Der Spiegel - 19.10.2019

(John Hannent) #1

Storch:Das ist dumm Tüch, dummes
Zeug. Sie gibt ja selbst an, dass sie aus ei-
nem behüteten Elternhaus im friedlichen
Schweden stammt. Wenn jemand das
Recht hätte, von einer gestohlenen Kind-
heit zu sprechen, dann wäre das beispiels-
weise ein 16-jähriges Mädchen aus Syrien,
das seit Jahren ums nackte Überleben
kämpft.
SPIEGEL:Ist generell zu viel Hysterie in
der Klimadebatte?
Storch:In der Tat. Wir beobachten im öf-
fentlichen Diskurs ja leider den Irrsinn,
dass inzwischen jedes Wetterextrem auf
die globale Erwärmung zurückgeführt
und damit die Illusion geweckt wird, der
Klimaschutz könnte solche Naturereignis-
se künftig verhindern. Die Leute scheinen
zu vergessen, dass es Sturmfluten, Dürren
und Hurrikane immer schon gegeben hat.
Erinnert sich noch jemand an jenen tro-
pischen Sturm, der 1970 im heutigen


Bangla desch bis zu einer halben Million
Opfer forderte?
SPIEGEL: Werden sich solche Extrem -
ereignisse deutlich verschärfen?
Storch: Das ist noch Gegenstand der For-
schung. Aber klar ist: Wir werden uns auch
zukünftig vor solchen Naturkatastrophen
schützen müssen. Früher war ein Sturm
einfach ein Sturm, heute gilt er manchen
als ein Vorbote des Weltuntergangs. Doch
das ist eher ein psychologisches Phäno-
men, kein physikalisches. Nicht der Sturm
selbst hat sich geändert, sondern wie wir
ihn wahrnehmen.
SPIEGEL:Sie glauben, dass sich der Klima-
wandel nur mit neuen Technologien auf-
halten lässt. Ist das die Hoffnung auf eine
Wundermaschine?
Storch:Nein, natürlich geht es um viele
verschiedene Innovationen. Wie lässt sich
etwa das Heizen und Kühlen von Gebäu-
den in großem Stil elektrisch bewerkstelli-

gen? Wenn wir das mit neuen Technolo-
gien hinbekommen, kann das ein ökono-
misch attraktives Vorbild auch für Shang-
hai oder Moskau sein. Statt dessen wird
derzeit zu viel Verzicht gepredigt – was
nicht nennenswert dazu beitragen wird,
die globale Erwärmung aufzuhalten.
SPIEGEL:Wäre es nicht trotzdem ver -
nünftig, weniger zu fliegen?
Storch:Im Gegenteil. Andere Kontinente
zu bereisen ist eine friedensstiftende Maß-
nahme, eine Chance, fremde Kulturen
kennenzulernen, gerade für junge Leute.
Wir sollten also nicht weniger fliegen, son-
dern klimafreundlicher, etwa durch die
Entwicklung synthetischer Kraftstoffe.
SPIEGEL:Brauchen wir eine Rückkehr zur
Kernenergie, um die CO²-Emissionen zu
verringern?
Storch:Wenn ich der Meinung wäre, dass
das Ende der Menschheit droht, dann
müsste ich in der Tat für den sofortigen
Bau vieler neuer Atomreaktoren eintreten.
Doch so sehe ich es ja nicht. Wir haben
andere Möglichkeiten, von der Verfeue-
rung fossiler Brennstoffe wegzukommen.
Und da ist mir die vermehrte Nutzung al-
ternativer Energiequellen wie Sonne und
Wind lieber. Wahr ist jedoch auch: Frank-
reich pustet deswegen weniger CO²in die
Luft als Deutschland, weil dort so viele
Kernkraftwerke laufen.
SPIEGEL:Ist es realistisch, die Klimaziele
zu erreichen, ohne CO²nachträglich wie-
der aus der Atmosphäre herauszuholen?
Storch:Kaum. Ohne solche negativen
Emissionen wird es schwer, die Erwär-
mung auf 2 Grad oder sogar 1,5 Grad zu
begrenzen. Leider werden Verfahren zur
Filterung von Kohlendioxid aus der Luft
und die anschließende Endlagerung des
Treibhausgases nirgendwo in großtechni-
schem Maßstab getestet. Aber letztlich
geht es um eine so gewaltige Menge an
CO², die verringert werden muss, dass
wir ohnehin nur einen kleinen Teil über
Endlagerung hinbekämen. Und auch die
Effekte einer großflächigen Aufforstung
wären zu gering. Ich glaube, wir müssen
uns darauf einstellen, dass das 1,5-Grad-
Ziel nicht erreicht wird. Wir werden uns
wohl an ein deutlich wärmeres Klima an-
passen müssen.
SPIEGEL:Geht das Klimapaket der Bun-
desregierung in die richtige Richtung?
Storch:Es wird nicht viel bewirken, aber
es ist ein Einstieg. Man darf nicht verges-
sen, dass der Mensch ein recht wider-
sprüchliches Wesen ist. In einer Umfrage
sagt die Mehrheit der Deutschen, dass
ihr die Maßnahmen für den Klimaschutz
nicht weit genug gingen. Doch in dersel-
ben Umfrage spricht sich eine Mehrheit
gegen höhere Benzin- und Heizölpreise
aus. Das passt nicht zusammen.
Interview: Olaf Stampf

DER SPIEGEL Nr. 43 / 19. 10. 2019 109


HANNA LENZ / DER SPIEGEL
Mathematiker Storch: »So schnell wird die Menschheit schon nicht untergehen«
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