Handelsblatt - 25.10.2019

(Ron) #1
Mythos Vielflieger
WOCHENENDE 25./26./27. OKTOBER 2019, NR. 206
57

in der gleichen Allianz ist. Austrian gehört zur Star
Alliance, Aeroflot ist Mitglied beim Wettbewerber
Sky Team. Auch dort hat sich Schmitz längst den
höchsten Status erflogen. „Aber beim Service und
beim Flugnetzwerk unterscheiden die Airlines Wel-
ten“, findet Schmitz.
Nächtelang in der Luft, von einem Flieger zum an-
deren: Wird ihm das alles nicht irgendwann zu viel?
„Doch, die Phasen habe ich immer wieder, vor allem
in der Winterzeit, wo man nur noch in der Dunkel-
heit unterwegs ist“, sagt Schmitz. Er vermeide es
dann, im Flieger auf die Uhr zu gucken. Urlaub
macht er am liebsten mit dem Auto. Er fährt dann
einfach drauflos, komplett ungeplant, um seinem
durchgetakteten Leben zu entfliehen.
Reisen, weil man es muss, das kennt Achim Kam-
merer nicht mehr. Der 44-Jährige ist ein „Spaß-
HON“, wie er selbst sagt. Einer, der vor allem aus
Leidenschaft reist. Dafür gibt er eine fünfstellige
Summe im Jahr aus. Mit etwa sieben First-Class-Trips
schafft er es, seinen HON-Status zu halten. Auch
Kammerer hat vor Jahren sein eigenes Unternehmen
gegründet, berät mit seiner Kammachi Consulting
Firmen in SAP-Fragen. Er wurde HON, weil er über
einen längeren Zeitraum einen Kunden in Brasilien
betreute. Damals merkte er, wie luxuriös man flie-
gen kann – und will den Status seitdem nicht mehr
missen.
Kammerer, schwarzes T-Shirt, die langen Haare
zum Pferdeschwanz gebunden, empfängt im Düssel-
dorfer Hilton, einem zwischen Schnellstraßen einge-
schlossenen Betonklotz im Norden der Stadt. Eigent-
lich hat das Hotelrestaurant „Max“ heute geschlos-
sen. Doch für Kammerer und seine Gäste ist
trotzdem eingedeckt. Kammerer übernachtet fast je-
de Woche hier. Dank seiner vielen Nächte im Hilton
ist er schon seit Jahren Diamond-Mitglied. Das ist der
höchste Status bei der US-Kette. Und für einen „Dia-
mond“ öffnet man eben auch mal ein geschlossenes
Restaurant, wenn der treue Kunde das verlangt.
In der gespenstisch leeren Kulisse, den Mixed-
Grill-Teller vor sich, erzählt Kammerer, was ihn an
der Fliegerei so fasziniert. Er liebt das Unterwegs-
sein, rauszukommen aus dem Alltag, mal von woan-
ders zu arbeiten, neue Eindrücke. Als er vor Kurzem
mit seiner Freundin in Tokio war, sind sie jeden Tag
20 Kilometer durch die Stadt gelaufen, ohne eine
einzige Sehenswürdigkeit anzuschauen. „Wir haben
uns treiben lassen, Viertel gesehen, in denen es kei-
ne englische Speisekarte gibt“, erzählt Kammerer.
Wenn er zusammen mit Leuten reist, die zum ers-
ten Mal in der First sitzen, beobachtet er immer die
gleichen Verhaltensmuster: „Die wollen dann so viel
wie möglich essen und trinken, jeden Film gucken,
alles mitnehmen, was geht.“ Er sei da mittlerweile
viel entspannter, genieße lieber vor dem Flug das
Restaurant im Frankfurter First Class Terminal, zu
dem HONs bei jedem Flug Zutritt haben – separate
Passkontrolle, Schlaf- und Duschmöglichkeiten so-
wie privater Limousinen-Service zum Jet inklusive.
Lufthansa führte den HON-Status 2004 ein. Die
Idee vom damaligen Vorstandschef Wolfgang Mayr-
huber ging auf: Die Airline verkauft seitdem mehr
First-Class-Tickets, ohne die sich der Status nur
schwer erreichen lässt. Wie sehr das Kundenbin-
dungsprogramm funktioniert, zeigt der Leidensbe-
richt eines prominenten früheren HONs gegenüber
dem Handelsblatt: Der Mann war von der ersten
Stunde mit dabei und wollte es auch bleiben. Für ei-
nen Vortrag in Mexiko verlangte er daher vom Ver-
anstalter kein Honorar, sondern ein First-Class-Ti-
cket. Der Flug hätte den Status gerettet. Doch die
Maschine gen Mexiko konnte an jenem Tag im No-
vember 2016 nicht starten – erst wegen schlechten
Wetters, später wegen des Nachtflugverbots in
Frankfurt. Seitdem ist der einstige HON nur noch Se-
nator. „Das hat wehgetan“, sagt er. Die Senator-
Lounge komme ihm nun vor wie eine bessere Bus-
haltestelle.






