„Ich freue mich, dass die
Regierungskrise in Italien
jetzt wohl zu Ende geht
und nun eine stabile und neue,
progressive Regierung ans Ruder
kommen kann.“
Olaf Scholz, Bundesfinanzminister
„Das ist ein zartes Gebilde,
wenn man darüber
spricht. Und das darf
man nicht durch
Spekulationen zerstören.“
Angela Merkel, Bundeskanzlerin, über das
Ringen zur Rettung des Atomabkommens
mit dem Iran
Stimmen weltweit
Die Mailänder Tageszeitung „Corriere della Sera“
bewertet am Donnerstag die von
Premierminister Boris Johnson verordnete
Zwangspause für das britische Parlament:
E
in Kamikazemanöver. Ein beispielloses
Wagnis, das Boris Johnson da eingeht: Es
könnte ihm am Ende den Brexit zu seinen
Konditionen einbringen – oder aber dem emp-
findlichen konstitutionellen Gleichgewicht, auf
das sich das Vereinigte Königreich stützt, einen
Todesstoß versetzen.
Wahrscheinlich hatte Johnson keine andere
Wahl. Die Oppositionsparteien hatten sich gerade
noch auf den Versuch geeinigt, im Parlament ei-
nen möglichen No-Deal zu blockieren – einen
Brexit ohne Abkommen. Aber das hätte Boris
Johnson den wichtigsten Hebel genommen, mit
dem er auf die EU hätte Druck ausüben können,
um sie von Nachverhandlungen über die Schei-
dungskonditionen zu überzeugen. Nun hat der
britische Premierminister die Brücken hinter
sich verbrannt. Jetzt kann Brüssel nicht mehr auf
irgendwelche Hinterzimmer manöver der Opposi-
tion hoffen, es muss das Ganze ernst nehmen.
Der Londoner „Guardian“ kritisiert am
Donnerstag das Vorgehen des britischen
Premierministers Boris Johnson gegen das
Parlament:
D
ie Vertagung des Parlaments ist ein kö-
nigliches Vorrecht, das in der modernen
Demokratie nur toleriert werden kann,
wenn es sich dabei um einen zeremoniellen Akt
handelt. Wenn ein Premierminister, der nicht
einmal ein Mandat der Wählerschaft hat, auf die-
se Weise parteipolitische Ziele verfolgt, für die es
im Unterhaus keine Mehrheit gibt, dann stellt
dies einen grotesken Missbrauch des höchsten
politischen Amtes dar.
Boris Johnson kapert Befugnisse, die symbo-
lisch der Krone zustehen, und benutzt sie für ei-
nen Angriff auf seine Gegner im Parlament. Dass
er dies tut, um einen harten Brexit durchzuset-
zen, ist für Proeuropäer schmerzlich. Dass er
überhaupt bereit ist, es zu tun, sollte jeden alar-
mieren, der die Traditionen der britischen De-
XXX, imago images/photothek, dpamokratie zu schätzen weiß.
Auch die Londoner „Times“ kommentiert am
Donnerstag die Zwangspause für das britische
Parlament:
D
ie plausible Prämisse des Premierminis-
ters bestand darin, dass allein ein glaub-
würdiges Engagement bei der Vorberei-
tung eines No-Deal-Brexits EU-Regierungschefs
veranlassen wird, Zugeständnisse zu machen.
Und tatsächlich gibt es zaghafte Anzeichen dafür,
dass sie bereit sein könnten, sich ein wenig zu
bewegen. Sie werden das jedoch nicht tun, wenn
sie glauben, dass das Parlament einen Brexit ver-
hindern oder dass Boris Johnson des Amtes ent-
hoben werden könnte.
Der Schachzug des Premierministers zielte da-
rauf ab, jeden Zweifel an der Entschlossenheit
der Regierung zu beenden und jeden Gedanken
daran zu vertreiben, dass Brüssel eine Seite des
britischen politischen Establishments gegen die
andere ausspielen könnte.
W
ie behält eine Ein-Parteien-Diktatur die poli-
tische Kontrolle über ein Riesenreich von 1,
Milliarden Menschen, die in einer immer en-
ger vernetzten Welt leben und arbeiten? In Peking
glaubt man, die Antwort darauf gefunden zu haben: Die
kommunistische Führung entwickelt für die Bevölke-
rung, aber auch für die in China tätigen Unternehmen
ein Bewertungssystem, das Wohlverhalten belohnt,
Fehlverhalten aber hart bestraft. Dass dabei in einer
Diktatur ohne Rechtsstaat auch politische Willkür eine
Rolle spielt, liegt auf der Hand.
Die Proteste in Hongkong haben gezeigt, dass Peking
sich nicht scheut, auch in- und ausländische Unterneh-
men politisch auf Linie zu bringen. Erst wurde der Chef
der Hongkonger Fluglinie Cathay Pacific zum Rücktritt
gezwungen, weil er aus Sicht Pekings seinen Mitarbei-
tern zu viel Meinungsfreiheit gewährte. Dann mussten
sich internationale Luxusmarken wie Versace öffentlich
entschuldigen, weil sie politisch nicht korrekte T-Shirts
verkauft hatten.
Lehrreich ist insbesondere der Fall von Cathay, weil
sich dort die Regulierung und die politische Maßrege-
lung vermischen. Offiziell beschuldigte Peking die Flug-
gesellschaft, Sicherheitsbestimmungen verletzt zu ha-
ben, um das Unternehmen in die Knie zu zwingen.
Auch bei dem neuen sozialen Ratingsystem geht es offi-
ziell darum, dass Unternehmen die Regeln und Stan-
dards der Regierung einhalten. Tatsächlich wird damit
jedoch der politischen Willkür Tür und Tor geöffnet, ge-
gen die sich Unternehmen in einem Land ohne poli-
tisch unabhängige Justiz kaum wehren können. Hinzu
kommt, dass Peking auch noch eine Liste „vertrauens-
unwürdiger Organisationen“ zusammenstellt. Auch da-
mit lassen sich unliebsame Unternehmen in den politi-
schen Würgegriff nehmen.
Bislang haben die meisten ausländischen Unterneh-
men dazu geschwiegen und sich dem politischen Druck
gebeugt. Der riesige chinesische Markt war ihnen meist
wichtiger als die Moral. Dieses Duckmäusertum hat je-
doch dazu geführt, dass China über Jahrzehnte nahezu
ungestraft die Spielregeln im internationalen Handel
brechen konnte. Erst seit diesem Jahr sehen Politiker
und Wirtschaftsführer in Europa das Regime in Peking
als strategischen Rivalen für Wohlstand und Freiheit.
Umso wichtiger ist es, dass westliche Unternehmen
jetzt gemeinsam ihre Stimme erheben und sich auch in
China und Hongkong an ihren eigenen Maßstäben mes-
sen lassen. Ein Zurück zum „nichts hören, nichts sehen,
nichts sagen“ kann es schon aus eigenem Interesse
nicht geben. Denn je mehr sich der wirtschaftliche
Wettbewerb mit China auf digitale Dienstleistungen ver-
lagert, desto wichtiger werden Vertrauen und Werte.
Ratingsystem
Im Würgegriff von Peking
Chinas Regierung versucht
mit allen Mitteln, auch
ausländische Unternehmen auf
ihre Linie zu bringen,
warnt Torsten Riecke.
Der Autor ist International Correspondent.
Sie erreichen ihn unter:
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Wirtschaft & Politik
WOCHENENDE 30./31. AUGUST / 1. SEPTEMBER 2019, NR. 167^15
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