Der Spiegel - 19.10.2019

(John Hannent) #1
Titel

Manbidsch

Ain Issa

Rakka

Hasaka

Kobane

Tall Abjad

Ras al-Ain

TÜRKEI Kamischli

SYRIEN

Euphrat

Krieg um Nordsyrien


Assads Armee und Verbündeten,
darunter iranische und russische Einheiten

kurdischer YPG-Miliz

Gebiete unter Kontrolle von Seit dem US-Abzug eingenommene Gebiete von

türkischem Militär und verbündeten
syrischen Rebellen

M

al-Bab

Suluk

Tall Tamr

M

türkische Luftangriffe (Auswahl)

von der Türkei geplante »Sicherheitszone«

ehemalige
US-Stützpunkte

al-Haul

ehemaliger
US-Stützpunkt

Aleppo


türkischem Militär und verbündeten
syrischen Rebellen

Assads Armee und Verbündeten,
darunter iranische und russische Einheiten

ehemaliger
US-Stützpunkt

Flüchtlingslager, teilweise
auch Gefangenenlager mit
inhaftierten IS-Angehörigen
50 km

Karten-
ausschnitt

Quellen: Institute for the Study of War;
syria.liveuamap.com, Stand: 17. Oktober

13

Vom Ende einer Weltmacht


Das Desaster beginnt mit einem Telefonat
zwischen Trump und Erdoğan am Sonntag
der vorvergangenen Woche, dem 6. Ok-
tober. Im Anschluss verschickt das Weiße
Haus eine dürre, sechs Sätze lange Presse-
mitteilung: Die Türkei werde in Nord -
syrien einmarschieren, US-Truppen wür-
den aus der Gegend abziehen und in die
Kämpfe der Türken nicht involviert sein.
Mit anderen Worten: Der Westen räumt
das Feld, Erdoğan kann tun, was er will.
Über den Hergang des Telefonats gibt es
danach verschiedene Versionen. Trumps
Kritiker sagen, der US-Präsident sei von Er-
doğan über den Tisch gezogen worden, weil
der die Invasion als unumgänglich angekün-
digt habe. Trump habe daraufhin keine an-
dere Wahl gehabt, als das hinzunehmen.
Eine andere Version lautet, dass Trump
beim Telefonat auf Anraten seiner Berater
den türkischen Präsidenten dringend vor
einer Invasion hätte warnen und mit massi-
ven Sanktionen hätte drohen sollen, falls
dieser einmarschieren würde. Doch Trump
habe nichts dergleichen getan oder nicht viel.
Stattdessen sei der Präsident vom
»Skript« abgewichen. Er habe zur Überra-
schung seiner Berater Erdoğan den Abzug
amerikanischer Soldaten aus der Grenz -
region in Aussicht gestellt. Die US-Einhei-
ten standen bis dahin als Schutzschild zwi-
schen der Kurdenmiliz und der Türkei.

Kurz nach dem Telefonat bricht in Wa-
shington Hektik aus. Europäische Alliierte,
darunter Franzosen und Deutsche, reagie-
ren verwundert bis entsetzt auf Trumps
Ankündigung. Selbst Parteifreunde des
Präsidenten verurteilen die Kehrtwende
und sprechen von »Verrat« an den Kurden.
Der republikanische Senator Lindsey Gra-
ham, einer der treuesten Trump-Freunde,
warnt vor dem »kommenden Desaster«.
Später wird er noch deutlicher: Das
Schlimmste, was ein US-Oberbefehlsha-
ber tun könne, sei die Rückgabe von Land,
das mit hohem Blutzoll erobert worden
sei. »Ich fürchte, das wird ein komplettes
Desaster für die nationale Sicherheit, und
hoffe, Präsident Trump überdenkt seine
Entscheidung«, twittert Graham.
Die Aufregung unter Trumps engsten
Verbündeten macht deutlich, wie gewaltig
die Auswirkungen seiner Entscheidung
sind. Trump rührt an ein strategisches Pa-
radox der US-Außenpolitik: Einerseits
nutzte man die Kurden mehrere Jahre lang
als Helfer im Kampf gegen die IS-Terror-
miliz in Syrien, unterstützte sie mit Geld,
Waffen und militärischem Beistand und
nahm in Kauf, dass 11 000 kurdische
Kämpfer bei Gefechten gegen die Islamis-
ten fielen; andererseits versuchte Washing-
ton, das Verhältnis zum Nato-Partner Tür-
kei zu intensivieren und Erdoğan zu um-
schmeicheln, obwohl die kurdische Miliz
YPG für Ankara als Terrorgruppe gilt.

Trump kann nichts Schlimmes an seiner
Entscheidung erkennen. Noch am Morgen
nach dem Telefonat mit Erdoğan brüstet
er sich mit dem Abzug der US-Soldaten.
»Die Vereinigten Staaten sollten eigentlich
nur 30 Tage in Syrien bleiben, das war vor
vielen Jahren«, verkündet er via Twitter.
Da der IS besiegt sei, sei es »an der Zeit,
dass wir aus diesen unsinnigen, unendli-
chen Kriegen herauskommen«.
Die Syrienentscheidung ist ein Beispiel
dafür, wie innenpolitisch getrieben Trumps
Außenpolitik ist. Im Wahlkampf 2016 war
»America First« sein zentraler Slogan. Un-
ter dem Jubel seiner Fans verdammte er
die Einsätze des US-Militärs, verhöhnte
die Außen- und Sicherheitspolitik seiner
Vorgänger im Weißen Haus als »dumm«
und »teuer«.  Trump bediente das unter
vielen Amerikanern verbreitete Gefühl,
dass die Auslandseinsätze nur Menschen-
leben und viel Geld kosten.
Für den anstehenden Wahlkampf plant
er offenbar eine Wiederauflage dieser Tak-
tik. Es könnte ihm leichtfallen, seinen An-
hängern den Abzug aus Syrien als Erfolg
zu verkaufen. Die Entscheidung zeigt
auch, wie Trump agiert, seit es im Weißen
Haus und in der Regierung praktisch nie-
manden mehr gibt, der sich seinen isola-
tionistischen Impulsen entgegenstellt.
Bereits im vergangenen Dezember hatte
Trump den Abzug der US-Truppen aus Sy-
rien angeordnet. Sein Argument lautete
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