Berliner Zeitung - 23.10.2019

(Brent) #1

Politik


Berliner Zeitung·Nummer 246·Mittwoch, 23. Oktober 2019 5 **·························································································································································································································································································

VermintesGelände


MitihremSyrien-VorstoßrütteltCDU-ChefinKramp-KarrenbauerandemPrinzipdeutscherZurückhaltunginderAußenpolitikundverwirrtdenKoalitionspartner


VonGordon Repinski und DanielaVates

E

sist ein ärgerlicherFehler.
Einer der immer passieren
kann, einVersprecher.Am
Montagabend steht Anne-
gret Kramp-Karrenbauer imStudio
desZDFinBerlin.ImHi ntergrundist
dasBrandenburgerToreingeblendet,
eineIllustrationdes„heute-journals“.
ModeratorClausKleberdrehtsichzu
derVerteidigungsministerin,fragtsie
nach ihrenPlänen für das Krisenge-
bietin Nordsyrien.„Ichmöchte,dass
wir nicht tatenlos zuschauen,wenn
wir auf denNordirak schauen“, sagt
Kramp-Karrenbauer.„Siemeinen
Nordsyrien“,korrigiertKleber.
Wenige Sätzespäter hat sich die
CDU-Politikerin wieder gefangen
underläutertihrePläne.Siewilleine
internationaleSchutzzoneaufbauen
in Nordsyrien, Deutschland soll die
Initiativeergreifen. DerISs oll be-
kämpft werden, die humanitäreSi-
tuationderFlüchtlingesollsichbes-
sern. AusdempassiventsetztenZu-
schauerDeutschland soll ein füh-
renderAkteurinderRegionwerden.
WasKramp-Karrenbauerinweni-
genMinutenim„heute-journal“um-
schreibt, wäreein Paradigmenwech-
selderdeutschenAußenpolitik.Statt
Besorgnis auszudrücken, würde
Deutschland in einer Führungsrolle
in einenAuslandseinsatz marschie-
ren.EsistdasGegenteilvondem,was
deutscheAußenpolitikindenverg an-
genen Jahren war.Denn lange hat
Deutschland, hat derWesten in Sy-
rien zugeschaut, wie das Land im


Chaos versinkt und das Machtva-
kuumvorallemvomrussischenPrä-
sidentenPutingefülltwurde.
Es ist eineInitiative, die zahlrei-
che Fragen aufwirft.Kann Deutsch-
land tatsächlich eine solche Füh-
rungsrolle in einer derartkompli-
zierten Regionübernehmen?Gibtes
überhauptnocheineChancefürden
Westen, dieDinge in Syrien zu ord-
nen?Undistdie Bundeswehrdazuin
derLage?DochauchpolitischeFra-
gen sind ungelöst. Denn über
Kramp-KarrenbauersVorstoßhaben
Teile der Regierung und derKoaliti-
onspartner erst sehr spät oder aus
denMedienerfahren.ObdieVertei-
digungsministeringenügendUnter-
stützungerhält,istmehralsfraglich.
Esist Montag,dasHandyvonAu-
ßenminister Heiko Maas leuchtet
auf, eine SMSvonKramp-Karren-
bauer.Nichts Außergewöhnliches –
mantauschtsichgernmalaus .Jetzt
aber entfällt der Austausch. Sie
werde„einen Vorschlag“ zuSyrien
unterbreiten,schreibtdieCDU-Che-
fin. Maas schreibt kurzzurück, si-
gnalisiertsein Einverständnis.Was
derVorschlag beinhalten soll, bleibt
offen. Am späten Montagabend
heißt es aus demAuswärtigen Amt,
die Initiativesei nicht abgestimmt
gewesen,voneineretwaigenmilitä-
rischen Beteiligung Deutschlands
habe Maas nichts gewusst.Hater
nichtgefragt?„VonSMS-Diplomatie
halte ich wenig“, sagt Maas am
Dienstagmittag in Berlin. „Daraus
wirdschnell SOS-Diplomatie.“ Es
knirschtinderRegierung.

DieIdee,dass Deutschland im
Syrien-Konflikt eine stärkereRolle
einnehmen müsse,nahm bereits
wenige Tage nach demEinmarsch
derTürkeiinNordsyrien Gestaltan.
Als in derverg angenenWoche die
Außenpolitiker derFraktionen im
AuswärtigenAusschuss des Bun-
destages zusammenkommen,
spricht alsErster der CDU-Abge-
ordneteRoderich Kiesewetter die
Option einer internationalen
Schutzzonean.AmSonnabendtritt
Kramp-Karrenbauer auf dem CSU-
ParteitaginMünchenauf.„Ichkann
es nicht mehr hören, dass wir be-
sorgtsind“,ruftsie ,alsesumNord-
syriengeht.

