Frankfurter Allgemeine Zeitung - 07.09.2019

(Rick Simeone) #1

SEITE 10·SAMSTAG, 7. SEPTEMBER 2019·NR. 208 Zeitgeschehen FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG


D


emokratische Wahlen verleihen
Menschen und Parteien Vertrau-
en zur Übernahme politischer
Verantwortung. Sie entscheiden über
die Legitimation einer Regierung und
bieten die Möglichkeit ihrer Abwahl. An
Wahltagen beginnen oder enden politi-
sche Karrieren. Die richtigen Konse-
quenzen aus einer Niederlage bieten die
Chance auf ein besseres Abschneiden
bei der nächsten Wahl.
Von der Öffentlichkeit weniger wahr-
genommen, entscheiden Wahlen aber
auch über die Verteilung von Ressour-
cen. Die staatliche Parteienfinanzie-
rung erstattet auf der Grundlage des Er-
gebnisses Wahlkampfkosten. Den Frak-
tionen als parlamentarischen Pendants
der Parteien werden Mittel für ihre Ar-
beit bereitgestellt, und den Abgeordne-
ten der jeweiligen Fraktion steht Geld
für die Beschäftigung eigener Mitarbei-
ter zur Verfügung.
Dieses System hat sich grundsätzlich
bewährt: Es ermöglicht Kandidaten
ohne eigenes Vermögen oder große
Spender den Aufstieg bis in höchste Äm-
ter. Es stärkt die Unabhängigkeit von
Parteien gegenüber Interessenvertre-
tern und ermöglicht eine wirksame Kon-
trolle der Regierung durch den Bundes-
tag. Vor allem aber zwingt es Parteien,
sich im Falle von Niederlagen immer
wieder selbst politisch zu hinterfragen.
Diese wichtige Korrekturfunktion verlo-
rener Wahlen haben CDU/CSU und
SPD seit 2015 weitgehend außer Kraft
gesetzt.
Eine Fülle von Maßnahmen und
nicht zuletzt die Übergröße des Bundes-

tages haben sie den Schmerz von Wahl-
niederlagen kaum spüren lassen: Die
Partei- und Fraktionsfinanzen brachen
weit weniger ein, als es das Wahlergeb-
nis verlangt hätte. Die absolute Zahl der
Abgeordneten lag wegen des größer ge-
wordenen Bundestags deutlich höher,
als es das erzielte Ergebnis bei der ge-
setzlichen Zahl von 598 Abgeordneten
versprach.
Das Personal konnte weitgehend wei-
terbeschäftigt werden, oder es wurden
zahlreiche neue Stellen in den Ministe-
rien geschaffen. Bereits 2015 erhöhten
CDU/CSU und SPD die Wahlkampfkos-
tenerstattung deutlich. Die Saat war ge-
legt, geerntet wurde sie, als man im Juni
2018 in einem Eilverfahren zusätzlich
die absolute Obergrenze der Parteienfi-
nanzierung deutlich anhob. Die vom
Bundesverfassungsgericht geforderte
Begründung für eine außerordentliche
Anhebung unterblieb fast völlig, wes-
halb die FDP mit anderen Oppositions-
fraktionen dagegen in Karlsruhe klagt.
Nach dem ersten Streich bei den Par-
teifinanzen folgte der zweite bei der
Fraktionsfinanzierung. Dem Gesetz fol-
gend macht Bundestagspräsident Wolf-
gang Schäuble hierzu einen jährlichen
Erhöhungsvorschlag. Die von ihm vorge-
schlagene Erhöhung um etwas mehr als
zwei Prozent reichte der großen Koaliti-
on aber bei weitem nicht. Auf den letz-
ten Metern der Haushaltsberatungen
für das Jahr 2019 beschloss der Haus-
haltsausschuss mit den Stimmen der Ko-
alition eine zusätzliche Erhöhung um
3,3 Millionen Euro auf einen Gesamtbe-
trag von 115,2 Millionen Euro.

