Süddeutsche Zeitung - 02.10.2019

(avery) #1

München– BardiaTorabi, 42, ist einer der
führenden Hoteldirektoren Deutschlands.
In Iran als Sohn eines Arztes geboren, kam
er mit sieben Jahren nach Deutschland
und ging in Hannover zur Schule. Eigent-
lich wollte er Pilot werden, doch ein Prakti-
kum im Hotel änderte seinen Berufs-
wunsch. Seine Karriere ging steil bergauf:
Vom Holiday Inn Crown Plaza und dem
Marriott in Hannover führte sie nach Ber-
lin, wo er zuletzt neben dem Adlon zwölf
weitere Kempinski-Hotels als Vertriebs-
und Marketingdirektor verantwortete.
Nach einer Station im Münchner Vier Jah-
reszeiten wurde er General Manager des
Roomers Designhotel in der Landwehrstra-
ße. In wenigen Tagen wird Torabi die Stadt
verlassen, um als General Manager das
Ritz Carlton Sharq Village in Doha, Katar,
zu übernehmen. Sein Lebenstraum.


SZ: Herr Torabi, was hat die neue Heimat,
was München nicht hat?
Wüste, Sand, Meer – und die Fußball-Welt-
meisterschaft 2022!
Sind Sie Fußball-Fan?
Ich gebe zu, dass ich immer noch Dort-
mund-Fan bin. Aber in den Jahren in Mün-
chen habe ich den FC Bayern schätzen ge-
lernt. Viele der Bayernspieler, aber auch
Nationalspieler, sind Kumpels oder Freun-
de geworden. Da freue ich mich natürlich
sehr, die Jungs in Doha wieder zu sehen –


und zwar schon bald, denn sie kommen ja
im Januar wie jedes Jahr ins Trainings-
lager nach Katar.
Das Fünf-Sterne-Haus, das Sie dort füh-
ren werden, gehört zur Champions
League der Hotellerie. Die größte Suite
hat 2000 Quadratmeter, einen eigenen
Pool und eine eigene Chefküche. Was be-
deutet Luxus für Sie?

Ich habe nie vergessen, dass es da draußen
auch eine andere Welt gibt. Und Luxus be-
deutet für jeden was anderes. Als ich im Ad-
lon anfing, stand in jedem VIP-Zimmer
Champagner. Da sagte ich: Woher wisst
ihr, dass jeder Gast Champagner trinkt? Es
gibt welche, die wollen lieber grüne Äpfel
oder Gummibärchen – das sagte mir mal
ein Stammgast. Man muss die Gäste im-
mer persönlich kennenlernen.

Das Hotel in Doha gehört dem Emir von
Katar ...
Nicht nur das Hotel, das ganze Land. Es ist
ein sehr traditionelles Land, das aber
gleichzeitig viel in Bildung und Modernisie-
rung investiert. Es ist das wohlhabendste
Land der Welt und hält auch Aktien von
VW, Siemens oder der Deutschen Bank.
Die Deutschen stehen dort hoch im Anse-
hen, habe ich mir sagen lassen.
Wenn Sie dann bei 40 Grad im Schatten un-
ter Palmen sitzen, was werden Sie an Mün-
chen vermissen?
Die Biergärten, in denen man seine mitge-
brachten Stullen isst, die Kultur und die bo-
denständige Herzlichkeit der Leute. Aus ei-
nigen Geschäftspartnern sind längst
Freunde geworden. Aber ich sage immer:
Nur wer geht, kann wieder kommen.
Welche Spuren haben Sie in München hin-
terlassen?
Das müssen Sie andere fragen. Ich denke,
dass ich meinen Job immer mit Herzlich-
keit verbinde. Die Arbeit in der Hotellerie
ist hart. Man muss auf vieles im Privat-
leben verzichten. Auch ich habe immer wie-
der gelitten, um dorthin zu kommen, wo
ich heute stehe. Man kann Weihnachten
nicht zu Hause sein, verpasst die Hochzeit
des besten Freundes. Da ist Menschlich-
keit am Arbeitsplatz ein großer Wert. Ich
möchte, dass sich meine Mitarbeiter mit
guten Gefühlen an mich erinnern und sa-