AmSonntagabendsitztsiemitden
Spitzen der großen Koalition im
Kanzleramt zusammen. Maas be-
richtet über das türkischeVorgehen
in Syrien. Eine Stunde tauscht man
sichaus .Kramp-Karrenbaueraberer-
wähnt ihrenVorschlag kein einziges
Mal. Zurselben Zeit sitzt Norbert
Röttgen,Vorsitzender desAuswärti-
genAusschusses,bei„Anne Will“.Der
CDU-Politiker forderteine europäi-
scheInitiative.„AußerdenEuropäern
wirdkeinere twastun“,beklagtRött-
gen. AmMontagmorgen lanciertder
CDU- AußenpolitikerRoderich Kiese-
wetter in einemRadiointerview den
Vorschlag einer internationalen
Schutzzone.Erwirdkonkret. 30000

bis 40000Soldaten aus EU-Ländern
könntendieseabsichern,sagter.We-
nige Stunden später schließt sich
Kramp-Karrenbaueröffentlichan,in
einemdpa-Interviewanlässlichihrer
ersten 100Tage als Verteidigungsmi-
nisterin. WaralleseinegeplanteCho-
reografie?
Ungläubigkeit. Unterdiesem
Schlagwortlasse nsichdieerstenRe-
aktionen in der SPD nach demVor-
stoß Kramp-Karrenbauers
am Montagabend zusam-
menfassen.Kein Genosse
war im Vorfeldinformiert.
„FrauKramp-Kar renbauer
hat jetzt über dieMedien
einen Vorstoß imZusam-
menhangmiteinerSicher-
heitszone in Nordsyrien
ins Gespräch gebracht.
Dass sie noch amVortag
diesen Gedankeninunse-
rerlangenBesprechung
nicht vorg etragen hat,
lasse ich mal unbewertet“, sagte
ÜbergangsparteichefinMaluDreyer
derBerliner Zeitung (Redaktions-
netzwer kDeutsch land).
Während die SPD schimpfte,be-
mühtes ichdie UnionumRückende-
ckungfürdieCDU-Chefin.Ein„muti-
gerSchritt“, findetUnionsfraktions-
geschäftsführerMichael Grosse-Brö-
mer,ein wenig vorsichtig. „Verdient
volle Unterstützung“,erklärtder au-
ßenpoli tische Sprecher derUnions-
fraktion,JürgenHardt.NurdieKanz-
lerin schwieg amDienstag auffällig
lange.Ind er Bundestagsfraktion äu-
ßertesie sic hamNachm ittagdann

schließlich doch–unterstützend für
ihreMinisterin. „Sehr vielverspre-
chend“seiderVorschlag,sagtAngela
Merkel laut Teilnehmernund „a lle-
malwert“,ausprobiertzuw erden.
EinEU-geführterEinsatz imNor-
denSyriens, der aber denSegen der
UNerforderte,wäreeinNovum.Bis-
langga besE U-Missionenlediglichin
Regionen,diekeineheißenKriegszo-
nenmehrwaren.InMalietwa,inSo-
maliaundimIrakbetreiben
europäischeSoldaten Trai-
ningsmissionen.
Theoretisch wäredas
auch in Syrien möglich,
praktisch wirddas aber
eher nicht geschehen.
Denn es müssten alleMit-
gliedsstaaten zustimmen,
wasnichtsehrwahrschein-
lichist.„Ichfragemich,wie
so ein Mandat zustande
kommen soll“, sagte am
Dienstag SPD-Fraktions-
chef Rolf Mützenichvorder Frakti-
onssitzung.EssindsolcheFragen,die
auchAußenministerMaasund Vize-
kanzler Olaf Scholz an Kramp-Kar-
renbauerrichteten,alssiedieVertei-
digungsministerin am frühenAbend
zum Acht-Augen-Gespräch mit der
Bundeskanzlerin trafen. Antworten
bekamensieoffenbarkeine.
Scholz brachte spätervorden
SPD-Abgeordneten sein Erschre-
ckendarüberzumAusdruck,wiewe-
nigkonkretdiePläneder Ministerin
seien. Kramp-Karrenbauer,sowird
er zitiert, habe das Klassenzielver-
fehlt.(mit mdc., ani., köp,kor.)

Annegret Kramp-
Karrenbauer
(CDU)

DPA

Angehörige betrauernSoldaten der Demokratischen Kräfte Syriens, die im Kampf mit türkischenTruppen gefallen sind. AP


Türkische Militäroffensive in Syrien


syrischen Rebellen

Gebiet kontrolliert von
syrischer Regierung Kurden Türkei

SYRIEN

TÜRKEI

Homs

Idlib

Tall
Abjad

Ras
al-Ain

Aleppo

Kobane

ManbidschManbidsch

KamischliKamischli

Tell Tamer
Al-Hassaka
Ain Issa

Stand Oktober 2019

IRAK

LIBANON

Mittelmeer

Euphrat

dünn
besiedelte
Gebiete

50 km

BLZ/GALANTY; QUELLE: ISW, DPA

Angriffe syrischer Regierungstruppen,
unterstützt von russischen Soldaten

Hauptangriffspunkte der
türkischen Bodenoffensive

Abzug von
US-Soldaten

Vonder Türkei
angestrebte
„Sicherheitszone“

Russisch-türkischeEinigung


InSotschieinigensichPutinundErdoganaufeinMemorandum,dasdieLageinNordsyrienentspannenkönnte.AufKostenderKurdendort