Neue Konkurrenz für
Miles & More

Eigentlich sind Lufthansa und die türkische Flugge-
sellschaft Turkish Airlines seit mehr als elf Jahren
Partner in der Star Alliance. Doch Harmonie
herrscht nur nach außen, zwischen Frankfurt und
Istanbul tobt seit Jahren ein Streit um Bonusmeilen
und zahlungskräftige Vielflieger. Nach dem Beitritt
zur Star Alliance startete Turkish für mehrere Jahre
einen aggressiven Preiswettbewerb, um Marktan-


Schöner Fliegen


Die besten Tricks für


Meilensammler



  1. Einen Status matchen
    Immer wieder gibt es Angebote von Air-
    lines, die einen bereits vorhandenen Status
    bei einem Vielfliegerprogramm der Konkur-
    renz übernehmen. Sehr selten wird der Sta-
    tus direkt „gematched“. Airberlins Vielflie-
    gerprogramm Topbonus hat das früher oh-
    ne Probleme gemacht: Ein Foto der
    anderen Vielfliegerkarte und ein Auszug
    aus dem Meilenkonto reichten in der Regel.
    Auch Turkish Airlines oder Iberia haben ihre
    Statuskarten in der Vergangenheit schon
    sehr freimütig herausgegeben. Bei vielen
    Programmen gibt es heute eine „Match-
    Challenge“: Der Kunde muss dann zwar ei-
    nige Male fliegen, aber weit weniger, als
    dies normalerweise für den betreffenden
    Status der Fall wäre. Hat man die entspre-
    chenden Meilen oder Segmente zusammen,
    erhält man den Status dauerhaft. Aktuell
    gibt es solche Aktionen etwa bei Delta, Uni-
    ted, Turkish Airlines oder der chilenischen
    Latam.

  2. Sammeln in Istanbul
    Etwas abfällig schauen Lufthansa-Fans auf
    Statuskarten von Aegean und Turkish Air-
    lines. Denn die Vielfliegerprogramme der
    Fluggesellschaften aus Griechenland und
    der Türkei bieten einen viel einfacheren
    Weg zum Star-Alliance-Goldstatus. Bei
    Miles + Bonus von Aegean (Spitzname:
    „Gyrosgold“) gibt es den Goldstatus be-
    reits nach 36 000 Statusmeilen und sechs
    Flügen mit den Griechen innerhalb von
    zwölf Monaten. Zum Vergleich: Für Luft-
    hansas Senator sind 100 000 Statusmeilen
    in einem Kalenderjahr nötig. Bei Turkishs
    Programm Miles & Smiles („Dönergold“)
    reichen 40 000 Statusmeilen in zwölf Mo-
    naten aus. Die US-Airline United, ebenfalls
    Mitglied der Star Alliance, stellt ihr Status-
    system ab 2020 um. Künftig lässt sich der
    Goldstatus mit einer Kombination aus 24
    qualifizierenden Flügen und Ausgaben in
    Höhe von 8 000 Dollar erreichen – oder nur
    über die Grenze von 10 000 Dollar, wobei
    Steuern und Gebühren beispielsweise nicht
    mit in die Ausgaben zählen. Eine der größ-
    ten Absurditäten: Mit dem Goldstatus von
    United darf man selbst dann in die Lufthan-
    sa-Lounge, wenn man bei Eurowings nur
    den billigsten Basic-Tarif bucht. Das darf
    man als Lufthansa-Vielflieger nicht.

  3. Mit 40 Flügen zum Katzengold
    Die afrikanische Airline Ethiopian ist ein
    Geheimtipp unter Vielfliegern. Bei deren
    Programm Sheba Miles (Spitzname: „Kat-
    zengold“) braucht man nur 40 Flugseg-
    mente innerhalb eines Jahres, um den be-
    gehrten Star-Alliance-Goldstatus zu be-
    kommen, der auch die Türen in die Senator
    Lounge der Lufthansa öffnet. Man muss
    dafür nicht ein einziges Mal mit Ethiopian
    selbst fliegen. Es reichen auch Flüge mit
    den anderen Partnern der Star Alliance wie
    etwa Swiss oder Lufthansa. Allerdings gel-
    ten nicht alle Buchungsklassen als zählba-
    res Segment. Bei der Lufthansa wird zum
    Beispiel die günstigste Economy-Klasse K
    nicht gewertet Wer viel in teureren Bu-
    chungsklassen unterwegs ist und vor allem
    auf kurzen Europastrecken fliegt, kommt
    so schnell in den Genuss des Goldstatus.
    Fliegt man mit Eurowings, bringt einem
    Sheba Miles aber nichts: Da Eurowings kein
    Mitglied der Star Alliance ist, kommt man
    mit einem Goldstatus von Ethiopian nicht


