Handelsblatt - 21.10.2019

(Brent) #1
Rewe-
Lieferservice:
Der Online handel
mit Lebensmitteln
soll endlich profi-
tabel werden.

Rewe

Florian Kolf Düsseldorf


M


it einem Tempo von dreieinhalb
Meter pro Sekunde schießen die
grauen Kunststoffkisten über die
Rollenbahnen zwischen den 20
Meter hohen Regalen. Im Lift be-
schleunigen sie noch mal auf fünf Meter pro Sekun-
de. Computergesteuert bringen die Kisten Gurken-
gläser, Cornflakes-Packungen und Senftuben zu ei-
nem Mitarbeiter, der die benötigten Mengen aus
den Kisten nimmt und in eine Papiertüte packt.
60 bis 70 verschiedene Algorithmen organisie-
ren die Lagerorte und die Transportwege durch
das Lager, damit Warenkörbe in Minutenschnelle
zusammengestellt werden können. In einer roten
Kiste macht sich die fertige Bestellung auf den Weg
zum Lkw, der die Waren an den Kunden ausliefert.
Kurz vor der Abfahrt steuert der Computer aus an-
deren Hallen die gekühlten und die tiefgekühlten
Produkte dazu.
Mit dem weitgehend automatisierten Lager
„Scarlet One“ im Gewerbegebiet von Köln-Niehl
will der Supermarktbetreiber Rewe im Lieferdienst
mit frischen Lebensmitteln endlich den Durch-
bruch schaffen. Das technologisch hochgerüstete
Auslieferungs center, das modernste seiner Art in
Deutschland, soll die Lieferung nicht nur schneller
und effizienter machen. Es soll zudem dazu beitra-
gen, dass der Onlinehandel mit Lebensmitteln end-
lich auch profitabel wird.
Bisher tun sich alle Anbieter im E-Commerce mit
Lebensmitteln schwer. Selbst Amazon, das mit sei-
nem vor gut zwei Jahren gestarteten Dienst Ama-
zon Fresh die deutschen Supermärkte das Fürch-
ten lehren wollte, tritt auf der Stelle. Ausgeliefert
wird nur in Berlin, München und Hamburg.
Und viele deutsche Händler zögern. „Uns läuft
da nichts weg“, ist das Mantra von Klaus Gehrig,
dem Chef von Deutschlands größtem Händler, der
Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland). Wenn sich ir-
gendwann mal zeige, dass das Geschäft profitabel
zu betreiben sei, könne man immer noch einstei-
gen, ist er überzeugt. Auch Aldi verweigert sich in
Deutschland dem Onlinehandel mit Lebensmitteln,
Edeka beschränkt sich auf kleine Pilotprojekte.
Nur Rewe scheut das Risiko nicht und geht jetzt
noch mal richtig in die Offensive im Onlinehandel.
„Wir werden weiter mit dem Lieferservice expan-
dieren“, sagt Jan Kunath, der im Rewe-Vorstand für
das digitale Geschäft verantwortlich ist, im Ge-
spräch mit dem Handelsblatt. „Wir wollen in den
Ballungszentren weiter verdichten und dort zusätz-
liche Standorte aufmachen.“

„Investition in die Zukunft“


So werde jetzt beispielsweise ein dritter Standort in
Berlin eingerichtet. Der erste sei bereits komplett
ausgelastet. Vorbild für diese neue Lieferzentren ist
das automatisierte Auslieferungslager in Köln. „Es
ist geplant, weitere solcher Lager an anderen
Standorten zu bauen“, bestätigt Kunath.
Experten halten diesen Weg für vielversprechend.
„Rewe hat mit der Eröffnung des automatisierten La-

gers für den Onlinehandel gezeigt, dass sie an das
Geschäft glauben“, sagt E-Commerce-Experte Rainer
Münch von der Unternehmensberatung Oliver Wy-
man. „Das ist eine Investition in die Zukunft.“
Entscheidend aber ist, dass sich Rewe nicht nur
auf die Großstädte konzentriert wie Amazon oder
die Edeka-Tochter Bringmeister, sondern auch in
die Fläche geht. Damit dabei die Kosten nicht über-
handnehmen, werden jetzt auch mehr und mehr
die selbstständigen Kaufleute ins System integriert


  • und damit das Netz gezielt verdichtet.
    Immer mehr Kaufleute richten beispielsweise in
    ihren Märkten Abholstationen ein für Lebensmit-
    tel, die die Kunden auf der zentralen Plattform von
    Rewe bestellt haben. Bundesweit rund 380 Märkte
    bieten heute schon diesen Service an.
    „Wir wollen bis Ende nächsten Jahres rund 650
    Abholmärkte geschafft haben“, sagt Rewe-Vorstand
    Kunath. Mehr als 130 Rewe-Kaufleute liefern auch
    selbst aus – in Ergänzung zum zentralen Liefer-
    dienst der Genossenschaft.
    „Für mich ist das ein Investment in die Zukunft“,
    sagt Rewe-Händler René-Alexander Giese aus Pul-
    heim, der im vergangenen Jahr eine Abholstation in
    seinem Markt eingerichtet hat. Ob das kurzfristig
    mehr Umsatz bringt, ist für ihn gar nicht so entschei-


dend. „Wir können da viel lernen“, meint er. „Ich
möchte an der Entwicklung teilhaben und sie mitge-
stalten können.“ Er habe ein junges Team in seinem
Unternehmen, das offen an das Thema herangehe.
Immer wenn eine Onlinebestellung eingeht,
leuchtet an der Kasse ein grünes Licht auf. Ein Mit-
arbeiter des Marktes sammelt dann im Markt die
bestellten Produkte zusammen und legt sie an ei-
ner speziellen Theke im Eingangsbereich zur Abho-
lung bereit. Ein Algorithmus hat die Liste der Be-
stellung schon so sortiert, dass der Mitarbeiter da-
bei keine Umwege gehen muss.
„Die Anzahl der Nutzer steigt“, sagt Rewe-Händ-
ler Giese. Auch der Wert des durchschnittlichen
Warenkorbs sei höher als im normalen Geschäft.
Und er habe dadurch schon ganz neue Kunden ge-
wonnen – bei denen beispielsweise sein Markt auf
dem Heimweg von der Arbeit liegt und die deshalb
erstmals den Onlinedienst ausprobiert haben.
Umfragen bestätigen diesen Trend. So gaben in
einer Befragung von AlixPartners unter 1005 deut-
schen Konsumenten bereits 77 Prozent an, dass sie
planen, Onlinebestellungen in der Filiale abzuho-
len. „Um kurze und verlässliche Lieferzeiten zu ge-
währleisten, sollten die Ladenlokale gezielt als de-
zentrale Versand- und Abholzentren nach Laden-

Rewe forciert


den Lieferdienst


Während sich Amazon oder Edeka schwertun, erhöht Rewe


im Onlinehandel mit Lebensmitteln das Tempo.


Die Abholstationen bei Händlern werden deutlich ausgebaut.


Lêmrich (Alina Emrich, Kien Hoang Le) / Agentur Focus

77


PROZENT


der Konsumenten
planen, Online -
bestellungen künftig
auch in der Filiale
abzuholen.

Quelle: Alix Partners


Unternehmen


& Märkte


MONTAG, 21. OKTOBER 2019, NR. 202


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