Handelsblatt - 21.10.2019

(Brent) #1
Richard Edelman:
„Es ist exakt der
falsche Zeitpunkt
für Skandale.“

Damien Grenon/imago images/Photo

E


s ist ein Alarmsignal für
Deutschlands Konzerne:
Im renommierten „Trust
Barometer“ der PR-Agen-
tur Edelman ist das Ver-
trauen anderer Industrienationen in
deutsche Unternehmen weltweit in-
nerhalb eines Jahres um 15 Prozent-
punkte auf nur 44 Prozent gesunken.
Nicht nur eine Serie von Skandalen,
auch das Auftreten der Konzernchefs
trübt laut der Befragung das Image.
Das unterstreicht Firmenchef Ri-
chard Edelman: Amerikas bekanntes-
ter PR-Manager fordert von seinen
Kunden schon lange, präsenter in
der Öffentlichkeit zu sein. Er selbst
betreibt bereits seit 15 Jahren ein
Blog, mit dem er anderen Managern
als Vorbild dienen will.

Herr Edelman, „Made in Germany“
ließ sich lange leicht verkaufen. Wie
steht es heute um die Marke?
Die Marke Deutschland war in den
zwanzig Jahren, in denen wir unser
Vertrauensbarometer herausge-
bracht haben, immer die, die das
meiste Vertrauen genoss. Jeder wollte
bei einer Fußball-Weltmeisterschaft
das deutsche Trikot tragen. Während
das Vertrauen in andere Länder mal
höher und mal niedriger war, war
das Vertrauen in die Marke Deutsch-
land immer hoch und stabil.

Warum?
Hohe Umweltstandards, eine gute
Behandlung der Mitarbeiter, hohe
Verlässlichkeit der Produkte. So hat
man Deutschland sowohl in Indus-
trienationen als auch in Schwellen-
ländern wahrgenommen. Aber nach
Dieselgate, den Deutsche-Bank-Skan-
dalen und den Klagen gegen Bayer
und Monsanto hat das Vertrauen in
deutsche Unternehmen stark abge-
nommen. Interessanterweise hat sich
der Wert nach Dieselgate zunächst et-
was erholt, bis vor etwa sechs Mona-
ten. Jetzt sehen wir wieder einen
starken Einbruch. Vor allem in Indus-
trienationen. Dort gaben nur 44 Pro-
zent der Befragten an, dass sie deut-
sche Unternehmen vertrauenswürdig
finden. Wir reden hier von den USA,
Großbritannien, Frankreich – Schlüs-
selmärkte für Deutschland. Das ist
ein Weckruf!

Warum gab es diesen erneuten Ein-
bruch?
In den vergangenen Monaten waren
es Bayer-Monsanto, die Deutsche
Bank und ein paar Nachrichten aus
der Autoindustrie, die dem Vertrau-
en geschadet haben. Wenn Sie ein-
mal ein Problem haben, dann kön-
nen Sie sich entschuldigen und es
wieder gut machen, und die Men-
schen akzeptieren das. Aber wenn sie
es zweimal oder dreimal machen,
dann geht das nicht.

Diese Skandale kommen zu einer
Zeit, in der Verbraucher zunehmend
erwarten, dass sich Unternehmen
um mehr als nur Profite kümmern.
Das stimmt. Gerade in Ländern mit
populistischen Regierungen wird er-
wartet, dass Unternehmen heute die
Lücke füllen, die die Politik hinter-
lässt. Das ist in Deutschland nicht so
sehr der Fall wie in den USA oder an-
deren Ländern. Aber viele Unterneh-
men gehen stärker in die Öffentlich-
keit, sprechen über LGBT...

Also die Rechte von Homo-, Bisexu-
ellen und Transgender-Personen...
Sie fordern strengere Waffenkontrol-
len und mehr Nachhaltigkeit. Die Er-
wartungen haben sich geändert. Mitt-
lerweile ist der eigene Arbeitgeber
die Institution, der die Menschen am

meisten vertrauen. Es ist also exakt
der falsche Zeitpunkt für Skandale.

In den USA sagen nur noch 40 Pro-
zent der Befragten Ihrer Studie, dass
Deutschland ein guter Weltbürger
ist. Das sind zwölf Prozent weniger
als zuvor. Hat das auch mit Trumps
Kritik an Deutschland zu tun?
Unter Republikanern hat das auf je-
den Fall eine Wirkung gehabt. Lange
Zeit galt Deutschland als eine faire
Handelsnation. Doch dann wird be-
tont, dass amerikanische Autos nicht
so leicht in Deutschland verkauft
werden können, dass es Zölle gibt,
von denen der normale Amerikaner
gar nichts wusste. Viele haben bei
unfairem Handel nie an Deutschland
gedacht, sondern höchstens an Chi-
na. Vor allem unter Republikanern
hat das das Vertrauen beeinflusst.

Verbraucher fordern zunehmend
Transparenz von Unternehmen. Wa-
rum ist das heute so wichtig?

Weil die Menschen heute nicht nur
verstehen wollen, was Sie als Unter-
nehmen machen, sondern wie Sie es
machen. Das sind die neuen Erwar-
tungen. Da reicht ein Report über un-
ternehmerische Sozialverantwortung
oder Corporate Social Responsibility
nicht aus. Die Menschen wollen die
Lieferkette verstehen. Und sie richten
ihren Konsum danach und ihre Ent-
scheidung, ob sie für ein Unterneh-
men arbeiten wollen oder nicht. Das
gilt gerade jetzt, in einer Wirtschaft
mit Vollbeschäftigung.

