Die Welt - 05.10.2019

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05.10.19 Samstag, 5. Oktober 2019DWBE-HP


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DWBE-HP

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05.10.1905.10.1905.10.19/1/1/1/1/Gesch1/Gesch1 AHEIDRIC 5% 25% 50% 75% 95%

DIE WELT SAMSTAG,5.OKTOBER2019 GESCHICHTE 23


A


m 25. Mai 1720 lief die „Le
Grand Saint-Antoine“ in
den Hafen von Marseille
ein. Das Schiff hatte wert-
volle Waren aus der Levan-
te geladen, die seine Eigentümer umge-
hend verkaufen wollten. Aus diesem
Grund ließen sie ihre Beziehungen zu
den Behörden spielen, um die Warnun-
gen des Kapitäns abzutun. Der hatte
nämlich unterwegs sieben Matrosen
verloren, ein weiterer starb im Hospital
und bald nach ihm der Beamte, der das
Schiff für unverdächtig erklärt und da-
mit der Quarantäne enthoben hatte.
Wenige Tage später begann das große
Sterben, dem wohl 100.000 Menschen
zum Opfer fielen. Zum letzten Mal er-
hob die Pest in Lateineuropa ihr ent-
setzliches Haupt.

VON BERTHOLD SEEWALD

Der drei Meter lange und eine Tonne
schwere Anker der „Le Grand Saint-An-
toine“ ist wahrlich ein passender Weg-
weiser für die Ausstellung, die derzeit
im Museum für Archäologie des
Landschaftsverbands Westfalen-Lippe
(LWL) in Herne zu sehen ist: Unter
dem Titel „Pest“eröffnet sich das Pa-
norama einer geradezu apokalypti-
schen Bedrohung, die in den vergange-
nen 1500 Jahren die Bevölkerung Euro-
pas wiederholt um ein Drittel bis die
Hälfte dahingerafft hat. Die Pest hat
sich als Ur-Trauma in die Erinnerungs-
kultur eingeprägt, obwohl andere Pan-
demien sie längst an Vernichtungspo-
tenzial übertroffen haben.
Die Herner Ausstellung will nicht we-
niger als die Medizin- und Kulturge-
schichte der Seuche ausbreiten. Daher
beginnt sie zu einer Zeit, als die Men-
schen die tödlichen Folgen des Bakteri-
ums Yersinia pestis noch gar nicht von
anderen Seuchen unterscheiden konn-
ten. Neue Genanalysen weisen nach,
dass bereits vor 4900 Jahren in Schwe-
den Angehörige der Trichterbecherkul-
tur von der Pest hinweggerafft wurden.
Die berühmteste „Pest“-Epidemie
des Altertums die der Grieche Thuky-
dides um 430 v. Chr. in Athen be-
schreibt, wurde dagegen von einem Er-
reger provoziert, über dessen Identität
weiterhin spekuliert werden kann. „Die
AAAutorität des berühmten Historikersutorität des berühmten Historikers
hat allerdings dafür gesorgt, dass sich
Berichte über spätere Pestwellen diese
eindrucksvolle Schilderung zum Vor-
bild genommen haben“, erklärt der
Historiker Alexander Bernervom
LLLWL-Museum.WL-Museum.
WWWelthistorisch lassen sich drei großeelthistorisch lassen sich drei große
Pandemien unterscheiden, die unzwei-
fffelhaft von Yersinia pestis hervorgerufenelhaft von Yersinia pestis hervorgerufen
wwwurden. Im 6. Jahrhundert n. Chr. raffteurden. Im 6. Jahrhundert n. Chr. raffte
die nach dem Kaiser Justinian benannte
Pestetwa die Hälfte der Einwohner Ost-
roms und weiter Teile Europas und
Asiens dahin. Von 1347 bis 1722 überfiel
sie – zunächst „Schwarzer Tod“ genannt


