Süddeutsche Zeitung - 10.09.2019

(Darren Dugan) #1
München– FürRaymund Haller aus Karls-
ruhe ist der Einkauf bei Aldi Süd ein ziem-
lich unangenehmer Vorgang, wenn es ans
Bezahlen geht. Der ältere Herr spricht von
„unnötigem Stress, Ärger und Wut“. Denn
Aldi Süd ist der einzige große Lebensmittel-
händler in Deutschland, der auf seinen Kas-
senbons weder den Betrag angibt, mit dem
der Kunde bezahlt, noch den Rückgeldbe-
trag Schwarz auf Weiß ausdruckt. Der Kun-
de muss also Kopfrechnen, wenn er bar be-
zahlt und überprüfen will, ob das Rückgeld
stimmt. „Gerade bei älteren und gebrechli-
chen Menschen, die beim Bezahlen den-
ken, sie müssten sich beeilen, bedeutet die-
ser Druck, unbedingt Kopfrechnen zu müs-
sen, und das auch noch möglichst schnell,
eine zusätzliche Qual“, sagt Haller.

So gegensätzlich können die Meinun-
gen über ein und dieselbe Sache sein. Aldi
Süd ist nämlich seinerseits ziemlich stolz
darauf, der einzige Händler zu sein, der
das so handhabt. Und zwar aus einem einzi-
gen Grund: Es ist die schnellste Methode.
„Im Rahmen einer möglichst schnellen Ab-
wicklung an der Kasse“, sagt eine Unter-
nehmenssprecherin, „wird das Rückgeld
auf dem Kassenzettel nicht angegeben“.

Denn man stelle sich einmal vor, die Kassie-
rerin oder der Kassierer müssten erst ab-
warten, mit welchem Betrag der Kunde be-
zahlen möchte, diesen dann in einem
nächsten Schritt in das System eingeben
und erst dann würde der Kassenzettel ge-
druckt! Wertvolle Sekunden verstrichen.
Sekunden, in denen sich womöglich Un-
mut hinten in der Warteschlange regen
könnte. Was Herrn Haller quält, ist für Aldi
Süd daher Ausweis besonderer Kunden-
freundlichkeit.

Mit Kopfrechnen hat das Ganze aus Aldi-
Süd-Sicht auch nicht viel zu tun. „Hierbei
wird nicht wirklich gerechnet“, sagt die
Sprecherin, „sondern auf den nächsthöhe-
ren, möglichen Betrag, mit dem der Kunde
bezahlen könnte, hochgezählt und dabei
der Unterschiedsbetrag an den Kunden
ausgezahlt.“ Aldi-Süd-Kassiererinnen und
Kassierer beherrschen das Aufrunden
nach einer Schulung in der Regel so virtu-
os, dass ihnen ein Eintrag in die Annalen
der deutschen Kassierkunst sicher sein
müsste. Wobei in Internetforen bis heute
intensiv über ein Rätsel aus der Vor-Scan-
ner-Zeit diskutiert wird: Wusste die Kassie-
rerin damals tatsächlich den Preis eines je-
den Produkts auswendig oder tippte sie
„nur“ den Code desselben ein? Dieser Arti-
kel wird das Rätsel letztendlich auch nicht
lösen können, mithin steht aber so viel
steht: Der Kassiervorgang bleibt auch in
Zeiten von Mobile Payment und Self-Scan-
ning ein hochemotionales Thema. Leider,
nicht immer in dem Sinne der Unterneh-
men, die gern vom „Einkaufserlebnis“ fa-
seln, das sie emotional aufladen möchten,
damit die Kunden noch mehr kaufen.
Raymund Haller aus Karlsruhe kann
auf seine speziellen Einkaufserlebnisse
bei Aldi Süd jedenfalls verzichten. Neulich
wurde er Zeuge eines Disputs über fehler-
haft oder besser gesagt: nicht ausgezahltes
Rückgeld. Der Kassierer musste den Fehl-
betrag allerlei Entschuldigungen aufsa-

gend an eine ältere Dame aushändigen. Ist
die Kassierkunst bei Aldi Süd etwa doch
nicht so legendär? Die Sprecherin hält für
ausgeschlossen, dass der Discounter sich
an dem System bereichern könnte. Aldi
Süd sieht keinen Grund, irgendwas daran
zu ändern. michael kläsgen

