Handelsblatt - 30.08.2019 - 01.09.2019

(Jeff_L) #1
2008 stellte MTU gemeinsam mit Pratt & Whitney
den „Geared Turbofan“ vor. Mit einem Unterset-
zungsgetriebe wird der vordere Schaufelkranz von
der Turbine entkoppelt, sodass alle Teile des Trieb-
werks immer im optimalen Wirkungsbereich arbei-
ten. Damit lässt sich der Spritverbrauch um zehn bis
15 Prozent senken, die Triebwerke werden leiser.
Der damalige Airbus-Chef Tom Enders erkannte
das Potenzial und machte das Triebwerk zum Kern
der A320 neo („new engine option“). Konkurrent
Boeing zog nach und entwarf die 737 Max. Weil die
von General Electric entwickelten Konkurrenz-
Triebwerke die Flugeigenschaften veränderten,
musste Boeing eine neue Flugsoftware programmie-
ren, die mutmaßlich für zwei Abstürze verantwort-
lich ist. Seitdem ist die 737 Max am Boden.
Airbus hat für seine A320 neo mehr als 5 000
nicht ausgelieferte Bestellungen in den Büchern,
mehr als die Hälfte davon wird mit MTU-Technik
fliegen. Der Konzern hat kräftig investiert, um dieses
Wachstum mitzugehen. Erstmals wird in München
ein Teil der Triebwerke endmontiert. Mittlerweile
arbeitet man gemeinsam mit Pratt & Whitney an der
Weiterentwicklung der neuen Technik.
Neue Materialien sollen die Brenntemperatur und
damit den Wirkungsgrad steigern. Zudem wird die
Schubkraft erhöht. Analog zu den Kurzstreckenflug-
zeugen dürften Mitte des kommenden Jahrzehnts
auch Langstreckenmaschinen die neuen Triebwerke
erhalten. Winkler ist sich sicher: „In der heutigen
Triebwerkstechnik steckt noch viel Potenzial für
Kraftstoffeinsparung und Effizienz.“

Hype um Elektroantriebe ist vorbei
Das liegt auch daran, dass die Alternativen fehlen.
„Die Euphorie beim elektrischen Fliegen ist verflo-
gen, die Diskussion hat sich komplett gedreht“, sagt
Winkler. „Elektroantriebe sind für Kleinflugzeuge
möglich, für große Passagierjets aber auf absehbare
Zeit nicht realistisch“, lautet sein Fazit.
Zwar hat sich MTU erst im Juni für rund zehn Mil-
lionen Euro an dem Aachener Flugtaxi-Entwickler
Esat beteiligt, der an elektrohybriden Antrieben ar-
beitet. Doch schon für Regionaljets seien die Batte-
rien viel zu schwer, meinen die MTU-Techniker.
Bis 2050 soll das Emissionsniveau neuer Flugzeu-
ge aber um 50 Prozent sinken. Diesem Ziel hat sich
Mitte August die deutsche Luftfahrtindustrie auf ei-
nem Gipfel in Leipzig verschrieben. Erreicht werden
soll dieses Ziel nun vor allem mit synthetisch erzeug-
tem Sprit, gewonnen aus Sonnen- und Windenergie.
Der große Vorteil für MTU: Die heutige Trieb -
werks technik wäre auch die von morgen. „Bereits
heute ließe sich der gesamte Flugzeugtreibstoff syn-
thetisch herstellen, die Hürde liegt nur in der Kapa-
zität und den Kosten“, sagt Winkler. Er unterstützt
die Forderung von Verkehrsmister Andreas Scheuer
(CSU), die Ticketsteuer für den Einsatz von synthe-
tisch erzeugtem Kerosin zu nutzen.
Viel Potenzial für den möglichen Dax-Aufsteiger.
Immerhin ist MTU mit einer Marktkapitalisierung
von rund zwölf Milliarden Euro bereits rund doppelt
so viel wert wie der gesamte Lufthansa-Konzern. Die
Aktie hat gerade mit 249 Euro einen Rekord er-
reicht. HSBC-Analyst Richard Schramm empfiehlt sie
nicht mehr – die Markterwartungen seien seit Jahres-
beginn nicht sonderlich gestiegen, während der
Kurs der Papiere um bis zu 58 Prozent geklettert sei.