In China und Schwellenländern wird
Deutschland positiver wahrgenom-
men als in Industrienationen, auch
was ihr Engagement vor Ort angeht.
Benehmen sie sich dort besser oder
sind die Erwartungen niedriger?
Vor allem in China und Indien sind
Unternehmen wie Siemens und Bay-
er schon seit vielen Jahren. Sie sind
dort Teil des lokalen Gefüges. Aber in
China und Indien ist auch generell

das Vertrauen in Institutionen viel
höher. Ich nenne sie die Sonnen-
scheinstaaten. Die Menschen hinter-
fragen nicht so viel, auch weil die Un-
ternehmen ihnen höhere Lebens-
standards gebracht haben.

Deutschland muss nun gleich meh-
rere Skandale überwinden. Wie
kann sich der Ruf wieder verbessern


  • wenn überhaupt?
    Ich bin 100 Prozent überzeugt, dass
    es möglich ist, das Ruder herumzu-
    reißen. Die Unternehmen müssen
    sich auf ihre Stärken konzentrieren.
    Sie müssen das Vertrauen in deut-
    sche Qualität wieder stärken. Dabei
    darf es nicht mehr nur um hohe In-
    genieurskunst und qualitative Pro-
    dukte gehen. Auch das Vertrauen,
    dass wissenschaftliche Studien kor-
    rekt sind, muss wiederhergestellt
    werden. Die Unternehmen müssen
    transparent sein. Verbraucher müs-
    sen ihnen vertrauen, dass die Aussa-
    gen etwa zum Spritverbrauch auch
    wirklich stimmen. Das ist das Wich-
    tigste. Aber auch die CEOs müssen
    anführen und dabei gesehen werden.


Wie steht es um den Ruf der Vor-
standschefs?
Ich finde es erschreckend, dass das
Vertrauen in sie so niedrig ist. In den
befragten Industrienationen liegt es
bei nur 22 Prozent. In Deutschland
sind es sogar nur 17 Prozent. Deut-
sche CEOs müssen führend dabei
sein, das Vertrauen zurückzugewin-
nen. Sie dürfen nicht nur die Aktio-
näre im Blick haben, sondern auch
andere Stakeholder. Und sie müssen
bekannter werden. Wenn wir unsere
Umfragen machen, sind wir scho-
ckiert, wie wenige Leute deutsche
Unternehmenschefs kennen.

Sich so in den Vordergrund zu stel-
len ist nicht sehr deutsch...
Nein, das ist es nicht Aber die Zeiten
für CEOs haben sich geändert. 75
Prozent der Befragten erwarten von
Unternehmenschefs, dass sie eine
Meinung äußern und nicht auf die
Regierung warten, Entscheidungen
zu fällen.

Sind deutsche CEOs denn bereit für
diesen Wandel?
Ja, ich glaube, es gibt eine neue Ge-
neration. Ich denke da zum Beispiel
an die Chefs von Adidas, der Allianz
und der Deutschen Bank.

Deutsche Unternehmen haben his-
torisch schon lange Stakeholder-
Werte hochgehalten und nicht nur
Profite. Haben sie das verloren?
Nur 29 Prozent der Amerikaner sa-
gen, dass die Werte deutscher Unter-
nehmen ihren Werten entsprechen –
neun Prozent weniger als vor einem
Jahr. Die Skandale haben das Vertrau-
en in die deutsche Verlässlichkeit zer-
stört.

Wie sieht es mit dem Vertrauen in
die Verlässlichkeit der Produkte aus?
Das ist immer noch hoch. Das Ver-
trauen in die Werte nicht.

Wie stehen denn die deutschen CEOs
in den Umfragen im Vergleich zu an-
deren Unternehmenslenkern da?
In Großbritannien vertrauen die
Menschen einem deutschen Unter-
nehmenslenker nur so viel wie einem
chinesischen CEO. Das hat mich
schockiert.

Wem vertrauen sie denn mehr?
Amerikanischen Chefs. Auch wenn
hier natürlich nach den Skandalen
von Boeing und Facebook auch nicht
alles perfekt ist.

Richard Edelman


„Das Vertrauen


ist zerstört“


Das Image von „Made in Germany“ leidet unter den


Skandalen von VW, Deutscher Bank oder


Bayer-Monsanto. Der Chef der PR-Agentur Edelman


erklärt, was die CEOs daran ändern können.


Der Manager: Richard
Edelman führt die
Firma seit 13 Jahren.
Der 65-Jährige
erkannte als einer der
Ersten der Branche
die Bedeutung von
sozialen Medien und
investierte früh in
neue Technologien.

Das Unternehmen:
Edelmans Vater Dan
gründete die Agentur
1952 in Chicago. Sie
ist heute die größte
unabhängige familien-
geführte PR-Beratung
der Welt mit 6 000
Mitarbeitern.

Vita
Richard Edelman

Unternehmen & Märkte


1


MONTAG, 21. OKTOBER 2019, NR. 202


20

Free download pdf