Bewusst erholen
WieVerbraucher ihre
Freizeit klimafreundlicher
gestalten können 18

Der Preis des Sparens
Kunden mit niedrigem
Verbrauch zahlen besonders
viel für ihren Strom 20

Weiß,winzig und weg
Apples kabellose Kopfhörer
sind beliebt – und
gehen schnell verloren 23

Aktien, Devisen und Rohstoffe 29,

www.sz.de/wirtschaft

von thomas fromm

München– Elon Musk denkt oft schon
mal ein paar Schritte im Voraus. Vor Kur-
zem zum Beispiel referierte der Chef des
Elektroautobauers Tesla über das Leben in
autonomen Autos. Dabei stellt er nicht nur
in Aussicht, dass man da demnächst You-
tube und Netflix streamen könne, wenn, so
Musk, „das Auto nicht mehr fährt“. Viel
spannender war, was er danach sagte:
„Wenn die Aufsichtsbehörden die vollstän-
dige Selbststeuerung genehmigen, aktivie-
ren wir das Video während der Fahrt.“
Entspannt zurücklehnen, netflixen,
während sich das Auto autonom durch den
Großstadtdschungel kämpft – das klingt
nach einem guten Plan! Wobei Netflix hier
natürlich nur eine Art Metapher sein soll
für einen neuen Lebensstil beim Fahren.
Der ganz große Traum: Wenn eines Tages
das so genannte Level 5, die fünfte und
höchste Ebene des assistierten Fahrens er-
reicht sein wird, spielt der Fahrer keine Rol-
le mehr. Es gibt kein Lenkrad – warum
auch, der Fahrer ist ja kein Fahrer mehr,
sondern einfach nur noch ein Passagier. Er
kann lesen, Mails beantworten, Spiele spie-
len, oder eben Serien schauen. Anders als
bei den vorherigen Stufen, dem Level 4,
dem sogenannten vollautomatisierten Fah-
ren, das gerade von Herstellern und Tech-
nologieunternehmen getestet wird: Hier
kann der Fahrer jederzeit eingreifen und
übernehmen. Oder beim Level 3, bei dem
der Fahrer noch jederzeit intervenieren
können muss, aber zwischendurch andere
Dinge machen kann.

Mit der fünften Stufe soll also alles an-
ders werden auf den Straßen, sicherer und
entspannter. Doch ganz so einfach ist es
nicht. Mobilitätsforscher der Wirtschafts-
prüfungsgesellschaft Deloitte haben in ei-
ner Studie untersucht, wie es im Jahre
2035 in unseren Städten aussehen könnte,
und die Ergebnisse sind überraschend.
Erstens: Jede dritte Strecke wird dann
mithilfe autonomer Fahrdienste zurückge-
legt. Zweitens: Diese selbstfahrenden
Dienste werden nur noch halb so viel kos-
ten wie der öffentliche Personennahver-
kehr. Aus Punkt eins und zwei ergibt sich
dann Punkt drei: Das Verkehrsaufkom-
men dürfte wegen der vielen Robotaxis um
bis zu 40 Prozent steigen.
Dabei hatte man doch eigentlich ge-
dacht, dass es weniger Autos geben wird.
Gibt es wohl auch, aber die, die es gibt, wer-
den ständig im Umlauf sein, der Verkehr
wird also zunehmen. „Es werden viel mehr
Fahrzeuge auf der Straße sein, die genutzt
und nicht geparkt werden“, glaubt Deloitte-
Partner und Studienautor Thomas Schil-
ler. „Damit haben Sie ein noch höheres Ver-
kehrsaufkommen auf den Straßen als heu-
te. Dazu kommt eine stärkere Vermi-
schung der Verkehrsteilnehmer – auto-
nom und nicht autonom.“ 20 Prozent weni-
ger Fahrzeuge in der Stadt, gleichzeitig bis
zu 40 Prozent mehr Verkehr.
Schöne neue Autowelt.
Mehr Staus dürften dann der Preis da-
für sein, wenn Fahrdienstleister mit auto-
nom fahrenden Taxi-Flotten zuerst den
Privat-Pkw, später dann wohl auch Stra-
ßenbahnen und Busse von den Straßen fe-
gen. „Weil die Auslastung beim Roboterta-
xi höher und die Nutzung effizienter ist,
sind Fahrten 25 Prozent günstiger als mit
dem eigenen Auto“, heißt es in der Deloitte-
Studie. Und: „Nutzer autonomer Shuttles
zahlen die Hälfte des Preises eines ÖPNV-
Tickets – bei deutlich mehr Komfort.“
Autonome Taxis kämen der Studie zufol-
ge auf einen Preis von 34 Cent pro Kilome-
ter, autonome Shuttles auf 15 Cent. Das wä-
ren wahrscheinlich unschlagbare Preise.

