Die Welt am Sonntag Kompakt - 08.09.2019

(backadmin) #1

IM


INNEREN


DES


KRIEGES


Steffen Kopetzkys großer Roman über
Krieg und Lüge – und einen Mann, der falsche
Wahrheiten hinter sich lässt.

rowohlt.de/kopetzky

KULTUR


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WANGSHUI IN MITTE BEI JULIA STOSCHEKWangS-
hui ist ein New Yorker Studio, das sich selbst als
„amorph“ bezeichnet, also genderlos und ständiger
Transformation unterworfen. In seinen Video- und
Rauminstallationen werden Themen zwischen Meta-
morphosen, Diaspora und queeren Lebensentwürfen
verhandelt. Zur Berlin Art Week wird WangShuis erste
Einzelausstellung in Europa eröffnen. Drei zwischen
2016 und 2019 entstandene Videoinstallationen, die
unter anderem bei der Architektur-Biennale in Vene-
dig und im New Yorker „The Shed“ gezeigt wurden,
präsentiert Julia Stoschek in ihrem Berliner Ausstel-
lungshaus. Eine neue Videoinstallation auf bewegli-
chen LED-Teppichen hat die Sammlerin eigens für die
Schau in Auftrag gegeben. „From Its Mouth Came a
River of High-End Residential Appliances“fordert
westliche Sichtweisen heraus: Sogenannte „Drachen-
tore“ in Hongkonger Wolkenkratzern gelten als Ener-
gieportale zwischen Natur und Mensch. EMELI GLASER


„STATISTA“ AM ALEXANDERPLATZDass es das
noch gibt! Mitten im rauen Herzen der Stadt, einge-
keilt zwischen der überbreiten Karl-Marx-Allee und
der schluchtartigen Otto-Braun-Straße wächst die
Hoffnung wie ein zartes Pflänzchen. Die Hoffnung,
dass es am Alexanderplatz noch etwas anderes geben
könnte als Saturn, C&A, Grillwalker und die seelenlo-
sen neuen Hotelketten. Die Hoffnung, dass man als
Berliner selbst mitbestimmt, wie die Stadt aussieht.
Im Haus der Statistik wird noch an eine solche Zu-
kunft geglaubt.
Der Gebäudekomplex diente bis 1990 den Statisti-
kern der DDR dazu, die Ergebnisse der Planwirtschaft
zu dokumentieren, später arbeiteten Beamte der BRD
darin. Dann stand es zehn Jahre leer. Jetzt hat Berlin
es dem Bund abgekauft, baut es aus und renoviert. Auf
insgesamt über 100.000 Quadratmetern (das Hum-
boldt-Forum kommt auf 44.000 Quadratmeter) ent-
steht Raum für Kultur, Soziales, Bildung, auch ein
„Rathaus der Zukunft“ für Berlin-Mitte sowie 300 be-
zahlbare Wohnungen. „Statista“ heißt die Initiative,
die das Haus schon einige Monate im Sinn einer ge-
meinwohlorientierten Stadtgesellschaft bespielt, etwa
mit der Entwicklung einer kryptobasierten Honigwäh-
rung. Dieses und andere vorläufige Ergebnisse werden
während der Art Week präsentiert. BORIS POFALLA


ARAM BARTHOLL IN DER PANKE.GALLERY Ein
Google-Maps-Standort ist erst etwas Ungewöhnliches,
wenn man sich in der Fußgängerzone daran die Stirn
aufschlägt. Für die Installation „Maps“baute Aram
Bartholl 2006 meterhohe, rote Markierungspfeile in
das Stadtbild von Berlin und Kassel. Wird das Virtuelle
greifbar, wirkt das bizarr. Bartholl ist Konzeptkünstler
und bearbeitet einfach gesagt das, was angestaubte Po-
litiker „neue Medien“ nennen. Um USB-Sticks in Brief-
kästen, und Spätis in Galerien zu verwandeln, verkno-
tet Bartholl in seinen Ausstellungen die Sphären von
Internet, Kultur und analogem Leben neu. In der Aus-
stellung „Strike Now!!!“bleibt es postdigital. Ein Ob-
dachloser, zugedeckt mit zwei Foodora-Jacken im infa-
men Pink: Das Bild, das die Ausstellung bewirbt, lenkt
den Blick symbolisch weg von den Profiteuren der New
Economy, die man sich klischeehaft Pingpong spielend
in Großraumbüros von Uber oder Lime vorstellt, und
auf die Arbeitnehmer, die sich für ihr Pensum auf dem
Fahrrad abstrampeln, damit die Burger im Rucksack
nicht kalt werden. Bartholl fragt unter anderem nach,
wie die digital-kommerzielle Revolution eigentlich ihre
Lebensrealität verändert. EMELI GLASER


