Süddeutsche Zeitung - 07.10.2019

(Michael S) #1
von philipp selldorf

E


ine Spruchweisheit erfahrener Bun-
desliga-Trainer und -Manager be-
sagt, dass die Tabelle erst ab dem
zehnten Spieltag eine gewisse Aussage-
kraft besitzt für den weiteren Verlauf der
Saison. An diesem Punkt ist die laufende
Spielzeit zwar noch nicht angelangt, aber
sie ist auch schon über das Anfangsstadi-
um hinweg, in dem sich die Neulinge
noch an ihre Mitspieler, die Mannschaf-
ten an ihre neuen Trainer und die Trainer
an ihre neuen Mannschaften gewöhnen
müssen. Die Zufallsmomente im Betrieb
nehmen ab, die Konstanten nehmen zu.
Der skurril anmutende aktuelle Stand
der Bundesliga-Tabelle, in der mehr als
ein halbes Dutzend Klubs quasi gleichauf
vorneweg läuft, beruht daher nicht mehr
nur auf Anpassungsprozessen und den
üblichen vorübergehenden Launen einer
Startphase. Er hat konkrete Ursachen –
und womöglich demnächst auch konkre-
te Folgen.


Ein offener Wettbewerb erfreut zwar
das Gros des Publikums, und sicherlich
genießt es auch die Deutsche Fußball-Li-
ga (DFL), dass sie ihren Medien- und Ge-
schäftspartnern ausnahmsweise mal ei-
nen spannenden Kampf um die Spitzen-
plätze anbieten kann. Die Großmächte
der Liga aber halten Spannung nur dann
für erstrebenswert und dem Gemein-
wohl zuträglich, wenn ihre Vorherrschaft
davon nicht berührt wird. Dies gilt nicht
nur für den FC Bayern und seinen exklusi-
ven Pachtanspruch auf Platz 1, sondern
auch für Borussia Dortmund, das in der
nationalen Rangliste mindestens die Posi-
tion 1B für sich als angemessen erachtet.
Dieses Verlangen haben die obersten
Borussen durch ihre zielstrebige Ein-
kaufspolitik und entsprechende Aussa-
gen vor der Saison konsequent unterstri-
chen. Es erweist sich nun aber zuneh-
mend als Problem, dass sich an diesem ja
keineswegs unbegründeten oder unange-
brachten Macht- und Meistertitel-An-
spruch, der im Grunde ein begrüßenswer-
tes sportliches Bekenntnis darstellt,
nicht alle führenden Borussen beteiligen
wollen. Ausgerechnet dem Trainer Lu-
cien Favre sind solche ambitionierten
Zielsetzungen fremd, er möchte seinen
Beruf lieber als Sportlehrer und pädagogi-
sche Fachkraft ausüben.
Weder ist er dazu imstande noch ist er
gewillt, die von der Klubführung öffent-
lich gesetzten Erwartungen ebenso öf-
fentlich offensiv mitzutragen. Damit lie-
ße sich leben, solange seine Lehre die ge-
wünschten Resultate liefert.


Doch da dies nun wiederholt nicht der
Fall gewesen ist, hat sich ein Gegensatz
zwischen den Verantwortlichen des BVB
ergeben, der ständig Unruhe schafft. Lu-
cien Favre sieht in seiner Rolle als – über-
spitzt gesagt – Anspruchsleugner wie ein
Trainer aus, der Leistung verhindert,
weil er sie nicht mit Unbedingtheit einfor-
dert. So häufen sich die Untertöne in den
Reden der BVB-Vorgesetzten, mit denen
Favre zur Last gelegt wird, dass seine Elf
in mittlerweile planmäßiger Zuverlässig-
keit nach wiederkehrenden Mustern
Punkte einbüßt.
Die vielen gefühlten Tabellenführer
der Bundesliga haben alle eigene span-
nende Geschichten zu erzählen, aber an-
ders als bei Gladbach, Wolfsburg, Frei-
burg oder Schalke ist das Spannungsele-
ment in Dortmund nicht produktiv und
erwünscht, sondern gefährlich für die
nächsten Wochen. Vor allem für Favre.