  • in unregelmäßigen Wellen alle Teile
    Europas. Und ab 1890 lieferte sie sich in
    Ost- und Südostasien mit der modernen
    Medizin einen tödlichen Wettlauf, bis
    dem Franzosen Alexandre Yersin 1894
    die Isolierung des Erregers gelang.
    Obwohl die Pest im 8. und im 18. Jahr-
    hundert aus Europa wieder verschwand,
    war sie nie erloschen. In Zentralasien
    und Indien, heute auch auf Madagaskar,
    in Teilen Afrikas und sogar in den USA,


ist sie endemisch, werden von dort regel-
mäßig Erkrankungen und sogar Todesfäl-
le gemeldet. Allerdings kann die Seuche
mit Antibiotika bekämpft werden.
An ihrem Aufbäumen in historischer
Zeit hat auch der Mensch seinen Anteil.
Denn im Grunde wird die Pest erst als
Kulturfolger zum Massenmörder. Als
Wirtstiere bevorzugt Yersinia pestis
Nagetiere, vornehmlich Ratten, kann
aber auch andere Warmblüter befallen.
Gehen diese ein, übertragen dessen
Flöhe das Bakterium gern auf den
menschlichen Nachbarn, dessen Floh
ebenfalls als Bahnbrecher der Seuche
dienen kann.
Nach einigen Tage künden zunächst
Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen
von der Infektion, dann bilden sich Beu-
len an den Lymphknoten. Diese Beulen-
pest ist die häufigste Erscheinungs-
form. Brechen die Knoten im Körper
auf, gelangt der Erreger direkt in die

Blutbahn und erzeugt eine tödliche Sep-
sis. Besiedelt er die Lunge, verursacht
er die Lungenpest. Diese breitet sich
durch Tröpfcheninfektion aus und führ-
te stets zum Tode, während an der Beu-
lenpest Erkrankte zumindest eine
Überlebenschance hatten.
Möglicherweise waren es Züge von
Heeren, Nomaden und Händlern, die
nach der Errichtung des Mongolischen
Weltreichs im 13. Jahrhundert Yersinia
pestis wieder aus Zentralasien nach
Westen trug. Bei der Belagerung des ge-
nuesischen Handelspostens Kaffa auf
der Krim sollen Tataren die Leichen von
Pesttoten mit Katapulten über die Mau-
ern geschleudert haben. Die Italiener
wandten sich daraufhin zur Flucht und
trugen die Krankheit in den Westen.
Zwar versperrte Genua, durch Nach-
richten von merkwürdigen Todesopfern
gewarnt, seinen Hafen. Aber in Mar-
seille gelangten die Flüchtlinge an Land.

Von dort begann der Schwarze Tod sei-
nen unaufhaltsamen Siegeszug.
Die Beschreibung der Folgen hat der
italienische Dichter Giovanni Boccaccio
(1313-1375) in die Weltliteratur einge-
schrieben: „Die Pest ließ die Herzen der
Menschen erstarren. Der Bruder verließ
den Bruder, der Oheim seinen Neffen,
die Schwester den Bruder und häufig
auch die Frau ihren Gatten. Ja, was fast
unglaublich ist: Väter und Mütter ver-
mieden es, ihre Kinder zu pflegen, als
ob sie Fremde wären.“
Die Pest zerstörte soziale Bindungen
und moralische Werte. Wer es sich leis-
ten konnte, wollte sein kurzes Leben
noch einmal genießen und erging sich
in Orgien und Gewalttaten. Wem die
Flucht auf ein Landgut verwehrt blieb,
starb auf offener Straße oder in sticki-
gen Kammern, aus denen bestialischer
Gestank vom Wirken der Seuche kün-
dete. Die Toten wurden in riesigen

Gruben gestapelt und verscharrt, so
sich denn noch Leute für diese Arbeit
fanden. Nach Boccaccio sollen allein in
Florenz 100.000 Menschen der Pest
zum Opfer gefallen sein. Weltweit wird
die Zahl bis heute auf 100 Millionen
geschätzt.
Der soziale Kollaps fand günstige Be-
dingungen vor. Bis ins 13. Jahrhundert
hinein hatte warmes Klima für ein kräf-
tiges Bevölkerungswachstum in Europa
gesorgt. Die Städte wuchsen und auch
minderwertige Böden wurden kulti-
viert. Aber bereits zu Beginn des 14.
Jahrhundert sorgte die aufkommende
Kleine Eiszeit für schlechte Ernten. Na-
turkatastrophen wie das Magdale-
nenhochwasser 1342, in dem die Flüsse
Mitteleuropas zu Höchstständen auflie-
fen, zerstörten die Infrastruktur und
trugen fruchtbare Böden ab. Zum Hun-
ger gesellten sich Kriege wie der Hun-
dertjährige zwischen England und