Schließlich erhöhten CDU/CSU und
SPD die jedem Abgeordneten zur Verfü-
gung stehende Pauschale zur Beschäfti-
gung eigener Mitarbeiter sukzessive von
monatlich 15 798 Euro in 2013 auf nun-
mehr 22 201 Euro seit dem 1. April
2019 – eine Steigerung von mehr als 40
Prozent. Die Summe dieser Maßnah-
men kompensierte die erlittenen Wahl-
niederlage der Union von 41,5 Prozent
2013 auf das seit 1949 schlechteste
Wahlergebnis von 32,9 2017 und der
SPD von den bereits mäßigen 25,7 Pro-
zent 2013 auf das historische Tief von
20,5 Prozent 2017 zu relevanten Teilen.
Vor diesem Hintergrund erscheinen
auch die zögerliche Haltung der SPD
und die weitgehende Blockade von
CDU/CSU bei den Initiativen zur Ver-
kleinerung des Bundestages in einem
anderen Licht. So machte die Union an-
ders als alle anderen Fraktionen ledig-
lich Vorschläge, die ihren eigenen An-
teil an Abgeordneten im Verhältnis zu
Lasten anderer vergrößert hätte. Auch
hier gilt, dass größer werdende Parla-
mente den Effekt demokratischer Nie-
derlagen deutlich abfedern. Nun mag
man einwenden, dass doch alle Parteien
im Parlament von den Änderungen pro-
fitieren. Dies ist richtig, notwendig wer-
den sie dadurch aber nicht.
Dies ist ausdrücklich kein Plädoyer ge-
gen das bestehende System der Partei-
und Fraktionsfinanzierung in der Bun-
desrepublik Deutschland. Die repräsen-
tative Demokratie soll hier im Gegen-
teil verteidigt und in ihrer Legitimation
gestärkt werden. Demokratie kostet
Geld. Insbesondere benötigt ein Parla-

ment, das die Regierung wirksam kon-
trollieren soll, entsprechende Finanz-
mittel und Personalressourcen. Wer
sich aber auf der anderen Seite unge-
rechtfertigt bedient, gefährdet unsere
Ordnung in gleichem Maße wie die, die
sie von rechts und links außen angrei-
fen. Die deutsche Parteien- und Frakti-
onsfinanzierung lebt von der klugen
Selbstbeschränkung.
Die Summe der Maßnahmen von
CDU/CSU und SPD haben die Auswir-
kungen demokratischer Wahlen in wich-
tigen Bereichen nivelliert. Der Anreiz
zur notwendigen Selbstkorrektur wurde
betäubt. Nicht von ungefähr ist es zu kei-
nen erkennbaren politischen Kurskor-
rekturen gekommen, drängende Proble-
me wie die fehlende Digitalisierungs-
strategie, die Folgen von Migration und
ihre Steuerung oder die wirksame Ab-
kopplung des Ressourcenverbrauchs
von notwendigem Wachstum harren der
Lösung. Die Menschen verlieren das
Vertrauen in die Reformfähigkeit und
Lösungskompetenz der repräsentativen
Demokratie nicht zuletzt deshalb, weil
sie die Antwortfähigkeit zur Korrektur
des eigenen Kurses vermissen. Die Not-
wendigkeit bestand schlicht nicht. „Ich
sehe nicht, was wir anders machen soll-
ten.“ Dieser Satz Angela Merkels nach
der historischen Wahlniederlage ihrer
Partei 2017 erscheint vor diesem Hinter-
grund in einem noch ungünstigeren
Licht. Die repräsentative Demokratie
stärkt das nicht.
Der Autorist Parlamentarischer Geschäftsführer
derFreien Demokraten im Deutschen Bundes-
tag.