von benedikt warmbrunn

München– SeineEnglischkenntnisse hat
Thomas Müller nie zurückgehalten, er hat
Abitur, ist viel in der Welt herumgekom-
men, und wer so redefreudig ist wie Tho-
mas Müller, 30, aus Pähl am Ammersee,
der schnappt genug Vokabular auf, um
sich fließend verständigen zu können. Ein
Interview, das zumindest zu Teilen auf Eng-
lisch geführt worden war, hat es sogar ge-
schafft, viral zu gehen, wie es im englisch
eingefärbten Deutsch so bemüht weltläu-
fig heißt. Nachdem Müller mit Deutsch-
land 2014 den WM-Pokal gewonnen hatte,
befragte ihn eine Fernsehjournalistin auf
Englisch dazu, dass er nicht Torschützen-
könig geworden sei, sie sagte:How does it
make you feel? Müller sagte, dass ihn das
„ois ned“ interessiere, „der Scheißdreck“.
Er rief: „Weltmeista samma!“ Die Trophäe
für den Torschützenkönig, den goldenen
Schuh, könne sich die Journalistin sonst-
wohin schmieren. Dann verschwand er. Es
waren gute Zeiten für Müller.
Am frühen Samstagabend verlässt Mül-
ler die Münchner Arena, er hat am Nach-
mittag das einzige Tor des FC Bayern vorbe-
reitet und auch sonst gut gespielt, nun sagt
er: „Nothing to say, wie der Engländer
sagt.“ Dann verschwindet er. Es sind nicht
ganz so gute Zeiten für Müller.
Wenn die Zeiten für ihn nicht so gut
sind, dann gilt das auch für den Verein, den
Müller, ein Bayer durch und durch, verkör-
pert wie kein anderer im Kader. So war das
mehr als ein Jahrzehnt lang, und so muss
das dann ja auch am ersten Oktober-Sams-
tag 2019 sein. Oder?
1:2 (0:0) hat der FC Bayern sein Heim-
spiel gegen die TSG Hoffenheim verloren
und damit auch die Tabellenführung. Sie
könnten im Klub am Samstag über die Ur-
sachen der Niederlage reden, über die man-

gelhafte defensive Abstimmung, über of-
fensive Einfallslosigkeit. Sie könnten dar-
über reden, dass Niederlagen wie diese vor-
kommen im Laufe einer Saison; Kapitän
Manuel Neuer unternimmt einen Versuch
in diese Richtung, indem er von einem
„Warnsignal“ spricht. Sie könnten sich dar-
auf einigen, dass diese Niederlage genauso
wenig aussagekräftig ist wie das 7:2 ein
paar Tage zuvor in der Champions League
gegen Tottenham. Die Wahrheit liegt zwi-
schen diesen beiden Ergebnissen, sie liegt
also in einem Bereich, in dem die Bayern
wohl weiter sehr gute Chancen auf die
Meisterschaft haben. Trainer Niko Kovac
sagt immerhin: „Wir sind anscheinend
noch nicht so weit, das gute Spiel alle vier
Tage zu bringen.“
Doch am meisten gesprochen wird am
Samstag über: Thomas Müller.

Wobei das daran liegen könnte, dass
nicht viele andere Themen aufkommen
können, da die meisten Spieler in einer
Nothing-to-say-Stimmung die Arena ver-
lassen. Joshua Kimmich bittet darum, „die
anderen“ zu befragen. Niklas Süle sagt,
dass er „eigentlich nicht“ was zu sagen ha-
be, auch Serge Gnabry will „heute nicht“
sprechen. Neuer sagt, dass er in einer „japa-
nischen Medienrunde“ gewesen sei. Und
Thiago gesteht: „Ich habe keine Worte.“
Der Satz, der von diesem Tag hängen
bleibt, ist daher ein Satz, den Kovac vor
dem Spiel ausspricht. Beim Fernsehsender
Sky fragen sie ihn, warum Müller nicht von
Beginn an spiele, zum fünften Mal in Serie
nicht. Kovac sagt: „Thomas ist sehr wich-
tig, aber die anderen Spieler auch.“ Und:

