Handelsblatt - 12.09.2019

(lily) #1

Christoph Schlautmann Greven


T

riumphierend schiebt Felix Fiege sei-
nem Cousin Jens das Smartphone mit
der erlösenden Nachricht zu. Ab No-
vember, ist auf dem Display zu lesen,
wolle eine niederländische Airline den
Flughafen Münster/Osnabrück (FMO) mit Berlin-Te-
gel (TXL) verbinden. Und das zweimal täglich.
Für die beiden Vorstände des Logistikkonzerns
Fiege, deren Bürofenster in der achten Etage den
Blick freigeben auf die Landebahn des Regional-
Airports im münsterländischen Greven, könnte es
besser kaum laufen. Die Bundeshauptstadt steht
derzeit so häufig auf ihrem Terminplan wie ansons-
ten wenige Ziele. Meist geht es dann nach Dreilin-
den an den Wannsee, wo der amerikanische On-
lineanbieter Ebay seinen Deutschlandsitz hat.
Der Konzern aus dem Silicon Valley soll dem fa-
miliengeführten Frachtunternehmen mit seinen
15 000 Mitarbeitern zu neuem Schub verhelfen. An
dem hatte es zuletzt in Greven eher gemangelt. Der
Logistikumsatz stagnierte 2018 bei 1,55 Milliarden
Euro, der Ertrag vor Steuern und Zinsen ging um
ein Viertel auf 22,8 Millionen Euro zurück.

Demnächst mit 470 Onlineshops
Entsprechende Freude verbreitet der neue Groß-
kunde. „Die Kooperation haben wir schon letztes
Jahr gestartet“, berichtet Jens Fiege, mit 45 Jahren
der Ältere der beiden. „Zunächst als Pilotphase mit
70 Versandhändlern.“ Sie endete vor wenigen Ta-
gen mit Erfolg, was Ebay und Fiege nun antreibt,
den Geschäftsbetrieb hochzufahren. „Aktuell wer-
den 100 weitere Onlineshops aufgeschaltet“, strahlt

der Münsterländer, „danach werden in den nächs-
ten Monaten noch einmal 300 hinzukommen.“
Die ungleiche Allianz zwischen dem US-Digital-
konzern und dem 1873 als Fuhrunternehmen ge-
gründeten Familienbetrieb, der bis Kriegsende als
Nebenerwerb zu einer Gastwirtschaft geführt wur-
de, hat Großes im Sinn: Gemeinsam will man dem
übermächtigen Rivalen Amazon die Stirn bieten.
Zunächst in Deutschland.
„Ebay hat erkannt“, sagt Felix Fiege, „welche Fak-
toren dem Wettbewerber Amazon die Kundschaft
zutreiben.“ Es sei die verlässliche Zustellung inner-
halb von 24 Stunden, berichtet der 41-Jährige, aber
auch professionelle Verpackungslösungen und ein
lückenloses Retourenmanagement gehörten dazu.
Hinter der Logistikqualität des Rivalen aber ste-
cken Milliardeninvestitionen. Allein in Deutschland
betreibt er zwölf riesige Logistikzentren, in denen
kooperierende Onlineshops Ware einliefern und
per „Fulfillment by Amazon“ versenden. Selbst ei-
nen eigenen Paketdienst fährt der Webshopping-
Weltmarktführer seit 2015 in Deutschland auf.
Ebay dagegen legte bislang Wert auf eine schlan-
ke Unternehmensstruktur und überließ den Ver-
sand seinen Marktplatzhändlern – mit mäßiger
Kontrolle über die Lieferqualität und, zum Bedau-
ern der Konzernführung, einem schleichenden
Vertrauensverlust der Kunden. Wuchs Amazon
zwischen 2016 und 2018 um jeweils 27 bis 31 Pro-
zent, musste sich Ebay mit einem Plus von jährlich
fünf bis acht Prozent bescheiden.
Die Formel „Ebay Fulfillment“ soll das jetzt än-
dern – durch Outsourcing: Die komplette Logistik

und Versandabwicklung übernimmt Fiege. In Er-
furt stellt die Firma dazu ein Warenverteilzentrum
zur Verfügung, wo Ebay-Händler bereits jetzt Ware
einlagern können. Sobald ein Kunde ordert, wird
die Bestellung von Fiege-Lageristen aus den Rega-
len geangelt, verpackt und per Hermes, DHL, DPD
oder GLS an die Haustüre geliefert. Für den Service
zahlen beteiligte Onlineshops pro Sendung eine
Gebühr an Ebay. Ein Teil des Geldes fließt anschlie-
ßend weiter nach Greven.
Der gemeinsame Fulfillment-Service besitzt nach
Einschätzung von Experten großes Potenzial. „Ge-
rade kleine und mittelständische Unternehmen
können ihre Logistik an eine professionelle Stelle
auslagern und sich besser auf ihr Tagesgeschäft
konzentrieren“, lobt Andreas Arlt, Vorstandschef
des Onlinehandelsverbands Händlerbund. „Mit
Fiege hat Ebay aus unserer Sicht einen erfahrenen
Partner an seiner Seite.“
Das Geschäftsmodell – Fachleute sprechen von
„Kontraktlogistik“ – gilt in Deutschland als Miterfin-
dung der Münsterländer. 1979 hatte ihnen der Rei-
fenhersteller Bridgestone vorgeschlagen, dessen
Lagerhaltung, Kommissionierung, Qualitätskontrol-
le und Verzollung in Hamburg zu übernehmen. Bis
heute kamen Großkunden wie Esprit, Media-Sa-
turn, Sport Scheck oder Haribo hinzu. Die Lagerflä-
che wuchs auf die Größe von 420 Fußballfeldern.

