Der Spiegel - 19.10.2019

(John Hannent) #1
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ANDREAS ARNOLD / PICTURE ALLIANCE / DPA

Der Augenzeuge

»Ein bisschen wie Siri«


Heiko Grauel, 45, sprach Hörbücher, Werbung und
Tierfilme ein. Bald verkündet er auch Verspätungen
und Gleiswechsel auf allen deutschen Bahnhöfen.

»Neulich hatte ich einen Albtraum. Ich stand am Bahn-
steig und musste alle Ansagen live machen: ›ICE nach Han-
nover fährt heute von Gleis fünf, Achtung an der Bahnsteig-
kante.‹ Doch egal wie laut ich sprach, niemand verstand
mich. Die Reisenden waren richtig sauer.
In der Wirklichkeit läuft es hoffentlich bald besser. Denn
ab Ende des Jahres bin ich die neue Stimme der Deutschen
Bahn. 20 Millionen Menschen hören mich dann täglich auf
allen deutschen Bahnhöfen. Für mich ist das eine große Ehre.
Freunde haben bereits gefragt, ob ich auch die Ansagen auf
ihren Anrufbeantwortern sprechen könnte.
Allein das Casting hat mehrere Monate gedauert. Die
Bahn mietete sogar einen Kinosaal, um meine Ansagen vor
eingespieltem Zuglärm zu testen. Wahrscheinlich wurde
ich genommen, weil ich eine mittlere Tonlage habe. Tiefere
Stimmen versteht man oft nicht, höhere finden viele eher
unangenehm.
Für die Ansagen musste ich zwei Wochen lang insgesamt
700 Seiten Text einsprechen. Immer im selben Tempo, ohne
große Emotionen. Für mich als Sprecher war das eine
Herausforderung. Um mich zu konzentrieren, habe ich oft
an Bahnsteige gedacht. Sonst versuche ich ja, möglichst
abwechslungsreich zu klingen. Werbung für Hustensaft spre-
che ich natürlich mit einer begeisterten Stimme. Bei Hör -
büchern übe ich davor oft tagelang im Wohnzimmer, wie ver-
schiedene Charaktere miteinander reden.
Für die Bahnhofsansagen war das nicht gefragt. Künftig
werden sie am Computer aus Silben zusammengesetzt,
ein bisschen wie bei Siri oder anderen Sprachassistenten.
Dafür musste ich nur kurze Schnipsel einsprechen: Texte
aus alten Zeitungen, aber auch Ausschnitte aus einem Mär-
chen. Erst später werden daraus Sätze gebildet – die Bahn
kann so im Alltag entscheiden, welche Ansagen sie gerade
braucht.
Manche Kollegen sehen das kritisch. Sie fürchten, dass die-
se Automatisierung unsere Arbeit kaputt macht. Ich bin da
gelassener, Bahnhofsdurchsagen klingen ja wirklich immer
gleich. So möchte sich doch niemand ein Karl-May-Hörbuch
vorlesen lassen. Und für Ansagen in den ICEs sorgen auch
zukünftig noch die Zugbegleiter.«Aufgezeichnet von Jan Petter

Heiße Kartoffeln


Der niederländische
Schriftsteller Leon de
Winter, 65, hat aus seiner
bekanntlich eher ungesun-
den Leidenschaft für
Pommes nun einen Neben-
beruf gemacht: Zusammen
mit seinem Cousin Leon
Eijsman, einem prominenten
Amsterdamer Herzchirur-
gen, bringt de Winter an die-
sem Montag ein neues Pro-
dukt auf den holländischen
Markt, das den Konsum der
Kartoffelstäbchen revolu -
tionieren soll: »Mindestens
30 Prozent weniger Kalorien
und Kohlehydrate«,
so verspricht die
Verpackung, ste-
cken in den Fritten
der Marke »Leon &
Leon«. Angefangen
hatte das Projekt
einst mit einer Diät
Leon de Winters
und dem dringen-
den Wunsch des


Bestsellerautors (»Hoffmans
Hunger«), dabei nicht auf
die geliebten »French Fries«
zu verzichten. Mehr als
sechs Jahre tüftelten die Cou-
sins, unterstützt von Ernäh-
rungsexperten, an der Idee
herum. Erste Versuche mit
Low-Carb-Kartoffeln schei-
terten, weil die Pommes im
heißen Fett kohlenschwarz
wurden und zu Asche zerfie-
len. Erst die Behandlung mit
Heißluft statt Fett erzeugte
die gewünschten goldbraun-
knusprigen Stäbchen. Die
beiden Leons haben ein eige-
nes Familienunternehmen
namens »The Rocket Science
Kitchen« gegrün-
det und vertreiben
ihr Produkt nun
zusammen mit
einer großen nie-
derländischen
Supermarktkette.
Leon de Winter
selbst dürfte zu
seinen besten
Kunden zählen. DY

Auf der


Verliererseite


Auch wenn man in einem
schlossartigen Haus aus dem



  1. Jahrhundert wohnt, um -
    geben von einem parkähnli-
    chen Grundstück, kann man
    Stress mit dem Nachbarn
    haben. Das mussten jetzt
    Claudia Schiffer, 49, deut-
    sches Supermodel im Ruhe-
    stand, und ihr Ehemann
    Matthew Vaughn, 48, briti-
    scher Filmproduzent, erfah-
    ren. Ihr denkmalgeschütztes
    Tudor-Haus na mens Cold-
    ham Hall in der Grafschaft
    Suffolk hatten sie 2002 für
    schätzungsweise fünf Millio-
    nen Pfund gekauft. Bisher
    mussten andere leiden: Im
    Jahr 2006 soll einer ihrer
    Hunde den Postboten und
    einen Nachbarhund gebissen
    haben. Nun ist das Ehepaar
    Schiffer-Vaughn auf der
    Verlierer seite. Ihre Be -
    schwerde gegen Baupläne
    einer Nachbarin wurde zu -
    rückgewiesen. Die will ihr
    Cottage, das auf einem an -


grenzenden Grundstück steht,
vergrößern und Garagen bau-
en. Damit sei ihre schöne Aus-
sicht und der Denkmalschutz
in Gefahr, Wertminderung
müsse be fürchtet werden, so
lautete die Begründung der
Be schwerde, die jetzt abge -
wiesen wurde: Angesichts
der 30 Meter Abstand zwi-
schen dem Cottage und Cold-
ham Hall sei die Sorge unbe-
gründet. KS

JULIUS SCHRANK / AGENTUR FOCUS

DAVID M. BENETT / GETTY IMAGES
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