Eine Lösung, so die Studienautoren:
Klassische Straßenbahntrassen könnten
dann nur noch für autonome Fahrzeuge zu-
gelassen werden. „Das wäre das Ende der
Straßenbahn“, sagt Schiller. „Aber Sie hät-
ten über Sammeltaxis die gleiche Funktio-
nalität. Mit dem Vorteil, dass sie keinen fes-
ten Fahrplan haben, nach dem Sie sich rich-
ten müssen.“
Weil dieses große Versprechen auf die
bequeme und günstige Zukunft des Fah-
rens so süß ist, arbeiten gerade alle daran.
Die Google-Schwester Waymo, von der vie-
le sagen, dass sie technologisch vorne lie-
ge, zeigt bei der Frankfurter IAA in diesen
Tagen, wie man mit auf dem Auto installier-
ten Modulen autonome Autos durch den
Verkehr schleust. Die US-Fahrdienstver-
mittler Uber und Lyft planen groß, VW ko-
operiert mit Ford, BMW mit Daimler, Toyo-
ta mit Suzuki. Auch die Autokonzerne wol-
len gerne vorne mitspielen, wenn es in eini-
gen Jahren losgeht.
Doch mit den Autos dürfte sich auch das
Geschäftsmodell der Hersteller massiv ver-

ändern. Fahrzeuge, die bis zum Dach voller
Kameras und Sensoren, mit Minicompu-
tern voller Algorithmen und künstlicher In-
telligenz gespickt sind, dürften nicht nur
mehr, sondernviel mehrkosten als her-
kömmliche Autos. Roboterautos werden
daher wohl lange Zeit erst mal nur als Flot-
tenfahrzeuge eingesetzt, eben als Roboter-
taxis in Städten. Die Autohersteller wissen
das. Sie werden kaum, wie es kritische Pes-
simisten behaupten, verschwinden. Aber
sie müssen damit rechnen, dass es nicht
mehr der Privat-Pkw ist, der in erster Linie
ihr Geschäft ausmacht. Auch deshalb ha-
ben Daimler und BMW – im Autohaus sind
sie immer noch kalt kalkulierende Riva-
len – ihre Mobilitätsdienstleister Car2go
und Drive Now zu Share Now zusammenge-
legt. Carsharing, Mitfahrdienste und ähnli-
che Dienstleistungen künftig aus einer
Hand – das ist schon mal ein gemeinsamer
Anfang. Auch Volkswagen will nicht mehr
nur Autohersteller, sondern auch Mobili-
tätsanbieter sein. Unter der Marke Moia
bieten die Wolfsburger Dienstleistungen

wie Carsharing oder Mitfahrdienste mit
Kleinbussen an – ausgerechnet der größte
Autobauer der Welt bereitet seine Kunden
also schon mal auf das Leben ohne eigenes
Auto vor. Irgendwann, so hoffen alle, wer-
den diese Flotten nicht einmal mehr einen
Fahrer brauchen.
Wer autonome Fahrdienstflotten be-
treibt, kann damit auf bis zu 16,7 Milliar-
den Euro Umsatz kommen. „Das ist ein
Sechstel des Umsatzes, den Fahrzeugher-
steller heute mit dem Verkauf von Neuwa-
gen in Deutschland erwirtschaften“, sagt
Schiller. Und was wird dann aus dem eige-
nen Auto? Es dürfte irgendwann zu einem
sehr auserlesenen Hobby werden. „Es wird
nicht ganz aussterben, aber es wird eher ei-
ne Nische sein“, glaubt Schiller. „Die Frage
ist nur: Wie mache ich das dann, als einzel-
ner Autofahrer unter all den autonomen
Autos?“ Gute Frage. Es dürfte jedenfalls
erst einmal unübersichtlich werden im
Straßenverkehr. Was eher dafür spräche,
sich Netflix-Serien zu Hause statt im Tesla
anzuschauen.

