Die Zeit - 12.09.2019

(singke) #1

Politik: Die Regierung arbeitet an einem Gesetzespaket zum


Klimaschutz. Es droht eine Enttäuschung VON PETRA PINZLER


E


inig ist man sich zumindest über den
Zeitplan: Am Morgen des 22. Septem-
ber will Bundeskanzlerin Angela Mer-
kel ins Flugzeug nach New York stei-
gen und am folgenden Tag vor den
Vereinten Nationen Deutschlands künftige Kli-
mapolitik präsentieren. Zuhören werden ihr Re-
gierungschefs aus aller Welt, der UN-Generalse-
kretär – und stellvertretend für viele Hunderttau-
sende Klima-Aktivisten Greta Thunberg.
Nur, was die Kanzlerin dann sagen kann – da-
rüber tobt zwischen den Berliner Ministerien und
den Parteizentralen von CDU, CSU und SPD ein
Machtkampf. Entschieden wird er wohl erst am
Freitag vor Merkels Abreise, wenn das sogenannte
Klimakabinett tagt. Kein »Pillepalle« fordert die
Kanzlerin. Einen »großen Wurf« wünscht sich
Vizekanzler Olaf Scholz. Und CSU-Chef Markus
Söder fordert die »Vorfahrt für die erneuerbaren
Energien«. Dazu präsentieren die Koalitionäre
laufend neue Ideen: eine Abwrackprämie für Öl-
heizungen, Steuern auf Fleisch und Billigflüge,
eine Steuersenkung fürs Bahnfahren, Subventio-
nen fürs Häuserdämmen, einen Klimafonds.
Trotzdem sorgt sich vor allem die Umweltmi-
nisterin, dass sich das Klimakabinett bei den ent-
scheidenden Stellschrauben nicht einigen wird.
Auf drei Dinge kommt es an: Klimaschädliches
Verhalten muss teuer werden, ein Gesetz für die
Klimaziele muss her, und es muss mehr Geld für
klimafreundliche Investitionen geben.
Der Preis: Einig ist sich die Koalition, dass
CO₂ einen Preis bekommen muss. Nur wie hoch
der sein soll und auf welchem Wege er zustande
kommt, ist offen. Die CDU schließt eine neue
Steuer aus. Ihre Alternative ist der Emissionshan-
del. Doch der ist kompliziert und lässt sich nicht
schnell einführen. Der wahrscheinliche Kompro-
miss: Die Union bekommt den nationalen Emis-
sionshandel (irgendwann), übergangsweise aber
gibt es doch eine Steuer. Die wird dann »Festpreis«
genannt. Klingt absurd, ist aber Politik.
Letztlich entscheidend wird vor allem die
Höhe des Preises sein: Mindestens 50 Euro pro
Tonne CO₂ halten Fachleute wie der Potsdamer
Klimaökonom Ottmar Edenhofer für nötig –
und eine zehnprozentige Steigerung pro Jahr.
Das Gesetz: In der Vergangenheit fehlte es
beim Klimaschutz an rechtlicher und an finanziel-

ler Verbindlichkeit. Die SPD will daher ein Ge-
setz, das künftig einzelne Ministerien auf CO₂-
Einsparziele verpflichtet. Eine Idee dafür: Muss
Deutschland Strafen an die EU leisten, weil es
seine Klimaziele nicht erfüllt, dann werden diese
aus dem Etat der Fachminister beglichen. Der
Verkehrsminister müsste dann also nicht nur da-
für sorgen, das Autofahren klimafreundlicher
wird. Er müsste auch die Strafen an Brüssel zah-
len, wenn es nicht klappt. Doch das ist inzwischen
vom Tisch, CDU und CSU hatten heftig protes-
tiert. Wie viel Verbindlichkeit im Gesetz übrig
bleiben wird, ist noch nicht entschieden.
Die Investitionen: CDU und CSU wollen
den ausgeglichenen Haushalt behalten, aber
trotzdem mehr Geld für Klimaschutz ausgeben.
Vor allem in der CSU hofft man, so beispiels-
weise strengere CO₂-Grenzwerte für Autos um-
gehen zu können, indem Förderprogramme die
Ökobilanz anderswo verbes-
sern, etwa durch den Bau von
Radwegen. Das Geld für solche
Ideen soll aus Töpfen kommen,
die nicht im Haushalt auftau-
chen. Die SPD hält diese Art
der Finanzierung für Unsinn.
Neue Programme sind aber
auch bei den Sozialdemokraten
beliebt. Sie setzen vor allem auf
die alte Idee, die Gebäudesanie-
rung steuerlich zu begünstigen.
Je mutloser die Groko auf
den ersten beiden Feldern ist, je
schwächer also das Klimagesetz
und je niedriger der CO₂-Preis,
desto mehr wird sie das durch
teure Programme aller Art zu
kaschieren versuchen. Jedenfalls
dann, wenn die Beteiligten die Sache als Erfolg
verkaufen und die Koalition weiterführen wollen.
Doch werden teure Programme zum Dämmen
von Häusern und ein paar Radwege nicht reichen,
um die Klimaziele zu erreichen. Das zeigen Gut-
achten, die die Ministerien in den vergangenen
Wochen in Auftrag gegeben haben.
Wenn die einst als Klimakanzlerin gefeierte
Merkel nicht als die mit den vagen Versprechen
vor den UN in Erinnerung bleiben will, wird sie
von ihrem Klimakabinett mehr verlangen müssen.

