sein Schicksal so nah miterleben dürfen wie der Äthiopier. Nachdem er ein
Leben lang das Vaterland verteidigt hatte, waren dies nun die einzigen
Menschen, denen er noch vertrauen konnte: eine Frau und ein Neger.
Alle anderen hatten ihn verraten, wenngleich niemand in dem Maße wie
Badoglio. Zwanzig Jahre lang hatte er für ihn die Drecksarbeit erledigt, und
nun ging er auf Distanz zu ihm. Gerade zum Beispiel im »Fall Graziani«, wie
seine Ankläger ihn nannten. Als ob die Androhung von Repressalien gegen
die Familien der Rebellen – von der Staatsanwaltschaft »Partisanen« genannt,
was auf dasselbe hinauslief – nicht dieselbe Strategie wäre, mit der er die
Kyrenaika befriedet hatte. Nur dass damals jedermann seine Unbeugsamkeit
gelobt hatte, allen voran Badoglio; jetzt klagten sie ihn an wegen
Kriegsverbrechen. Warum? Wo war der Unterschied? Er konnte nur einen
entdecken: 1932 waren die Bösen Beduinen, 1944 Italiener.
Seitdem Badoglio zum Leiter der Säuberungskommission ernannt worden
war, behandelte er ihn wie einen Aussätzigen. Seit Monaten bat Graziani ihn,
in seinem Prozess als Zeuge auszusagen, und er hatte noch nicht einmal
geantwortet. Ines hatte Recht: Wenn sie an seiner Seite gestanden hätte, als
Mussolini ihm vorschlug, das Militärkommando der Republik von Salò zu
übernehmen, hätte sie es zu verhindern gewusst. Eine lästigere Sache gab es
nicht. Doch seine Frau weilte an jenem Tag leider in Arcinazzo, nicht in
Rom. Und so war er plötzlich der Kopf ganzer Abteilungen mit desolater
Ausrüstung, die bei der erstbesten Gelegenheit die Flucht ergriffen oder nur
deshalb blieben, weil sie blutjung oder Spinner oder – die Schlimmsten –
beides zugleich waren. Ganz zu schweigen von den Deutschen, die sich als
Verbündete ausgaben, ihn aber auf jede erdenkliche Art sabotierten. Rom,
beispielsweise. Sie wollten die Stadt komplett für sich und erklärten, sie sei
für die Soldaten von Salò verboten. Um nicht Grazianis Armeen zu benutzen,
hatten sie alte Reservisten des Polizeiregiments Bozen einberufen, Südtiroler
Familienväter mit Bauchansatz. »Welches ist das einzige Heer, das seinen
Verbündeten nicht verrät?«, witzelten die Wehrmachtsoffiziere mit ihren
Humor aus der Stahlhütte. »Es gibt keins.« Und schon wird gelacht, danke
vielmals, Badoglio. Nur eine Aufgabe hatten sie ihm überlassen: die
Partisanen zu bekämpfen. Was hätte er denn mit diesen Partisanen tun sollen,
sie zum Essen einladen? Die Wahrheit ist, dass es sie gar nicht gäbe, hätte
Badoglio nicht das Land den Deutschen überlassen. Aber jetzt gaben sie wie
üblich alle ihm die Schuld. Ihm allein.
jeff_l
(Jeff_L)
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