Handelsblatt - 21.10.2019

(Brent) #1
Im Scheinwerferlicht:
Olaf Scholz gibt
während des IWF-
Treffens in Washington
ein TV-Interview.

Thomas Trutschel/ photothek.de

Die schwarze


Null zum


heiligen Gral


zu erklären ist


kein Ersatz für


überzeugende


Wirtschafts -


politik.


Hans-Walter Peters
BdB-Präsident

Martin Greive und Andreas Kröner Washington


D


er Rat für Auswärtige Angelegenhei-
ten liegt im Herzen der Macht
Washingtons, das Weiße Haus ist nur
einen Steinwurf entfernt. Olaf Scholz
(SPD) nutzt die Jahrestagung des
Internationalen W ährungsfonds (IWF), um hier für
das deutsche Klimapaket zu werben. Und um dem
Nachbarn Donald Trump einen mitzugeben.
„Internationale Zusammenarbeit und starke
internationale Institutionen sind gerade im Kampf
gegen den Klimawandel sehr wichtig“, sagt Scholz.
Davon seien auch alle überzeugt. Kurze Kunstpau-
se. „Na ja, fast alle“, setzt Scholz nach. Gekicher im
Saal. Zumindest bei den rund 30 Zuhörern, die
den Weg hierher gefunden haben.
Als Angela Merkel im Mai an der Harvard-Univer-
sität auftrat, gab es einen riesigen Empfang, Tausen-
de Studenten wollten die Kanzlerin sehen. Als ihr Vi-
ze gut fünf Monate später in Washington eine Rede
zur Klimapolitik hält, interessiert das kaum jeman-
den. Auch von der Spitze gegen Donald Trump
nimmt in den USA keiner Notiz. Scholz wurde der
Gewichtsunterschied einer Kanzlerin und ihres Stell-
vertreters auf internationaler Bühne deutlich vor
Augen geführt. Nur ist Scholz’ Selbstbewusstsein zu
groß dafür, dauerhaft nur die etwas leichtere Num-
mer zwei zu sein. Der 61-Jährige setzt daher alles da-
ran, Merkel bei der nächsten Wahl im Amt zu beer-
ben – auch wenn das angesichts der miesen Umfra-
gewerte der SPD im Moment absurd erscheint.
Dennoch ist der kommende Samstag für Scholz
der erste Meilenstein auf der „Mission Kanzleramt“.
Dann gibt die SPD das Ergebnis des Mitgliederent-
scheids zur Wahl ihrer neuen Doppelspitze bekannt.
Würde Scholz gewählt, würde ihn das nahezu sicher
zum Spitzenkandidaten für die nächste Bundestags-
wahl machen. Kämen Scholz und seine Partnerin
Klara Geywitz am Samstag nicht wenigstens in die

Stichwahl, die zwischen den beiden erstplatzierten
Teams ausgetragen werden soll, wäre das eine gro-
ße Überraschung. Aber sicher kann sich der Finanz-
minister bei dieser verunsicherten SPD nicht sein.
Und so versucht Scholz, in Washington einen Wett-
bewerbsvorteil auszuspielen: Während die Kontra-
henten nur noch Interviews geben können, kann er
als Finanzminister auf internationaler Bühne seine
Eignung als Parteichef unter Beweis stellen.
Der Bundesfinanzminister weiß, dass er mit den
typischen Themen einer IWF-Jahrestagung nur
schwer in der Heimat durchdringt. Deshalb geht es
dieses Mal viel um Innenpolitik. Die gemeinsame
IWF-Pressekonferenz mit Bundesbank-Präsident Jens
Weidmann beginnt Scholz höchst ungewöhnlich, mit
der Verabschiedung der Grundsteuer reform im Bun-
destag , die er „sehr begrüße“. Mit seiner Rede zur
Klimapolitik vor dem Rat für Auswärtige Angelegen-
heiten inszeniert sich Scholz als Umweltpolitiker und
Vize- Klimakanzler. Und die Spitze gegen Trump wird
in der Heimat schon eher gehört.
Gleichzeitig tut Scholz so, als würde ihn das Ren-
nen um den SPD-Vorsitz auf der Reise nur mäßig
tangieren. Fragen dazu beantwortet er maximal
desinteressiert. Scholz will bloß nicht den An-
schein erwecken, er wäre gedanklich schon beim
Samstagabend. Gleichzeitig versucht er, den Ein-
druck zu vermitteln, er habe auf dem IWF-Treffen
alles im Griff, aus deutscher Sicht laufe es rund.
Nur wird diese Sicht nicht von allen geteilt.
Die abkühlende Konjunktur bereitet den Finanz-
ministern und Notenbankern durchaus Sorge. Da-
durch wurden zuletzt international wieder Rufe
lauter, der deutsche Finanzminister müsse die
„schwarze Null“ aufgeben und mehr investieren.
Scholz sagt, die Forderung sei auf dem IWF-Treffen
dieses Mal kaum erwähnt worden. Deutschland in-
vestiere ja auch schon viel, und das spreche sich

langsam rum. Manch einer hatte von den internen
Gesprächen einen anderen Eindruck.
Auch nannte IWF-Chefin Kristalina Georgiewa
bei der Abschlusspresskonferenz explizit Deutsch-
land als ein Land, das finanziellen Spielraum habe,
auch wenn die Regierung durch das Klimapaket
einiges tue. Selbst der deutsche Privatbankenver-
band BdB nutzte die Tagung in Washington, um
den ausgeglichenen Bundeshaushalt infrage zu stel-
len. „Die schwarze Null zum heiligen Gral der So-
zialen Marktwirtschaft zu erklären ist kein Ersatz
für eine überzeugende Wirtschaftspolitik“, sagte
BdB-Präsident Hans-Walter Peters. „Für die Zu-
kunft notwendige Investitionen müssen getätigt
und dürfen nicht unterlassen werden.“
Ein anderes Thema in Washington war die globa-
le Mindestbesteuerung. Hier geht es für Scholz um
besonders viel, er hat den Kampf gegen Steuerver-
meidung maßgeblich mit auf die Agenda gesetzt,
ein Durchboxen wäre ein großer Erfolg für ihn.
Während der deutsche Finanzminister nach dem
Treffen zuversichtlich war, die Reform bald be-
schließen zu können, waren andere Teilnehmer
auch hier skeptisch. Die USA hätten durchscheinen
lassen, doch einige Bauchschmerzen zu haben.
Doch selbst Aufregerthemen wie Facebooks Pläne
einer Digitalwährung und die möglichen Antworten
der Notenbanken gingen in Washington im Ver-
gleich zum Rennen um den SPD-Vorsitz unter. Auf
einer Schifffahrt über den Potomac, zu der die deut-
schen IWF-Teilnehmer traditionell zusammenkom-
men, gab es kaum andere Diskussionen. Wie stehen
Scholz’ Chancen? Was passiert, wenn er nicht ge-
winnt? Einige glauben, der frühere NRW- Finanz -
minister Norbert Walter-Borjans mache das Rennen,
andere sehen Scholz vorn. Und er selbst? Er sei
„sehr zuversichtlich“, sagt Scholz zum Rennen um
den Vorsitz. „Und es fühlt sich auch sehr gut an.“

SPD-Wahlkampf in den USA


Olaf Scholz nutzt das IWF-Jahrestreffen auch für Werbung im Rennen um den


SPD-Vorsitz. Er inszeniert sich als neuer Vize-Klimakanzler – was zumindest bei


Kristalina Georgiewa, der neuen Chefin des Währungsfonds, verfängt.


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MONTAG, 21. OKTOBER 2019, NR. 202


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