„Wenn Not am Mann sein sollte, wird er
mit Sicherheit auch seine Minuten bekom-
men.“ Es ist ein zumindest mutiger Satz in
einem Verein, der seit Louis van Gaals Aus-
sage ein Müller-spielt-immer-Verein ist,
seit einem Jahrzehnt also. Der meist scher-
zende, manchmal auch scharfzüngige Mül-
ler ist der vielleicht wichtigste Spieler für
das Binnenklima des FC Bayern. Müller
hat nicht immer gespielt, manchmal,
wenn er immer gespielt hat, war das auch
nicht immer hilfreich. Aber immer, immer,
immer, wenn Müller schlechte Laune hat-
te, wurde es für den Trainer ungemütlich.
Im August 2017 sagte Müller, dass seine
Qualitäten „scheinbar nicht hundertpro-
zentig gefragt“ seien, einen Monat später
war Carlo Ancelotti nicht mehr Trainer. Im
Herbst 2018, Kovac wechselte gerade Mül-
ler ein, schrieb dessen Ehefrau Lisa bei
Instagram: „Mehr als 70 Min bis der mal
nen Geistesblitz hat“. Sie entschuldigte
sich am nächsten Tag, was dem FC Bayern
so wichtig war, dass er diese Entschuldi-
gung in einer Mitteilung öffentlich mach-
te. Kovac galt daraufhin als angezählt.
Am Samstag wechselte Kovac Müller
nach 60 Minuten ein, was niemand als Geis-
tesblitz bezeichnet, obwohl Müller das Of-
fensivspiel belebt. Eine Mannschaft, die ge-
gen Hoffenheim mit bürokratischer Sach-
lichkeit gewinnen will, versorgt Müller mit
Spielwitz, mit Passideen, mit überraschen-
den Läufen, aber auch mit seriösen Flan-
ken; eine davon bereitet den Kopfballtref-
fer von Robert Lewandowski vor (73.).
Da auch Javier Martínez vor dem An-
pfiff sichtlich geknickt auf der Ersatzbank
sitzt, über den Schultern einen tröstenden
Arm von Assistenztrainer Hansi Flick, sagt
Sportdirektor Hasan Salihamidzic später:
„Ich kann es verstehen, wenn Spieler, die
nicht spielen, unzufrieden sind.“ Er vertei-
digt allerdings auch Kovac: „Man muss

aber auch den Trainer verstehen, der eine
Mannschaft sucht, die sich einspielen soll.“
Und die offensiven Plätze sind zurzeit ver-
geben an Lewandowski (elf Ligatore), Gna-
bry (vier Tore gegen Tottenham), Kingsley
Coman (schnell und dribbelstark) sowie –
auf Müllers Lieblingsposition im Zentrum


  • an Philippe Coutinho, den Kovac zum
    Hirn seines Spiels aufbauen möchte. „Tho-
    mas macht seine Sache sehr gut, wenn er
    auf den Platz kommt“, lobt Kovac später
    versöhnlich, er wirbt mit aufrichtigem
    Ernst darum, aus seiner Aussage vor dem
    Spiel „nichts zu zaubern“.
    Derartige Zauberkünste sind jedoch
    vom Trainer gefragt. In einer Mannschaft,
    in der auch nur elf Spieler Platz in der Start-
    elf finden, muss Kovac mehr als elf Spieler
    bei Laune halten, und sei es durch die Illusi-
    on eines offenen Konkurrenzkampfes.