DER BERLIN ART PRIZE UND SEINE NOMINIERTEN
Kann man heute überhaupt noch einen Kunstpreis
verleihen? Der Setzungscharakter des Geschmacksur-
teils jedenfalls, wie Kant es 1790 entwarf, erscheint
heute hochproblematisch. Ist es nicht so, dass jede
Auszeichnung diskriminiert? Der Berlin Art Prize, laut
Selbstbeschreibung eine „subversive Coverversion be-


stehender Kunstpreise“, versucht es – und zwar nicht
nur irgendwie, sondern jetzt erst recht. Die fünfköpfi-
ge Jury bekommt die Portfolios der Bewerber anony-
misiert vorgelegt, ohne Hinweise auf Geschlecht, Her-
kunft oder Galerie.
Die Werke der acht Nominierten sind jetzt über Ber-
lin verstreut, und dabei ist eine fantastische Gruppen-
schau in angenehm abseitigen Kunsträumen entstan-
den: Agnes Scherer etwa inszeniert bei Horse & Pony in
Neukölln die Guillotinierung der Königin Marie-Antoi-
nette – und führt den Betrachter in eine Parallelwelt, in
der die Revolution nicht stattfindet. Larissa Fassler
zeigt bei SMAC in Mitte Karten der Berliner Gentrifi-
zierung, die nicht nur die Preisentwicklung verzeich-
nen, sondern auch romanhafte Alltagsdetails wie die
Zeit und den Ort, an dem eine Frau laut „Was?“ in ihr
Handy geschrien hat. Und der Kolumbianer Esteban Ri-
vera Ariza führt bei gr_und im Wedding Videos vor, die
in existenzialistisch-witzigen Dokufiktionen die Frage
nach der Ewigkeit stellen – zum Beispiel in einer Fanta-
sie über kühle Bauhaus-Meisterhäuser und das Haltbar-

machen von Körpern in Flüssigsauerstoff. Der Preis
wird am Samstag, dem 14. September, im Kreuzberger
Flutgraben verliehen. ANDREAS ROSENFELDER

„RWANDAN DAUGHTERS“ IM SALON IN MITTEAuf
jedem Foto: zwei Frauen, Mutter und Tochter. Die
Mütter sind 1994 während des Völkermordes in Ruan-
da vergewaltigt worden und wurden schwanger. In 25
Jahre wurden die Taten nicht aufgearbeitet, die Opfer
sind stigmatisiert. Es ist ein denkbar weiter Weg, den
Olaf Heine zurücklegen musste, der seine Arbeiten
zur Berlin Art Week im Salon Berlin vom Museum
Frieder Burda zeigt. Heine arbeitete mit Iggy Pop, den
Toten Hosen, U2, den Eagles, Radiohead, später dann
auch mit Schauspielern, Fußballern und Unterneh-
men. Für „Rwandan Daughters“ hat Heine die Popwelt
verlassen und jeder Frau Raum für ihre Erzählung ge-
geben: Visuell, aber auch verbal. Im gleichnamigen
Buch „Rwandan Daughters“, das dieses Frühjahr bei
Hatje Cantz erschienen ist, melden sie sich in Kom-
mentaren und Essays zu Wort. EMELI GLASER

Art Berlin Fair 2018Außenskulpturen
auf der Art Berlin Fair 2018 auf dem
TTTempelhofer Flugfeldempelhofer Flugfeld

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