SPIEGEL: Herr Ziemiak, was sagt es über
den Zustand der CDU aus, dass Ihre Partei
sich über ein Wahlergebnis von 32 Prozent
in Sachsen freut?
Ziemiak: Natürlich war unser Ergebnis bei
der Landtagswahl vor fünf Jahren besser
als bei dieser Wahl, und darüber war an
diesem Sonntag auch Enttäuschung spür-
bar. Dass wir trotzdem erleichtert waren,
liegt auch daran, dass wir viel besser ab-
geschnitten haben, als viele Umfragen vor-
hergesagt hatten. Schließlich war es das
erklärte Ziel der AfD, stärkste Kraft in
Sachsen zu werden. Das hat die CDU mit
einer ausgezeichneten Kampagne und ei-
nem unglaublichen persönlichen Einsatz
von Ministerpräsident Michael Kretsch-
mer verhindert.
SPIEGEL: Wieso gelingt es keiner Partei in
Deutschland, auch nicht der CDU, den
Aufstieg der AfD zu stoppen?
Ziemiak: Das treibt mich sehr um. Genau-
so wie die Frage, warum sich so viele jün-
gere Menschen für eine Partei entschieden
haben, deren Funktionäre teils handfeste
Verbindungen ins rechtsextreme Milieu
haben.
SPIEGEL: Und wie lautet Ihre Antwort?
Ziemiak: Den Menschen zuhören und
handeln. Dabei aber trotzdem nicht ein-
fach alles versprechen. Die Erfolge solcher
Parteien erleben wir mittlerweile in allen
westlichen Demokratien. Sie haben viel
zu tun mit dem Vertrauensverlust der Men-
schen in Politiker, in demokratische Insti-
tutionen, in die mediale Berichterstattung,
die sie nicht als objektiv empfinden. Wir
müssen den Menschen verdeutlichen, dass
wir Politiker verantwortliche Entschei -
dungen treffen und diese auch umsetzen
können.
SPIEGEL: Kann es nicht sein, dass viele
Wähler die AfD gerade wegen ihrer schar-
fen Positionen und ihres autoritären Ge-
sellschaftsbilds wählen?
Ziemiak: Ich habe den Eindruck, dass die
Wähler der AfD diese Partei nicht wegen
einer bestimmten positiven Zielsetzung
wählen, sondern weil sie gegen etwas sind.
Das hat viel mit Veränderungen in der
Gesellschaft zu tun, die manche Menschen
schlicht ablehnen, die ihnen vielleicht auch
zu schnell gehen, aber nicht mit einem kon-
kreten Gesellschaftsbild, das man verfolgt.
Und es hat mit der Vereinfachung der poli -
tischen Botschaften zu tun, wie die AfD
sie liefert. Dieses Schwarz-Weiß-Denken
schadet uns als Gesellschaft aber in einer
immer komplexer werdenden Welt.
SPIEGEL: Der frühere Verfassungsschutz-
präsident Hans-Georg Maaßen ist über-
zeugt davon, dass ohne ihn die CDU in
Sachsen noch schlechter abgeschnitten
hätte. Teilen Sie diese Einschätzung?
Ziemiak: Wenn sich dieser Erfolg der
CDU auf eine einzelne Person zurück -
führen lässt, dann auf die von Michael
Kretschmer.
SPIEGEL: Maaßen will auch in Thüringen
auftreten. Hilft das der CDU?
Ziemiak: Ziel jeder Wahlkampfveranstal-
tung muss sein, dass danach mehr Men-
schen die CDU wählen als vorher. Ob die
Veranstaltungen von Herrn Maaßen dieses
Ziel erreicht haben, kann ich nicht ab-
schließend beurteilen, ich habe keine be-
sucht. Die Berichte von den Veranstaltun-
gen waren diesbezüglich allerdings alles
andere als eindeutig. Feststellen kann ich
aber, dass Michael Kretschmer gesagt hat,
er könne auf Herrn Maaßen im Wahl-
kampf verzichten. Und der Wahlkampf
der CDU Sachsen hat unbestritten zu ei-
nem Ergebnis geführt, das deutlich besser
ist, als es noch vor wenigen Wochen vor-
hergesagt wurde.
