähler,hat einen di-
cken russischenFisch an der Angel, der ihn
nocheinmalzueinerwichtigenFigurimgro-
ßen Ränkespiel machen wird.Dann jedoch
geräterinschweresWasser.
WiederlässtJohnLe Carrédiejämmerli-
cheParadevonhochnäsigenenglischenGe-
heimdienstkadernund ihren katzbuckelnd-
grauen Untergebenen in jenem spöttischen
Tonschaulaufen,derihnseitdenRomanen
um den kleinen, dickenGeorge Smiley be-
rühmt gemacht hat, angefangen 1963 mit
dem„Spion,derausderKältekam“.VonEnt-
scheidungsschwächegeplagt,miteifersüch-

tigemBlickaufdieEinhaltungderHierarchie
und Befehlskette pochend,zelebrieren sie
ihreMachtüberdiePappdeckelderGeheim-
haltung,residieren in mächtigenVillen und
bereitenihreKinderaufdasLebenderEliten
vor. Diese Haltung hat leCarré vorkurzem
denRüffeleinesehemaligenLeitersdesAus-
landsgeheimdienstes MI6 eingetragen, der
ihm Zynismus und dasBetreiben von„Ge-
genspionage-Nihilismus“vorwarf. Le Carré
konterte demBrexit-Befürworter undver-
sprach ihm einen gehörigen Anstieg seiner
WutnachderLektürevon„Federball“.
Darauf wir dman nunwetten dürfen,
denndarumgehtesimKerndiesessoleicht
erzählten Thrillers mit der perlendenSpra-
che,dem gewohnt beißend-ironischenTon

Die Agentenidylle trügt: Großbritannien liegt in Scherben und wird von einem Haufen postimperialer Nostalgiker regiert. GETTY

VonGünther Grosser


John le Carré:Federball
Roman.Ausdem EnglischenvonPeter Torberg.
Ullstein, Berlin 2019. 350S.,24Euro

unddermächtigenWutzwischendenZeilen:
um „den blankenIrrsinn desBrexits“ und
das Wiederaufleben des alten feindseligen
Nationalismus,derfür Natreingarnichtszu
tun hat mit denTugenden eines gesunden
Patriotismus,dersichsehrwohlmitderIdee
Europas verbinden lässt.Densieht er viel
eherin DeutschlandamWerkundzucktda-
her zusammen, als dieDeutschen urplötz-
lichinsschmutzigeSpielzukommenschei-
nen.Danntutsichjedocheinegroßeantieu-
ropäischeVerschwörung auf, mit der die
Deutschennichtszutunhaben.
GroßeSprünge,weiteReisenundriskante
abenteuerlicheUnternehmen wie in den
großen Romanen der 80er-und 90er-Jahre
machenseineSpionenunnichtmehr;siesit-
zenind unklenBüros,wartenaufDirektiven
vonoben und organisieren aberwitzig-per-
fekte Überwachungsaktionen.Aufdie digi-
tale Spionagewelt mit ganz anderen Mög-
lichkeitenundBedrohungenfürliberaleDe-
mokratienlässtsichleCarrénichtmehrein.
IhmgehtesumdiegefährlichePaarung von
Macht, Ignoranz und Rücksichtslosigkeit,
die hinter denKulissen der trägen Bürokra-
ten und der wild zappelndenPolitiker alle
FädeninderHandhält. SeinBilddafüristdie
ruhigeParkbank,aufderNatundseineFrau
abends sitzen, während um sie herum der
Überwachungsstaat tobt und in den teuren
ApartmentsamParkranddiewirklichenEnt-
scheidungen überAufstieg undFall unserer
Gesellschaftenfallen.
AllerdingsgibtesauchnochdieIdealisten
vomSchlage einesEd.Der unternimmt et-
wasundscheuchtdenträgenHaufenhoch,
weilerüberzeugtdavonist,dassGroßbritan-
nieninScherbenliegtundvon„einemHau-
fen postimperialerNostalgikerregiertwird,
die nicht mal einen Obststand betreiben
könnten“.UnddasmeintJohnle Carréernst,
hat er doch einen irischenPass beantragt
undwilldiebritischeInselzugunstendereu-
ropäischenverlassen.

OL


JUGENDBUCH


Mittenunterihnen


Vieleskommtvertrautdaher.Dochhandelt
essichbeiKarenM.McManus’zweitemRo-
man„Twocankeepasecret“keineswegsum
einebilligeKopiedesDebüts„Oneofusis
lying“. Ja,die Titel wie dieCoversind ver-
wandt,auchdieDramaturgiehatMcManus
übernommen:ErzähltenimErstlingvierJu-
gendlicheimWechsel,soerlebtderLeserdie
dunklen Geschehnisse in der Kleinstadt
Echo Ridge aus derSicht zweierTeenager.
DerEffektisteindoppelterundhatwomög-
lich mit dazu geführt, dass dieJugendjury
„Oneofusislying“indiesemJahrfürdenJu-
gendliteraturpreis nominierthat: Manver-
folgt dieHandlung noch atemloser,will ei-
nerseits wissen, wie es mitMalcolm weiter-
geht, ist zugleich noch ganz beiEllerys Ge-
danken und Gefühlen. Wiehängen die
Todes- undVermisstenfällevondamals mit
den aktuellenzusammen?HatMalcolms
Bruderwirklichetwasdamitzutun?Wasge-
schah mitEllerys Tante Sarah? Diezweite
WirkungderDoppelperspektiveistdienoch
größereNahbarkeit derPersonen. Auch in
„Two of us keepasecret“ geht es im typi-
schenHighschool-SettingausÜber-
fliegernund Außenseitern,
Konkurrenz undEinsam-
keit um die großenGe-
fühleundkleinenSchwä-
chen derHeranwachsen-
den.Manistmittendrin.


Karen M. McManus:
Twocan keep asecret
AusdemAmerikanischenvon
Anja Galić.c bj, München 2019.
416 S.,18Euro.Ab 14 Jahre

VonBarbaraWeitzel
Free download pdf