M


anchmal geht es im politischen
Umgang mit China zu wie im
wirklichen Leben; es kommt darauf
an, in welcher Stimmung das Gegen-
über gerade ist. Zurzeit ist die chinesi-
sche Regierung friedlich gestimmt,
was vor allem damit zu tun hat, dass
sie „ihre“ Volksrepublik zum 70. Grün-
dungstag am 1. Oktober groß feiern
will. Deshalb sollte die Bundeskanzle-
rin die langfristige Wirkung ihrer be-
rechtigten Mahnung zu einer friedli-
chen Lösung für Hongkong nicht über-
schätzen. Vor der Jubelfeier wird Chi-
na wohl keine Gewalt in der Sonderver-
waltungszone anwenden. Wie es da-
nach weitergeht, ist ungewiss. Zwar
hat die Hongkonger Regionalregie-
rung, selbstverständlich unter „Anlei-
tung“ der Zentrale in Peking, in dieser
Woche einige freundliche Gesten in
Richtung der Demokratieaktivisten ge-
macht. Aber es gibt keinen überzeugen-
den Grund, dass diese einer Regierung
vertrauen sollten, die nichts mehr zu
fürchten scheint als eine „Infektion“ ih-
rer Bevölkerung mit dem „Virus“ Frei-
heit. Wenn es hart auf hart kommt,
werden auch Mahnungen bewährter
Partner nicht mehr gehört. pes.


F


ür den ukrainischen Präsidenten
Wolodymyr Selenskyj wäre es ein
großer politischer und humanitärer Er-
folg, wenn es tatsächlich zu einem gro-
ßen Gefangenenaustausch zwischen
Russland und der Ukraine käme. Die
ukrainischen politischen Gefangenen
in Russland sind Opfer einer Willkür-
justiz, die mit Recht nichts zu tun hat;
ihre Befreiung wäre deshalb viel wert.
Die Frage ist, wie hoch der Preis sein
darf, den die Ukraine dafür bezahlt.
Konkret: Ist es zu rechtfertigen, dass
die ukrainische Führung offenbar
bereit ist, einen wichtigen Zeugen und
Verdächtigen des Abschusses des
Passagierflugs MH 17 im Juli 2014
freizulassen? Damals haben die von
Russland unterstützten prorussischen
Kämpfer 298 unschuldige Menschen
getötet. Wenn der Mann erst einmal in
Russland ist, wird ihn das internationa-
le Ermittlerteam nicht mehr befragen
können. Außerdem: Welches Signal
kommt in Moskau an, wenn die Ukrai-
ne zu diesem Schritt bereit ist? Und
welches in den Niederlanden, aus de-
nen die meisten Opfer stammen? Bei
dieser Entscheidung möchte man
nicht in Selenskyjs Haut stecken. rve.


M


anche wollen an einem Ort nicht
einmaltot über dem Zaun hän-
gen; Boris Johnson wiederum läge lie-
ber tot im Graben, als bei der EU einen
Aufschub des Austrittstermins zu bean-
tragen. Beides ist übertrieben; wobei es
schon Orte in Nordengland gibt, deren
Trostlosigkeit einen trübsinnig macht.
Der Premierminister wiederum hat
eine harte, an Blessuren reiche Woche
hinter sich; ob die allerdings lebensbe-
drohlich sind, politisch gesehen, ist un-
gewiss. Immerhin: Er hat die Mehrheit
im Unterhaus verloren, hat zu verkraf-
ten, dass sein Bruder Jo von ihrer euro-
papolitischen Dauerfehde die Nase voll
hat, musste bittere Abstimmungsnieder-
lagen hinnehmen. Das Parlament spurt
nicht; dass konservative Abgeordnete
den vertragslosen Austritt aus der EU
partout nicht als historischen Befrei-
ungsakt feiern wollten, sondern rebel-
lierten wie einst die Amerikaner gegen
König Georg III., war auch blöd. Was
also wird Johnson tun, wenn er per Ge-
setz dazu gezwungen wird, einen Auf-
schub in Brüssel zu beantragen? In der
Brexit-Schlacht den politischen Helden-
tod sterben? Auf stur schalten? Im Gra-
ben den Rausch ausschlafen? K.F.


