Grenzenloser Groove
Wenn man sagt,Bayern sei schon lange ein
ziemlich gutes Pflaster für globaleSounds,
könntemancheinerdenken,dasseiironisch
gemeint.DenndasKlischeebayerischerMu-
sikistnunmalweiterhindieBeklemmungen
auslösendeVolksmusik (die nicht einmal
Volksmusikist).TatsächlichwarBayernfrüh
dran, wenn es darum ging, Klänge aus aller
Welt zu adaptieren–Bands wieEmbryo,
AmonDüüloderdasLabelTrikont,dassich
1967gründete,bildeteneineArtkosmopoli-
tischeAvantgarde.Ganzindieserbestenba-
juwarischenTraditionstehtauchdieExpress
BrassBand.Dasistein rund20-köpfigesOr-
chester,dasbereitsseitzwanzigJahrenexis-
tiertunddasfürgrenzenloseMusikim Sinne
desSunRaA rkestrassteht.Kürzlichhatdas
KollektivseinneuesAlbum„Who’s Following
Who“ veröffentlicht, und dieVielzahl der
Stile,die darauf anklingen, ist beeindru-
ckend: Balkan Swing, New-Orleans-Jazz,
Soul,Afrobeat,HipHop ,Latin,Pop,Gnaoua-
Musikwärennureinigedavon.Die13S tücke
kommen durchweg gut gelaunt und shaky
daher,esf älltschwer,dieBeinestillzuhalten,
währenddieBläser,Percussioninstrumente,
FlötenundGitarrenihrenDienstverrichten.
Eines vonvielen Highlights ist dasBeatles-
Cover„I’ll FollowThe Sun“, das einen jetzt,
da die Tage wieder
kürzerwerden, in
frühherbstliche
Melancholie ver-
setzt.
Expr essBrass Band:
Who’sFollowingWho
Trikont/Indigo
Freund oderFeind
Jutta Nymphius hatErfahrung darin, für
jungeLeserzuerzählen.Diesmalwendetsie
sicheinemrauenThemazu.EsgehtumKay,
deranscheinendSpaßdaranhat,andereKin-
derzuterrorisieren,dersogarjüngereschlägt,
wenn sie ihm zufällig imWegsind. Dass er
sich damit auf einer Schiene befindet, die er
nicht mehr leichtverlassen kann, ahnt die
Lehrerin,dieseinenSchulausschlussverhin-
dert. SiegibtihmalsletzteChanceeineAuf-
gabe:ErsollsichumdieNeueausderKlasse
kümmern,einlernbehindertesMädchen,das
ihm offen und zutraulich begegnet–aber
nach AnsichtvonKays bestemKumpel ein-
fach nur blöd ist.„Schlägerherz“ erzählt den
schwierigenWegeinesJungenzurückzusich
selbst.DennnatürlichhatesGründe,dasser
so ein brutalerTypgeworden ist. DochJutta
Nymphius versteht es,Kays widerstrebende
Gefühle aufzudröseln.Sielegt nicht einfach
nur einen Schalter um, sondernzeigt sein
UmfeldundseineEntwicklung.Überzeugend
wirkt die psychologischeSeite dieserGe-
schichte auch deshalb,weil die Autorin das
MädchenGreta nicht alsSonnenscheinchen
schildert, sonderndurch-
aus verständlich macht,
wie anstrengend es ist,
sich für sie einzusetzen.
So schnell sich dieses
Buch lesen lässt, so viel
längermussmandarüber
nachsinnen.
Jutta Nymphius:
Schägerherz.Tulipan,
München 2019. 144S.,13Euro.
Ab 8Jahren
88888 5./6. OKTOBER 20195./6. OKTOBER 20195./6. OKTOBER 20195./6. OKTOBER 20195./6. OKTOBER 2019
BLECH
MelancholieundAlltag
DasUmfeldderbayerischenIndie-Helden
vonTheNotwististseitJahrenQualitätsga-
rantfürgutePopmusik;mandenkeanBands
wieLaliPuna, 13 &GododerdasTied&Tick-
led Trio.Dass dieserMusikerzirkelHipHop,
Jazzund Popdraufhat,istüberLandesgren-
zenhinausbekannt–dasssiesichaufBlas-
musik verstehen, dagegenweniger.Mit der
HochzeitskapelleumdieBrüderMichaund
Markus Acher stellen sie genau das ein-
drücklich unterBewe is.Die Hochzeitska-
pelle begann wirklich mal als solche–als
Markus Acher 2012 heiratete,trommelte er
sichdafüreinkleinesEnsemblezusammen.