gen: Der Torabi hat viel verlangt, aber
mich weitergebracht.
Drei Gründe, warum Sie froh sind, nicht
mehr in München zu leben...
Hm, da fällt mir nicht viel ein. Der Dialekt
vielleicht. Ich habe ein Jahr lang geübt, bis
ich einigermaßen richtig Fleischpflanzerl
sagen konnte. Jetzt habe ich mir vorgenom-
men, in Doha ein bisschen Arabisch zu ler-
nen. Ich bin anpassungsfähig, deshalb ar-
beite ich ja in der Hotellerie (lacht).
Was werden Sie als erstes tun, wenn Sie zu
Besuch in München sind?
Meine Familie wird erst einmal noch hier
bleiben, also werde ich natürlich nach Hau-
se gehen. Und ins Schumann’s. Und dann
an meine früheren Wirkungsstätten, das
Vierjahreszeiten und das Roomers. Ich hän-
ge sehr an Erinnerungen.
Was sind Ihre Lieblingsfotomotive von
München, die Sie nicht von Ihrer Kamera
löschen?
Ich fotografiere nicht so viel, ich behalte
die Bilder lieber im Kopf und im Herzen,
nach dem Motto „collect moments not
things“. Das sind zum Beispiel Bilder vom
Olympiapark, in dem ich ab und zu joggen
gehe, um den Kopf frei zu kriegen. Oder
die Erinnerung an meinen ersten Abend
im Café Schwabing, das es leider nicht
mehr gibt.

interview: martina scherf

Bardia Torabi ist Dortmund-Fan. „Aber in München habe ich den FC Bayern
schätzen gelernt. Viele der Spieler sind Kumpels geworden.“ FOTO: PRIVAT

„Nur wer geht, kann wieder kommen“


Bardia Torabi hat schon viele Luxushotels gemanagt, jetzt geht er von München nach Katar, in das Ritz Carlton in Doha. Ein Gespräch über Fußball, Champagner und den Reiz der Biergärten


von josef grübl

D

ie Zeiten, in denen liebestolle
Menschen zwecks Triebab-
fuhr zum Telefon griffen, sind
längst vorbei: Heute geht man
dafür online, nutzt Porno-
oder Dating-Seiten, lädt sich Apps aufs
Handy und wischt und glotzt so lange dar-
auf herum, bis sich das mit dem Trieb ir-
gendwann von selbst erledigt hat. Unbefrie-
digt bleiben nur die, die all die schönen On-
lineangebote nicht nutzen können. Offline
drehen die Menschen durch, und zwar
nicht nur die liebestollen, wie man in „Eine
ganz heiße Nummer 2.0“ sehen kann.
Bei der Premiere am Montagabend im
Mathäser-Kino geht es zwar eigentlich um
diese Komödie, doch bevor sie läuft, wird
viel geglotzt und herumgewischt, bevor-
zugt auf Handydisplays natürlich. Gerade
erst hat ein Handy-Unternehmen die
Smartphone-Nutzung nach Ländern aufge-


zählt und kommt für Deutschland auf eine
beachtliche Zahl: Im Durchschnitt scrollt
der Deutsche 173 Meter über Smartphone-
bildschirme täglich. Das ist zehn Mal die
Länge des roten Teppichs am Montag-
abend. Dort herrscht die höchste Online-
Dichte: Man twittert, whatsappt oder

checkt nur mal schnell die Mails, als Ausle-
geware machen derweil die Hauptdarstelle-
rinnen Rosalie Thomass, Bettina Mitten-
dorfer und Gisela Schneeberger Dreier-Sel-
fies. Nicht auszudenken, wenn es hier kein
Internet gäbe: Dann würden sie alle durch-
drehen, die liebestollen und die anderen
natürlich auch. „Kein Netz, keine Liebe“,
steht auf den Plakaten hinter ihnen. Einer
großen Fan-Liebe ist dieser Abend und der
dazugehörige Film überhaupt erst zu ver-

danken: Im Jahr 2011 kam die bayerische
Komödie „Eine ganz heiße Nummer“ her-
aus, in der drei Dorffrauen aus dem Bayeri-
schen Wald eine Telefonsex-Hotline grün-
deten und fortan so laut stöhnten, dass
selbst der Pfarrer rote Ohren bekam. Im
Film hatten sie damit nur mäßig Erfolg, im
Kino dagegen umso mehr: 1,3 Millionen Zu-
schauer kauften sich ein Ticket für diese
gar nicht mal so heiße Nummer. Denn das
fernmündliche Gestöhne war schon da-
mals ein Anachronismus, selbst im Bayeri-
schen Wald gab es in jenen Jahren schon In-
ternet. Nur eben kein so starkes, deshalb
klappt es bis heute nicht so gut mit all den
Apps, den Porno- und den Dating-Seiten.
Genau deshalb haben die Macher eben das
zum Thema dieser späten Fortsetzung ge-
macht.
Und wer weiß, vielleicht sind ja wirklich
ein paar Premierengäste da, die sich für die
schlechte Netzabdeckung in den äußers-
ten Winkeln des Freistaats interessieren

