Handelsblatt - 07.10.2019

(Brent) #1

Wie viele Bauvorhaben allein im


deutschen Schienennetz Monate oder


gar Jahre blockiert sind, hat bei der


Deutschen Bahn noch keiner gezählt.


Fest steht, pro Jahr laufen zwischen 110


und 130 Planfeststellungsverfahren.


Und die wenigsten werden innerhalb


von zwei Jahren abgeschlossen. Insge-


samt sind bundesweit wohl Zehntau-


sende Verfahren zu Infrastrukturprojek-


ten bei Verwaltungsgerichten anhängig.


Allein im vergangenen Jahr erledigten


sie 18 000 solcher Verfahren, etwa zum


Bauplanungs- oder Umweltrecht.


Komplizierte Verfahren


Die Anforderungen durch das Natur-


und Artenschutzrecht wurden zuletzt


noch erhöht, sagt Expertin Kappes. Das


Verbandsklagerecht kam hinzu. Die


CDU überlegt nun, wie man es wieder


abschaffen oder zumindest einschrän-


ken könnte. Auch der Europäische Ge-


richtshof erweiterte zuletzt die Klage-


möglichkeiten für Umweltverbände: Sie


können nun in laufende Gerichtsverfah-


ren immer neue Einwände einbringen.


Bauwillige werden so mit immer um-


fangreicheren Prüfungen belastet, sagt


Kappes: „Am Ende stehen oft Gutach-


ten mit mehreren Tausend Seiten, die


Behörden und Gerichte durchgehen


müssen. Und wenn im Zuge jahrelanger


Planungen Daten veralten, sind erneute
Prüfungen erforderlich. Die Öffentlich-
keitsbeteiligung geht von vorne los.“
Kappes hält darum eine gesetzliche
Stichtagsregel für sinnvoll: Ab einem
bestimmten Zeitpunkt, etwa am Ende
des Anhörungsverfahrens, sollten keine
Daten mehr aktualisiert werden: „Das
könnte die Verfahrensdauer spürbar re-
duzieren.“ Auf eine Entschlackung der
Genehmigungsverfahren setzt auch
DIW-Ökonom Michelsen. Die Verein-
heitlichung der Bauordnungen etwa
wäre sinnvoll. Helfen könnte es auch,
Planungs- und Beratungsleistungen für
Kommunen zu bündeln.
Im Kleinen gibt es das bereits, etwa
bei der Partnerschaft Deutschland
GmbH (PD), einer Gesellschaft des Bun-
des, bei der Kommunen Planungs- und
Beratungsleistungen abrufen können.
„Es wäre sehr sinnvoll, wenn der Bund
seine Förderprogramme weiter stan-
dardisieren würde“, sagt PD-Geschäfts-
führer Stephane Beemelmans. Quar-
tiersentwicklung zum Beispiel förder-
ten mehrere Bundesministerien – aber
jedes nach eigenen Kriterien.
Viel wäre auch geholfen, wenn es ge-
länge, die Ämter zu digitalisieren, denn
noch immer werden wie in der Nach-
kriegszeit Aktenordner zwischen den
Ämtern hin- und her transportiert.

Kein Großprojekt ohne Klagen 2019 gingen beim
Bundesverwaltungsgericht 47 Klagen ein. Im
Fernstraßenrecht 27, im Schienenwegerecht vier,
im Energieleitungsausbaurecht 14 und im Wasser-
straßenrecht zwei Klagen. Die Verfahren erfordern
„in der Regel einen besonderen Aufwand“, so
das Gericht, wie Beispiele zeigen:

Stromnetze Die ersten Stromferntrassen für
die Energiewende wurden vor zehn Jah-
ren mit dem Energieleitungsausbauge-
setz beschlossen. Von den 1 800 Kilo-
meter Leitung sind bis heute 1 200
Kilometer genehmigt und davon
800 Kilometer realisiert. 2013
erklärte das Bundesbedarfsplange-
setz den Bau von insgesamt 5 900 Kilometer
Höchstspannungsstromleitung für vordringlich:
Bis heute sind 600 Kilometer genehmigt, nur 300
Kilometer realisiert, so die Bundesnetzagentur.
Mit der Novelle zum Gesetz zur Beschleunigung
des Energieleitungsausbaus hofft Wirtschaftsmi-
nister Peter Altmaier (CDU) jetzt auf Beschleuni-
gung: Es bündelt Zuständigkeiten und bietet
Landwirten mehr Geld, wenn sie sich schnell mit
dem Netzbetreiber einigen.

Elbvertiefung 17 Jahre lang kämpften Umwelt-
schützer dagegen vor Gericht. Als im Juli die Ver-
tiefung der Fahrrinne zum Hamburger Hafen end-
lich begann, waren zwar noch einige Klagen

anhängig. Das Bundesverwaltungsgericht hielt die
Planung aber für weitgehend rechtmäßig.

Autobahn A20 An der Küstenautobahn, einem
Verkehrsprojekt Deutsche Einheit, wird seit 1992
gebaut. Doch bei einem 20 Kilometer langen
Stück vor Segeberg herrscht seit sechs Jahren
Baustopp – wegen Fehlern bei der Arten-
schutzprüfung mit Blick auf Fledermäuse.
Die Planungsgesellschaft hofft auf einen
Baustart im Jahr 2022.

Jade-Weser-Port Der größte deutsche
Seehafen bei Wilhelmshaven ist nur
eingleisig an das Bahn-Fernnetz
angebunden. Dieselloks müssen 69
Kilometer überbrücken. Der Ausbau auf zwei
Gleise und die Elektrifizierung werden von der
Stadt Oldenburg blockiert. Es gibt jetzt zwar
einen Planfeststellungsbeschluss – aber gegen
den Sofortvollzug klagt die Stadt erneut.

Dresdner Bahn Seit 1997 soll die S-Bahn-Strecke
im Süden Berlins um Ferngleise erweitert werden


  • so, wie es vor dem Mauerbau war. Doch es gab
    immer neue Vorschläge, Widerstände, Einfluss-
    nahmen. 2015 lag ein Planfeststellungsbeschluss
    vor. Der wurde natürlich beklagt. 2017 gab das
    Oberverwaltungsgericht Leipzig den Weg frei.
    Baubeginn also nach 22 Jahren Planung für 16
    Kilometer. fo, hea, str


Stockende Großprojekte


W.M.Weber/TV-yesterday

   
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Risiko Investitionsstau


MONTAG, 7. OKTOBER 2019, NR. 192


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