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Zweifel an den Saubermännern
Ein Team engagierter Richter und Staatsanwälte wollte Brasilien von der Korruption befreien. Jetzt geraten
sie selbst ins Zwielicht – und Bestecher und Bestochene atmen auf VON THOMAS FISCHERMANN
D
er prominenteste Strafgefan-
gene Brasiliens macht seinen
Wärtern gerade Probleme:
Er will nicht aus dem Ge-
fängnis raus.
Luiz Inácio »Lula« da
Silva, Staatspräsident von
2003 bis 2011, sitzt seit April 2018 in einer Zelle
in der Provinzhauptstadt Curitiba. Er ist in zwei
Prozessen zu mehr als 20 Jahren Haft wegen Kor-
ruption verurteilt worden, und die Staatsanwälte
möchten ihn in den offenen Strafvollzug verlegen.
Lula lehnt das ab. Er will sitzen, bis er von allen
Vorwürfen freigesprochen wird – und eigentlich
findet er, dass an seiner Stelle die Staatsanwälte
und Richter in den Knast gehören.
Die eigenartige Kerkerrebellion des Ex-Präsiden-
ten ist das jüngste Anzeichen für einen Umschwung
in Brasilien: Die Ära der rabiaten Korruptions-
bekämpfung geht zu Ende, und viele der Verurteilten
könnten sogar wieder freigelassen werden.
Vor etwa zehn Jahren war eine Generation ehr-
geiziger Staatsanwälte und Richter angetreten, um
Wirtschaft und Politik von einer alten Geißel zu
befreien. Mit neuen Ermittlungsmethoden und viel
politischem Mut legten sie Großfahndungsserien auf,
die zum Beispiel »Lava-Jato« hießen (»Operation
Autowäsche«), und bald zerschlugen sie mächtige
Korruptionsringe.
Über Jahrzehnte hinweg hatten brasilianische
Politiker und Spitzenbeamte großen Staats- und
Privatunternehmen Geschäfte ermöglicht, zum Bei-
spiel Bauprojekte, und sie drückten dann die Augen
zu, wenn die Kosten in den Himmel schossen. Ein
Teil des Umsatzes floss den Politikern zu, normal
waren drei Prozent.
In Wirtschaftskreisen gilt diese weitreichende
Korruption als eine der größten Bremsen für das
Wachstum im Land: Internationale Investoren über-
legen sich dreimal, ob sie sich in einer Region enga-
gieren, wo Beamte und Politiker Genehmigungsver-
fahren für neue Projekte verschleppen, weil sie auf
Bestechungen hoffen. Wo korrupten einheimischen
Unternehmen ständig Vorteile eingeräumt werden.
Gegen all das gelang Brasiliens Korruptions-
bekämpfern ein kräftiger Schlag: Sie brachten rund
200 Beschuldigte hinter Gitter – vom führenden Bau-
unternehmer Brasiliens Marcelo Odebrecht bis zum
Ex-Präsidenten da Silva. Ihr Vorgehen wurde zum
Vorbild. In 15 weiteren Ländern Lateinamerikas
wurden, ausgehend von Erkenntnissen aus Brasilien,
solche Verfahren aufgelegt, und viele Mächtige wan-
derten ins Gefängnis.
In Peru zum Beispiel ruinierten die Ermittlun-
gen die politischen Karrieren gleich mehrerer frü-
herer Präsidenten, einer brachte sich im April kurz
vor der Verhaftung um. Die global tätigen Korrup-
tionsbekämpfer von Transparency International
feierten Leute wie den auf Wirtschaftsverbrechen
spezialisierten Richter Sergio Moro. Der Chef
über die Lava-Jato-Verfahren erhielt in aller Welt
Auszeichnungen und Ehrendoktortitel und wurde
von der US-brasilianischen Handelskammer zum
»Mann des Jahres« gekürt.
Bloß erscheinen die Saubermänner seit einigen
Monaten nicht mehr wie Superhelden. In Brasi-
lien häufen sich die Belege dafür, dass etliche
Staatsanwälte und Richter selber mit zwielichtigen
Methoden vorgingen, und damit steht jetzt der
Ruf der ganzen Anti-Korruptions-Bewegung auf
dem Spiel. Vielleicht müssen bald Hunderte von
Knasttüren wieder aufgeschlossen werden. Auch
diejenige, hinter der Lula da Silva sitzt.
Brasiliens rabiate Korruptionsbekämpfer
wurden in aller Welt für ihre Arbeit geehrt
Ende August fing es an. Die obersten Richter Brasi-
liens erklärten einen besonders aufsehenerregenden
Prozess aus der Lava-Jato-Serie für hinfällig: Der
frühere Chef des halbstaatlichen Ölkonzerns Petro-
bras, Aldemir Bendine, muss eine von Richter Sergio
Moro verfügte elfjährige Haftstrafe nicht antreten –
vorerst. Das höchste Gericht machte Verfahrens-
fehler aus, und demnächst soll es über eine Reihe
weiterer Fälle entscheiden, die ähnlich liegen. Unter
Umständen wird dann ein Großteil der Korruptions-
prozesse neu aufgerollt.