in die Lounge und kann dafür auch keine
Meilen sammeln. Dazu braucht man dann
wieder mindestens den eigentlich niedrige-
ren Frequent-Traveller-Status (FTL) der
Lufthansa, den es für 30 Flugsegmente
binnen eines Jahres gibt.


  1. Fast Lane per Kreditkarte
    Eurowings bietet seit einigen Jahren eine
    eigene Kreditkarte in Kooperation mit der
    britischen Bank Barclays an. Jeder Euro,
    der mit der Karte umgesetzt wird, ent-
    spricht einer Meile im Vielfliegerprogramm
    „Boomerang Club“. Ein Freiflug in der güns-
    tigsten Klasse lässt sich bei Eurowings ab
    10 000 Meilen buchen, geringe Steuern und
    Gebühren kommen noch dazu. Im ersten
    Jahr kostet die Karte nichts, in den Folge-
    jahren werden für die Gold-Variante 69
    Euro fällig. Dafür hat diese Karte aber, im
    Gegensatz zur Miles-&-More-Kreditkarte
    der Lufthansa, mehrere Vorteile: Bucht man
    seinen Eurowings-Flug mit der Karte, kann
    man an den großen deutschen Flughäfen
    und auch an einigen europäischen die Fast
    Lane bei der Sicherheitskontrolle benutzen.
    Auch einchecken darf man mit der Kredit-
    karte am Priority-Counter – ganz ohne Viel-
    fliegerstatus. Und wer mit Kindern unter
    zwölf Jahren reist, bekommt immer ein kos-
    tenloses Gepäckstück dazu.

  2. Lounge bei jedem Flug
    Wem es vor allem um die Lounge vor dem
    Flug geht, um zu essen und zu arbeiten,
    braucht nicht unbedingt einen Status bei
    einer Airline. Mit dem Priority Pass lassen
    sich weltweit mehr als 1 200 Lounges be-
    suchen, egal, mit welcher Airline oder in
    welcher Buchungsklasse man unterwegs
    ist. 399 Euro zahlt man pro Jahr für die
    Prestige-Mitgliedschaft, damit sind alle
    Lounge-Eintritte kostenlos. Wer viel unter-
    wegs ist, sollte auch einen Blick auf die
    Platinum-Card von American Express wer-
    fen. Die teuerste Reisekreditkarte in
    Deutschland (660 Euro im Jahr) hat die
    Prestigevariante des Priority Pass schon
    inkludiert. Der Pass gilt automatisch für
    den Karteninhaber und den Zusatzkarten-
    inhaber. Die Platin-Amex, mit der der Han-
    delsblatt Wirtschaftsclub eine Partner-
    schaft eingegangen ist, bietet noch andere
    Vorteile. Etwa ein Reiseguthaben von jähr-
    lich 200 Euro, über das sich bei Amex Rei-
    sen buchen lassen, ein 200-Euro-Gutha-
    ben bei der Taxi-App Sixt Ride und einen
    automatischen Hotel-Status bei Ketten wie
    Hilton, Marriott und Radisson. Auch deut-
    sche Banken geben Kreditkarten heraus,
    die bereits Loungezugang beinhalten, et-
    wa die Mastercard Platinum von der Spar-
    da Bank Hessen, die Visa Infinite von der
    Hypo-Vereinsbank oder die Mastercard
    Platin der Deutschen Bank.

  3. Den Meilenverfall stoppen
    Nach drei Jahren verfallen bei Miles & More
    die Prämienmeilen. Abhilfe schafft nicht nur
    ein Status: Auch wer die Miles-&-More-Kredit-
    karte sein Eigen nennt, ist vor dem Verfall
    geschützt. Die Karte kostet in der günstigs-
    ten Variante knapp 55 Euro. Es kann aber
    auch anders gehen: United hat in seinem
    Meilenprogramm erst vor Kurzem den
    Verfall gestoppt. Alle Sammler können nun
    unbegrenzt sammeln, was vor allem
    Gelegenheitsfliegern entgegenkommt.
    Christian Wermke


mauritius images / Westend61
Free download pdf