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as vertrauliche Schreiben, das ein
Mitarbeiter der Uefa am 15. De-
zember 2016 für das Topmanage-
ment verfasste, trug eine nüch-
terne Bezeichnung: »Internal Memo«.
Nichts von alldem, was dort aufgeführt
war, sollte nach außen gelangen. Dazu war
der Fall zu brisant. Denn er dokumentiert
ein Ausmaß an Misswirtschaft, das die
Uefa auf eine Stufe mit dem Fußballwelt-
verband stellt. Und viel tiefer als die Fifa
kann eine Institution kaum sinken.
In dem Papier ging es um Zahlungen an
den Fußballverband der Ukraine (FFU).
Demnach hatte die Uefa mehr als 15 Jahre
lang Geld, das eigentlich der FFU oder
ukrainischen Vereinen zustand, an eine
Firma auf den Britischen Jungferninseln
überwiesen – einem Steuerparadies in der
Karibik. Der Name der Firma: Newport
Management Limited.
Wer hinter der Newport steckte, hatte
bei der Uefa bis Ende 2016 offenbar nie-
mand hinterfragt. Doch nun stand ein Ver-
dacht im Raum. Der Mann, der die
Newport kontrollierte, war laut dem »In-
ternal Memo« womöglich Igor Surkis, ein
einflussreicher Oligarch in der Ukraine.
Igor Surkis ist seit 2002 Präsident des
Traditionsvereins Dynamo Kiew. Und er
ist der Bruder von Grigori Surkis, der
Dynamo Kiew von 1993 bis 1998 kontrol-
lierte und danach eine steile Funktionärs-
karriere bei der Uefa machte – von 2000
bis 2012 war Grigori Surkis Präsident des
ukrainischen Fußballverbands und von
2004 bis 2019 auch Mitglied der Uefa-
Exekutive, zeitweise sogar Stellvertreter
des Präsidenten Michel Platini.
Der Verfasser des »Internal Memo« be-
schreibt auch, dass eine Uefa-Abordnung
Anfang Dezember 2016 in die Ukraine ge-
reist war. Ihr Auftrag lautete, Dynamo
Kiew auf Einhaltung des Financial Fair
Play zu überprüfen. Als die Uefa-Kontrol-
leure Einblick in die Bücher verlangten,
erfuhren sie, dass eine »dritte Partei mit
Sitz auf den Britischen Jungferninseln«
Dynamo Kiew maßgeblich finanzierte.
* Nach dem Gewinn des ukrainischen Fußballpokals
am 4. Juni 2015 in Kiew.
Diese »dritte Partei« war ebenfalls die
Newport. Das »Internal Memo« hielt fest,
dass die Uefa alle Zahlungen an den ukrai-
nischen Verband auf jenes Konto überwei-
se, »das die Newport nutzt, um Gehälter
und Spielertransfers im Auftrag von Dy-
namo Kiew zu bezahlen«.
Danach begann bei der Uefa eine Un-
tersuchung, die den dubiosen Geldströ-
men nachforschte. In den Daten, die die
Enthüllungsplattform Football Leaks dem
SPIEGELzur Verfügung gestellt hat, finden
sich zahlreiche Unterlagen, die das Aus-
maß dieses Filzes dokumentieren.
Eine Mail mit drei Excel-Tabellen ist
besonders brisant. Ein Mitarbeiter der
Uefa-Finanzabteilung verschickte sie am
- Januar 2017 an zwei Juristen. Dort ist
beschrieben, wie oft und wofür die Uefa
zwischen dem 26. September 2002 und
dem 2. Dezember 2016 Zahlungen zuguns-
ten des ukrainischen Verbands angewiesen
hat. Es waren Prämien für Klubs, die in
europäischen Wettbewerben spielten und
Profis für das Nationalteam abstellten; und
es waren Solidaritätsbeiträge und Förder-
90 DER SPIEGEL Nr. 37 / 7. 9. 2019
Sport
Ukrainische Bruderschaft
Football Leaks IDie Uefa überwies über Jahre rund 380 Millionen Euro für den ukrainischen
Fußballverband an ein Unternehmen auf den Britischen Jungferninseln – das von einem
Oligarchen kontrolliert wurde. Nun will niemand für die Misswirtschaft verantwortlich sein.
ANADOLU AGENCY / GETTY IMAGES
Spieler von Dynamo Kiew*: Geheime Kasse in der Karibik