von steffen uhlmann
G
ibt sie auf oder hält sie weiter
durch? Das Geraune um die Ga-
leries Lafayette, den gläsernen
französischen Konsumtempel
an der Berliner Friedrichstra-
ße, will nicht verstummen. Zwar dementie-
ren Vertreter des Luxuskaufhauses stoisch
und knapp sämtliche Schließungs- oder
Abwanderungsgerüchte gen Hamburger
Hafencity. Doch die Sorge und Enttäu-
schung, dass die traditions- wie prestige-
trächtigen Einkaufsmeile inmitten der
Stadt immer mehr an Glanz verliert, lässt
Investoren, Stadtpolitiker und wohl auch
Anwohner und Touristen nicht los. Und
über allem die Frage: Kann so viel Geld
wirklich irren?
Den selbsternannten Prachtboulevard,
einst als Sinnbild für einen milliarden-
schweren Nachwende-Aufbruch in Ostber-
lins City gefeiert, hat schnöde Schwind-
sucht ergriffen. Die Querelen um das Lu-
xuskaufhaus sind dabei nur ein Symptom
für den Abwärtstrend in der Friedrichstra-
ße. Ihren Laden an der vermeintlichen
Prachtmeile abgeschlossen haben reihen-
weise bereits andere Markenartikler, Ein-
zelhändler und Verkaufsketten. Der Schuh-
händler Leiser zog schon vor Jahren aus,
ihm folgten unter anderem der Jagdmode-
händler Frankonia, die Boutiquen von Lou-
is Vuitton, Gucci und Yves Saint Laurent.
Auch die Modekette H& M, die einst sogar
zwei Geschäfte in der Friedrichstraße un-
terhielt, ist seit Ende August komplett ver-
schwunden. „Veränderte Kundenströme“,
heißt es, hätten zu dieser Abwanderung ge-
führt.
Aktuelle Zahlen belegen das drohende
Ende eines Traums vom Wiederaufstieg
zu längst vergangener Größe. Nach Unter-
suchungen des Immobiliendienstleisters
Jones Lang LaSalle (JLL), der regelmäßig
die Auslastung von Geschäftsflächen auf
den deutschen Top-Einkaufsmeilen ermit-
telt, beträgt der Leerstand in der Friedrich-
straße mittlerweile knapp 25 Prozent. Er
ist damit mehr als doppelt so hoch wie der
deutsche Durchschnitt. Allein auf dem
kurzen Abschnitt zwischen Weidendam-
mer Brücke und Leipziger Straße, dem ei-
gentlichen Herzstück der etwa drei Kilome-
ter langen Straße, stehen derzeit 30 Läden
leer oder werden in nächster Zeit frei.
Nichts ist geblieben von den einstigen Visi-
onen und Prophezeiungen der Neunziger-
jahre. Für den New Yorker Stadtsoziologen
Peter Marcus stand damals fest, dass die
Wandlung Berlins zur Weltstadt von der
Friedrichstraße ausgehen wird. Und als
auf nicht mal 500 Metern Friedrichstraße
drei Riesenklötze aus Beton, Marmor und
Glas fertig wurden (Baukosten von mehr
als 1,4 Milliarden D-Mark), schien die Pro-
gnose des Soziologen Wirklichkeit zu wer-
den. „Spätestens zu Jahrhundertwende“,
so Marcuse, werde die Friedrichstraße zur
teuersten deutschen Straße aufgestiegen
sein. Und abseits aller Zahlenspiele
schwärmten die Architekten der drei Quar-
tiere 205 bis 207 von den Chancen für den
neuen Glanz der so traditionsreichen Stra-
ße, die nicht nur den Zweiten Weltkrieg,
sondern auch 40 Jahre Plattenbau-Sozia-
lismus erleiden musste.
Einen „endlosen Strahl im Häuser-
meer“ habe er im Kopf gehabt, als er Quar-
tier 206 schuf, ließ Stararchitekt Henry N.