Die Schlüsselfrage, die in ganz Brasilien die Ju-
risten entzweit, betrifft den Kern der Erfolgsserie von
Richter Moro. Der hatte in so kurzer Zeit so viele
Verurteilungen geschafft, weil er eine ungewöhnlich
aggressive Kronzeugenregelung benutzte. Er setzte
einen Verdächtigen nach dem nächsten unter Druck,
zum Teil mit Beugehaft und Razzien bei ihren Fami-
lienangehörigen: Wenn die Beschuldigten rasch aus-
sagten und weitere Komplizen verrieten, kamen sie
mit geringen Strafen davon.
Dadurch brachte er so viele Politik- und Wirt-
schaftsgrößen zum Reden, dass Moro in den Augen
vieler Brasilianer zu einem wahren Volkshelden
wurde. »Die da oben« hatten in Brasilien zuvor als
nahezu unantastbar gegolten. Jetzt wurden sie vor
laufenden Kameras in die Gefängnisse abgeführt, und
in Brasilien gab es irgendwann sogar Moro-T-Shirts
und Moro-Actionfiguren zu kaufen.
Doch der Eifer der Ermittler wandelte sich offen-
bar irgendwann in Übermut. Das zeigt sich beispiel-
haft an der Verurteilung des Ex-Präsidenten da Silva.
In Brasilien zweifelt kein Mensch daran, dass Lula in
den Jahren ab 2003 politisch für eine Ära überbor-
dender Korruption verantwortlich war. Es ist bei-
nahe unmöglich, dass er nichts von den zahlreichen
Korruptionsringen gewusst hat, zumindest muss er
absichtlich weggeschaut haben.
Allerdings fiel es sogar den Cracks aus Curitiba
schwer, Lula persönlich etwas nachzuweisen. 2018
wurde er doch ins Gefängnis gesteckt, weil er an-
geblich eine Strandwohnung in der Nähe von São
Paulo als Bestechungsgeschenk erhalten haben soll,
doch die Beweise in diesem Verfahren
blieben dünn. Sie beruhten hauptsäch-
lich auf einem Zeitungsartikel und einer
der berüchtigten Kronzeugenaussagen.
Später wurden Vorwürfe laut, nach de-
nen Moro diesen und andere Kronzeu-
gen geradezu erpresserisch zu ihren Aus-
sagen gedrängt habe.
So ist der Lula-Prozess für Moro-
Fans und Moro-Gegner zum Symbol-
fall geworden. Und es fielen noch an-
dere merkwürdige Details ins Auge.
Die Verurteilung geschah auffällig
rasch, wenige Monate bevor da Silva ein zweites
Mal hätte Präsident werden können. In den Um-
fragen lag er bis dahin weit vorn.
Sogar ein Ausschuss der Vereinten Nationen
kritisierte damals den richterlichen Umgang mit
Lula, und vor einigen Tagen noch schrieb eine
Gruppe internationaler Juristen, darunter die
frühere Bundesjustizministerin Herta Däubler-
Gmelin, an das oberste Gericht in Brasilien: Das
Lula-Verfahren könne so nicht stehen bleiben. Für
Lulas eigene Arbeiterpartei ist der ehemalige Prä-
sident gar ein »politischer Gefangener«.
Immer wieder fanden sich Belege dafür, dass
Moro und Co. einen Regelverstoß nach dem
nächsten begingen und bewusst in der Politik mit-
mischten. Da wurden zum Beispiel aus Lava-Jato-
Verfahren polizeiliche Abhörprotokolle oder De-
tails aus den Kronzeugenverhören an die Medien
gespielt. Die brasilianische Öffentlichkeit fieberte
mit jedem neuen Skandal mit, und die Beschul-
digten wurden öffentlich vorverurteilt, häufig,
aber nicht in allen Fällen, zu Recht.
Immer stärker mischten die Korruptions-
bekämpfer in der Parteipolitik mit: 2016 etwa be-
förderte der Richter Moro durch gezielte Indis-
kretionen die umstrittene Amtsenthebung der
früheren Präsidentin Dilma Rousseff, das Lava-
Jato-Team veröffentlichte sogar gesetzeswidrig
Audio-Mitschnitte aus abgehörten Gesprächen
der Präsidentin. 2018 vereitelte Moro dann die
mögliche Wiederwahl da Silvas, und kurz darauf
wurde der rechtsextreme Politiker Jair Bolsonaro
zum Präsidenten gewählt. Der berief Moro zum
Justizminister. Beobachter deuteten das als ein
Dankeschön und als einen Beleg für Moros eigene
Korruption.