Bewertung

Was MTU über Lufthansa aussagt


D


er Wert eines Unternehmens an der Bör-
se sagt nicht nur etwas über den Zustand
der Firma selbst aus. Indirekt drückt er
auch aus, was die Investoren über die Wettbe-
werber denken. Etwa im Fall von MTU. Sollte der
Triebwerksspezialist in den Dax aufsteigen, wäre
er neben der Lufthansa der zweite Luftfahrtwert
in der obersten Börsenliga. Damit liegen Verglei-
che auf der Hand. Und dabei schneidet die Air-
line nicht gut ab.
Fast 12,9 Milliarden Euro ist MTU derzeit an
der Börse wert. Europas größte Fluggesellschaft
kommt gerade einmal auf 6,6 Milliarden Euro, ist
gemessen am Umsatz aber fast achtmal größer
als MTU. Eine prekäre Situation für die Airline-
Gruppe. „Für Lufthansa war immer schon der
Vergleich mit anderen Dax-Werten entscheidend,
etwa beim Thema Managementvergütung“, sagt
Daniel Röska von Bernstein Research: „Bei ei-
nem Aufrücken von MTU in den Dax wird sich
das Lufthansa-Management also Fragen gefallen
lassen müssen, ob im Konzern alles richtig läuft.“
Wie eklatant die Bewertungsunterschiede
sind, zeigt der Blick auf die Details. Allein die
Wartungstochter Lufthansa Technik (LHT) erziel-
te im vergangenen Jahr einen Umsatz von rund
sechs Milliarden Euro, also mehr als MTU. Zwar
gibt es Unterschiede zwischen beiden. So verfügt
LHT anders als MTU nicht über das sogenannte
OEM-Geschäft, also den Bau von Triebwerkskom-
ponenten.
Dennoch sind beide Firmen grundsätzlich ver-
gleichbar. Beide verfügen über ein starkes und
langfristig planbares Wartungsgeschäft. Auch bei

MTU ist es mit einem Umsatzanteil von 57 Pro-
zent der größte Geschäftsbereich. Daraus lässt
sich die Frage ableiten, wie viel von der eh schon
mageren Lufthansa-Bewertung auf LHT entfällt
und wie viel für das eigentliche Kerngeschäft mit
dem Fliegen übrig bleibt.
Denn auch auf Ergebnisseite zeigt sich die
Stärke von LHT. Im ersten Halbjahr 2019 steuerte
die Wartungstochter 58 Prozent zum Betriebser-
gebnis vor Zinsen und Steuern (Ebit) des Kon-
zerns bei. Lufthansa hat einen Cashpool, in den
diese Erträge fließen. Daraus können sich wie-
derum die Airlines bedienen. Das mit der War-
tung verdiente Geld wird also zum Teil von Air-
lines wieder aufgesogen – was Investoren nicht
gefällt.
Gerald Wissel denkt deshalb weiter. „Ein Dax-
Aufstieg von MTU und die Bewertung wird die
Debatte befeuern, ob man Lufthansa Technik
nicht an die Börse bringen sollte“, sagt der Luft-
fahrtberater. Doch das ist ein ebenso heikles wie
kompliziertes Thema, weiß Wissel. Eine Heraus-
lösung von Lufthansa Technik sei äußerst kom-
plex. Die Tochter sei sehr eng mit den Airlines
der Gruppe verwoben. Man nutze teilweise die
gleiche Infrastruktur – etwa bei den Immobilien
oder auch der Informationstechnik.
„Zudem sollte keiner vergessen, dass bei einer
Trennung von Lufthansa Technik der Erlös
schnell weg ist, dafür aber die regelmäßigen Ein-
nahmen der Wartungstochter künftig etwa für
Investitionen fehlen.“ Denn die guten Margen
von LHT helfen der „Hansa“ zum Beispiel auch
dabei, die Flotte zu erneuern. Jens Koenen

MTU-Chef
Reiner Winkler:
„Wir sehen bis heute
keine wirkliche
Trendwende in der
Luftfahrt.“

Pressefoto MTU Aero Engines

Gewinnbringer

4,


MILLIARDEN
Euro Umsatz erzielte MTU im vergangenen Jahr,
die Ebit-Marge lag bei 14,7 Prozent.
Quelle: Unternehmen

Unternehmen & Märkte
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WOCHENENDE 30./31. AUGUST / 1. SEPTEMBER 2019, NR. 167^17


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