HEUTE


DEFGH Nr. 209, Dienstag, 10. September 2019 HF2 17


Oben sieht der Kassenzettel noch ganz
normalaus.Unten aber fehlt etwas. Das
gibt’s nur bei Aldi Süd. FOTO: DPA

Bei McKinsey nannten ihn alle nur „Dom“:
Neun Jahre lang leitete Dominic Barton,
57, die weltweit agierende und internatio-
nal wichtigste Unternehmensberatung.
Der gebürtige Kanadier – hochgewachsen,
sportliche Figur, silberfarbene Haare –
war unermüdlich unterwegs und verfügt
über eines der wohl größten Netzwerke in
der globalen Wirtschaft. Sein persönliches
Ziel als McKinsey-Boss: Mit mindestens
zwei Unternehmenschefs am Tag spre-
chen, das ganze Jahr über – und zwar über
alles, nicht nur über Unternehmensstrate-
gien und Digitalisierung, sondern auch
über die Zukunft des Kapitalismus oder
über Geopolitik.
Im vergangenen Jahr übergab Barton,
nach 30 Jahren bei McKinsey, die Führung
der Beratungsfirma nach drei Amtszeiten
an seinen Nachfolger, den Schotten Kevin
Sneader. Eine Karriere in der Wirtschaft
wäre für ihn kein Problem gewesen, denn
die Berater sind gefragt. Mehr als 350 ehe-
malige McKinsey-Leute führen heute Un-
ternehmen mit einem Umsatz von mehr
als einer Milliarde Dollar.
Doch Barton entschied sich anders: Er
arbeitete zunächst als Wirtschaftsberater
des kanadischen Premierministers Justin
Trudeau. In der vergangenen Woche wur-
de er nun zum neuen kanadischen Bot-
schafter in China ernannt. „Ich werde hart
daran arbeiten, unser tolles Land zu reprä-
sentieren und die Probleme zu lösen, die es
derzeit gibt“, sagte Barton. Von einer „groß-
artigen Wahl“ sprach Trudeau.
Barton übernimmt einen schwierigen
Job. Die Beziehungen zwischen China und
Kanada sind auf einem absoluten Tief-
punkt, seit Meng Wanzhou, die Finanzche-
fin des chinesischen Techunternehmens
Huawei und Tochter des Gründers, in Van-
couver verhaftet wurde. Kurz darauf wur-
den zwei Kanadier, ein Unternehmer und
ein Ex-Diplomat, in China festgesetzt und
sind seitdem im Gefängnis.