Die Einigung auf ihren Namen war
eine Überraschung: Malgorzata Kida-
wa-Blonska soll die größte Oppositi-
onspartei Polens, die liberale Bürger-
plattform (PO), bei der Parlaments-
wahl am 13. Oktober zum Erfolg füh-
ren. Da zwei potentielle Koalitions-
partner ebenfalls ins Parlament gelan-
gen dürften, ist ein Regierungswechsel
nicht mehr ausgeschlossen. Die stell-
vertretende Parlamentspräsidentin Ki-
dawa-Blonska aus dem Hut zu zau-
bern, ist ein vielleicht aus der Not gebo-
rener, aber durchaus erfolgverheißen-
der Schachzug des Parteivorsitzenden
Grzegorz Schetyna. Auch innerpartei-
lich werden ihm oft ein Mangel an Cha-
risma und Vision sowie kleinliches Tak-
tieren vorgehalten. Jetzt bittet er die
elegante Kidawa-Blonska auf die Büh-
ne, die diese Defizite wettmacht und
Ministerpräsidentin werden soll.
Andere Oppositionsparteien haben
teilweise euphorisch reagiert. Es schla-
ge die „Stunde der starken Frauen“,
hieß es, und die Spitzenkandidatin ver-
eine „Kraft und Klugheit“. Politiker
der regierenden nationalkonservati-
ven PiS äußerten sich zumindest res-
pektvoll. Dabei spielt eine Rolle, dass
Kidawa-Blonska eine Person des Aus-
gleichs ist, „vor der sich selbst die
schlimmsten Kläffer mäßigen müs-
sen“, so Schetyna. Eine weibliche Re-
gierungschefin wäre nichts Neues: Ki-
dawa-Blonska wäre nach 1989 die vier-
te Frau in diesem Amt.
Das Manöver, als Parteivorsitzender
nicht selbst Regierungschef zu werden,
sondern jemanden vorzuschicken und
dann vom Rücksitz aus zu dirigieren,
hatte vor vier Jahren PiS-Chef Jaros-
law Kaczynski vorgeführt, damals mit
Beata Szydlo. In einem Punkt hinkt
der Vergleich aber. Denn in der Opposi-
tion hat niemand die überragende Au-
torität, wie sie Kaczynski auf der Rech-
ten genießt. Ein möglicher Hoffnungs-
träger, Donald Tusk, zu dem die Kandi-
datin, anders als Schetyna, gute Bezie-
hungen unterhält, ist noch bis Novem-
ber auf Warteposition in Brüssel.
Kidawa-Blonska wurde 1957 in War-
schau geboren. Sie studierte Soziologie
und arbeitete zunächst in der Spielfilm-
industrie. Nach der Wende war sie Film-
produzentin. Ihr Mann, mit dem sie ei-
nen gemeinsamen Sohn hat, ist das bis
heute. Kidawa-Blonska wurde erstmals
2005 ins Parlament gewählt – für die da-
mals noch junge, von Tusk mitgegrün-
dete Bürgerplattform. Für die war sie
zeitweise Parlamentspräsidentin, Regie-
rungssprecherin und Mitglied des Na-
tionalen Sicherheitsrats. Zu ihren Ur-
großvätern, die vor 1939 gewirkt ha-
ben, zählen ein Staatspräsident sowie
Ministerpräsident Wladyslaw Grabski,
der bedeutendste Wirtschaftsreformer
seiner Zeit. Dieser familiäre Hinter-
grund dürfte ihr beim Werben um die
Wähler in der Mitte helfen. Sie selbst
vertritt Positionen, die in Polen als ge-
mäßigt links gelten. Am Freitag hat sie
ihr Programm auf einem Parteikonvent
vorgestellt. Sie verspricht einen „Akt
der Erneuerung der Demokratie“ und
lange erwartete Verbesserungen, etwa
im Gesundheitswesen. Auf die üppig
verteilten Wohltaten der PiS-Sozialpoli-
tik antwortet sie mit der Formel: „Was
(von der Regierung) gegeben wurde,
wird nicht genommen.“ Ihr Wahlkampf-
motto lautet: „Das Morgen kann besser
sein.“ GERHARD GNAUCK