Cobb wissen. Kollege Oswald Mathias Un-
gers wollte mit 205 „Galerien wie an einer
Perlenschnur“ aufreihen, Jean Nouvel
(Quartier 207) dagegen „ein Renaissance-
licht in der Friedrichstraße zünden“. Für
ihn war klar, dass die Galeries Lafayette
nach dem Einzug in seinen Glasbau eine
neue „Poesie des Konsums“ entfachen
wird. Und was wollten Tishman Speyer Pro-
perties, August Jagdfeld und Roland Ernst,
die drei Auftraggeber der Baumeister? Sie
hätten sich traditionsbewusst die histori-
sche Kaisergalerie zum Vorbild genom-
men, hieß es damals.
Bloß nicht! Im Jahr 1873 wurde an glei-
cher Stelle der zu jener Zeit pompöseste
Konsumtempel fertiggestellt und auch er-
öffnet. Kurz darauf war die Passage bank-
rott. Ihre Investoren, darunter auch der
Kaiser, hatten einfach zu wenig Mieter ge-
funden.
Das droht nun auch knapp 150 Jahre spä-
ter wieder, weil trotz Touristenboom und
anhaltendem Bevölkerungswachstum in
Berlin die Kundenzahlen stetig weiter zu-
rückgehen. Ein ganzes Konvolut von Grün-
den für den Niedergang der Einkaufsboule-
vards ballt sich inzwischen zur Friedrich-
straße zusammen. Da ist die U-Bahn-Dau-
erbaustelle an der Kreuzung Unter den Lin-
den, die nach Auffassung von Nils Busch-
Petersen, Chef des Handelsverbandes Ber-
lin-Brandenburg, die Aufenthaltsqualität
und Mobilität des Boulevards nun schon
seit Jahren beeinträchtigt und abwertet.
Hinzu komme die wachsende wirtschaftli-
che Konkurrenz, weil der ehemalige
Prachtboulevard längst nicht mehr die ein-
zige Shoppingmeile in der Mitte Berlins
sei. Busch-Petersen denkt dabei vor allem
an die Mall of Berlin, die gerade mit viel
Konfetti und Tamtam ihren fünften Ge-
burtstag gefeiert hat.
Das Shopping-Center wurde im Septem-
ber 2014 „gleich um die Ecke“ zur Fried-
richstraße eröffnet und zieht mit seinen et-
wa 300 Geschäften auf 76 000 Quadratme-
tern jährlich fast 22 Millionen Besucher
an. Die Hoffnung, dass sich Mall und Fried-
richstraße gegenseitig beleben, ist längst
dahin, weil Mall-Kunden nicht daran den-
ken, ihre Shopping-Tour in der viel teure-
ren Friedrichstraße fortzusetzen. Schlim-
mer noch: Es finde, laut Dirk Wichner, JLL-
Vermarktungschef Deutschland, in der
Friedrichstraße eine regelrechte „Kunden-
vertreibung“ statt. Abweisende Glasfron-
ten, enge Häuserfluchten, schmale Gehwe-
ge, dichter Verkehr – nichts lade zum Ver-
weilen ein, glaubt Wichner. Und es fehlten
Bäume, Bänke, Straßencafés. In der Fried-
richstraße, ärgert er sich, habe man alles
falsch gemacht, was man falsch machen
könne.
