Handelsblatt - 12.09.2019

(lily) #1
M. Koch, T. Riecke, T. Sigmund
Berlin

Z

wischen Joshua Wong und
Wu Ken lagen nur vier Ki-
lometer. Der eine, führen-
der Aktivist der Protestbe-
wegung in Hongkong,
kündigte an diesem Mittwoch in der
Bundespressekonferenz an, den
Kampf für freie Wahlen und gegen
Pekings politische Repressionen in
der Finanzmetropole fortzusetzen.
Der andere, seit Kurzem Chinas
Botschafter in Deutschland und be-
kannt als Hardliner, fühlte sich da-
raufhin herausgefordert und setzte in
der chinesischen Botschaft ebenfalls
eine Pressekonferenz an. Anlass war
vor allem ein Treffen von Außenmi-
nister Heiko Maas (SPD) mit Wong
am Rande einer „Bild“-Veranstaltun-
gen, bei der sich beide gemeinsam fo-
tografieren ließen.
Ein inakzeptabler Vorgang für Bot-
schafter Wu, der erklärte, der Emp-
fang Wongs durch deutsche Politiker
habe „sehr negative Beeinträchtigun-
gen der bilateralen Beziehungen“ zur
Folge. Die Enttäuschung auf chinesi-
scher Seite sei sehr groß, und man
müsse deshalb reagieren. Details zu
negativen Auswirkungen nannte er
nicht. In der Bundesregierung fragt
man sich nun, ob China noch zu dem
für Oktober geplanten Menschen-
rechtsdialog bereit sei.
Als erste Maßnahme der chinesi-
schen Regierung wurde der deutsche
Botschafter ins Außenministerium in
Peking einbestellt. Es habe nach dem
Treffen von Maas und Wong sowohl
in Peking wie auch in Berlin Gesprä-
che gegeben, sagte Wu.

Nach Informationen des Handels-
blatts war Bundeskanzlerin Angela
Merkel über den Termin des Außen-
ministers informiert. Auch dass dabei
Fotos entstehen würden, war dem
Kanzleramt demnach bewusst. Mit
den Bildern von Maas und Wong kor-
rigiert die Bundesregierung den Ein-
druck, sie wolle sich neutral zum
Konflikt um die Zukunft Hongkongs
verhalten.
Merkel findet klare Worte
Auch Merkel fand in ihrer Regie-
rungserklärung am Mittwoch deutli-
chere Worte als in den Wochen zu-
vor: Sie habe bei ihrem jüngsten Be-
such in Peking darauf hingewiesen,
„dass die Einhaltung der Menschen-
rechte für uns unabdingbar ist“, sag-
te die Kanzlerin. Die Bundesregie-
rung halte das Prinzip „ein Land,
zwei Systeme“ für die Sonderverwal-
tungszone nach wie vor für richtig,
wonach Hongkong mehr Freiheiten
erlaubt als die Volksrepublik.
Wong wich dem Schlagabtausch
mit Botschafter Wu nicht aus. „Hong-
kong ist das neue Berlin im neuen kal-
ten Krieg“, sagte er und bezeichnete
seine Heimat als „Frontstadt“ in der
globalen Auseinandersetzung des
Westens mit China. Deutschland und
andere demokratische Länder dürf-
ten angesichts der Proteste in Hong-
kong „kein Auge zudrücken“, forderte
der 22-jährige Student. Von Deutsch-
land verlangte er unter anderem, kei-
ne Waffen und keine Ausrüstung
mehr an die Polizei in Hongkong zu
liefern. Die Ordnungskräfte gingen
„brutal“ gegen die Demonstranten
vor. Das dürfe der Westen nicht unter-
stützen. Deutschland liefere unter an-

derem Teile für Wasserwerfer nach
Hongkong sowie sogenannte „Bean
Bag“-Geschosse.

