Der Spiegel - 26.10.2019

(backadmin) #1

E


in großer Moment für das
Holocaust-Museum in Bue-
nos Aires: Korresponden-
ten aus aller Welt sind Anfang des
Monats zur Pressekonferenz an-
gereist. Auf dem Podium im Rab-
binerseminar Marshall T. Meyer
sitzen die Sicherheitsministerin
Argentiniens, der Chef der Bun-
despolizei, eine hohe Richterin
und der Präsident des Holocaust-
Museums.
Auf einem langen Tisch: Hit-
lerbüsten, ein Gerät zur Schädel-
vermessung, ein Schlüssel mit
Hakenkreuz, angeblich ein Ge-
schenk an den Krupp-Konzern.
Sie stammen aus einem Fund,
der als »Hitlers Silber-Schatz«
(»Bild«) 2017 weltweit Aufsehen
erregte und den die argentini-
schen Behörden nun dem Holo-
caust-Museum übergeben.
Die Polizei hatte die mehr als
80 Stücke zufällig entdeckt, wäh-
rend einer Hausdurchsuchung
bei einem Antiquitätenhändler
in einem Vorort der argentini-
schen Hauptstadt. Dazu zählen
auch Dolche mit Hakenkreuzen,
ein Séancebrett und Lupen, die
einst der »Führer« benutzt ha-
ben soll.
Ab dem 1. Dezember will das
Museum eine Auswahl der Ge-
denkstücke mit der düsteren Ver-
gangenheit präsentieren.
Doch was genau bekommen die Besu-
cher dann zu sehen? Kunstgegenstände
aus dem »Tausendjährigen Reich«, impor-
tiert von einem jener etwa 800 hochran-
gigen NS-Funktionäre, die nach der Nie-
derlage 1945 nach Argentinien geflohen
waren? Oder nur skurrilen Krempel?
Stephan Klingen, Experte am Münch-
ner Zentralinstitut für Kunstgeschichte, ist
sich seines Urteils sicher: Von dem ver-
meintlichen Schatz, sagt er, »ist so gut wie
nichts echt«.
Der Kunsthistoriker zählte zu einer
kleinen Delegation des Bundeskriminal-
amts (BKA), die im März 2018 nach Bue-


nos Aires geflogen war. Die argentinische
Bundespolizei hatte um Amtshilfe gebeten.
Die Deutschen sollten klären, was es mit
dem spektakulären Fund auf sich hat.
Wilde Mutmaßungen machten damals
die Runde: Gehörte ein Tasterzirkel zur
Schädelvermessung dem grausamen
Auschwitz-Arzt Josef Mengele? Und
stand die Spardose in Katzenform mit
Halsband und Hakenkreuz im Regal von
Adolf Eichmann, dem Holocaust-Orga -
nisator? Mengele und Eichmann hatten
zeitweise in derselben Gegend gewohnt
wie jetzt der Antiquitätenhändler, bei

dem der angebliche Schatz beschlag-
nahmt worden war.
Knapp eine Woche lang fuhren Klingen
und eine Kriminalhauptkommissarin je-
den Tag in eine schwer bewachte Polizei-
kaserne unweit des Río de la Plata. Dort
vermaßen und wogen sie, entzifferten In-
schriften und ließen die Objekte fotogra-
fieren. Noch bis September 2018 korres-
pondierten sie mit Museen, Unternehmen,
Historikern. Der achtseitige Abschlussbe-
richt samt Anhang fällt eindeutig aus: Bei
62 von 72 Objekten oder Objektgruppen
handelt es sich um »Fälschungen oder
Verfälschungen«. Vieles stammt zwar aus

den Dreißigerjahren, doch die Hakenkreu-
ze, In- und Aufschriften wurden laut der
Analyse des Experten Klingen erst nach
1945 angebracht, von einem »handwerk-
lich versierten Fälscher«.
Da ist die silberfarbene Sau-Skulptur,
laut Plakette der erste Preis bei einer Ber-
liner Landwirtschaftsmesse 1937, verliehen
für »Gewichtszunahme der Schweine«.
Doch eine solche Messe ist laut Gutachten
unbekannt, sie hat mit großer Wahrschein-
lichkeit nie stattgefunden. Oder die beiden
Lupen samt Schatulle, laut Widmungs -
plakette ein Geschenk von Mitarbeitern
des »Völkischen Beobachters« an
ihren Direktor zum »Tag der
Arbeit« 1933. Allerdings: Damals
feierten die Nazis den »Tag der
nationalen Arbeit«, und auf dem
Deckel der Schatulle prangt zu-
dem der falsche Adler.
Es sind Fehler im Großen wie
im Kleinen. Ein Generaldirektor
»Walter F. Krauss« bei der Fried-
rich Krupp AG Essen, angeblich
1939 von Arbeitern und Ange-
stellten mit einem goldenen
Schlüssel bedacht, ist laut Klingen
»nicht nachweisbar«. Auch wurde
in Deutschland 1942 ganz sicher
kein »Erster Prize« verliehen, wie
die Inschrift an einer Pferde -
skulptur glauben machen will.
Der Fälscher komme wohl von
»außerhalb des deutschen Sprach-
raums«, folgert Klingen. Er ver-
mutet, auch die Gegenstände
stammten nicht aus Deutschland.
Klingen verdrießt nicht nur,
dass die Argentinier trotz des
Gutachtens so tun, als wären die
Fundstücke echt. Sie berufen sich
auch explizit auf die deutschen
Experten. Dabei ist das Gutach-
ten nach Angaben des BKA im
Dezember 2018 der argentini-
schen Bundespolizei zugegangen.
Klingen und das BKA rätseln nun,
was in Buenos Aires los ist.
Die argentinische Bundespoli-
zei hat eine Anfrage des SPIEGEL
bis Redaktionsschluss nicht be-
antwortet. Jonathan Karszenbaum vom
Holocaust-Museum erklärt unverdrossen,
die Mehrheit der Objekte sei »authen-
tisch«, und beruft sich auch auf das »Gut-
achten aus Deutschland«. Will man sich
den angeblichen Sensationsfund nicht ka-
puttrecherchieren lassen?
Über das klare Urteil aus Deutschland
dürfte sich zumindest ein Argentinier freu-
en: der Händler, bei dem der Nazi-Klim-
bim gefunden worden war. Er hatte gleich
erklärt, der sei nicht echt.
Jens Glüsing, Klaus Wiegrefe
Mail: [email protected]

DER SPIEGEL Nr. 44 / 26. 10. 2019 59

Nazi-


Klimbim


Gedenken Das Holocaust-
Museum Buenos Aires erhielt
vom argentinischen Staat
einen »Nazi-Schatz«. Laut BKA
ist fast alles gefälscht.

NURPHOTO VIA GETTY IMAGES
Nazi-Devotionalien in Buenos Aires
Fehler im Großen wie im Kleinen

Deutschland
Free download pdf