Sieben Jahrespäter gibt es dieBand immer
noch,„I fIThinkOfLove“heißtdaskürzlich
erschieneneneueAlbummitCover-Stücken.
Eine Neuinterpretation des Cumbia-Lieds
„Sonido Amazónico“(Los Mirlos) ist darauf
genausozu hören wie Instrumentalversio-
nen von„Nightingale“(LauraVeirs) sowie
„BetweenTheBars“und„WaltzNo.1“(beide
Elliott Smith): kleine melancholischeMeis-
terstückesind ihnen da gelungen.Insofern
klingtesargnachUnderstatement,wenndie
HochzeitskapelleihreMusik als „folkloris-
tisch-elegischen Rumpeljazz“ bezeichnet.
Denn wie hierTrompete,Schlagzeug,Viola,
Tuba altbekanntenStücken neues Leben
einhauchen,das ist
toll. „IfIThink Of
Love“ist eines der
großen Instrumen-
talalbendesJahres.
Hochzeitskapelle:
If IThink of Love
Gutfeeling Records
VonJensUthoff
AllesimFluss
SallyRooneys„GesprächemitFreunden“spieltaufschwindelerregendeWeiseinderGegenwart
M
anchmal hinkt die Literatur
dem Leben hinterher,auch
wenn das wirklich nicht die
Regel ist. DerimmenseErfolg
vonSally Rooneys Roman „Gespräche mit
Freunden“, 2017 aufEnglisch erschienen,
also immerhin auch schon zweiJahrealt,
könntemitderfrappierendenGegenwärtig-
keitdes Bucheszutunhaben,fürdiedieAu-
torindenrichtigen,denperfektenTontrifft.
MehrJetztistkaummöglich,beimLesen
kanneinemschwindeligdavonwerden,und
diesobwohleineklassischimImperfektbe-
richtende Ich-Erzählerin uns durch die
Ereignisseführt,inangelsächsischgeradlini-
ger und unangestrengterManier.Und ob-
wohldieEreignissesojugendlichsind,dass
mansichzwarirgendwiedaranerinnert.Da
ist zum Beispiel dieseSelbstwahrnehmung
in jedemAugenblick, und trotzdem ist die
Wirkung ständig gefährdet: „... ich hatte
Mühe,meinGesichtsozukontrollieren,dass
meinSinnfür Humorerkennbarwar“.Diese
fabelhafteUnlogik:„Ich dachte häufig, dass
mir nichts Schlimmes zustoßen könnte,
wenn ich wieBobbi aussähe.“Während die
ErzählerinkeinenHauchvonAbstandzual-
ledemhat,wenngleichsiesicherwachsener
fühltals„damals“–auchwiederumvielleicht
zwei Jahrefrüher,daw ardie ErzählerinAn-
fangzwanzig.
Sally Rooney,1992 in Irland geboren, er-
zähltvonLiebeundLebensplanungeninei-
ner Welt, in der das 2.Jahrtausend unserer
ZeitrechnungschoneinStückindieVergan-
genheitgerutschtist.Umsopräsenteristdas
vermutlicherstegroßeErlebniseinesspäten
MitgliedsderGenerationY:diein Irlandsich
bitterundkonkretniederschlagendeFinanz-
krise .DieLiebe ,kannmansagen,ist,wiesie
immerwar.DieLebensplanunghingegenist
eigen.Dennhier zeigtsichdieErzählerinab-
geklärtbisins Selbstironische.„BeimAbend-
essentauschtenwireinpaarDetailsausun-
serem Leben aus.Ich erklärte ihm, dass ich
denKapitalismuszerstören wolle und dass
ich Männlichkeit persönlich als unterdrü-
ckendempfand.Nicksagtemir,ers ei,grund-
sätzlich‘einMarxist,underwollenicht,dass
ich ihn verurt eilte,weil er einHaus besaß.“
Urteile liegenFrances fern, auchwenn ihre
Diskursfreude überbordend ist.Manchmal
weißmannichtgenau,obsieodernurRoo-
neydas IronischeanausgestanztenParolen
erkennt. „Gespräche mitFreunden“ bleibt
an diesenStellen milde.AusgestanzteParo-
lensindnichtunbedingtfalsch.
DerRomanvibriertzudemvorSelbstiro-
nieund Subtext.RooneysglitzerndeDialoge
drehensichpermanentumdasOffensichtli-
che und um das mitschwingendeVerbor-
gene,daseloquentePersonalistsichdessen
bewusst,dieFigurensindeinmalnichtdüm-
meralsdieAutorin. EinWortgibtdasandere,
der Romantitel lässt zuRecht durchblicken,
Die irische Autorin Sally Rooneyversteht es, das Leben von smartphoneliebenden Millenials zuPapier zu bringen. CHRISTIAN HORZ/EYEEM
VonJudith von Sternburg
Sally Rooney: Gespräche mitFreunden. Roman.