Frankreich. Die Pest traf also auf einen
Kontinent, dessen Menschen bereits
schwere Not litten und entsprechend
anfällig waren.
Mal übersprang sie ganze Regionen,
dann verwand sie für mehrere Jahre, um
anschließend mit tödlicher Kraft zu-
rückzukehren. Zahllose Wüstungen
kündeten von ihrer Macht. Weil ihre
Bauern starben, waren viele Grundher-
ren kaum noch in der Lage, ihre Güter
zu bestellen, was zum Niedergang des
Rittertums und Aufstieg des fürstlichen
Territorialstaates führte. Auch in der
Kultur wurde die Pest zum ständigen
Motiv. Shakespeares Erklärung für Ro-
meos Selbstmord, wegen der Pest sei
kein Diener aufzutreiben gewesen, der
den Liebenden über Julias Schlaftrank
habe aufklären können, dürfte für die
Zuschauer stimmig geklungen haben.
Weil sie so unberechenbar war, wur-
den besondere Schuldige gesucht.
Schon Thukydides hatte den Verdacht
geäußert, dass die Spartaner mit vergif-
teten Brunnen die Seuche über Athen
gebracht hätten. Das Mittelalter fand
die Ursache in Kometen, Gottes Zorn –
und den Juden. Die furchtbaren Folgen
sind in einem Kapitel der Ausstellung zu
sehen. In Pogromen wurden im Heili-
gen Römischen Reich ganze jüdische
Gemeinden ausgelöscht.
Ein anderes extremes Mittel gegen
die Pest propagierten die Flagellanten
oder Geißler. Zu Tausenden zogen tief-
gläubige Menschen durch die Lande,
kasteiten ihren bloßen Oberkörper und
flehten um Vergebung ihrer Sünden.
Außer dass sie die Angst der Zuschauer
beförderten, halfen die Umzüge aller-
dings wenig. Heilige wie Sebastian oder
Rochus begannen ihre Karriere als
volkstümliche Retter.
Mindestens ebenso wirksam dürften
die Maßnahmen der Obrigkeit gewesen
sein, die schließlich die Pest zurück-
drängten. Quarantäneordnungen wur-
den durchgesetzt und die hygienischen
Bedingungen in den Städten verbessert.
Indem Häuser zunehmend aus Stein
und nicht mehr aus Fachwerk errichtet
wurden, verloren Ratten ihre Behausun-
gen. Manche Wissenschaftler vermuten
dass die aus dem Osten eindringende
Wanderratte die menschenaffine Haus-
ratte vielerorts verdrängt hat. Warum
die Pest aber nach ihrem letzten Aus-
bruch in Marseille 1722 beinahe schlag-
artig aus Europa verschwand, vermag
auch die Ausstellung in Herne nicht zu
erklären.
Als Sinnbild einer existenziellen Be-
drohung ist sie geblieben, in der Kunst,
Literatur bis hin zur Popkultur der Ge-
genwart. Obwohl sich etwa die Grippe
längst als gefährlicher und tödlicher
entpuppt hat – allein der Spanischen
Grippe 1918 bis 1920 sind bis zu 50 Mil-
lionen Menschen weltweit erlegen –
und Aids ganze Länder Afrikas noch im-
mer entvölkert, gilt die Pest immer
noch als Inbegriff der apokalyptischen
Seuche. Ein Grund dafür dürfte ihr „iko-
nisches Potenzial sein“, sagt der Histo-
riker Alexander Berner. „Mit aller Deut-
lichkeit zeichnet sie ihre Opfer.“ Die
Grippe dagegen hatte nicht genug ge-
schriebene Vergangenheit, um sich der-
art in das kulturelle Gedächtnis der
Menschheit einzuprägen.

T„Pest“, LWL-Museum für
Archäologie, Herne, bis 20. Mai 2020

Mal verschwand sie für Jahre, dann kehrte sie mit tödlicher Macht zurück. Die Pest in Neapel, wie sie Domenico Gargiulo 1656 darstellte

