Die Welt am Sonntag Kompakt - 08.09.2019

(backadmin) #1
Leitung Kurzurlaub.deDavid Wagner
(l.), Michael Brandt und Henry Leitmann

KURZURLAUB.DE

WELT AM SONNTAG NR. 36 8. SEPTEMBER 2019 WIRTSCHAFT & FINANZEN 31


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Mit 12.000 D-Mark starteten der gelern-
te Fliesenleger Michael Brandt und der
Zeitsoldat Henry Leitmann vor genau
20 Jahren ihr Tourismus-Projekt. Das
Geld war der Existenzgründerzuschuss
von der Arbeitsagentur, die damals
noch Arbeitsamt hieß. Sie investierten
es in zwei Laptops und zwei Digicams.
Und los ging das Abenteuer. Ohne Ei-
genkapital. Ohne echtes Büro. Nur mit
der Idee, digitale Online-Inserate – so
nannte man das damals noch – für Ho-
tels oder Pensionen zu erstellen und auf
ihrer Homepage zu platzieren.
Am Anfang war es ein zähes „Klinken-
putzen“, erinnert sich Brandt. Dieser
„Sache mit dem Internet“ standen vie-
len Kunden skeptisch gegenüber. Der
Durchbruch gelang 2006 mit dem Er-
werb der Domain Kurzurlaub.de. Die Be-
sitzerin aus dem Münsterland verkaufte
an die „Ossis“, weil die Branchengrößen
wie HRS oder hotel.de wenig Interesse
zeigten. Ein Fehler, wie sich herausstell-
te. Die Deutschen lieben es, für einige


Tage im eigenen Land zu verreisen. Am
besten gleich mehrmals im Jahr. „Die
Idee, sich komplett auf das Thema Kurz-
reise zu fokussieren, war die beste, die
wir jemals hatten“, sagt Leitmann.
Die Geschäfte der Schweriner florier-
ten. Erst recht, als aus dem Führungs-
duo ein Trio wurde. Der heutige Ge-
schäftsführer David Wagner, in Magde-
burg geboren, war anfangs einen ande-
ren Weg gegangen. Er hatte der ostdeut-
schen Heimat den Rücken gekehrt –
kam dann aber nach zwölf Jahren zu-
rück. „In den 1990er-Jahren waren viele
meiner Freunde arbeitslos. Familien
wurden durch Wegzüge in den Westen
auseinandergerissen, und im Osten
herrschte eine eher bedrückende Stim-
mung“, erklärt er. „Beruflich war es für
viele Menschen unheimlich schwer, Fuß
zu fassen. Deshalb ging auch ich im Jahr
2000 weg.“
Er fand, was er suchte.
Hatte gute Jobs, machte
Karriere und gründete ein

Familie. Und trotzdem: 2012 zog es ihn
zurück. „Ich spürte meine Heimatver-
bundenheit und merkte, dass nicht mehr
alles so schlecht war, wie ich es damals
vielleicht selbst gemacht habe.“ Tatsäch-
lich taten die „westliche“ Perspektive
und Wagners Selbstbewusstsein dem
Unternehmen gut. Wurden die meisten
Umsätze bis dahin mit Hotels in Meck-
lenburg-Vorpommern
erzielt, baute er das Por-
tal zur deutschlandwei-

ten Marke auf. Heute gibt es für das
Kurzurlaub-Trio keinen Grund mehr, ih-
ren Unternehmenssitz zu ändern. „30
Jahre nach dem Mauerfall ist der Osten
viel lebenswerter geworden, das kultu-
relle Angebot gestiegen. Wer seine
Chance nutzt, kann sich mittlerweile
auch hier bei uns eine gute soziale Si-
cherheit aufbauen“, sagt Wagner.
Ein Standort-Problem haben die
Mecklenburger dann aber doch. Denn
der Erfolg bedeutet Wachstum. Seit der
jüngsten Übernahme des österrei-
chischen Pendants Kurzurlaub.at sto-
ßen die Ostdeutschen in neue Dimen-
sionen vor. Aktuell zählt das Unterneh-
men 50 Mitarbeiter. Gebraucht werden
mehr. Die Lösung sind neue Büros in
Berlin und Wien. „Mit unseren Nieder-
lassungen in den beiden Hauptstädten
haben wir jetzt bessere Möglichkeiten,
Fachkräfte zu finden“, erklärt Brandt.
Er schwört deshalb auf die neue Achse
Schwerin-Berlin-Wien – genau in dieser
Reihenfolge.

