Martin Murphy, Franz Hubik, Markus Fasse
Frankfurt
I
rgendwann platzt Michael Brecht der Kra-
gen. Der Betriebsratschef von Daimler stößt
bei seinem Rundgang über die Internatio-
nale Automobilmesse (IAA) vielerorts auf
geharnischte Kritik, mit der Umweltschüt-
zer die Branche derzeit überziehen. „Klimakiller“
ist wohl der härteste Vorwurf, den der 54-Jährige
verdauen muss. Die Industrie mit ihren vier Millio-
nen Mitarbeitern sei doch kein Klub von Verbre-
chern, klagt er. Vielmehr hätten die Beschäftigten
ein Interesse daran, dass durch die Fertigung nach-
haltiger Elektroautos die Jobs gesichert und die
Luft sauber seien.
Brecht, eigentlich ein ruhiger Mensch, bangt in
diesem Umfeld um die Zukunft der Autobranche.
Er will in die Offensive gehen – und ist nicht allein.
Auch der Betriebsratschef von Volkswagen, Bernd
Osterloh, und Manfred Schoch, der oberste Arbeit-
nehmervertreter von BMW, sind besorgt. „Eine De-
monstration ist gut, aber wir brauchen eine gute
Lösung“, sagt Schoch mit Blick auf die Proteste,
von denen die IAA begleitet wird. Für ihn ist dies
die Elektromobilität. „Ein Umschwenken der Auto-
mobilindustrie ist überlebensnotwendig.“
Die Betriebsratschefs der drei Konzerne haben in
der Debatte ein gewichtiges Wort mitzureden. Zu-
sammen beschäftigen Daimler, VW und BMW welt-
weit rund eine Million Mitarbeiter direkt, viele
Hunderttausend Menschen arbeiten zudem bei Zu-
lieferbetrieben. Der Schritt, sich gemeinsam an die
Öffentlichkeit zu wenden, ist indes ungewöhnlich.
In der Regel definieren Osterloh, Schoch und
Brecht jeweils ihre eigene Position. Aber die drei
Arbeitnehmerführer eint in diesen Tagen die Sorge
um die Zukunft der deutschen Automobilindustrie.
Die Unternehmen stecken jeweils zweistellige
Milliardenbeträge in die Entwicklung und den Bau
neuer strombetriebener Fahrzeuge. „Volkswagen
meint es ernst mit der Elektromobilität und den
Klimazielen“, sagt daher auch Osterloh. Volkswa-
gen rüste mit Emden, Zwickau und Hannover drei
deutsche Standorte auf Stromautos um und hole
zudem eine eigene Zellfabrik nach Deutschland.
Brecht, Osterloh und Schoch wollen eine sachli-
che Diskussion. Die Argumente müssten doch ge-
hört werden, bei aller Kritik, lautet ihre Aussage.
Die Fronten wollen sie aufbrechen – und sie sind
dabei selbstkritisch: „Die Automobilindustrie hat in
der Vergangenheit etwas Mist gebaut, aber wir ha-
ben inzwischen aufgeräumt“, sagt Brecht. Und den
Blick nach vorne gerichtet. Etliche Elektrofahrzeu-
ge hätten die Hersteller entwickelt, und Daimler
biete elektrifizierte Lkws und Busse.
Dennoch stehen die Unternehmen zu Beginn
der Branchenmesse IAA in Frankfurt massiv unter
Druck. Mehrere Umweltverbände haben unter
dem Dach des Aktionsbündnisses „Aussteigen“ für
das Wochenende zu Demonstrationen aufgerufen.
Die Gruppierung „Sand im Getriebe“ will zudem
bewusst Regeln brechen und mit Blockaden die
IAA in Frankfurt faktisch stilllegen.