Waldorfschulen gelten einigen als heile Welt,
anderen als Parallelwelt. Eine andere Welt
dürfte ihr gedanklicher Urheber Rudolf Stei-
ner (1861–1925) wohl tatsächlich im Sinn
gehabt haben: Nachdem er eine alternative
Wirklichkeit geschaut hatte, die der Natur-
wissenschaft verborgen geblieben war, hielt er
Vorträge über Pädagogik, Medizin, Landwirt-
schaft und die Erneuerung der Zivilisation.
Supermärkte sind keine Waldorfschulen,
Steiners Geist taucht aber auch dort auf: Er
durchweht Biogemüse von Demeter, Kosmetik
von Weleda und Frühstücksbrei von Alnatura.
Diese und andere Firmen orientieren sich an
Steiners anthroposophischer Gedankenwelt.
Und die liefert überraschende Einsichten.
»Haben Sie schon mal darüber nachgedacht,
warum die Kühe Hörner haben?«, fragte Stei-
ner einst in einem Vortrag und kannte natür-
lich den Grund: »Die Kuh hat Hörner, um in
sich hineinzusenden dasjenige, was astralisch-
ätherisch gestalten soll ...« Kühe haben also
Antennen, mit denen sie eine Sternen-Essenz
in sich hineinsenden. Noch heute vergraben
sie bei Demeter mit Dung gefüllte Kuhhörner
in der Erde, wo sie – laut Eigendarstellung –
»kosmische Kräfte« aufnehmen. Daraus wer-
den anschließend Präparate erzeugt, die im
Boden »wie homöopathische Arzneimittel«
wirken sollen. Globuli für den Acker?
Nichts gegen den Bodenschutz. Aber jen-
seits der Steiner-Fanszene habe ich niemanden
gefunden, der diese These wissenschaftlich
bestätigen konnte. Was umgekehrt nicht heißt,
dass sie falsch ist – schon klar. Steiner, weiß
man bei dessen Nachlass-Stiftung, habe eben
eine »erweiterte Optik« gehabt: Er sah Dinge,
die andere nicht sahen. Was umgekehrt aller-
dings auch nicht belegt, dass es sie wirklich gibt.
Manches gibt es eben, manches nicht, und
manches hätte man nicht einmal gedacht.
Etwa, dass man den Kontakt zum Kosmos
kaufen kann. Weltanschaulich neutraler Kon-
sum ist eine echte Herausforderung.

Von Verkäufern genötigt? Genervt von Werbe-
Hohlsprech und Pseudo-Innovationen? Melden
Sie sich: [email protected] – oder folgen Sie
dem Autor auf Twitter unter @MRohwetter

Waldorf im


Supermarkt


QUENGELZONE

Marcus Rohwetters
wöchentliche Einkaufshilfe

Wie lässt sich das Klima durch
Technologie retten?
Dieser Frage gingen wir
vergangene Woche nach.
Zum Abschluss der Serie
stellen wir diese
Woche Menschen vor, die
nicht länger warten, sondern
selbst etwas tun Seite 20/

WIRTSCHAFT



  1. SEPTEMBER 2019 DIE ZEIT No 38


DIESE WOCHE

Ökonomie


Der Zins ist weg, nur, wo ist er


hin? Der Volkswirt Carl Christian


von Weizsäcker glaubt zu


wissen, wie er zurückkommt.