©

A. DAGLI ORTI / DE AGOSTINI P

Drei Pandemien mit 100 Millionen Opfern haben die Pest zu


einem Ur-Trauma der Menschheit gemacht. Eine Ausstellung


„Mütter PFLEGTEN nicht mehr


ihre Kinder“


W


er für tot gehalten wird, lebt
sicherer. Denn gegen offi-
ziell für verstorben erklärte
Personen ermitteln Behörden in der Re-
gel nicht mehr. Am 17. August 1950 hatte
das Amtsgericht Hachenburg formal
festgestellt: „Der am 14. November 1893
in Siegen geborene, zuletzt in Hachen-
burg (Oberwesterwaldkreis) wohnhaft
gewesene Emil Gustav Ludwig Till-
mann Hermann Adolf Haas wird für tot
erklärt. Als Zeitpunkt des Todes wird
der 31. März 1945, 24 Uhr festgestellt.“

VON SVEN FELIX KELLERHOFF

Aber stimmte das? Etwa 1953 erzählte
ein ehemaliger SS-Mann im Westerwald
einer Verwandten: „Stell’ Dir vor, wen
ich heute im Bus gesehen habe! Adolf
Haas saß in der letzten Reihe und hatte
den Hut ins Gesicht gezogen. Er wollte
nicht erkannt werden.“ Auf die Frage,
ob er sich sicher sei, lautete die Ant-
wort: „Ich kenne doch den Adolf Haas.“
Das hatte einiges für sich, meint der
Berliner Historiker Jakob Saß. Er geht
seit Jahren den Spuren von Haas nach
und hat kürzlich eine Biografie über den
ehemaligen KZ-Kommandanten verfasst
(„Gewalt, Gier und Gnade. Der KZ-Kom-
mandant Adolf Haas und sein Weg nach

WWWewelsburg und Bergen-Belsen“. (Ver-ewelsburg und Bergen-Belsen“. (Ver-
gangenheitsverlag, 288 S., 19,99 Euro);
sie ist seinen Opfern gewidmet. Nach Er-
scheinen des Buches meldete sich ein
Zeuge bei Saß, der von der Aussage von
1 953 berichtete.
Über sich selbst hatte Adolf Haas ein-
mal voll Stolz gesagt: „Ich bin der Herr-
gott von Wewelsburg.“ Zumindest was
die Entscheidung über Leben oder Tod
anging, traf diese Selbstbeschreibung zu:
In seiner Zeit als Kommandeur des klei-
nen KZs Niederhagen nahe der SS-Wei-
hestätte bei Paderborn starben mehr als
1000 Häftlinge.Der Bus sei, so berichtete
der Augenzeuge, von der Kleinstadt Wis-
sen an der Sieg ins rund 15 Kilometer
entfernte Hachenburg gefahren. Hier, in
Haas’ letztem Wohnort, lebte noch im-
mer seine Ehefrau Lina mit der jüngeren
der beiden gemeinsamen Töchter (der
Sohn der Familie Haas war 1946 bei ei-
nem Unfall umgekommen).
Wenn es sich bei dem Mann in der
letzen Reihe des Busses tatsächlich um
Haas gehandelt haben sollte, so hätte er
allen Grund gehabt, nicht erkannt wer-
den zu wollen. Denn eine Todeserklä-
rung konnte wieder aufgehoben werden


  • zumindest wenn z. B. bei der Polizei
    festgestellt wurde, dass der angeblich
    Verstorbene in Wirklichkeit noch lebte.


Anfang der 1950er-Jahre lebten noch
Zehntausende Deutsche (fast aus-
schließlich Männer) unter falschen
Identitäten in der Bundesrepublik; die
vagen Schätzungen schwanken zwi-
schen 25.000 und 250.000. Viele davon
dürften sich aus Sorge vor Strafverfol-
gung versteckt haben. Denn in der
Wahrnehmung der Zeitgenossen waren
westdeutsche Staatsanwälte auch in
den 1950er-Jahren sehr aktiv, wenn es
um Straftaten in KZs und Ähnlichem
ging. So verschieben sich Perspektiven
im Laufe der Zeit: Heute gelten die Jah-
re zwischen 1951 und der Gründung der
Zentralen Stelle der Staatsanwaltschaf-
ten in Ludwigsburg 1958 als jene Phase,
in der NS-Verbrecher wenig bis nichts
fürchten mussten.
An Adolf Haas wären die Strafverfol-
ger jedoch in keinem Fall vorbeigekom-
men, wenn er ihnen denn lebend in die
Hände gefallen wäre. Denn der Bäcker-
meister mit eigenem Geschäft in Ha-
chenburg war am 1. Dezember 1931 der
NSDAP beigetreten, Mitgliedsnummer:
760.610. Fünf Monate später bewarb er
sich bei der SS und wurde, ungewöhn-
lich schnell, binnen sieben Tagen bestä-
tigt. Seine SS-Nummer lautete 28.943.
Damit standen ihm im Dritten Reich
viele Türen offen – eigentlich. Seit 1935