Für Barton ist die Ernennung zum Bot-
schafter aber auch der Höhepunkt eines
ungewöhnliches Lebenslaufs: Er wuchs
mit zwei jüngeren Geschwistern in Uganda
auf. Sein Vater war ein anglikanischer Mis-
sionar, seine Mutter Krankenschwester.
„Wir lebten zusammen mit Einheimischen
und vielen Ausländern, Menschen aus
Deutschland, England, Australien. Ich
glaubte als Kind, so eine bunte Mischung
sei der Normalfall. Das war Diversity, lange
bevor der Begriff populär wurde“, erzählte
Barton einmal im SZ-Interview. Auch spä-
ter, als die Familie zurück in Kanada war,
habe sein Vater andauernd Leute aufge-
nommen, die eine Bleibe suchten. „Es war
fast wie ein Hotel, manchmal machte mich
das als Kind verrückt“, erzählte er. Doch
das habe ihn auch sehr geprägt, sein Vater
habe ihm Gelassenheit vermittelt, und die
Bedeutung von Zuneigung zu anderen
Menschen.
Später jobbte Barton als Holzfäller, stu-
dierte in Vancouver und Oxford, war zu-
nächst als Analyst bei einer Bank und kam
schließlich zu McKinsey. Er brauchte drei
Anläufe, bis er Partner, also Miteigentü-
mer, wurde. 2009 stieg er zum Weltchef
auf, eckte öfters bei seinen Kollegen an,
sagte offen und undiplomatisch, was er
denkt. Er versuchte, das Image der Bera-
tungsfirma zu ändern. McKinsey-Berater
gelten noch immer als arrogant, rechthabe-
risch und als kühle Jobvernichter. Barton
arbeitete dagegen an, aber der Wandel
dauere eben, sagt er.
Aber ist Barton überhaupt der Richtige
für den komplizierten Job in China? Immer-
hin kennt Barton Asien sehr gut, für McKin-
sey war er lange Zeit in China, von 2004 an
hatte er fünf Jahre lang in Shanghai sein
Büro und war für das gesamte Asienge-
schäft zuständig. Barton geht Problemen
nicht aus dem Weg. Eine gute Vorausset-
zung. Denn in Peking wird er sicher viele
davon haben. caspar busse

Kopfrechnen mit Aldi Süd


Stimmt das Rückgeld? Kunden des Discounters können das nicht schnell auf dem Kassenbon sehen. Der Konzern findet’s gut


von caspar dohmen

U


nternehmen leisten Pionierarbeit,
sie bieten Mode an, ohne Mensch
und Umwelt dafür auszubeuten –
und Konsumenten greifen zu. Wenn es
gut läuft, entfaltet der Wettbewerb eine
Sogwirkung: Mehr und mehr Firmen ma-
chen mit, die Verbraucher ebenso. Am En-
de, so die Vorstellung, kaufen die Men-
schen nur noch ökologisch und sozial ein-
wandfreie Bekleidung.
Was wie ein modernes Märchen klingt,
ist der Kerngedanke des Grünen Knopfs,
des ersten staatlichen Textilsiegels welt-
weit, das das Bundesentwicklungsminis-
terium nun in Deutschland einführt. So be-
stechend die Idee eines ethischen Wettbe-
werbs zwischen Unternehmen um die
Gunst der Kunden aber scheint, in der Pra-
xis ist sie längst durchgefallen. Freiwillig
lässt sich bestenfalls eine Minderheit für
eine andere Wirtschaftsweise gewinnen,
aber keine ganze Branche auf die ethisch
einwandfreie Seite umkrempeln. Daran
wird auch der Grüne Knopf nichts ändern.


Und das liegt nicht einmal daran, dass
sie beim Erarbeiten des Siegels im Ministe-
rium grobe Fehler gemacht hätten oder
dass es am Willen der beteiligten Unter-
nehmen mangeln würde, sondern
schlicht an den Marktrealitäten. Es gibt
längst Anbieter von fair und ökologisch
sauber hergestellter Mode, und es existie-
ren auch private Siegel, die Verbraucher
auf entsprechende Produkte hinweisen,
Gots beispielsweise oder die Fair Wear
Foundation. Sicher, diese Vielfalt an Güte-
zeichen mag manchen Verbraucher ver-
wirren, aber wer sich wachen Auges
durchs Internet klickt oder im Laden um-
sieht, der findet schnell Bekleidung, die er
mit einem guten Gewissen tragen kann.
Diese Angebote gibt es nur, weil einigen
Verbrauchern genau das wichtig ist. Man-
cher verzichtet zum Schutz der Umwelt so-
gar ganz auf den Kauf neuer Kleidung und
greift zu Secondhandwaren.
Die Wirtschaft, sie wäre längst auf dem
Weg in eine andere, gerechtere und nach-
haltigere Zukunft, wenn alle Akteure so
handeln würden. Aber das ist illusorisch,
offensichtlich sind für den größten Teil der
Wirtschaftenden andere Motive ausschlag-
gebend: für die meisten Unternehmen und
deren Eigentümer der Gewinn, für viele