Ein Interview
Seite 23

Karrieren


Der McDonald’s-Chef Holger


Beeck ist einer der wenigen


ostdeutschen Spitzenmanager. Ein


Gespräch über Netzwerke der


Wessis und Fähigkeiten der Ossis
Seite 26/

Energiewirtschaft


Der E.on-Manager Thomas König


könnte bald für das größte


deutsche Stromnetz


verantwortlich sein. Wenn die


EU-Kommission ihn lässt
Seite 32

W


er am Wochenanfang auf der
Internationalen Automobilaus-
stellung (IAA) den Managern
großer Autofirmen zuhörte,
konnte meinen, es mit Ökoak-
tivisten zu tun zu haben. Volkswagenchef Her-
bert Diess versprach: Das Auto »verliert seine
negativen Eigenschaften. Es wird sauber und si-
cher.« Oliver Zipse verkündete in seiner ersten
Rede als neuer BMW-Chef: »Was diese Genera-
tion am meisten aufwühlt, ist der Klimawandel,
darum sorgen wir uns auch.« Und Minuten spä-
ter gab Daimler-Chef Ola Källenius am anderen
Ende des Messegeländes ein Versprechen ab: »In-
dividuelle Mobilität ohne Emission« bis 2039.
Die drei von der Ladesäule haben nur ein Pro-
blem: Das IAA-Sprech ihrer Vorgänger schaffte es
mitsamt werbeträchtigen Bildern neuer Modelle in
die Öffentlichkeit. Nun drohen radikale Klima-
schützer die Inszenierung für ihre
Zwecke zu nutzen – und die
gewohnten Bilder mit den ihren
zu überschreiben. Was für die
Braunkohleindustrie der Hamba-
cher Forst war, könnte für die PS-
Branche die eigene Messe werden.
Für das kommende Wochen-
ende planen Hunderte Demons-
tranten von Attac bis Extinction
Rebellion die Publikumstage der
IAA lahmzulegen, darunter die
Aktivistin Tina Velo. Unter die-
sem Fantasienamen spricht sie für
die Organisation »Sand im Ge-
triebe«, deren Ziel autofreie In-
nenstädte sind. Die Klimaret-
tungsshows der Autobosse hält
Velo für »eine einzige Klimalüge«.
Der Grund: »Der Verkehrssektor ist der einzige In-
dustriebereich, in dem die CO₂-Emissionen sogar
noch gestiegen sind in den vergangenen Jahren.«
Die Politikwissenschaftlerin Velo weiß, dass der
neue Gegner ungleich größer ist als die Kohle-
industrie: »Da machen wir uns viel mehr Feinde,
als wenn wir gegen die Interessen von 20.000 Koh-
lekumpeln demonstrieren.« Tatsächlich geht es
allein bei den drei großen deutschen Autobauern
um weltweit mehr als eine Million Beschäftigte und
rund 500 Milliarden Euro Umsatz. Die Klima-

debatte und der Dieselskandal seien aber, sagt die
33-jährige Velo der ZEIT, ein starker Hebel: »Der
Boden ist bereitet für klimapolitische Kämpfe.«
Dabei hätte die Industrie diese Kämpfe leicht
verhindern können. Stattdessen hat sie allzu lange
ihr altes Geschäftsmodell verteidigt. Mitte der
2000er-Jahre waren kleine Pkw in Deutschland
ziemlich out. Der Trend hieß: je stärker und größer,
desto beliebter. Die EU-Kommission erkannte die
Gefahr für das Klima früh. Deshalb sollten die Her-
steller Strafe zahlen, wenn die Flotte insgesamt zu
viel CO₂ in die Luft bläst. Ausgerechnet der dama-
lige deutsche Umweltminister Sigmar Gabriel
(SPD) sprang der Industrie zur Seite und sprach
von einem »Wettbewerbskrieg« gegen die deutschen
Hersteller. Kanzlerin Angela Merkel verhinderte
dann strenge Grenzwerte.
Wenn die Industrie in der Folge eine Möglich-
keit fand, weniger Sprit zu verbrauchen, baute sie
einfach größere Autos, die dann genauso viel ver-
brauchten wie die kleineren zuvor – und mehr
Autos verkaufte sie auch. Ökonomen nennen das
einen Rebound-Effekt. Das Ergebnis ist eindeutig:
Laut der Brüsseler Umweltorganisation Transport
and Environment standen Autos 2017 für 40 Pro-
zent aller Abgase aus dem Verkehrssektor. Von 1990
bis 2017 stiegen die CO₂-Emissionen von Autos in
der EU von 461 auf 543 Millionen Tonnen.
Die Regeln der EU machen es kaum besser: Die
CO₂-Grenzwerte gelten für den Durchschnitt der
Fahrzeuge, die ein Hersteller verkauft. Weil jedes
Batteriefahrzeug mit null Gramm gezählt wird,
kompensiert es leicht eine dreckige Limousine. Der
EU-Kommissionsbeamte Günter Hörmandinger,
der vor zehn Jahren am Gesetz mitschrieb, hat im
Frühjahr in einem Blog gefragt: »Glaubt jemand
im Ernst, dass das auf Dauer nachhaltig sein kann?«
Offenbar schon. Am Montagabend sagte der
76-jährige Wolfgang Porsche, Sprecher der VW-
Eignerfamilie, nach der Weltpremiere des ersten
vollelektrischen Volkswagens (siehe Seite 25) für die
»Mitte der Gesellschaft«, des ID.3: »Wir tun wahn-
sinnig viel.« Die Proteste versteht er nicht. Er fragt:
»Nur protestieren und verhindern?« Statt Erfolge zu
feiern, werde draufgehauen auf die Industrie. An
den Buffets von VW gibt es derweil vegane Burger.
Die Aktivisten wird das nicht überzeugen, wenn
am Ende vor allem weiter das verkauft wird, was sie
erst mobilisiert hat: große, dicke Autos.

Industrie: Auf der Automesse in Frankfurt stellt die Branche sich


grüner dar, als sie ist. Damit motiviert sie Protest VO N C L A A S TATJ E


Die Geisterfahrer


Wirre Signale: Finden Politik und Wirtschaft noch einen Weg, das Klima zu retten?

Foto: Lucas Zimmermann

Die Serie zum


K l i ma (3)


19

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