Die Zeit - 10.10.2019

(Wang) #1

BELLETRISTIK


E


s ist aus heutiger Sicht
völlig unglaublich, wie
die Öffentlichkeit reagier-
te, als 1988 der Roman
Salz auf unserer Haut von
Benoîte Groult erschien.
Die damals 68 Jahre alte
Schriftstellerin und Feministin sei, so glaub-
ten ihre überwiegend männlichen Kritiker
mitunter, »ungenügend gevögelt« und der
Text ein Frauen-Porno, also im Grunde in-
diskutabel. Jene Reaktionen sind wegen
ihrer misogynen Unverschämtheiten un-
glaublich, und sie sind es, weil in Salz auf
unserer Haut eigentlich nichts passiert, wo-
ran man heute Anstoß nehmen würde: Eine
Pariser Intellektuelle hat, obwohl zeitweise
verheiratet, über Jahrzehnte hinweg eine in-
tensive sexuelle Beziehung zu einem breto-
nischen Fischer, ohne auf die Idee zu kom-
men, ihren vor allem sexuell und weniger
intellektuell ansprechenden Boyfriend zu
heiraten – und das ist eigentlich auch schon
die Zusammenfassung des gesamten, etwa
30 Jahre alten Skandals.
Groult konfrontierte das Publikum
mit einer ihrem Geliebten überlegenen
Frau, die ihre Lust auslebte, und sie gab
jener Frau eine Sprache für ihre tabubelegte
Lust. In Deutschland stand Salz auf un-
serer Haut zwei Jahre lang auf Platz eins
der Spiegel-Bestsellerliste, was natürlich
toll für Groult war, aber auch zur Folge
hatte, dass man sie hierzulande als Porno-
grafin las und sie weniger anerkannte als
eine feministische Autorin, die sie damals
in Frankreich längst war.
Folglich kann man insbesondere in
Deutschland von Groult nicht reden, ohne
ihren regelmäßig als autobiografisch apo-
strophierten Salz-Roman zu erwähnen,
was aber insofern nicht schlimm ist, als
es sich dabei um einen zwar stellenweise
etwas kitschbereiten, aber dennoch sehr
lesenswerten Roman handelt, der außer-
dem zu jenem Buch in einem speziellen
Verhältnis steht, um das es hier gehen soll.
Denn drei Jahre nachdem Groult im
Alter von 96 Jahren starb, erscheinen jetzt
ihre bisher unveröffentlichten »irischen

Tagebücher« unter dem Titel Vom Fischen
und von der Liebe, wobei es sich um eine
von Groults Tochter Blandine ausgewählte
Zusammenstellung dreier Journale handelt
(ein offizielles, ein unbereinigtes und ein
Logbuch über den Fischfang), die Groult
26 Sommer lang geführt hat. Nämlich
immer dann, wenn sie sich mit ihrem Ehe-
mann Paul Guimard (Schriftsteller) in ih-
rem gemeinsamen Haus in Irland auf hielt,
und eben auch dann, wenn ihr Ehemann
abreiste und stattdessen Groults langjähri-
ger Geliebter Kurt (US-Pilot und, wie der
bretonische Fischer, vor allem sexuell in-
teressant) in das irische Ferienhaus einzog,
worüber Groults Männer zwar informiert,
aber nicht immer glücklich waren.
Das Tagebuch beginnt 1977, da sind
die Beteiligten Ende 50, und es endet
2003, als Groult und ihr Mann über 80
Jahre alt sind und Kurt bereits tot ist. Man
sieht der Autorin dabei zu, wie sie sich und
ihren Männern sehr genau dabei zusieht,
wie sie älter werden (Kurt hat »Arschbacken
wie Plisseesterne«, Paul erinnert sie an ein

Salz auf ihrer Haut


Mit Kurt und Paul: Benoîte Groults Tagebücher schildern die


spezielle Liebeskonstellation der großen feministischen Autorin


VON ANTONIA BAUM

»Ich bin nun mal


sein einziges


Glück, umgekehrt


gilt das nicht«


BENOÎ TE GROU LT

GegenIceCre amStar


sindDieTributevonPanem


geradezu erbärmlich.


Wall Stre etJournal


Aus demEnglischenvonMilena Adam
667 S. / 978 - 3 - 95757 - 766 - 5 /€ 28 ,– (D )
Auch alseB ook erhältlich


©Georg eBaier

Auf derSuche nach ju ngen


literarischenHeldinnen?


Voilà, ein efacettenreichere,


furchtlosereals IceCream


Star wird siche rst einmal


schwe rfinden lassen.


Anne Haeming,SPIEGELOnline


20 DIE ZEIT 42/19

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