Neue Zürcher Zeitung - 09.10.2019

(Brent) #1

18 ZÜRICH UNDREGION Mittwoch, 9. Oktober 2019


OBERGERICHT


Taxifahrer und Kunde prügeln sich

Ein Fahrgast sol l einem Taxifahrer ein Kreditkartenlesegerät auf den Hinterkopf geschlagen haben


TOM FELBER


DieseTaxifahrt ist auch nach vierein-
halbJahren noch nicht wirklich zu Ende,
auch nach einer Umleitung durch den
Verhandlungssaal des Obergerichts
noch nicht:Am 25. März 2015 um 5 Uhr
30 morgens winkte ein heute 34-jähri-
ger deutscher Unternehmensberater
nach einer durchzechten Nacht im Zür-
cher Kreis 1 einTaxi herbei.An dessen
Steuer sass ein heute 47-jähriger Mann
irakischer Herkunft,damals noch mit
AufenthaltsstatusF, heute mit Schwei-
zer Bürgerrecht. Nach derFahrt in den
Stadtkreis 11 musste derTaxifahrermit
einer ausgerenkten Schulter und einem
Armbruch direkt ins Spitalgebracht
werden.Auch derFahrgast war verletzt,
hatte Hämatome im Gesicht und einen
abgebrochenen Schneidezahn.
Vor Obergericht treffen die beiden
wieder aufeinander. Der Taxifahrer


reicht ein Arztzeugnis ein, das ihm auf-
grund desVorfalls eine nur noch 20-pro-
zentige Arbeitsfähigkeit bescheinigt.
Eine neuerliche Operation stehe an.
Nach seinen Zukunftsplänen befragt,
erklärt er, das Bezirksgericht habe ihm
geraten,ein e IV-Rente zu beantragen.
Er erzählt, wie der Unternehmensbera-
ter an jenem Morgen betrunken in sein
Taxi gestiegen sei. Der Mann sei genervt
gewesen, weil er sein Handy und seine
Schlüssel vermissthabe.Auf der ganzen
Fahrt sei er aggressiv und verletzend
aufgetreten und habe ihm ständig Rich-
tungsanweisungen wie «Links,Arsch-
loch», «Rechts,Arschloch» gegeben.

«Etwas Unflätiges»gesagt


Am Zielort habe derFahrgast mit einer
Kreditkarte bezahlt und einen zusätz-
lichenBeleg verlangt. Er habe nach dem
Belegblock gegriffen, da habe ihm der

Fahrgast dasKartenlesegerät auf den
Hinterkopf geschlagen.Dann schildert
der Taxifahrer detailreich, wie der Gast
aus demAuto gestiegen sei, dieFahrer-
türe aufgerissen, ihn geschlagen und ihn
des Diebstahls seines Handys und seiner
Schlüssel bezichtigt habe. Es habe eine
längere tätliche Auseinandersetzung
gegeben, er sei mehrmals zu Boden ge-
stossen worden. DerFahrgast sei zwei-
mal auf seinenBauch gesessen. Er habe
dann überFunk einenKollegen zu Hilfe
rufen können.Dann seien auchPolizei
und Ambulanz eingetroffen.
Der Unternehmensberater macht
geltend, an die eigentlicheFahrt habe
er keine Erinnerung mehr. Er sehe nur
noch, wie er am Zielort hintenim Auto
gesessen und «etwas Unflätiges» zum
Taxifahrer gesagt habe.Da sei er von
diesem angegriffen und geschlagen wor-
den. Erkönne sich auch an gegenseitige
Schläge auf de r Strasse erinnern.Eine Er-

klärung für die Schulterverletzung und
den Armbruch desTaxifahrers hat er
aber nicht. Beide Beteiligten behaupten
zudem, vom Gegner mit einem Pfeffer-
spray besprayt worden zu sein, obwohl
die Polizei amTatort keinen solchen fand.