Verbraucher der Preis, das Design oder das
Image. Entsprechend gibt es auf dem
Markt nur einen eng begrenzten Platz für
Unternehmen, die sich freiwillig entschei-
den, ausschließlich ethisch einwandfreie
Produkte zu vertreiben. Das ist in allen Be-
reichen der Wirtschaft so, egal ob Energie,
Textilien, Mobilität oder Tourismus.
Dennoch erfüllen die Pioniere unter
den Unternehmen und Konsumenten na-
türlich eine wichtige Funktion. Sie ma-
chen vor, dass eine grünere und/oder sozi-
alere Produktion möglich ist und wie das
funktionieren kann. So lief es bei den Ver-
fechtern der Energiewende, die anfangs
selbst Windräder konstruierten. Oder bei
den Anhängern der biologischen und fai-
ren Landwirtschaft, die direkt Bauern im
Umland oder Übersee unterstützten. Oder
bei den Gründern ethischer Banken, die
transparente Geldanlagen konzipierten
und auf den Markt brachten. Die Beispiele
solcher Vorreiter sind vielfältig, eines ist
ihnen aber gemein: Egal ob es um grüne
Energie geht, um Bioprodukte, fairen Han-
del oder ethische Bankgeschäfte – die An-
bieter sind bis heute auf dem Markt in der
Minderheit, trotz Klimawandels, Arten-
sterbens, Migration oder Finanzkrise.
Wenn sich wirklich etwas ändern soll,
das haben die Anstrengungen für eine
Energiewende gezeigt, braucht es den poli-
tischen Eingriff. Freiwilligkeit und Aus-
probieren genügen nicht, um dem ande-
ren Wirtschaften zum Durchbruch zu ver-
helfen. Auf dem Markt gibt es noch immer
eine gewaltige Wettbewerbsverzerrung
zugunsten von Unternehmen, die sich öko-
logisch und sozial schädlich verhalten. Ge-
tan wird meist nur, was vorgeschrieben
ist, auch wenn den Akteuren bewusst ist,
dass ihr Handeln Umwelt und Menschen
schädigt. So aber haben konventionelle
Unternehmen geringere Kosten als sol-
che, die fair wirtschaften – und damit ei-
nen großen Vorteil am Markt.
Ein Meilenstein wäre deshalb ein
Gesetz, das die Unternehmen aus
Deutschland für die Produktionsbedin-
gungen innerhalb ihrer gesamten Liefer-
ketten in die Pflicht nimmt. Solch ver-
bindliche Regelungen liegen bereits in
der Schublade des Entwicklungsministe-
riums. Der Grüne Knopf zeigt, dass es
nun höchste Zeit ist, sie auch umzuset-
zen. Die Unternehmen werden sich erst
dann zukunftsfähiger verhalten, wenn
die Gesellschaft ihnen entsprechende
Vorgaben macht. Und die Verbraucher
könnten jedes Kleidungsstück mit bes-
serem Gewissen kaufen, ohne auf ein Sie-
gel achten zu müssen.

„Das wäre das Ende der Straßenbahn“


Wenn in einigen Jahren autonome Autos durch die Städte rollen, soll dies das Leben eigentlich entspannter machen.
Doch dürfte das Verkehrsaufkommen kräftig steigen – und der ÖPNV könnte chancenlos werden

Was manchen quält, ist für
Aldi Süd Ausweis besonderer
Kundenfreundlichkeit

„Wie mache ich das dann,
als einzelner Autofahrer unter
all den autonomen Autos?“

WIRTSCHAFT

Futuristische Autos für das Raketen-Zeitalter: So stellte man sich 1950 die Mobilität der Zukunft vor. FOTO: ARTHUR C. BADE

NAHAUFNAHME


„Ichglaubte als Kind,
eine bunte Mischung von
Menschen sei der Normalfall.
Das war Diversity,
lange bevor der Begriff
populär wurde.“
Dominic Barton
FOTO: OH

Diplomat und Holzfäller


Dominic Barton, Ex-McKinsey-Chef, wird Botschafter in China


GRÜNER KNOPF

Genug probiert


Firmen undVerbraucher ändern


sich nicht freiwillig. Eine faire


Wirtschaft braucht klare Regeln

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