Alle ausser mir

(Jeff_L) #1

enthielten nur Schätzungen des Flächeninhalts: »Zwei Hektar Offiziere, rund
achtzig Hektar Infanterie«. Auch hier auf dem Schiff wurde das Essen
langsam knapp, ein Glas Milch und eine kleine Konservendose pro Tag und
Kopf. Aber nicht, weil die Amis sie aushungern wollten, sondern weil nicht
einmal Eisenhower mit so vielen Gefangenen gerechnet hatte, die er in die
Vereinigten Staaten schaffen musste.
Oberleutnant Profeti Otello vom 25. Pionierkorps sog die salzige Luft auf
der Brücke des Schiffes ein, einem eilig dem Transportbedarf angepassten
Frachter. Er war verzweifelt und erleichtert. Verweifelt, weil er nicht das
Mittelmeer Richtung Italien überquerte, sondern mitten auf dem Atlantik
Richtung Osten schipperte. Erleichtert, weil für sie – so glaubte er – der
Krieg nun zu Ende war.
›An welcher Front Attilio wohl ist? Wie es ihm wohl geht?‹
Die Amerikaner hatten sie nicht zu den Eseln in den Laderaum gepackt,
wie es die Engländer taten, deren Verachtung für italienische Militärs einer
Art Präzisionssport glich, gleichwohl war auch dies keine Kreuzfahrt. Die
Kojen bestanden aus Laken, die über Metallgestelle gepannt waren, so eng
neben- und übereinander gestapelt wie eine Urnenwand. Nachts hörte man oft
die Panikattacken und Schreie der Männer mit Platzangst. Die Wasserration
reichte gerade aus, um nicht zu dehydrieren, an Waschen war nicht zu
denken. Nach ein paar Wochen Überfahrt hatte Otello den Eindruck, die Luft
dort unten im Bauch des Schiffes habe ein neues, bisher nicht in den
Chemiebüchern aufgelistetes Molekül hervorgebracht: eine Mischung aus
Körpersäften (viel Schwefel und Ammoniak) und fast kein Anteil Sauerstoff.
Die Häftlinge durften zwei Stunden am Tag an Deck ein wenig Luft
schnappen, doch selbst dort war der klare Salzgeschmack des Ozeans
durchzogen von ihrem Modergeruch, wenn sie in einem mit Ketten
eingegrenzten Viereck unter den wachsamen Blicken der Soldaten dicht
beieinander hockten.
Doch all das war nichts im Vergleich zu dem, was Otello nach der
Festnahme durch die franko-marokkanischen Truppen durchgemacht hatte:
Schläge, Flöhe, Durchsuchungen, bei denen den nackten, wehrlos mit
gegrätschten Beinen daliegenden Gefangenen Sachen in den Anus geschoben
wurden; von der Bevölkerung bei Verlegungen bespuckt werden; drei Tage
ausharren ohne Wasser und Brot, bis sie endgültig den Amerikanern

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