Die Kritiker stoßen sich unter anderem an den
seit Jahren steigenden Motorleistungen und dem
wachsenden Anteil an Geländewagen im Portfolio
der Autohersteller. Dieser führe unter anderem da-
zu, dass die Autoindustrie ihren Klimazielen nicht
nachkomme. Die Umweltaktivisten fordern sogar
ein Verbot von Autos in Innenstädten und im Ge-
genzug einen Ausbau des öffentlichen Nahver-
kehrs. Teile der Grünen schließen sich zudem der
Forderung an, schwere SUVs aus den Innenstädten
zu verbannen. Am vergangenen Freitag wurden
aus noch ungeklärter Ursache bei einem Unfall mit
einem SUV vier Menschen getötet.
Brecht weist diese Forderung zurück. Die Debatte
über zu große SUVs könne man führen, auch wenn
diese sehr deutsch sei. „Aber solche Fahrzeuge sind
doch o. k., wenn sie sauber sind.“ Jeden wird er mit
dieser Aussage allerdings nicht überzeugen können.
Aus Sicht der Betriebsräte nimmt die Debatte ei-
nen bedrohlichen Verlauf. „In der öffentlichen Dis-
kussion bekommt man im Moment den Eindruck,
das Auto sei nichts als ein einziges Risiko. In der Ge-
fahrenskala liegt es irgendwo zwischen Ebola und
nordkoreanischen Raketen“, sagt Osterloh. Manche
sähen das Auto offenbar nur noch als eine überholte
Technik von Leuten, die in der Vergangenheit leben.
Der oberste Arbeitnehmervertreter des Volkswa-
genkonzerns steht eng an der Seite von Konzern-
chef Herbert Diess. Der hatte erst am Montag öf-
fentlich mit „Tina Velo“ diskutiert. Die unter einem
Pseudonym auftretende Aktivistin vertritt die
Gruppe „Sand im Getriebe“. „Ihr Greenwashing
macht mich wütend“, schleuderte Velo dem VW-
Chef entgegen. Der verteidigte die Politik des Kon-
zerns. Volkswagen brauche die Gewinne aus den
SUV-Verkäufen, um den Umstieg auf die Elektro-
mobilität zu finanzieren. Die Branche habe „die
Zeichen der Zeit verstanden“.
Tatsächlich vollzieht Volkswagen wie BMW und
Daimler einen massiven Schwenk zur Elektro -
mobilität. Auf dem Stand der Marke in Halle drei
stehen fast ausschließlich Elektroautos. Der Vorrei-
ter ist der auf der IAA vorgestellte ID.3, der im
nächsten Jahr auf den Markt kommt. „Wir haben
vor, in den nächsten zehn Jahren 50 Prozent unse-
rer Flotte auf Elektrobetrieb umzustellen“, sagte
Diess.
Ein Weiter-so lehnen die Betriebsräte ab: „Das
Auto muss sich bewegen, das meine ich wörtlich,
aber auch im übertragenen Sinn“, sagt Osterloh.
Fahrzeuge müssten sauberer und sicherer werden.
„Wer aber – wie unsere Kritiker es wollen – das Au-
to per Vorschriften und Gesetzen abschaffen will,
nimmt uns Bürgerinnen und Bürgern einen Teil
des guten Lebens.“
Der Umstieg von Verbrenner- auf Elektroan-
trieb ist nur mit der Unterstützung der Betriebsrä-
te in den Aufsichtsräten zu schaffen. Schoch
nimmt für sich in Anspruch, die Entwicklung bei
BMW erst richtig getrieben zu haben. Dabei ist
der Wandel für die Beschäftigten ein Risiko. So
braucht ein Elektroauto weniger Bauteile als ein
herkömmliches Auto – weniger Arbeitsschritte be-
Arbeiterführer
kämpfen ums Auto
Die Diskussion um Klimaziele und den SUV-Boom
erreicht die Mitarbeiter der Autoindustrie.
Die Betriebsräte von Daimler, BMW und Volkswagen
bangen um die Zukunft ihrer Branche.
Bloomberg
In der
öffentlichen
Diskussion
bekommt man
den Eindruck,
das Auto sei
nichts als ein
einziges Risiko.
Bernd Osterloh
VW-Betriebsratschef BMW Group, Bloomberg, dpa
Unternehmen
& Märkte
1
(^16) DONNERSTAG, 12. SEPTEMBER 2019, NR. 176