Freiburg– Bevor der Dortmunder Mann-
schaftsbus davonrollte, bekamen Spieler
und Trainer des BVB jede Menge Zuwen-
dung ab. Gut 200 Gästefans, die es auf die
Freiburger Haupttribüne verschlagen hat-
te, applaudierten und winkten den Spie-
lern auf dem Weg zum Flughafen freund-
lich hinterher. Kredit haben sie also noch,
die Hauptdarsteller beim BVB – obwohl
auch der Ausflug in den Breisgau arg ent-
täuschend geendet hatte. „Wir haben ei-
nen Punkt geholt, aber das fühlt sich eher
wie eine Niederlage an“, sagte Angreifer Ju-
lian Brandt – und lieferte dazu eine fach-
lich völlig korrekte Analyse: „Spielerisch
läuft es nicht gut momentan. Und wenn es
dann ums Kämpferische geht, gibt es
Mannschaften, die besser sind als wir.“
So zutreffend diese Feststellung war, sie
ähnelte einer ehrlichen Bankrotterklärung
für eine Mannschaft, die ihre dritte gefühl-
te 2:2-Niederlage im dritten Ligaspiel in Se-
rie erlitten hatte, gegen drei qualitativ ge-
wiss niedriger anzusiedelnde Gegner:
Frankfurt, Bremen und Freiburg. Die zarte
Hoffnung, dass nach dem Sieg in der Cham-
pions League bei Slavia Prag das Dortmun-
der Selbstbewusstsein wieder gewachsen
sein könnte, hat sich am Samstag jäh zer-
schlagen. Und nach dieser Serie von Män-
gelleistungen in der Liga, die die Eindrü-
cke der leichtfertig verspielten Meister-
schaft im Frühjahr zu untermauern schei-


nen, nehmen intern offenbar auch kriti-
sche Fragen an Trainer Lucien Favre zu.
Wieder war die meisterschaftsambitio-
nierte Borussia in Führung gelegen, zwei-
mal sogar. Aber erneut kassierte sie kurz
vor dem Abpfiff den Ausgleich gegen ein
Team, das alles tat, um zum Teilerfolg zu
kommen, während der BVB mal wieder mit
dem Status Quo zufrieden zu sein schien:

„Wenn du 1:0 und 2:1 führst und unsere
Qualität hast, musst du das spielerisch lö-
sen können“, seufzte Brandt, der mit die-
sem Aufruf zur Ergebnissicherung durch
das Ausspielen technischer Vorteile auch
einer in Dortmund weit verbreiteten Sicht-
weise entgegentrat. Dort wird zurzeit ja oft
der urdeutsche Vorwurf der nutzlosen
„Schönspielerei“ gegen den BVB erhoben.

Die vom schöngeistigen Favre geprägte Bo-
russia lasse zwar gefällig den Ball laufen,
versage aber bei kämpferischen Tugen-
den, heißt es oft. In Fankreisen ist derzeit
auch nicht die zuletzt viel diskutierte „Men-
talität“, sondern Maloche (also die fehlen-
de) das am meisten verwendete M-Wort.
Doch all das, fand Julian Brandt, sei
höchstens ein Teil der Wahrheit. Denn
dass eine Mannschaft, die mit solch vielen
feinen Kickern besetzt ist, grundsätzlich
den Ball nicht zum Feind erklärt, versteht
sich von selbst und macht an guten Tagen
auch Charme und Klasse dieser BVB-Elf
aus. Doch im Moment fehlt nicht nur jener
Plan B, den Favre in Freiburg mit einem
wuchtigen Schlag mit seiner rechten auf
die linke Hand illustrierte: „So muss man
Zweikämpfe führen!“ Auch Plan A, der das
Spielkonzept auf eigene Dominanz ausrich-
tet, wird fehlerhaft ausgeführt.
In Freiburg lief sich Mario Götze in der
ersten Halbzeit im vorderen Drittel einen
Wolf. Den Ball bekam er selten serviert,
und wenn doch, dann in den Fuß und nicht
in den Lauf, so dass er keine Fahrt aufneh-
men konnte. Das Dortmunder Spiel be-
raubte sich damit selbst seiner gefährlichs-
ten Waffe: Es fehlte schlicht an Tempo.
Auch das Mittelfeld muss sich Vorwürfe
gefallen lassen. Zwar zeigte Axel Witsel,
der mit einem furiosen Volleyschuss nach
einer Ecke sehenswert das 1:0 erzielte, ins-

gesamt eine ordentliche Partie, auch Ne-
benmann Thomas Delaney enttäuschte kei-
nesfalls. Doch im Zusammenspiel hatten
beide ihren Freiburger Pendants, Nicolas
Höfler und Amir Abrashi, zu wenig entge-
genzusetzen – die Deutungshoheit in der
Mittelfeldzentrale hatte der SC. Auch beim
herrlichen Fernschuss von Jungnational-
spieler Waldschmidt zum 1:1 verteidigten
die Dortmunder recht luftig. Und weil Ach-
raf Hakimi nach dem verletzungsbeding-
ten Ausfall von Lukasz Pisczek auf der un-
gewohnten rechten Abwehrseite aushelfen
musste und sich als offensiv denkender Ak-
teur dort ein ums andere Mal vom Freibur-
ger Christian Günter narren ließ, war die
Dortmunder Statik zu oft bedroht. Eine
Führung in Ruhe nach Hause zu bringen,
das war so erneut nicht möglich.

