Handelsblatt - 21.10.2019

(Brent) #1

Saudi Aramco


Zu hohe


Erwartungen


W


enn die Wünsche blau-
blütiger Herrscher auf
kapitalistische Realität

treffen, kommt es zum Realitäts -


check – auch beim weltgrößten Bör-


sengang. Wer bestimmt den Preis:


die Politik oder der Markt? Der in


seiner Heimat fast allmächtig herr-


schende Kronprinz Mohammed bin


Salman hatte 2016 die Idee vorge-


bracht, den Ölgiganten Saudi Aram-


co in Teilen zu privatisieren. Immer


wieder gab er den zu erzielenden


Marktwert mit zwei Billionen Dollar


an. Investmentbanker, Fondsmana-


ger und Analysten erleben seitdem


eine Achterbahnfahrt.


Die für Sonntag erwartete Be-


kanntgabe des weltgrößten Börsen-


gangs wurde nun erneut um ein


paar Wochen verschoben. Die Zah-


len für das dritte Quartal sollten


noch abgewartet werden. Doch die


Verschiebung beantwortet die


Grundfrage nicht: Ist Aramco zwei


Billionen Dollar wert?


Natürlich hat Aramco die welt-


größten Ölreserven und fördert mit


etwa zehn Prozent des täglichen Öl-


verbrauchs so viel wie kein anderer


Konzern. Doch wie viel Rohöl


Aramco tatsächlich pumpen darf,


ist keine Unternehmensentschei-


dung, sondern politische Vorgabe


der Regierung des wichtigsten Mit-


glieds des Opec-Ölkartells. Schiere


Größe, extrem niedrige Förderkos-


ten und die weltbeste Profitabilität


rechtfertigen natürlich einen Preis-


aufschlag für Aramcos Aktien. Doch


kann er so hoch sein, dass selbst bei


der versprochenen Garantiedivi-


dende von 75 Milliarden Dollar nur


eine Dividendenrendite von 3,75


Prozent herauskäme?


Das wäre klar weniger als Bran-


chengrößen wie Exxon Mobil (5,1


Prozent) und Shell (6,6 Prozent) bie-


ten. Und sie leiden nicht unter dem


Risiko, dem Aramco zuletzt für alle


sichtbar ausgesetzt war: massiven


Raketenattacken auf die Förderanla-


gen durch rivalisierende Nachbarn.


Wenn der Kronprinz an seiner


Preisvorgabe festhält, gibt es nur


zwei Wege: entweder den Börsen-


gang abzusagen oder saudische Mil-


lionärsfamilien zum Aktienkauf zu


zwingen und chinesischen Ölkon-


zernen einen Anteil anzudienen.


Der profitabelste Konzern der Welt
steckt in einer unauflösbaren
politischen Zwickmühle, findet
Mathias Brüggmann.

„Ein digitaler Euro wäre ein wichtiger


Beitrag für ein stärkeres Europa,


das die Herausforderungen der digitalen


Revolution mit Entschlossenheit angeht.“


Hans-Walter Peters, Präsident des Bundesverbands
deutscher Banken

Worte des Tages


Der Autor ist International


Correspondent.


Sie erreichen ihn unter:


[email protected]


A


nfang September platzte Tim Clark,
Chef der Golf-Airline Emirates, der Kra-
gen. Er werde Airbus und Boeing keine
Flugzeuge mehr abnehmen, die nicht
die versprochenen Leistungen bringen.
Wer ein Luxusauto kaufe, werde schließlich auch
kaum hinnehmen, dass der Motor maximal drei Mo-
nate halte, wetterte Clark.
Der Emirates-Chef sprach aus, was die meisten
Airlinemanager nervt. Regelmäßig können sie ihre
Flugpläne über Bord werfen, weil neue Jets nicht wie
geplant kommen oder diejenigen, die gerade einge-
flottet wurden, ausfallen. In der vergangenen Woche
traf es die Lufthansa-Tochter Swiss, die ihre A220
kurzzeitig außer Dienst stellen musste.
Wenige Tage davor hatte die Boeing 737 NG für
Schlagzeilen gesorgt, weil bei einigen Flugzeugen
plötzlich Risse an wichtigen Strukturteilen aufgefal-
len waren. Der Nachfolger, die 737 Max ist dauerge-
parkt. Die Boeing 777-9 und die 777-8 verzögern sich
bei ihrer Markteinführung. Der Dreamliner, die Boe-
ing 787, wird von den Behörden häufiger in die In-
spektion geschickt.
Die Verlässlichkeit modernen Fluggeräts ist ein ab-
solutes Desaster. Wer sich die Details anschaut, stellt
schnell fest: Fast immer ist es das Triebwerk, das
Probleme bereitet. Die Motoren zählen zu den kom-
plexesten Bauteilen eines modernen Flugzeugs.
Gleichzeitig ist das Triebwerk der Hebel, um ein
neues Flugzeugmuster effizienter zu machen. Die Ef-
fizienz wiederum ist eines der wichtigsten Argumen-
te bei Entscheidungen zum Kauf neuer Flugzeuge.
Die Umstellung einer Flotte auf einen neuen Flug-
zeugtyp ist für eine Fluggesellschaft ein weitreichen-
der und teurer Entschluss. Die Piloten müssen neu
angelernt werden, die Wartung muss angepasst wer-
den, ganz zu schweigen vom Kauf oder der Anmie-
tung der Jets selbst. Entsprechend groß sind die Er-
wartungen an das neue Flugzeug. 20 bis 30 Prozent
Effizienzgewinn sollten es schon sein.
Diese Erwartung kann nur mit immer mehr Tech-
nik erfüllt werden. Mit der Komplexität wachsen al-
lerdings auch die Kosten. Selbst für große Trieb-
werksspezialisten ist die Entwicklung neuer Motoren
zu einem finanziellen Risiko geworden. Das nicht
nur wegen der hohen Entwicklungskosten. Auch
wenn der Motor im Einsatz ist, lauern Gefahren.
Fällt ein Flugzeug aus, wird der Triebwerkslieferant
in Regress genommen. Ersatztriebwerke müssen be-
schafft werden, Instandsetzungskosten fallen an.
Wenn überhaupt können nur finanzstarke Unter-
nehmen all das stemmen. Nicht ohne Grund ist der
Markt für Flugzeugtriebwerke ähnlich wie der der

