Kunstmarkt
(^56) WOCHENENDE 30./31. AUGUST / 1. SEPTEMBER 2019, NR. 167
Susanne Schreiber Düsseldorf
P
aare und kleine Gruppen von Besu-
chern treffen sich in dichter Folge
am Eingang der Kunstsammlung
Nordrhein-Westfalen. Die einen
drängt es hinein, die anderen hi-
naus. So viel Betrieb herrscht selten in einem
Museum. Allen geht es um die Ausstellung eines
chinesischen Künstlers: „Ai Weiwei. Wo ist die
Revolution?“
Die Besucher, die herauskommen, sind in an-
geregte Gespräche vertieft. Lebhaft diskutieren
sie die schiere Größe der Artefakte, die der
Künstler ihnen zumutet. Oder sie debattieren ei-
nen anderen Schwerpunkt der Ausstellung, das
Ausmaß der Migrationsprobleme, die die Bun-
desregierung, anders als 2015, nur noch punktu-
ell beschäftigen. Wie groß das menschliche
Elend von Krieg, Vertreibung und Flucht übers
Mittelmeer ist, schildert Ai Weiwei in aufrütteln-
den Videos, auf Fototapeten und mit Großinstal-
lationen in Düsseldorf noch bis zum kommen-
den Sonntagabend. Dafür hat ihm die kuratie-
rende Direktorin Susanne Gaensheimer gleich
beide Häuser zur Verfügung gestellt.
Gaensheimer kennt Ai Weiwei, stellte den
Künstler schon 2013 als deutschen Beitrag auf der
Biennale von Venedig aus. Das Stammhaus K20
ist der Kunst der Klassischen Moderne und des
- Jahrhunderts gewidmet. Hier sind zwei Groß-
installationen von Ai Weiwei eingerichtet. K21,
der ehemalige Landtag, widmet sich der Kunst
des 21. Jahrhunderts. Dort treffen die neuesten
Filme und Arbeiten auf nur selten gezeigte Ge-
mälde eines Debütanten, der sich seinen Weg
sucht. Der Direktorin gelang es, gleich fünf seiner
größten Installationen zusammenzubringen. Sie
beschäftigen sich alle mit dem Thema Freiheit,
mit Titeln wie „Sunflower Seeds“, „Straight“,
„Laundromat“, „S.A.C.R.E.D.“ und „Life Cycle“.
Eine so attraktive und zugleich inhaltsschwere
Schau ist gut fürs Image der Düsseldorfer Kunst-
sammlung. Sie hat in den Medien eine riesige
Resonanz gefunden. Ai Weiwei erweist sich auch
als Besuchermagnet. Über 200 000 Gäste
strömten seit Mitte Mai durch K20 und K21.
Doppelzählungen nicht ausgeschlossen: „Ge-
zählt werden die Besuche in jedem Haus. Denn
es sind zwei separate Ausstellungen“, sagt
Gaensheimer im Gespräch mit dem Handels-
blatt. Beide Orte werden fast gleich stark be-
sucht, K21 mit der retrospektiven Ausstellung
liegt ganz leicht vorn. „Ich bin sehr zufrieden.
Der Erfolg tut dem ganzen Team gut.“
Die Direktorin gibt aber auch zu bedenken,
dass „mit bis zu 2 000 Besuchern pro Tag unse-
re Häuser an die Grenzen von Personal und In-
frastruktur kommen“. Im Übrigen sei es keines-
wegs die bestbesuchte Ausstellung der Kunst-
sammlung. Die Matisse-Schau zog 2006 knapp
300 000 Besucher an, lief aber zwei Wochen
länger als die Ai-Weiwei-Ausstellung. Otto Dix
schauten sich 100 000 Besucher an, die Groß -
fotos von Andreas Gursky 70 000 Besucher.
Ai Weiwei ist heute so populär wie Pablo Pi-
casso in den 1950er- und 1960er-Jahren. Mindes-
tens seinen Namen kennt fast jeder. Das zieht
auch Menschen ins Museum, die sich sonst lie-
ber nicht mit in ihren Augen kaum verständli-
cher Kunst der Gegenwart befassen. Direktorin
Gaensheimer ist das wichtig: „Als Landesmu-
seum müssen wir ein breites Publikum aus ganz
Nordrhein-Westfalen ansprechen.“
Was kostet solch eine Großausstellung? Zah-
len will Gaensheimer nicht nennen. Nur so viel:
Der Besuchermagnet
Umstritten in der Kunstwelt, beliebt
beim Publikum: Über 200 000
Menschen strömten bislang in die
Ausstellung von Ai Weiwei
in Düsseldorf, die noch bis zum
- September geöffnet ist.
Die Museumschefin zieht eine
erste Bilanz.
Ai Weiwei „Straight“: Ein Mahnmal für die Erdbebenopfer
von Sichuan. Die Armierungseisen liegen in Kisten wie in Särgen.
Getty Images Entertainment/Getty Images
Direktorin Susanne Gaensheimer und Künstler Ai Weiwei in der Ausstellung „Wo ist die Revolution?“: Die Motive auf
den scheinbar klassisch chinesischen Porzellan-Vasen stellen stilisiert die Themen Krieg, Flucht und die Überfahrt übers Meer dar.
Kunstsammlung NRW
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