Warum nicht wenigstens der Kampf-
plan B funktionierte – Kratzen, Beißen
und all das – konnte kein Dortmunder so
richtig erklären. Am ehesten traf Kapitän
Marco Reus den Punkt, der mangelndes
Selbstbewusstsein ausmachte und fand,
die Freiburger hätten mehr Zutrauen in ih-
re Offensivaktionen gehabt. Fazit Reus:

„Wenn du überall in Führung gehst, muss
es von der Qualität her einfach reichen,
dass du hier gewinnst.“
Der Kollege Brandt verwies darauf, dass
„Frankfurt noch in den Köpfen“ gewesen
sei, wo das 2:2 in der 89.Minute gefallen
war. In Freiburg dasselbe: Wieder wirkte
der BVB am Ende ängstlich und zögerlich,
als der SC mit beeindruckender Vehemenz
aufdrehte und den Ausgleich erzwang (90.)


  • bezeichnend für Dortmunds Gesamtlage
    durch ein Eigentor von Akanji, der eine Her-
    eingabe des eingewechselten Freiburgers
    Grifo folgenschwer ablenkte.
    Freiburg war gut, kämpferisch sowieso,
    aber auch spielerisch war die zweite Halb-
    zeit aller Ehren wert. Dennoch stellte beim
    SC niemand in Frage, dass die individuell
    deutlich höhere Klasse der Dortmunder zu
    erkennen war. Dass es trotzdem wieder
    nicht zum Sieg reichte, war für BVB-Trai-
    ner Favre eine Frage der Aufmerksamkeit;
    er monierte auch „taktische Fehler“, die er
    intern ansprechen werde: „Das darf nicht
    passieren. Wir müssen bis zur letzten Se-
    kunde konzentriert bleiben.“
    Verantwortlich für alles Sportliche ist
    am Ende natürlich Favre selbst. Freiburgs
    glücklicher Trainer Christian Streich hatte
    für seinen niedergeschlagenen Kollegen
    zumindest einen Trost parat: „Lucien“, sag-
    te er zu Favre, „immerhin haben die Bay-
    ern heute verloren.“ christoph ruf


München– ErminBicakcic musste viele
Zweikämpfe führen, um seinen Spitz-
namen verliehen zu bekommen, und er
führte diese Zweikämpfe bevorzugt so
kompromisslos, dass danach oft nicht viel
übrig geblieben ist vom Zweikampf und üb-
rigens auch nicht vom gegnerischen Zwei-
kämpfer. Bicakcic nennen sie nur: Eisen-
Ermin. Es war daher folgerichtig, dass Hof-
fenheims Trainer Alfred Schreuder neun
Minuten vor dem Abpfiff der Partie beim
FC Bayern Eisen-Ermin einwechselte; es
galt nun ein 2:1 über die Zeit zu retten, oh-
ne auch nur einen Kompromiss.
Folgerichtig war es natürlich auch, dass
Eisen-Ermin drei Minuten vor dem Abpfiff
wild mit dem Zeigefinger wedelte. Das,
wollte er signalisieren, was er da gerade ge-
sehen habe, sei ein gewöhnlicher Zwei-
kampf gewesen und ganz bestimmt kein
Foul. Schiedsrichter Tobias Stieler blieb un-
beeindruckt: Dass Ihlas Bebou mit voller
Wucht Jérôme Boateng umgerammt hatte,
war für ihn dann doch zu viel der Eisenhär-
te. Doch der wild wedelnde Zeigefinger
von Bicakcic stand auch dafür, dass Hoffen-
heim nicht abrücken würde vom Plan, den
Bayern keinen Raum mehr zu überlassen.

