Alle ausser mir

(Jeff_L) #1

gegeben, sie wollten nicht ins Haus, aus Angst, von den Nachbarn gesehen zu
werden. Und sie hatten Recht. Für einen Neger war es in jenen Tagen schon
riskant, nur die Nasenspitze zu zeigen.«
Die junge Frau zu seinen Füßen hob den Blick von dem kleinen Herd, auf
dem der Kaffee kochte, und sah ihn mit unendlicher Hingabe an. Carbone
wandte sich ihr zu, doch er schien weniger ihren Blick zu erwidern, als einen
Film anzusehen, der auf ihrem Gesicht ablief.
»Ich weiß nicht, wer die waren, die da durch die Straßen gezogen sind ...
aber eines weiß ich: Wenn sie verheiratet sind, dann mit einer italienischen
Frau. Wenn du eine Abessinierin liebst, würde es dir niemals einfallen, ihre
Verwandten zu ermorden.«
Dann sah er auf den Boden und schwieg lange. Als er weitersprach,
schien jedes Wort tonnenschwer zu wiegen.
»Aber einen von ihnen habe ich erkannt. Nigro.«
»Nigro!«, rief Attilio aus. »Dieser Tölpel?«
Carbone sah nicht auf. »Sein schwarzes Hemd war blutverschmiert, und
auch sein Gesicht, die Hände und ...«
Er brach ab. Seine Lippen zitterten, eine Weile konnte er nicht
weiterreden. »Er hat mich nicht wiedererkannt.«
In jener Nacht konnte Attilio nicht schlafen. Seine Gedanken schoben
ihm die Worte wie fleißige Arbeiterbienen kreuz und quer durch den Kopf,
mit denen das frühere Schwarzhemd und der jetzige Mechaniker von
Italienisch-Äthiopien ihn verabschiedet hatte: »Du hast schon immer
Schwein gehabt, Profeti«, hatte Severino Carbone ihm auf der Türschwelle
mitgegeben, ein kleiner, vierschrötiger Mann, der aber dennoch die junge
Abessinierin überragte, die wie ein Friedenszweig neben ihm stand. »Aber
diesmal hast du keine Ahnung, wie viel.«
Auch ohne nähere Erklärung hatte Attilio ihn verstanden. Nun, als er auf
seinem Bett auf den Morgen wartete, dachte er über sein Glück nach, das ihn
nicht gezwungen hatte, auf die eine bestimmte Frage zu antworten: »Hätte ich
mich wie Carbone oder wie Nigro verhalten?«


Die italienische Regierung ist gut, gut, gut.
Jeder Askari bekommt seinen Sold,
jeder Mann hat seine Arbeit,
jede Frau ihren Maria-Theresia-Taler.
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