A. d. Engl.v. Zoë Beck. Luchterhand, München
- 382 S., 20 Euro.
dass es sich um ein schier endlosesPalaver
handelt, das sich noch inTextnachrichten
undMailsfortsetzt.Esistsehrwichtig,WLAN
zu haben.Textnachrichten undMails sind
zudemFrances’Gedächtnis,hierbewahrtsie
vergangene „Gespräche“–die Melancholie
beim Lesen alterBriefe findet ihrezeitge-
mäßeFortsetzung.
Frances lebt inDublin, studiert, tritt zu-
sammen mit ihrerFreundin undzeitweisen
LiebhaberinBobbibei PoetrySlamsauf.Bei
einer Lyriknacht lernenFrances undBobbi
die arrivierteAutorin Melissa kennen, die
mit dem hübschen SchauspielerNick ver-
heiratet ist.Eindeutig steht er im Schatten
vonMelissa,eineheuteimmernochoriginell
wirkendeKonstellation,gegendiesichSally
Rooney alsNachgeborene der #MeToo-De-
batte durchaus auflehnt, obwohl ihre
Frances eineFeministin ist.Manredet und
redet. DiejüngerenFrauen sind aufgeregt
angesichtsderprominentenBekanntschaft.
DieÜbersichtlichkeit der Literaturszene in
einemkleinenLandschwingtmit.
GleichflackertauchdieseSpurvonKon-
kurrenzauf,dienichtnurunterGockelnvor-
kommt.Melissa lädt dieFrauen zu sich ein,
wenigspätergehtesschongemeinsamindie
Bretagne.Esw irdweiterhingeredetundge-
redet.WährendFrancesmitihrerlatentenEi-
fersucht gegenBobbi und/oderMelissa be-
fasstist,lerntsieNicknäherkennen.
RooneyhateingutesGespürnichtnurfür
die Dialoge,ebenso die ÜbersetzerinZoë
Beck, die eng anRooneys lakonischemTon
bleibt, sondernauch für Orte,Situationen,
sogardasWetter.„GesprächemitFreunden“
warRooneysDebütals Romanautorin.Kein
Wunder,dass Leserinnen und Leservom
Fach zitier twerden, die das alle kaum glau-
benkönnen.Hättemanessichetwasunge-
bärdiger gewünscht?Vielleicht, aber viel-
leicht sind dieZeiten nicht so.Dai st etwas
Stromlinienförmiges,Elegantes in der Lek-
türe,daszu Francespasst.
OL
KINDERBÜCHER
Hund oderVater
EoinColfer,dessentreuesteAnhängerinzwi-
schenerwachsensind–seine„ArtemisFowl“-
Reiheerschienab2001–schreibtdiesmalfür
Kinder,die noch nicht lange lesen können.
„Der Hund,derseinBellenverlor“erzählter
so packend, dass auch ungeübte Leser da-
beibleiben wollen.Er konzentriertsich auf
diePerspektivedesHundes,dernachseinem
schwerenStartins Leben keinVertrauen
mehr fürMenschen aufbringen kann.Das
verschreckteTier landet nun ausgerechnet
bei Patrick, der selbst in einer schwierigen
Lebensphasesteckt.„EswarderbesteSom-
merin PatricksLeben“,schreibtEoinColfer.
„Es wär eein absolut perfekterSommer ge-
wesen, wenn Patricks Vater da gewesen
wäre.“Der Hund hat dasBellen eingestellt,
weil Menschen es ihm brutal ausgetrieben
haben.DerVatervonPatrickhatdenKontakt
zur Familie eingestellt–angeblich,weil er
aufKonzerttourneemitseinerBandist.Der
Hund erlangt langsamMut, sich in seinem
neuenUmfeldhervorzuwagen.DochPatrick
unterläuftdasschrecklicheMissverständnis,
dass das Verschwindendes Vaters mit dem
Hund zu tun haben
könnte–undersichent-
scheiden müsste.Diese
psychologischklug kon-
struierte Geschichtelöst
starke Gefühle aus und
geht nicht nur Hunde-
liebhabernzuHerzen.
EoinColfer:Der Hund,der sein
Bellen verlor.A. d. Engl. vonIngo
Herzke.Orell Füssli, Zürich 2019.
142S., 12,95Euro.Ab 8Jahren.
VonCornelia Geißler