Dass die TSG Hoffenheim 2:1 in Mün-
chen führen und diese Führung auch über
die Zeit retten konnte, das verdankten die
Gäste zwar auch ein paar Unzulänglichkei-
ten im Spiel des FC Bayern. Sie verdankten
es aber eben auch ein paar Eigenschaften
im eigenen Spiel. Sie traten leidenschaft-
lich und ohne die Scheu vor Zweikämpfen
auf, die die Bayern vor beiden Gegentoren
zeigten. Sie spielten unerschrocken weiter,
auch nach einer ungenutzten Riesenchan-
cen wie der von Sargis Adamyan in der vier-
ten Minute. Und sie waren in den entschei-
denden Momenten raffiniert genug, um
die Scheu der Bayern auszunutzen – allen
voran der unerschrockene Adamyan, der
bei beiden Treffern (54., 79.) den Ball durch
die Beine von Boateng schoss. Beim zwei-
ten Tor, gab Adamyan später zu, sei der
Beinschuss „nicht gewollt“ gewesen, was
dann auch fast schon wieder raffiniert war.
Adamyan, der vor einem Jahr noch für den
SSV Jahn Regensburg in der zweiten Liga
gespielt hat und vor zwei Jahren für den
TSVSteinbach in der Regionalliga Süd-
west, sagte: „Ich kann das selber noch
nicht genau fassen.“
Das unerschrockene, von Scheu und
Zweifeln befreite Auftreten war aber am
besten zu erkennen im Spiel von Sebastian
Rudy. Der 29 Jahre alte Mittelfeldspieler,
der vor einem Jahr noch für den FC Schalke
gespielt hat und vor zwei Jahren für den
FC Bayern, musste sich in den vergange-
nen Monaten oft anhören, dass er zu weich
sei. Am Samstag führte er energisch seine
Mannschaft an, das erste Tor bereitete er
vor, indem er mit einem ruppigen Zwei-
kampf Corentin Tolisso den Ball abnahm.
Es war ein Zweikampf, wie ihn Eisen-Er-
min nicht geschickter, aber auch nicht här-
ter hätte führen können. bwa

Streich tröstet den Kollegen
Favre: „Lucien, immerhin haben
die Bayern heute verloren ...“

Ohne Worte


Müller spielt immer? Nicht unter Niko Kovac. Das 1:2 gegen Hoffenheim stürzt den FC Bayern noch in keine Krise –
heikler ist, dass der Trainer Thomas Müller, das klubinterne Stimmungsbarometer, als Ersatzspieler einstuft

Die dritte 2:2-Niederlage in Serie


Der spielerische Plan A fehlerhaft, der kämpferische Plan B nicht vorhanden: Titelanwärter Dortmund verspielt in Freiburg erneut spät den Sieg – auch Trainer Favre rückt in den Fokus der Kritik


Javier Martinez sitzt traurig
auf der Bank – Co-Trainer Flick
nimmt ihn tröstend in den Arm

Anders als Gladbach, Schalke


oder Freiburg blickt der BVB auf


die kuriose Tabelle ohne Freude


Eisen-Rudy


Hoffenheim überrascht den FC Bayern
mit aggressiver Zweikampfführung

BVB-TRAINER FAVRE

Gefährliche


Untertöne


Torschütze Adamyan „kann das
selber noch nicht genau fassen“

Mit Favres Art ließe sich leben,


solange er Ergebnisse liefert –


aber das ist derzeit nicht der Fall


Angespanntes Binnenklima: Für Niko Kovac (re.) ist Thomas Müller (li.) gerade nur Ersatz. FOTO: FRANK HOERMANN/SVEN SIMON

32 HMG (^) SPORT Montag,7. Oktober 2019, Nr. 231 DEFGH
Die Leidenschaft des Außenseiters: Sargis Adamyan (links) feiert mit seinen Kollegen
sein erstes von zwei Toren gegen den FC Bayern. FOTO: FRANK HOERMANN/SVEN SIMON
Wieder Frust zum Schluss: Dortmunds Verteidiger Manuel Akanji (li.) nach seinem
EigentorzumFreiburger 2:2. FOTO: THOMAS KIENZLE / AFP

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