Merkels Mahnung


Malgorzata KIDAWA-BLONSKA


Foto Imago


MAPUTO, 6. September


B


ischof Matteo Zuppi ist dieser Tage
ein viel gefragter und beschäftigter
Mann. Am vergangenen Sonntag
teilte Papst Franziskus beim Angelus-Ge-
bet auf dem Petersplatz mit, dass der 63
Jahre alte Erzbischof von Bologna zu je-
nen 13 Geistlichen gehört, die er beim
Konsistorium vom 5. Oktober ins Kardi-
nalskollegium aufnehmen wird. Die Ent-
scheidung des Papstes hat den Bischof
nach eigenen Angaben überrascht.
Zuppi wird im Kardinalskollegium die
überrepräsentierte Gruppe der Italiener
weiter verstärken. Fast jeder Fünfte der
derzeit 213 Kardinäle ist Italiener. Sie stel-
len auch bei den wahlberechtigten Kardi-
näle unter 80 Jahren – nach dem Oktober-
Konsistorium werden es 127 sein – knapp
zwanzig Prozent. Zuppi kann sich aber
auch der Gruppe der afrikanischen Kardi-
näle zurechnen. Denn er ist Staatsbürger
ehrenhalber von Moçambique, und zum
Auftakt der einwöchigen Reise von Papst
Franziskus nach Südost-Afrika gratulierte
am Donnerstag in Maputo der moçambi-
quanische Präsident Filipe Nyusi „seinem“
neuen Kardinal. Nyusi dankte Zuppi im
Namen des gesamten Volkes dafür, was er
für den Frieden in Moçambique geleistet
habe.
Der Dank der Moçambiquaner für die
Friedensdienste Zuppis gebührt der katho-
lischen Laiengemeinschaft Sant’Egidio.
Gegründet hat sie 1968 der italienische
Historiker Andrea Riccardi. Sie ist heute
in 73 Ländern auf allen Kontinenten ver-
treten und zählt 50 000 Mitglieder.
Sant’Egidio initiiert und unterstützt Frie-
densinitiativen in aller Welt, leistet huma-
nitäre Hilfe, fördert die Ökumene und den
interreligiösen Dialog und hilft marginali-
sierten Gruppen, in Italien derzeit vor al-
lem Migranten und Roma. Bei Sant’Egidio
weiß man, dass sie zu den besonderen
Lieblingen von Papst Franziskus unter den
„neuen“ geistlichen Gemeinschaften in
der Weltkirche gehören. Die Berufung von
Zuppi ins Kardinalskollegium ist auch
eine Anerkennung des Papstes für die Ge-
meinschaft.
Matteo Zuppi ist Sant’Egidio seit je ver-
bunden. Nach dem Abschluss des Studi-

ums in seiner Heimatstadt Rom war er fast
drei Jahrzehnte in der Kirche Santa Maria
im Stadtteil Trastevere tätig, zunächst als
Kaplan, später als Priester. Die Basilika in
Trastevere ist zugleich Sitz der Gemein-
schaft Sant’Egidio. Von 2000 bis 2012 war
Zuppi Geistlicher Assistent von Sant’Egi-
dio, also der offizielle Verbindungsoffizier
zwischen der Kurie und der Glaubensge-
meinschaft.
Die zentrale Rolle, die Sant’Egidio seit
Jahrzehnten im Friedensprozess in Mo-
çambique spielt, ist unbestritten. Ohne
den unermüdlichen Einsatz von Sant’Egi-
dio, insbesondere von Gemeinschaftsgrün-
der Andrea Riccardi und von Bischof Mat-
teo Zuppi, gäbe es womöglich bis heute
keine realistische Aussicht auf Versöh-
nung in Moçambique. Bei der Unterzeich-
nung des historischen Friedensvertrags
vom 6. August in Maputo war Zuppi anwe-
send, als offizielles Mitglied des Verhand-
lungsteams und als Taufpate des Friedens-
prozesses. Das Abkommen, das Staatsprä-
sident Nyusi für die regierende sozialisti-