Flugzeuge zu einem Oligopol geworden. Neben GE
Aviation, Pratt & Whitney und Rolls-Royce gibt es
keinen relevanten Hersteller. Firmen wie die deut-
sche MTU agieren als Komponentenlieferant.
Doch die Konsolidierung forciert einen Teufels-
kreis. Mittlerweile findet man an den Jets von Airbus
und Boeing die gleichen Triebwerke. Gibt es bei ei-
nem der Motoren ein Problem, ist weltweit eine grö-
ßere Flotte betroffen. Das führt zu hohen Regressan-
sprüchen gegen den Hersteller. Der wiederum über-
legt sich künftige Investitionen in neue Technologien
sehr gut. Innovationen werden gebremst.
Dabei braucht die Luftfahrt dringend neue Ideen.
Wir reden vom Klimawandel. Die Luftfahrt steht be-
sonders am Pranger. Ohne Innovationen gerade
beim Antrieb wird klimaneutraleres Fliegen niemals
Realität werden.
Doch wer soll den enormen Entwicklungsaufwand
hin zu nachhaltigeren Motoren finanzieren, wenn
die Anbieter schon jetzt Probleme haben, ihre Tech-
nologie in den Griff zu bekommen? Die Airlines wer-
den den Mehraufwand kaum bezahlen können.
Schon jetzt ist die Marge vieler Fluggesellschaften
niedrig, es rollt die Insolvenzwelle durch Europa.
Es gibt nur zwei Wege aus dem Dilemma. Der eine
lautet: Die Flugzeugindustrie muss ihre Kräfte noch
mehr bündeln. Ähnlich wie bei der Entwicklung
hochkomplexer Assistenzsysteme in der Automobil-
industrie führt auch bei der Triebwerksentwicklung
das parallele Arbeiten an den gleichen Fragen und
Herausforderungen nicht weiter. Partnerschaften
sind gefragt. Um sie zu ermöglichen, muss das Kar-
tellrecht entsprechend angepasst werden. Mit den
bisherigen kartellrechtlichen Maßstäben lässt sich
ein klimaneutraleres Fliegen kaum umsetzen.
Der zweite Weg: Die Politik muss die Luftfahrt-
branche bei der Suche nach verlässlichen neuen
Flugzeugantrieben stärker unterstützen. Um einem
Missverständnis vorzubeugen: Es geht nicht um eine
Subventionierung der Entwicklung neuer Jets, wie
sie in der Vergangenheit stattgefunden hat. Das ist
ein Irrweg, hat einen heftigen Streit vor der WTO
ausgelöst und beschleunigt gerade den Handelskon-
flikt zwischen Europa und den USA.
Gemeint ist vielmehr die staatliche Förderung von
Grundlagenforschung, von der alle Anbieter profitie-
ren. Mit der nun deutlich erhöhten Ticketsteuer für
kurze Flüge stünden die finanziellen Mittel dafür in
Deutschland bereit.

Leitartikel


Dauerpanne


über den Wolken


Komplexe und
teure Technik –
moderne Jets
sind unzuver -
lässig geworden.
Will die Branche
das Problem
lösen, muss sie
mehr kooperieren
und braucht die
Unterstützung
von der Politik,
sagt
Jens Koenen.

Die Flugzeug-


industrie


muss ihre


Kräfte bündeln.


Der Autor leitet das Büro Unternehmen und
Märkte in Frankfurt. Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

Meinung


& Analyse


MONTAG, 21. OKTOBER 2019, NR. 202


28

Free download pdf