Das bekommen nun auch die Vermieter
zu spüren. Jahrelang war die Friedrichstra-
ße unter den „Top-1-a-Lagen“ Spitzenrei-
ter bei den Mietpreiszuwächsen, legten
doch laut Grupe Handelsindex 2019/2020,
der über die 63 umsatzstärksten Berliner
Handelslagen informiert, die Mieten in der
vergangenen Dekade dort um 124 Prozent
zu. Mussten Händler für ein 80 bis 120 Qua-
dratmeter großes Ladengeschäft vor zehn
Jahren durchschnittlich noch 85 Euro pro
Quadratmeter zahlen, sind es dieses Jahr
190 Euro je Quadratmeter. Doch die Preise
bei Neuvermietung fallen, teilweise sogar
wieder unter die 100-Euro-Grenze, weil in-
zwischen ein harter Kampf um neue Mie-
ter entbrannt ist. Und so hängt auch, wie
zu hören ist, das Bleiben oder Weggehen
der Galeries Lafayette – neben dem Kultur-
haus Dussmann der wichtigste Ankermie-
ter der Straße – vom künftigen Mietzins
ab. Über die Weiterführung des wahr-
scheinlich schon zum Jahreswechsel aus-
laufenden Vertrages wird zwischen dem
Vermieter, dem Allianz-Konzern, und dem
Kaufhausunternehmen aus Paris hart ver-
handelt. Schon aus „Gründen der Vertrau-
lichkeit“ habe man Stillschweigen darüber
vereinbart, heißt es. Bekannt geworden ist
bisher nur, dass auch der Regierende Bür-
germeister Michael Müller (SPD) und seine
Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne)
den Franzosen helfen sollen, die Mietkon-
ditionen zu verbessern – Ausgang augen-
scheinlich offen. So bleibt fraglich, ob der
Konzern seinen bisher einzigen deutschen
Standort in Berlin behalten wird.
Das Schicksal der Straße aber hängt bei
allem drohenden Verlust nicht davon ab.
Geht es nach dem grünen Bezirksbürger-
meister von Berlin Mitte, Stephan von Das-
sel, wird sich die alte Friedrichstraße künf-
tig mehr und mehr vom Luxuskaufhaus
und anderen edlen Marken unabhängig
machen und so eine neue Zukunft gewin-
nen. Er will die Friedrichstraße zur ersten
Adresse für neue oder schon etablierte Ber-
liner Modelabels mit ihren Sortimenten an
nachhaltig produzierter Mode machen.
Nicht nur große Ketten, sondern auch
„edle und exquisite Schneider“ gehörten
in die Straße, findet Dassel, und verbindet
diesen Wechsel in die Zukunft gleich noch
mit einem neuen Verkehrskonzept für den
Abschnitt zwischen Unter den Linden und
Leipziger Straße. Setzt er seine Pläne
durch, wird zumindest dieser Teil der
Friedrichstraße zur autofreien Flaniermei-
le. Doch das umstrittene Projekt steht bis-
her genauso in den Sternen wie der Ver-
such, Vermieter und Immobilienbesitzer
zu animieren, mit günstigen Mieten jun-
gen Start-ups den Umzug in die Friedrich-
straße zu ermöglichen.
An diesem Wochenende soll die Fried-
richstraße zum ersten Mal autofrei sein
und zum bunten Laufsteg werden. Kreati-
ve Modedesigner und junge Labels stellen
dann ihre Modelle vor – vornehmlich in
kleinen Pavillons am Straßenrand. Es soll,
wie Dassel hofft, dabei um das „Besonde-
re“ gehen. Der Hauch vom Exklusiven soll
bleiben, mit neuem Marken-Mix und fri-
schem Trallala. Das werde kein Flohmarkt,
versichert der Bürgermeister. Die Fried-
richstraße solle mit neuem Gesicht eine
„Edeleinkaufstraße“ bleiben.
Es klingt zunächst nach einer regionalen
Nachricht: Die Berliner Wohnungsbauge-
sellschaft Gewobag kauft dem Luxembur-
ger Immobilienkonzern Ado Properties
zwei Quartiere ab. Aber erstens geht es da-
bei um etwa 6000 Wohnungen und zwei-
tens um den größten Re-Kommunalisie-
rungsankauf in der Geschichte Berlins.
Denn die Wohnungen waren schon einmal
im Besitz des Landes; sie waren laut Gewo-
bag in den 60er- bis 90er-Jahren von der
damals landeseigenen GSW im sozialen
Wohnungsbau errichtet worden. Doch
2004 wurde die GSW und damit der Woh-
nungsbestand unter dem Druck hoher
Schulden an Finanzinvestoren verkauft.