Elektroschockgerät imTaxi


Im Juli 20 18 wurde derTaxifahrer vom
Bezirksgericht Zürich vomVorwurf der
einfachenKörperverletzung desFahr-
gastes freigesprochen. Dieser könne
auch betrunken auf sein Gesicht ge-
fallen sein. Der 47-Jährige wurde hin-
gegen wegenVergehens gegen dasWaf-
fengesetz zu einer bedingten Geldstrafe
von 35Tagessätzen verurteilt. In seinem
Taxi war ein alsTaschenlampe getarntes
Elektroschockgerät gefunden worden. Er
macht geltend,russischeFahrgäste hätten
das Gerät in seinemTaxi liegen lassen.
Der Unternehmensberater wurde
von derVorinstanz zwar wegen ein-
facherKörperverletzung verurteilt,aber
nur wegen des Schlags mit dem Karten-
lesegerät.Vom Vorwurf in Bezug auf die
Schulterverletzung und den Armbruch
wurde er freigesprochen.Es erfolgte
eine zusätzlicheVerurteilung wegen
Sachbeschädigung: Im September 20 15
hatte der Deutsche morgens um5Uhr
ein Velo entwendet, in den Zürichsee
geworfen und einem Hobbyangler, der
ihn zurRede stellte, die Angelrute zer-
brochen.Für beides gab ihm das Be-
zirksgerichteine bedingte Geldstrafe
von 64Tagessätzen. Die oberrichterli-
che Frage, ob er ein Alkoholproblem
habe, verneint der Deutsche im Beru-
fungsprozess jedoch.
DerRechtsanwalt desTaxifahrers
plädiert auf eine Verurteilung des
Unternehmensberaters, auch wegen
der Schulter- und der Armverletzung,
sowie auf einenFreispruch seines Man-
dantenin Bezug auf das Elektroschock-
gerät. Der Gegenanwalt zieht noch im
Gerichtssaal eine Berufung gegen den
Freispruch desTaxifahrers zurück. Dass
sein Mandant selber auf sein Gesicht
gefallen seinkönnte, klinge plausibel.
Er verlangt aber einenFreispruch für
seinen Mandanten.Dass dieser dem
Taxifahrer dieKopfverletzungen zuge-
fügt habe,sei nicht erwiesen.
DasObergericht hat angesichts vorge-
rückter Stunde am Dienstagkeine Urteile
gefällt. Sie werden schriftlich eröffnet.

DerTaxifahrerschildertden Gast vor Gericht als aggressiv.Letzterergibt an,keine Erinnerungen an dieFahrtzuh aben. GORAN BASIC/NZZ


APROPOS


SP gegen SP


Adi Kälin·Wer glaubt, die Flügel der
SP seien momentan etwas weit aufge-
spannt und deren Spitzen lägen meilen-
weit voneinander entfernt, sollte einen
Blick in die Grabenkämpfe der achtzi-
ger Jahre werfen.Damals schrammte die
SP in Zürich nur knapp an einerPartei-
spaltung vorbei.Vor allem die Haltung
zu denJugendunruhen teilte die Ge-
nossen ineinen gewerkschaftlich-tra-
ditionellen und einen aufmüpfig-linken
Teil. Das zeigte sich beispielsweise bei
der Parole zum Umbau desKongress-
hauses, über den imJanuar1981 abge-
stimmt wurde. DieFraktion des Ge-

meinderats hatte einstimmigJa gesagt
zum Kredit von 39,5 MillionenFranken,
der Parteivorstand beantragte den Dele-
gierten aber die Nein-Parole. Die Ver-
sammlung folgte diesemAntrag mit 98
zu 54 Stimmen.
Die Fraktion hätte sich nun schmol-
lend zurückziehen können, sie ver-
schickte aber ein Pressecommuniqué, in
dem sie mitteilte, sie halte mit Zweidrit-
telmehrheit an ihremJa fest. Der Ent-
scheid der Delegierten sei nach zwei
Kurzreferaten und ebenso kurzer Dis-
kussion zustande gekommen, dieFrak-
tion hingegen habe seriöse und sorgfäl-
tige Arbeit zur Meinungsbildung geleis-
tet, hiess es weiter imText, der von der
NZZ – genüsslich, darf man vermuten –
in vollerLänge abgedruckt wurde. Der
Entscheid sei deshalb «nach wievor rich-
tig». In derVolksabstimmung obsiegte
schliesslich die Haltung der SP-Fraktion,
die auch von allen grossenParteien ge-
teilt worden war.
Es sei angefügt, dass es einJahr spä-
ter nocharg er kam: Die drei bisherigen
Stadträte wurden nur nochvomGe-
werkschaftskartell portiert, die SP stellte
zwei eigene Kandidaten auf, von denen
einer auch fürs Stadtpräsidium antrat.
DieFolgen: ein überwältigender bür-
gerlicherWahlsieg im März1982, bür-
gerliche Mehrheiten in Stadt- und Ge-
meinderat – und nach langer Zeitwieder
ein freisinniger Stadtpräsident!

In den achtziger Jahren
schrammte
die SP Zürich
nur knapp an einer
Parteispaltung vorbei.

Wolle

n. Wä

hlen.

Mögli

ch ma

chen.

Gemeinsamw

eiterkommen.

·Arbeitsplät

zeund Wohls

tand

·Zugang zu w

eltweiten Mä

rkten

·Liberale Um

weltpolitik
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