DAVID WAGNER, MICHAEL BRANDT, HENRY LEITMANN


Man kennt sich in Zwönitz. Zwischen
„Ulrikes Modeeck“ und dem „Tattoola-
den Lebenslänglich“ grüßen sich die
Passanten in breitem Sächsisch. Zwei
Jugendliche sitzen an einer Bushalte-
stelle und hören Rap-Musik. Zwönitz ist
kein Dorf, das vom Aussterben bedroht
ist – doch die Verödung hat auch hier
nicht haltgemacht.Da will das moderne
Firmengelände von Ulrich und Dagmar
Clauß nicht recht ins Stadtbild passen.
Hinter der Fassade sitzt einer der ge-
fragtesten Kamerahersteller der Welt.
Die Geräte der „Dr. Clauß Bild- und Da-
tentechnik GmbH“ sind weltweit im
Einsatz. Es sind Präzisionspositionie-
rungsantriebe, Kamerahalterungen, mit
denen Fotoapparate ohne Ruckeln ge-
schwenkt und geneigt werden können.
Das ist weltweit einzigartig – und bis ins
kleinste Detail von 15 Mitarbeitern im
Erzgebirge gefertigt.
Aus Zehntausenden winzigen Mosa-
ik-Aufnahmen fügt die Technik aus dem
Erzgebirge riesige Panorama-Aufnah-

men zusammen.Der Vati-
kan dokumentiert mit der
Technik seine Kunstschät-
ze, Internetgigant Google nutzt sie, um
für ein Projekt Gemälde für die Nach-
welt zu digitalisieren.
Der Begründer der Erfolgsgeschichte
im Erzgebirge, Ulrich Clauß, wurde in
Karl-Marx-Stadt geboren, dem heutigen
Chemnitz. Er studierte medizinische
Elektronik, arbeitete im VEB-Messgerä-

tewerk Zwönitz, einem
DDR-Staatsbetrieb. Als
nach dem Mauerfall
Kündigungswelle auf Kündigungswelle
folgte, blieb Clauß in der Heimat – und
machte sich selbstständig.„Wir wollten
nicht vor den Problemen weglaufen“,
sagt er heute. „Viele haben sich damals
ein Westauto gekauft. Wir sind weiter
Trabbi gefahren und haben unser Geld
in hochwertige Rechentechnik inves-
tiert.“ Die legte den Grundstein für den
späteren Unternehmenserfolg. Dahin-
ter steht für den Firmengründer ein lan-
ger Lernprozess. „Wir sind nicht mit
der freien Marktwirtschaft groß gewor-
den“, sagt Clauß. Oft sei er im Umgang
mit westdeutschen Unternehmen zu
ehrlich gewesen, habe ausgesprochen,
was er denkt. „Auch bei Partnern ist zu
viel Initiative zum Wohle des gemeinsa-
men Projekts nicht immer gewünscht“,
sagt er heute nachdenklich.
Nach fast 30 Jahren hat er die Firmen-
ffführung an Sohn Hartmut abgegeben,ührung an Sohn Hartmut abgegeben,

der nun mit Mutter Dagmar die Ge-
schäfte der Firma leitet. Auch Clauß’
zweiter Sohn Roland gehört als Ver-
triebsleiter zum Führungsteam. Er
selbst bleibt dem Unternehmen als Ent-
wicklungsleiter erhalten. Gemeinsam
versuchen sie, Fachkräften eine Perspek-
tive in der Region zu bieten. „Viele Fach-
kräfte sind nach dem Mauerfall in die al-
ten Bundesländer umgezogen. Deren
Nachwuchs fehlt uns heute immens“,
sagt Ulrich Clauß.Die Politik könne das
Einheitsgefühl 30 Jahre nach dem Mau-
erfall nicht erzwingen – „dieser Prozess
muss bei den Menschen beginnen“. Mit
den neuen Generationen würden die
VVVorurteile weniger, orurteile weniger, der sächsische Dia-
lekt werde abtrainiert. Das könnten Po-
litiker nicht steuern. „Sie können nur
Rahmenbedingungen setzen. Und die
sind eigentlich gar nicht schlecht“, resü-
miert Clauß. „Ich habe mir inzwischen
längst abgewöhnt“, sagt er in unver-
kennbarem Sächsisch, „zwischen Ossis
und Wessis zu unterscheiden.“

ULRICH UND HARTMUT CLAUSS


Gefragte Kamerahersteller Ulrich (l.)
und Hartmut Clauß von der Dr. Clauß
Bild- und Datentechnik GmbH in Zwönitz

ROLAND CLAUSS

Jahre


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