Ein Fehler, wie Katrin Lompscher, Berli-
ner Senatorin für Stadtentwicklung und
Wohnen, vergangene Woche bei der An-
kündigung des Deals sagte. Man werde
nun den Mieterinnen und Mietern die Si-
cherheit zurückgeben, die sie durch die
Privatisierung verloren hatten.
Für die Bewohner der in Spandau und
Reinickendorf liegenden Quartiere ist das
ein Grund zur Hoffnung. Manche Mieter
seien regelrecht in einen Freudentaumel
verfallen, als sie vom Eigentümerwechsel
erfuhren, berichten Berliner Medien. In
der Vergangenheit habe es nicht nur im-
mer wieder Mieterhöhungen gegeben, son-
dern auch andere Probleme wie Schimmel
oder defekte Rauchmelder.
Die Gewobag, eines von sechs kommu-
nalen Wohnungsunternehmen in Berlin,
hat versprochen, den mehr als 10000 dazu-
gewonnenen Mietern bezahlbaren Wohn-
raum zu sichern. Aktuell seien keine Mo-
dernisierungen geplant. Für einen Groß-
teil der Wohnungen ist in den vergange-
nen Jahren die Sozialbindung ausgelau-
fen. Aktuell seien noch etwa 25 Prozent
der Wohnungen sozial gebunden, hieß es.
Die Gewobag vergrößert mit dem Zu-
kauf ihren Wohnungsbestand auf etwa
68 000 Einheiten. Damit will sich die Ge-
sellschaft aber nicht zufriedengeben; in
den nächsten zehn Jahren soll der Bestand
auf mehr als 80 000 Einheiten steigen, et-
wa 12 000 Wohnungen sollen durch Neu-
bau entstehen – Unterkünfte, die Berlin
dringend braucht. Michael Müller, Regie-
render Bürgermeister von Berlin, will
ebenfalls etwas gegen die Wohnungsnot
tun, weiter bauen und „den Mietendeckel
rechtssicher“ machen, ganz nach der Stra-
tegie „bauen, kaufen, deckeln“. Zufrieden
ist auch Matthias Kollatz, Senator für Fi-
nanzen: Der Zukauf der Wohnungen belas-
tet den Haushalt nicht zusätzlich.
Kritik gibt es dennoch an der Übernah-
me der Wohnungen, die zum 1. Dezember
realisiert werden soll. Manche bemängeln
den hohen Kaufpreis. Der beträgt 920 Mil-
lionen Euro, abzüglich der 340 Millionen
Euro Schulden der von Ado Properties ver-
kauften Gesellschaften, die Eigentümer
der Immobilien sind. 2004 hatte Berlin für
die GSW weit weniger Geld erhalten – 405
Millionen Euro. Allerdings war man damit
auch Schulden in Milliardenhöhe los und
der Immobilienboom erst am Anfang. kö
Um neue Mieter
ist ein harter Kampf
entbrannt,
die Preise fallen
immer weiter
DEFGH Nr. 230, Samstag/Sonntag, 5./6. Oktober 2019 45
BAUEN & WOHNEN
Hoffen auf bessere Zeiten
Berlin kauft Tausende Wohnungen von einem Immobilienkonzern zurück – zur Freude der Mieter
Viel Verkehr und öde
Glasfronten – die Friedrich-
straße (großes Bild) hat
wenig Einladendes nach
Ansicht von Handelsexperten.
Die Käufer bleiben aus,
das merken auch so berühmte
Kaufhäuser wie Galeries
Lafayette (Foto links);
Spekulationen zufolge prüft
das Management andere
Standorte. Rechts im Bild
eine Marktszene aus dem
Jahr 1906.
FOTO: FOTOS: JOCHEN TACK/IMAGO,
SCHÖNING / IMAGO IMAGES,
SCHERL / SÜDDEUTSCHE ZEITUNG PHOTO
Leerstand
statt
Luxus
Die Berliner Friedrichstraße gehört
zu den prominentesten
Einkaufsmeilen Deutschlands.
Doch der Glanz verblasst, viele Geschäfte
geben auf. Was ist da los?
© wilkdesign.de
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10.10.2019 um 18 Uhr