hauptamtlicher SS-Führer, also Offizier,
wurde er im folgenden Jahr zum Sturm-
bannführer befördert, was einem Major
in der Wehrmacht entsprach, also ei-
nem respektablen und verantwortungs-
vollen Rang. Im scharfen Gegensatz da-
zu stand eine „dienstliche Beurteilung“,
die Saß im Bundesarchiv Berlin ent-
deckt hat. Unter dem Datum 4. Oktober
1937 hieß es darin: „Haas ist als Führer
eines Sturmbannes im Allgemeinen ge-
eignet. Es hat sich jedoch erwiesen, dass
er in der Führung eines ländlichen
Sturmbannes besser ist.“
Als Grund für dieses abfällige Urteil
nannte das Papier: „Im Schriftwechsel
sind seine Leistungen nicht immer aus-
reichend; hier bedarf er dringend der
Unterstützung schriftgewandter Refe-
renten.“ Daher riet die Beurteilung:
„Seine Verwendung in höheren Stäben
oder überhaupt höheren Dienststellen
ist nicht gegeben. Bei den wachsenden
Anforderungen, die an einen SS-Führer
gestellt werden müssen, wird jedoch in
späterer Zeit auch seine Belassung in
der jetzigen Dienststellung in Frage
gestellt sein.“
Freilich hatte Adolf Haas daneben ge-
wisse Stärken, zumindest aus Sicht der
SS: „Sein Können liegt im Besonderen
in der Beherrschung der Kommando-

sprache sowie im Exerzierdienst.“ Das
prädestinierte ihn offenbar für eine Ver-
wendung im KZ-Dienst. Mit 46 Jahren,
am 1. März 1940, wurde er „probeweise“
zur Inspektion der Konzentrationslager
in Oranienburg bei Berlin abgestellt
und nach drei Monaten als Mitverant-
wortlicher für den gesamten Häftlings-
bereich ins nahe gelegene KZ Sachsen-
hausen abgeordnet.
Schon hier kam Haas in Kontakt mit
dem System von Korruption und Selbst-
bereicherung, das in den meisten KZs
herrschte – einfach weil es sich um fast

vollkommen rechtsfreie Räume handel-
te. Ende Juni 1940 wechselte er zum KZ
Niederhagen unterhalb der Wewels-
burg, 1943/44 kommandierte er dann das
neu eingerichtete KZ Bergen-Belsen.
Überall wo er „Herrgott“-gleich
herrschte, war er bei den Häftlingen ge-
fürchtet – wegen seiner Willkür und sei-
nes Hangs zur Korruption.
Ende 1944 musste Adolf Haas seinen
Posten aufgeben. Allerdings wohl nicht
wegen seiner erwiesenen Unfähigkeit
und auch nicht wegen Selbstbereiche-
rung. Jakob Saß meint, dass Haas wohl
nicht ausreichend gut vernetzt war im
SS-System, um seinen Posten zu behal-
ten. So wurde er zunächst an die Front
abgeschoben, war aber noch kurz vor
Kriegsende als Beisitzer in einem SS-
Gericht bei Hamburg aktiv. Damit ver-
lor sich seine offizielle Spur.
Ob es sich bei dem Fahrgast im Bus
von Wissen an der Sieg nach Hachen-
burg 1953 um den untergetauchten
Adolf Haas handelte, wird nicht mehr
zu klären sein. Möglich wäre es. Fest
steht allein: Zur Rechenschaft gezogen
worden ist Adolf Haas niemals.

TNeue Geschichten aus der
Geschichte lesen Sie täglich auf:
http://www.welt.de/Geschichte

Hat dieser KZ-Kommandant den Krieg überlebt?


Adolf Haas gehört zu den prominentesten NS-Verbrechern, die seit 1945 vermisst werden. Möglicherweise wurde er zu Unrecht für tot erklärt


Adolf Haas (mit Mantel) inmitten der
KKKZ-Mannschaft von Bergen-Belsen 1944Z-Mannschaft von Bergen-Belsen 1944

GHETTO FIGHTERS' HOUSE MUSEUM, ISRAEL / PHOTO ARCHIVE

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