Wong fordert Sanktionen
Neben dem Exportverbot von Poli-
zeiausrüstung forderte der Aktivist,
dass die Proteste in Hongkong auch
zum Thema in den laufenden Han-
delsgesprächen gemacht werden soll-
ten. „Deutschland sollte China direkt
mit Menschrechtsverletzungen kon-
frontieren“, sagte Wong und notfalls
auch mit Sanktionen drohen. Die
Verteidigung der politischen Freihei-
ten im Finanzzentrum Hongkong lie-
ge auch im europäischen Interesse.
Er widersprach Behauptungen,
wonach die Demokratiebewegung in
Hongkong durch ausländische Mäch-
te unterstützt werde. „Die Menschen
in Hongkong sind unabhängig“, sagte
der Aktivist. Botschafter Wu sagte da-
zu: Die chinesische Führung habe
ausreichend Belege dafür, dass aus-
ländische Kräfte in Hongkong inter-
veniert hätten. Allerdings habe sich
die Lage in den vergangenen Tagen
etwas beruhigt. Die Führung in Pe-
king sei zuversichtlich, dass die Re-
gierung von Hongkong ihre Aufgaben
werde meistern können.
Sollte die Lage allerdings eskalie-
ren, würde die Zentralregierung
nicht tatenlos zusehen. Sie sei stark
genug, um die Lage zu beruhigen. Er
verwies darauf, dass die Hongkonger
Regierungschefin Carrie Lam den
umstrittenen Gesetzentwurf für Aus-
lieferungen nach China inzwischen
zurückgezogen habe.
Wong bezeichnete dies als „takti-
sche Maßnahme“, um die Lage vor
Chinas Nationalfeiertag am 1. Okto-

ber zu beruhigen. „Das reicht aber
bei Weitem nicht aus“, betonte der
Kopf der Demokratiebewegung De-
mosisto und forderte den chinesi-
schen Präsidenten Xi Jinping auf,
die schon seit drei Monaten andau-
ernde Krise in der Sonderverwal-
tungszone durch politische Refor-
men zu lösen.
Als Grund für die harte Haltung
Pekings nannte der Botschafter da-
gegen den Vorwurf an Wong, Teil ei-
ner separatistischen Bewegung zu
sein. Diese erhebe Forderungen, die
weit über die den Hongkong-Chine-
sen zugestandenen Bürgerrechte hi-
nausgingen. In seiner Erklärung
wurden die Taten als „brutale
Schwerkriminalitäten und nahezu
terroristisch“ bezeichnet. Die Regie-
rung in Peking stehe zu dem Grund-
satz „Ein Staat, zwei Systeme“ und
wolle auch nicht in Hongkong ein-
greifen. Falls die Lage eskaliere, sehe
aber sowohl das sogenannte Basic
Law für Hongkong als auch die chi-
nesische Verfassung vor, dass Peking
intervenieren müsse.
Die Demokratiebewegung dränge
seit Beginn der Proteste auf einen
Dialog und habe alle friedlichen Mög-
lichkeiten ausgeschöpft. „Niemand
will Gewalt in Hongkong“, sagte da-
gegen Wong, den Demonstranten
bleibe jedoch keine andere Wahl, als
den Druck auf Peking zu erhöhen.
Er traf auch mit FDP-Chef Christian
Lindner und Grünen-Politikern zu-
sammen. Lindner kritisierte, dass
Merkel nicht mit Wong gesprochen
habe. Wong reist diese Woche in die
USA, wo er mit dem republikani-
schen US-Senator und Chinakritiker
Marco Rubio zusammentreffen will.

China


Schlagabtausch in Berlin


Demokratie-Aktivist Joshua Wong und Chinas Botschafter Wu Ken liefern sich ein heftiges Fernduell.
Kanzlerin Merkel wusste offenbar von einem Fototermin des Außenministers mit dem Aktivisten.

Aktivist
Joshua Wong:
„Die Menschen in
Hongkong sind
unabhängig.“

Hannibal Hanschke/REUTERS


Hongkong
ist das
neue Berlin
im neuen
kalten Krieg.
Joshua Wong
Aktivist

Botschafter
Wu Ken:
„Sehr negative
Beeinträchtigun-
gen“ der Bezie-
hungen.

Matthias Lüdecke


Wirtschaft & Politik


(^10) DONNERSTAG, 12. SEPTEMBER 2019, NR. 176

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