sche „Befreiungsfront Moçambiques“ (Fre-
limo) und Ossufo Momade für die einstige
Guerrilla und heutige Oppositionspartei
„Nationaler Widerstand Moçambiques“
(Renamo) unterzeichneten, soll dem Land
endlich „definitiven Frieden“ bringen. Der
Bürgerkrieg hat die Republik Moçambique
seit ihrer Unabhängigkeit von 1975 blutig
begleitet. Mehr als eine Million Menschen
starben. Gut vier Jahrhunderte hatte die
portugiesische Kolonialherrschaft über
Moçambique gedauert, gut vier Jahrzehn-
te dauerte danach der Bürgerkrieg. Der be-
gann in den späten Jahren des Kalten Krie-
ges als klassischer Stellvertreterkrieg der
damaligen Supermächte. Die Sowjetunion
und ihre Blockstaaten unterstützten die
marxistische Frelimo. Die Vereinigten
Staaten und ihre afrikanischen Verbünde-
ten, Südafrika und das damalige Rhode-
sien, stärkten der rechten Renamo mit
Waffen und Söldnern den Rücken.
Ein erstes Abkommen für einen Frieden
wurde 1992 unterzeichnet, wenige Jahre
nach dem Zerfall der Sowjetunion. Dieser
„Vertrag von Rom“ wurde nach zweijähri-

gen Verhandlungen, maßgeblich vermit-
telt von Sant’Egidio und unterstützt von
der Regierung in Rom sowie der italieni-
schen Bischofskonferenz, beim Sitz der Ge-
meinschaft in Trastevere unterzeichnet.
Mit dabei waren Matteo Zuppi und An-
drea Riccardi, auch er heute Ehrenbürger
von Moçambique. Der „Vertrag von Rom“
ebnete den Weg zu den Wahlen von 1994.
Die gewann erwartungsgemäß die bis heu-
te alleinherrschende Frelimo, es kehrte re-
lativer Frieden ein. 2013, im Vorfeld der
für das folgende Jahr angesetzten Wahlen,
brach der Konflikt wieder auf. Ein weite-
res Friedensabkommen von 2014 wurde
kurz nach der Unterzeichnung wieder ge-
brochen. Nun, mit dem Vertrag vom 6. Au-
gust 2019, soll der Frieden „definitiv“ sein.
Mit seinem Besuch in Maputo ermunterte
Papst Franziskus die Moçambiquaner, auf
dem Weg der Versöhnung weiter voranzu-
schreiten.
Am Freitagmorgen, unmittelbar vor der
Messe mit 60 000 Gläubigen im National-
stadion von Zimpeto, besuchte Franziskus
das 2002 von Sant’Egidio gegründete Hos-
pital im nahe gelegenen Armenviertel Ka
Mabukwana. Die Krankenstation im Nor-
den Maputos ist Teil des Programms
„Disease Relief through Excellent and Ad-
vanced Means“, abgekürzt Dream, von
Sant’Egidio. Die Ärzte und Pfleger im
Dream-Hospital von Ka Mabukwana, wo
fast 340 000 Menschen in prekären Verhält-
nissen leben, widmen sich vor allem der
Behandlung und Vorbeugung von HIV-Er-
krankungen. In Maputo ist fast ein Viertel
der erwachsenen Bevölkerung mit HIV in-
fiziert. Seit 2002 wurden in den inzwi-
schen 13 Dream-Krankenstationen von
Sant’Egidio in ganz Moçambique mehr als
200 000 HIV-Infizierte behandelt. Unter
ihnen 10 000 werdende Mütter, die ihre Ba-
bys ohne Übertragung der HI-Viren zur
Welt bringen konnten.
Franziskus küsste in dem Hospital rei-
henweise nach wie vor stigmatisierte
„Aids-Babys“ und legte deren Müttern sei-
ne Hand zum Segen auf. Anders als im Rin-
gen um den Frieden in dem südostafrikani-
schen Land stehen die rund 30 Millionen
Moçambiquaner und Sant’Egidio im
Kampf gegen die Verbreitung des HI-Virus
noch mitten in der Schlacht.

Fremde Federn:Stefan Ruppert


Wie Wahlergebnisse nivelliert werden


Zu hoher Preis?


Im Graben


Polen erneuern


Frieden für Moçambique


Die katholische Kirche vermittelte entscheidend bei der Beendigung des Bürgerkriegs / Von Matthias Rüb


Hochstimmung am Freitag in Maputo:Der Papst fährt in das Stadion ein. Foto AP


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