Seit Juni kommen in Brasilien jetzt quasi wö-
chentlich neue Enthüllungen heraus, die
die Korruptionsbekämpfer schlecht aus-
sehen lassen. Das liegt hauptsächlich
daran, dass der US-amerikanisch finan-
zierten Online-Publikation The Intercept
eine große Menge von Privatnachrichten
zugespielt wurde, die aus Telefonen der
Lava-Jato-Juristen stammten. Diese Pro-
tokolle, die mehrere Jahre zurückreichen,
wurden zwar offenbar von Hackern illegal
beschafft, aber nicht mal Moro und Co.
bestreiten ihre Authentizität. Das oberste
Gericht will sie voraussichtlich als Beweis-
mittel zulassen.
Die Nachrichten, die The Intercept häppchen weise
veröffentlicht, zeichnen ein vernichtendes Bild vom
Innenleben des Lava-Jato-Teams. Die Korruptions-
bekämpfer erscheinen dort als eifernde Aktivisten,
die dermaßen von ihrer Mission und der Schuld ihrer
Angeklagten überzeugt waren, dass sie bewusst die
Regeln brachen. In den veröffentlichten Auszügen
wirkt es auch so, dass bestimmte Informationen den
Gerichten vorenthalten wurden. Man verabredete
sich dazu, psychologischen Druck auf Kronzeugen
auszuüben, und einige Angeklagte der konservati-
veren Parteien wurden anscheinend aus politischen
Erwägungen großzügiger behandelt als Linke.
Insgesamt wurde so viel zwischen Richtern und
Staatsanwälten gemauschelt, dass unparteiische Ur-
teile kaum möglich erscheinen. So hat die Justiz jetzt
ein Glaubwürdigkeitsproblem – und die Korrupti-
onsbekämpfung gerät ins Stocken.
Moro ist bei einem großen Teil der Brasilianer
immer noch Volksheld. In Umfragen wünschen sich
viele Brasilianer den Saubermann sogar als Präsiden-
ten. Seine Anhänger sehen ihm die Regelverstöße
nach: Die brasilianische Korruption könne man eben
nicht ausrotten, indem man streng allen Regeln folgt.
Moros Fans stehen überwiegend rechts, sind also auch
für die politische Auslöschung des Sozialisten Lula
dankbar. »Lula ist wie ein politischer Drache, den
Moro für sie töten musste«, sagt Oliver Stuenkel, ein
Politikwissenschaftler der Getúlio-Vargas-Stiftung in
São Paulo.
Der Ex-Präsident soll in Hausarrest
gehen und Ruhe geben
Den Schwarzen Peter hat das Oberste Gericht, das
in Brasilien zugleich auch das Verfassungsgericht ist.
Die Meinungen der Richter dort gehen auseinander,
einigen ist das forsche Gebaren der »Lavajatistas« und
ihr Generalangriff auf die politische Klasse des Lan-
des ein Ärgernis. Es wird erwartet, dass sie zumindest
die umstrittene Kronzeugenregelung einkassieren
oder abschwächen.
Dem Präsidenten Bolsonaro wird selber kein
großes Interesse an der Korruptionsbekämpfung
nachgesagt, auch wenn er es selbst gern anders er-
scheinen lässt. Das liegt daran, dass er die politische
Klasse des Landes zufrieden halten muss, um über-
haupt Entscheidungen durchs Parlament zu bringen.
Dort fürchten viele die Ermittler, und auch einige
Bolsonaro-Vertraute und Mitglieder seiner eigenen
Familie sind in Korruptionsermittlungen verstrickt.
Andererseits wäre die Aufregung im Bolsonaro-
Lager groß, würde ausgerechnet das Lula-Verfahren
annulliert. Das ist wohl auch der Grund dafür, dass
die Staatsanwälte aus Curitiba den Ex-Präsidenten
zu einem Kompromiss überreden wollen: Er soll in
Hausarrest gehen und einfach Ruhe geben. Das hat
der frühere Präsident bloß nicht vor.
Nach zehn Jahren international gefeierter Kor-
ruptionsbekämpfung steht Brasilien nun vor der
schwierigen Wahl: Entweder setzen die Richter eine
große Schar korrupter Leute auf freien Fuß. Oder
die Strafen werden beibehalten und die vielen Regel-
brüche der Juristen aus Curitiba nachträglich legiti-
miert – was auf Jahre hinaus tiefe Zweifel an der
Rechtsstaatlichkeit in Brasilien säen würde.
Die Provinzhauptstadt Curitiba hat Brasiliens härteste Korruptionsbekämpfer hervorgebracht
Sergio Moro,
Schreck der
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