und darüber einen Film sehen wollen. Die
meisten Zuschauer aber werden über eine
ebenso leichte wie seichte Komödie la-
chen, in der es ein Wiedersehen mit vielen
alten Bekannten gibt. Ein paar Neuzugän-
ge sind auch dabei, Jorge González etwa.
Der TV-Tanzlehrer darf sich praktischer-
weise selbst spielen und soll den drei semi-
professionellen Sexarbeiterinnen von da-
mals Schrittfolgen und Drehungen beibrin-
gen. Das ist zwar ein rechter Schmarrn,
aber ein leidlich amüsanter, außerdem
kann González zu diesem Anlass mit ho-
hen Absätzen über den Teppich stiefeln.
Damit beherzigt er eine der ältesten Show-
regeln überhaupt: Wer den großen Auftritt
sucht, sollte dafür die richtigen Schuhe an-
haben. In seinem Fall sind es glitzernde
Overknee-Stiefel mit gefühlten 20-Zenti-
meter-Absätzen, selbstverständlich über-
ragt er damit alle anderen im grell erleuch-
teten Premierengewimmel. Bettina Mitten-
dorfer etwa ist mindestens zehn Zentime-

ter niedriger unterwegs, Rosalie Thomass
noch niedriger, während Gisela Schneeber-
ger gleich auf weiße Sneakers setzt. Doch
die Münchner Schauspielerin steht ohne-
hin nicht so sehr auf Staraufläufe: „Am
liebsten würde ich mich jetzt ins Kino set-
zen und den Film anschauen“, sagt sie am
Rand des roten Teppichs, „den Rest

brauch’ ich ned.“ Der Rest, das sind für
Schneeberger an diesem Abend aber auch
Jacken, Taschen oder süße Backwaren von
der Wiesn. „Ich hab gerade mein Herz verlo-
ren“, sagt sie freimütig und meint damit
das Lebkuchenherz, das sie sich für die Fo-
tografen umgehängt hat. Dort hängt es
aber nicht lange, fleißige Helfer nehmen es
ihr wieder ab, ihre Handtasche und den Bla-

zer haben sie hoffentlich auch noch irgend-
wo zur Hand. Ihre Kollegen seien nachmit-
tags auf der Wiesn gewesen, erzählt Schnee-
berger, das habe sie aber ausgelassen.
Denn wenn es etwas gibt, was die Schnee-
berger noch weniger mag als Staraufläufe,
dann sind das Menschenaufläufe.
Insofern hätte sie auf dem Oktoberfest
wohl in der Tat wenig Spaß gehabt. Rosalie
Thomass dagegen mag die Wiesn, sie mag
auch Tanznummern und Traktorfahren –
beides durfte sie im Film ausgiebig ma-
chen. Doch am liebsten mag sie Paul, der
im Film nicht von ihrer Seite weicht, bei
der Premiere aber fehlt: „Wahrscheinlich
hat er einen anderen Gig, er ist sehr be-
gehrt“, sagt Thomass. Paul ist ein Mini-
schwein aus Brandenburg, ein echtes Film-
tier, das auf Befehl grunzen, schnuppern
und vielleicht sogar ein bisschen stöhnen
kann. Das passt gut zum Film, der sich ein
bisschen versaut gibt, im Grunde aber völ-
lig harmlos ist.

Wisch und Web


GlitzerndeOverknee-Stiefel, schwer abhängige Handynutzer auf und neben der Leinwand, dazu eine wunderbar grantige Hauptdarstellerin:
Bei der Kino-Premiere von „Eine ganz heiße Nummer 2.0“ geht es hektisch, heiter und harmonisch zu. Gisela Schneeberger verliert sogar ihr Herz

Analog albern:
Die Darsteller Rosalie
Thomass, Jorge Gonzáles
und Franziska Schlattner
(oben links, von links),
Gisela Schneeberger (links)
und Schauspiel-Kollegen
Helmfried von Lüttichau,
Günther Maria Halmer und
Felix von Manteuffel
(rechts oben, von links)
im Gespräch bei der
Premiere am Montagabend.
FOTOS: STEPHAN RUMPF

Eigentlich fehlt nur Paul,
aber derhat Termine. Ein Film-
Schwein ist eben gefragt

KOMMEN & GEHEN


Mit jedem Menschen,
der zuzieht, verändert
sich die Stadt. Und auch mit
jedem Menschen, der
München verlässt, verliert
die Stadt ein Stück Identität

SZENARIO


R6 LEUTE Mittwoch/Donnerstag, 2./3. Oktober 2019, Nr. 228 DEFGH

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