SPIEGEL: Die Debatte geht weit über die
Person Maaßen hinaus. Die Frage ist, ob
die CDU wieder konservatives Profil ge-
winnen muss, um Wähler von der AfD
zurückzugewinnen. So sehen es auch Partei -
freunde, die mit Maaßen oder der Werte -
Union nichts zu tun haben.
Ziemiak: Die alten Zuschreibungen pas-
sen heute häufig nicht mehr. Es gibt CDU-
Mitglieder, die gehen auf den Christopher-
Street-Day und kämpfen für die vollstän-
dige Gleichstellung von homosexuellen
Partnerschaften. Fordern aber auch einen
starken Rechtsstaat und die Abschiebung
krimineller Asylbewerber.
SPIEGEL: Ihr Problem sind doch die CDU-
Anhänger, die den Christopher-Street-Day
ablehnen und der Meinung sind, ein CDU-
Politiker habe auf einer solchen Veranstal-
tung nichts verloren.
Ziemiak: Auch Menschen, die unter Hel-
mut Kohl in die CDU eingetreten sind, mit
dem damaligen Programm, haben ihren
Platz in der CDU. Genauso wie Mitglieder,
die wegen Angela Merkel beigetreten sind.
Aber Meinungen ändern sich. Wir können
nicht sagen, früher war alles besser, son-
dern müssen Zukunftsentscheidungen tref-
fen. Unsere Stärke als bürgerliche Volks-
partei bestand immer darin, dass wir
integrieren und eine Bandbreite verschie-
dener Meinungen und Haltungen zusam-
menführen. Und diese Stärke wollen wir
uns bewahren.
SPIEGEL: Viele Ihrer Anhänger beklagen,
dass sie mit ihren Positionen früher in der
Mitte der Partei standen und jetzt nur noch
am Rand geduldet werden.
Ziemiak: Das sehe ich anders. Die CDU
war nie eine ausschließlich konservative
Partei. Wir hatten immer unterschied -
liche Strömungen, und das ist auch heute
noch so.
SPIEGEL: Wie erklären Sie sich die Schärfe
der Debatte zwischen den Vertretern der
liberalen »Union der Mitte« und der kon-
servativen WerteUnion?
Ziemiak: Ich sage allen und vor allem de-
nen, die sich in den sozialen Netzwerken
äußern: Der politische Mitbewerber steht
außerhalb der CDU und nicht innerhalb
der eigenen Reihen. Wir streiten über Posi -
tionen, und das muss auch sein. Aber um
Wähler zurückzugewinnen, sollten wir uns
nicht mit uns selbst beschäftigen, sondern
erklären, was wir eigentlich mit dem Land
vorhaben. Wichtig ist, dass wir einander
mit Respekt begegnen. Das macht uns als
bürgerliche Partei aus.
SPIEGEL: Bisher haben Sie kaum eigenes
Profil entwickelt. Die Frage, was will Paul
Ziemiak, ist nicht beantwortet.
Ziemiak: Meine Gedanken schwirren
nicht um mich, sondern um die Frage,
wie wir die Partei weiterentwickeln kön-
nen, um einen Dienst an unserem Land
zu leisten.
SPIEGEL: Ihre Bescheidenheit in Ehren:
Aber da kann man als CDU-Mitglied doch
Angst kriegen, wenn die Partei von Wahl
zu Wahl verliert – und der Generalsekre-
tär nicht in der Lage ist, seine Rolle zu
beschreiben.
Ziemiak: Die Rolle ist doch eindeutig. Der
Generalsekretär muss gemeinsam mit der
Parteivorsitzenden und dem Präsidium die
38
Deutschland
»Sie wollen mich in eine
Schublade stecken«
CDUGeneralsekretär Paul Ziemiak, 34, über seine unklare Rolle und
die Frage, warum die Partei an der schwarzen Null hängt
Klare Verluste
Landtagswahlergebnisse
der CDU, Veränderung
in Prozentpunkten
Sachsen Brandenburg
- 7,3 – 7,4 15,6 %*
32,1 %*
2014 2019 2014 2019
23,0 %
39,4 %
Quelle:
Landes-
wahlleiter
* vorläufig