VonStefan Scholl

H


err Erdogan hat mich in allen
EinzelheitenüberdieZielesei-
ner Operation aufgeklärt“, sagte
Russlands PräsidentWladimirPutin
sichtlich zufrieden über seinen tür-
kischenKollegenRecepTayyipErdo-
gan.„Undwirhabenmehralseinmal
erklärt,dasswirdieSchrittederTür-
keimit Verständnisbetrachten.“
NachmehralssechsStundenVer-
handlungeneinigtensichbeidePrä-
sidentenaufeinrussisch-türkisches
Memorandum,dassdieSituationin
NordsyriennachdemEinmarschder
türkischen Truppen entspannen
soll.


DasZehn-Punkte Papier ver-
pflichtet beideSeiten auf die Aner-
kennungderpolitischenEinheitund
derterritorialenUnversehrtheitSyri-
ens.AußerdemaufdenKampfgegen
Terrorismus in all seinenFormen
und gegen alle separatistischenBe-
wegungenaufsyrischemGebiet.Die
32KilometerbreiteSicherheitszone,
diedieTürkeigeforderthatte,wurde
bestätigt, derAbzug der kurdischen
VerbändeausdemGebietinnerhalb
von150 Stunden sollvonsyrischen
SoldatenundrussischenMilitärpoli-
zisten kontrolliertwerden. Außer-
dem sollen es gemeinsam türkisch-
russischePatrouillenimGrenzgebiet
geben. Manwill auch die freiwillige

chefhattegedroht,ihnendie„Köpfe
zu zerq uetschen“, sollten sie bis
Dienstag22UhrdievonAnkarabe-
anspruchtePufferzone nichtverlas-
senhaben.AndiesemMittwochum
zwölf Uhrstartete ein neuerCount-
down: der Abzug der kurdischen
Kämpfer,den nun auchrussische
Militärsoldaten überwachen. „Alle
Terroristenwerden aus demGebiet
weggeschafft“, sagteErdogan. Und
Putin seinerseits erklärte mit einem
SeitenhiebaufdiefrühereUnterstüt-
zungderUSAfürdieKurden,der Se-
paratismusinSyriensei„vonaußen
angeheizt“worden.
Offenbar sind die nordischen
KurdendiegroßenVerliererderEini-

und friedliche Rückkehr derFlücht-
lingesicherstellenunddiepolitische
Lösung des Konfliktes fortsetzen.
„Diese Beschlüssesindsehrwichtig,
wenn nicht schicksalhaft“, erklärte
Putin auf der gemeinsamenPresse-
konferenz.

NeuerCountdown
AufjedenFallkönntensiedieLagein
Nordsyrien erheblich entspannen.
Während derVerhandlungen inPu-
tins Schwarzmeerresidenz Bogat-
schowRutschej neigte sich die 120-
Stunden-Frist dem Ende entgegen,
die Erdogan aufDrängen der USA
den nordsyrischen Kurden einge-
räumt hatte.Der türkischeStaats-

gung zwischenErdogan undPutin.
Erst zwang die türkische Offensive
die vonden AmerikanernimS tich
gelassenen Kurdenführer vergan-
geneWoche,ihren altenGegner As-
sad umWaffenhilfe zu bitten.Nun
verpflichten sichRussen undSyrer
aber gemeinsam gegenüber dem
türkischenFeind, ihren Rückzug zu
überwachen.
Vordem Gipfel hatte derrussi-
sche AußenministerSergej Lawr ow
eine Lösung aufGrundlage des sy-
risch-türkischen Adana-Abkom-
mensvorgeschlagen,mitdemErdo-
gan seinerseits den türkischenEin-
marsch gerechtfertigt hatte.Das
Adana-Abkommmen wurde eben-

fallsim Memorandumangeführt.Es
erlaubttürkischenTruppenbeieiner
„Bedrohung durchTerroristen“, bis
zu15 KilometeraufsyrischesGebiet
vorzudringen. Lawrow ließ aber be-
reits durchblicken,Russland hätte
nichts gegen einvernehmliche Än-
derungen desAbkommens einzu-
wenden.NunkönnendieTürkenbis
aufweiteresaufeinem32Kilometer
breiten Streifenoperieren,lassenih-
rerseitsrussisches Militärins Grenz-
gebiet.
Über die Schaffung der in
Deutsc hland diskutiertenSicher-
heitszoneunterTeilnahmederBun-
deswehr ,verloren Erdogan undPu-
tinkein Wort.
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