Bescheidene Gesellschafter
Ab 2020 wird Fiege darüber hinaus die Logistik des
Warenhauskonzerns Karstadt/Kaufhof steuern.
Dort wird das in fünfter Generation geführte Unter-
nehmen ebenso für die Filialversorgung wie für den
Onlineversand verantwortlich sein – und löst als
Dienstleister nach fast zwei Jahrzehnten den Kon-
traktlogistik-Marktführer Deutsche Post/DHL ab.
Ein Grund für den Wechsel könnte in der Be-
scheidenheit der Westfalen liegen. So begnügte sich
Fiege 2018 nicht nur mit 1,9 Prozent Betriebsge-
winn vom Nettoumsatz, was der Hälfte der konkur-
rierenden DHL-Sparte entsprach. Seinen vierköpfi-
gen Vorstand entlohnte der Logistiker auch nur mit
insgesamt zwei Millionen Euro. Zum Vergleich:
DHL-Spartenvorstand John Gilbert, der nach wenig
glückreichem Wirken neulich einem Nachfolger
wich, verdiente letztes Jahr allein drei Millionen.
Eine Ausschüttung an die Gesellschafter gab es
2018 bei Fiege nicht, der Konzerngewinn blieb dem
Unternehmen als „Gesellschafterdarlehen“ und in
Form von Rücklagen erhalten. Schuld an der
Knausrigkeit dürfte die Satzung der Fiege Logistik
Stiftung sein, die seit 2005 als persönlich haftende
und geschäftsführende Gesellschafterin fungiert.
Dort heißt es im hinteren Teil: „Zweck der Stiftung
ist es weiter, aus Erträgen, die für die Stiftung ge-
mäß Paragraf 2, 2.1 bis 2.2 (Sicherung, Fortbestand
und Wachstum der Fiege-Gruppe, d. Red.) nicht
benötigt werden, die Familienangehörigen zu un-
terstützen.“ Das Firmenwohl geht vor.
Riskante Experimente schloss das in den vergan-
genen Jahren nicht aus. Zwar verabschiedeten sich
die Brüder Heinz und Hugo Fiege – die Väter von
Jens und Felix – in den 90er-Jahren erfolgreich vom
Großteil des Transports, um Kontraktlogistik-Kun-
den stets den günstigsten Anbieter zu vermitteln.
2006 aber geriet der Zukauf des Logistikers TTS
Global zum Desaster. Weil dessen Großkunde Me-
tro absprang, wurde der Neuerwerb weitgehend
beschäftigungslos. Nach bitteren Verlusten sah Fie-
ge erst 2009 wieder schwarze Zahlen.
Die Lust am Neuen aber haben die Nachfolger –
Jens Fiege kam 2009 in den Vorstand, Felix 2012 –
nicht verloren. 2017 gründeten sie im nahen Müns-
ter die IT-Firma Westfalia Datalab. Heute beschäf-
tigt sie 60 Datenanalysten, die es Mittelständlern
ermöglichen, mit cloudbasierten Datenanalysen
Vorhersagen zu treffen – von der Routenplanung
über Lösungen für die Finanzbranche bis hin zu
Prognosen für Landmaschinenhersteller. „Das In-
teresse ist riesig“, freut sich Felix Fiege, „der Be-
darf offensichtlich enorm.“
Gleichzeitig verspricht das Ebay-Modell weiteres
Neugeschäft. So trat auch der Marktplatzbetreiber
Zalando zum 1. April ein Warenverteilzentrum vor
den Toren Berlins an Fiege ab. Man werde beim
dortigen Versand, so sicherte Zalando dem Out-
sourcing-Partner zu, künftig auch Drittkunden ak-
zeptieren. Die Auslastung der neuen Flugverbin-
dung FMO–TXL dürfte damit gesichert sein.

Jens und Felix Fiege


Mission Ebay


Der Familienbetrieb aus dem Münsterland verbündet sich
mit dem Onlinehändler aus dem Silicon Valley gegen den
Wettbewerber Amazon.

Cousins Felix (l.)
und Jens Fiege: Mit
Tempo hinter den
Kulissen von Ebay.

Anne Großmann Fotografie


Mit Fiege hat
Ebay aus
unserer Sicht
einen
erfahrenen
Partner an der
Seite.
Andreas Arlt
Händlerbund

Familienunternehmen


des Tages


(^44) DONNERSTAG, 12. SEPTEMBER 2019, NR. 176

Free download pdf